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Thema: [Märchen] Die Prinzessin mit den Bernsteinaugen

Baum-Darstellung

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  1. #18
    Zitat Zitat von BIT Beitrag anzeigen
    Der Tod ist das unausweichlichste Schicksal überhaupt, dem jeder Mensch einmal anheimfällt.
    Und es durch List abzuwenden ist die derbste Negation dieses Anheimfallens.

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    Der Tod im Märchen kündigt ihm sein Schicksal merhmals im Vorhinein an, von daher gibt es sehr deutliche Anzeichen für den Tod des Protagonisten.
    Ich denke hier, ohne dir zu nahe treten zu wollen, dass du das viel zu simpel siehst. Warnende oder prophetische Aussagen sind kein rückwärts motivierendes Moment, welche auf ein fatales Ende hinarbeiten, außer sie ordnen sich in noch andere Hinweise auf ein solches ein. Das ist übrigens schon der nächste Punkt, den ich dir gegen das Argument der Fatalität einwerfen könnte: Die Geschichte ist rückwärts motiviert, hat aber auch ohne den Tod des Protagonisten bestand (siehe die Fassung, in der er seinen Tod abwendet) und ist schlüssig. Wenn du mir das gleiche über Romeo & Juliet erzählen könntest (das inkarnierte Fatalitätsprinzip), wäre ich mit dir einer Meinung, dass hier Fatalität vorherrscht. Da aber dort von Anfang bis Ende auf das Fatum zugespitzt wird - gänzlich ohne Warnung, sondern viel beeindruckender und subtiler -, hier im Gegensatz dazu die Warnungen nur dazu dienen, die Präsenz des Gevatters zu verstärken (Im Sinne von: "Ich bin der Tod und ich bin gegenwärtig"), wird das nicht gelingen.

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    Der Vergleich hinkt gewaltig. Auf der einen Seite hast du den Sturm und Drang eines Goethe, dem du die spätromantischen Ausführungen der Gebrüder Grimm gegenüberstellst.
    Der Faust basiert auf der alten Volkserzählung vom Doktor Faustus, welche erstmals im 16ten Jahrhundert festgehalten wurde.
    Faust ist keine Tragödie des Sturm und Dranges (was eigentlich schon an der Textsorte auffällig werden sollte), es ist ein den Epochenbegriff sprengendes Werk, welches vom späten Dränger über den Klassiker bis zum Romantiker eigentlich alles einfasst.

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    Beide haben allerdings völlig andere kulturelle Voraussetzungen, auch was die Zeichenkodierung angeht. Dazu gehört beispielsweise auch, dass vor allem dei Spätromantik sich durch eine enorme christlich geprägte Symbolik und die Natur aufweist, während beim Sturm und Drang das Ich selbst im Mittelpunkt steht.
    Und was hat das mit der Vergleichbarkeit der Werke zu tun? Also abgesehen davon, dass Faust kein Werk des Sturm und Drangs ist, dass der Faust grade so von christlich geprägter Symbolik strotzt, grade zu Natur schreit und sich darüber hinaus auch noch des volkstümlichen Zeichenkosmos' bedient?

    Ich bin kein sonderlicher Fan vom ollen Goethe, aber du tust ihm da grade ganz schön unrecht, wenn du ihn pauschal in die Stürmer-und-Dränger-Ecke knallst.

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    Eine areligiöse Fassung liegt eher nicht zugrunde, wenn man eben davon ausgeht, dass die Sätromantik vor allem auch auf christlichen Symboliken aufbaut.
    Wir gehen davon aus, dass beinahe jedes Hausmärchen unzählige Fassungen hat - ist auch irgendwie klar bei mündlicher Überlieferung. In den Aufzeichnunge der Gebrüder Grimm gibt es von Gevatter Tod allein zwei (oder sogar drei, das weiß ich gerade nicht) unterschiedliche Fassungen, die veröffentlicht wurden, nämlich eine "originärere", "areligiöse" Version und eine, welche die christliche Symbolik besser aufgreift. In den Fragmenten der Brüder Grimm findet sich noch mindestens eine weitere Fassung, in welcher der christliche Wertekanon so weit vollführt wird, dass der Arzt am Ende noch bittet, ein Paternoster vor seinem Tode beten zu dürfen, dieses aber nie beendet und so am Leben bleibt.

