Wirklich? Die Möglichkeit, mit den eindeutigen Zeichen des Todes zu arbeiten, beschreibt ein unausweichliches Schicksal? Wenn man die Königsfamilie im Bett umdreht, um ihr Schicksal abzuwenden, ist das unausweichlich?
Abgesehen davon spitzt sich das Geschehen nicht auf den Tod des Protagonisten zu. Natürlich, das Liebeswagnis führt zurück in die Feindschaft mit dem Gevatter, aber das ist doch nicht Teil einer Fatalität. Kannst das Märchen sehr gut mit Faust vergleichen, man hat eine Art Pakt, man hat die reifen Fähigkeiten als Arzt, man hat das Liebeswagnis und in der Schlussfolge eben den Tod. Du wirst aber feststellen, dass es hier zwischen den Versionen Unterschiede gibt, die vor einem kulturellen Hintergrund stehen. Die "areligiöse" Fassung gibt sich mehr oder minder tatsächlich einem fatalen Ende preis, das liegt daran, dass die gesteigerte Angst vor dem Tod mit der Christianisierung einhergeht. Je weiter aber in eine christliche Vorstellung eingedrungen wird, umso schwächer wird die Entgültigkeit des Ausgangs. Schließlich in einem Fragment der Grimmschen Sammlung wendet der Arzt sein Schicksal durch eine List sogar völlig ab.
Ich sagte ja, dass die pauschale Definition dessen, wovon ich spreche, als Volksmärchen zu bezeichnen, vermutlich vergriffen ist. Du hast aber eben nicht, wie du selbst sagst, diese eine Gattung Volksmärchen, du hast zig Textsorten, die darunterzählen. Hätten die Grimms nur eine davon betrachtet, würden wir heute entweder auf noch mehr Disney-Kram sitzen, oder uns mit moralisierenden Schwanks kasteien.Zitat
Der Fluch ist ja gerade das Gegenteil von Fatalität. Wenn du dir mal anschaust, wie ein Fluch im Allgemeinen in Märchen formuliert ist, wirst du erkennen, dass sie so wenig fatal sind wie die Wolken am Himmel. Ein Fluch formuliert immer eine Bedingung für seine Aufrechterhaltung bzw. ein Schlupfloch für den Verfluchten. Das ist so ziemlich das Gegenteil von Fatalität. Wenn du nun andere Textsorten zusammengreifst, die einen völlig anderen Zeichenkosmos besitzen, zu dessen Charakter das Fatalitätsprinzip sogar dazugehören könnte, ist es klar, dass wir keinen Nenner finden. Komm bitte von dieser einen Definition weg, die ich da fehlgeleitet von mir gegeben habe, es geht hier um eine bestimmt Textsorte, welche norkia hervorrufen wollte und die eigentlich ziemlich offensichtlich ist. Der Fluch als Auslöser für einen zweiten Konflikt ist dabei vor allem ein Stichwort.Zitat
An der Stelle wüsste ich aber tatsächlich nicht, was du daran anders aufgreifen würdest. =(Zitat
Fatalität passiert in einem Ich-Bezug. Das sieht man doch vor allem schön bei Gut-Böse-Darstellungen. Das Böse ist krank und gering, muss zwangsläufig ausgelöscht werden. Wenn das Gute der Ausweglosigkeit anheimfällt, wäre das ein Bruch für das ganze Gut-Böse-System, was schlecht ist würde gewinnen und damit als überlegen herausgestellt werden.
Ähnlich ist das eben im Hausmärchen. Du