    Die Brüder Grimm hatten soweit ich weiß öfter Momente, wo sie an christliche Wertevorstellungen angeeckt sind, weil vor allem Jakob sehr wissenschaftlich arbeiten wollte.

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    Sicherlich wird dabei das Ende dadurch abgeschwächt, dass das Christentum eben auf der Auferstehung aufbaut. Dies ändert jedoch nichts daran, dass das Märchen durch seine Vorausdeutungen auch auf eben jenes fatale Ende hinarbeitet.
    Warnungen sind keine Vorausdeutungen, außer du beweist das schlüssig mit mindestens 2 verschiedenen Textmomenten.

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    Und genau deshalb verstehe ich auch nicht, warum du ein fatales Ende bei Norkia kritisiert hast, obwohl es im europäischen Kulturraum eben auch solche Versionen gibt.
    Weil es sich nicht um unterschiedliche Versionen einer Gattung handelt, sondern um unterschiedliche Textsorten mit distanten Zeichenkosmen. Norkia erzählt in einem Zeichenkosmos, der das Fatalitätsprinzip aus angeführten Gründen negiert. Und ohne seinem Text dabei jetzt das Unrecht zu tun, ihn wertlos zu zeihen - denn das ist nicht meine Absicht, da er durchaus Wert hat -, du kannst selbst lesen, dass er sich dabei auf Einflüsse stützt, die nicht nur historisch sondern auch semiologisch eine große Divergenz zum eigentlichen Genre aufweisen.

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    Nur, weil es nicht unbedingt die üblichste Variante ist, musst du sie ja nicht von vorneherein ausschließen.
    Ein klassisches Drama ohne klassischen Dramenaufbau ist kein klassisches Drama. Gut, kann man sagen, dann lässt man das klassisch eben weg.
    Ein klassisches Drama ohne Umsetzung der Obrigkeitsvorstellung und klassische Allegorien hingegen ist ein Fehler. Sich eines Zeichenkosmos' zu bedienen und dort dann aber Motive reinzuschmeißen, die diesem abgeschlossenen Gebilde nicht entsprechen, ist als ob man Zuckerwatte in ein Chili rührt: Es ist bestenfalls nicht ganz schlüssig (wie norkias Text), im schlimmsten Fall stößt es unangenehm auf. Zeichenkosmen sind solche, weil sie abgeschlossene Systeme sind. Das System aufbrechen und lose Zahnräder reinfüllen tut der Funktionalität des Systems (also des Textes) nicht sonderlich gut.

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    Das kommt natürlich auf die Definition des Fluches an. Geht man vom klassischen Fluch aus, so ist dieser eben dadurch gekenzeichnet, dass sein Schicksal unausweichlich ist. Ödipus stürzt nicht ohne Grund in sein Verderben und auch bei einem Shakespeare, der großen Einfluss auf die Autoren der betrachteten Zeit hatte, finden sich diese Motive immer wieder. Nicht alle Märchen müssen daher zwangsweise auch in eben diesem Schlupfloch enden, welches du hier beschreibst.
    Also du findest Faust und Gevatter Tod nicht im Ansatz vergleichbar, aber kommst bei der Motivinterpretation des Märchenfluchs mit den Klassikern? Das finde ich etwas fragwürdig, muss ich zugeben. Vor allem, weil du damit gleichzeitig auch noch allem anderen widersprichst, was du gesagt hast - auch dem, was durchaus richtig war. Der griechische Zeichenkosmos beruht ja gerade auf Fatalität. Der gesamte Ödipus-Antigone-Komplex ist das größte Spektakel an Fatalität seit der Erfindung des griechischen Dramas. Dieser Zeichenkosmos ist zum volkstümlichen Märchen im deutschsprachigen Raum dermaßen distant, dass man bald schon zwei Pole hat (was unter anderem auch mit der absoluten Negierung des Heidentums in der christianisierten Welt einhergeht).

    Der Grund, warum Shakespeare Einfluss auf das geisteswissenschaftliche Arbeiten der Grimms hatte, ist mir ein wenig schleierhaft. Du kannst den beiden Helden Romantik schon so viel Eigenständigkeit und Wissenschaftlichkeit zugestehen, dass sie nicht wild und ohne jegliche Basis Motive ausgetauscht haben. Ihr Spielraum bestand zwischen der Rekonstruktion aus mehreren Erzählversionen, aber sie haben die Texte nicht gänzlich neu erdacht, schon gar nicht im Sinne eines Shakespeare.

    So oder so sprechen wir hier von diesem einen Fluchmotiv, welches durch den Zeichenkosmos, den norkia bemüht, bedingt wird.

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    Siehe oben. Da die Volksmärchen eben keine einheitliche Textsorte sind, sondern verschiedene unter sich subsumieren, kannst du eben nicht auch nur eine Definition als Arbeitsgrundlage benutzen.
    Ich kann noch dreimal sagen, dass der Begriff "Volksmärchen" nicht dem entspricht, was ich sagen wollte, ich kann diese zu unpräzise Definition noch dreimal widerrufen; anerkennen musst du das aber. Bis dahin sage und widerrufe ich vehement und frage mich, warum du so liebend gern Textsorten als unabgegrenzten Begriff verstehst und keinerlei Unterscheidbarkeit zwischen Schwank, Sang und Prinzessinnenmärchen siehst.

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    Nein. Vor allem auch in den Kunstmärchen wird gerade dieses Motiv der Volksmärchen wieder aufgegriffen. Als Beispiele nenne ich hier nur "Das kalte Herz" (mit Einschränkungen), "Der Runenberg" oder auch "Die Bergwerke von Falun", wo eben das Gute den Mächten erliegen.
    Da wir aber nicht von Kunstmärchen sprechen, ist das irrelevant. Vor allem, weil Kunstmärchen ja gerade darauf aus sind, den alten Wertekanon zu brechen. Wenn du diesen Unterschied zwischen herkömmlichem Märchen und Kunstmärchen nicht zugestehst, kann ich dir allerdings auch nicht sagen, wie wir hier weitersprechen wollen.

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    Meine ursprüngliche Kritik richtete sich auch nicht darauf, dass ein Märchen dies ständig tut, sondern dass es auch vorkommen kann.
    Nicht im betrachteten Zeichenkosmos, da hier der Tod die Werteblase des erzählenden Pulks dekonstruieren würde.

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    Und das ist eben nicht nur im Schwank so.
    Wo denn dann noch?

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    Im Übrigen moralisieren Märchen ständig, dazu muss man nur "Schneewitchen" oder "Dornröschen" ebenfalls ein wenig detaillierter betrachten. Es ist gerade ein Zeichen der kleinen Erzählformen, zu denen neben dem Märchen eben auch die Fabel oder Kalendergeschichten aber auch der Witz gehören, dass sie stark mit dem Thema Moral arbeiten.
    Eine Moral zu enthalten heißt nicht zu moralisieren. Ich weiß, dass da rein von der Sache her das gleiche Wort drinsteckt, das liegt aber am misnomer der Lehrform im Märchen. Märchen vermitteln keine wirklichen moralischen Werte; dazu fehlt nicht nur der Parabelcharakter, sondern auch der Kontext. Moralisierend sind in dieser Zeit überhaupt nur von christlichen Moralvorstellungen getränkte Texte, im volkstümlichen Feld meistens Schwanks. Vom Stricker beispielsweise hast du sowas häufiger; parabelischer Charakter, stark christliche Wertesymbolik, vermittelt eine Moralvorstellung (nicht etwa nur eine Lehre, wie sie im Märchen vorherrscht).

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    Mir als ausgelerntem Germanisten, Historiker und Pädagogen aber eben nicht. Je weiter du im Studium fortschreitest, desto mehr wirst du wissen, warum.
    Das bezweifle ich stark; unter anderem, weil ich die Begriffsordnung außerhalb des wissenschaftlichen Kontextes ablehne und die Tendenz dazu mit dem Studium nur noch weiter steigt.

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    Stopp. Da muss man immer darauf achten, aus welcher Schule man entstammt. Als ehemaliger Bielefelder Student entstamme ich eben der Sozialgeschichte, sowohl im Bereich der Geschichtswissenschaften ("Bielefelder Schule") als auch im Bereich der Literaturwissenschaften. Der Zeichenkosmos verschiebt sich nämlich durchaus. Wir lesen die Märchen heute unter völlig anderen Voraussetzungen als damals. Lässt du diese Faktoren außen vor, wirst du zu völlig anderen Ergebnissen kommen, als wenn du mit ihnen arbeitest. In naher Zukunft wird aus diesem Grund auch ein neuer Promotionsstudiengang an der Uni Bielefeld eingerichtet, der sich genau mit dieser Thematik befasst. Das ist aber auch wie gesagt eine Frage der Schule, welcher man angehört.
    Ich wüsste nicht, was die Schola mit der historischen Distanz zum Textfeld, über welches wir sprechen, zu tun hat. Außer natürlich, ihr lehnt den Konsens darüber ab, dass darin verschiedene Textversionen ein und derselben Geschichte bestehen und versteht kulturelle Unterschiede als nicht abgrenzbar. Das wäre allerdings töricht, muss ich sagen.

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    Das kann man eben so nicht sagen. Wie gesagt gibt es diese Formen auch halt in dieser Märchenform, sie ist nur nicht die üblichste.
    Dafür hätte ich gern Beispiele, oder du führst mir auf, warum deine bisher angeführten Beispiele der gleichen Textsorte mit dem gleichen Zeichenkosmos entspringen.

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    Zustimmung. Allerdings wollte ich eigentlich nur klarstellen, dass deine ursprüngliche Kritik an norkia in dieser Form eben nicht gerechtfertigt war. Wenn ich dazu auf die Ebene des wissenschaftlichen Diskurser übergehen muss, um dich zu überzeugen, ist mir dieses Mitttel aber Recht.
    Also findest du das Ende so wie es sich in Motivation zum Erzählaufbau darstellt stimmig und nimmst das kommentarlos hin? Wenn ja, dann ist das vermutlich dein gusto. Wenn nicht, dann sage mir, was du daran falsch findest.

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    Wo du das jetzt allerdings findest, ist mir schleierhaft. Ich kann es jedenfalls weder bei norkia noch bei mir finden.
    Ja, du suchst ja auch an der falschen Stelle. Es gibt soweit ich weiß keine Rahmenkonstruktion, die bekannter und geläufiger wäre, und nichts, was man eindeutiger dem Märchen zuordnen könnte, als "Es war einmal ... und sie lebten glücklich bis an ihr Lebensende."
    Dieser letzte Satz, auf welchen man da so gern enden möchte, der immer wieder aufgegriffen wird, wenn man über etwas Märchenhaftes spricht (vor allem auch im angelsächsischen Kulturzyklus ist das "happily ever after" schon längst verfloskelt), ist meiner Meinung nach ein einziger, großer Beweis dafür, dass man zuerst einmal davon ausgehen darf, dass das Märchen kein Fatalitätsprinzip und keine Ausweglosigkeit kennt.

    Alles darüber hinaus ist sophistiziert und entspricht für meine Begriffe nicht dem, was wir norkia in einer Betrachtung seines Textes antun sollten.

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    Also ich bin kein Wannabe mehr, da ich mein Studium erfolgreich mit dem Master und dem Ersten Staatsexamen abgeschlossen habe. Theoretisch wäre ich sogar bei dir prüfberechtigt.
    Tut mir leid, dass diese Bemerkung so schnippig ist (und ich muss auch dazugestehen, dass sie ein bisschen schnippig gemeint ist), aber wer Faust dem Sturm und Drang zuordnet, den Motivzyklus der klassischen Antike mit dem des dunklen Zeitalters in Mitteleuropa auch nur ansatzweise vergleichbar hält und die Brüder Grimm zu den empirischen Autoren der KHM-Anthologie erklärt, der darf mit mir Kaffee trinken und über Gott und die Welt diskutieren und mich rein abschlussrelevant vielleicht sogar prüfen, der darf von mir aus sogar viel auf seinen Abschluss halten - aber ernst nehmen muss ich das dann deshalb nicht und ein bisschen aufgeplustert darf ich das im Gegenzug dann auch finden. Muss ehrlich zugeben, dass ich den Begriff "aufgeplustert" gern durch "peinlich" ersetzt hätte, aber das wäre dann wirklich nicht so höflich gewesen - die Randnotiz ist's mir trotzdem wert, du weißt ja sicher, was für Klabauter wir Ersties so sind.

    Geändert von Mordechaj (24.01.2011 um 01:19 Uhr)

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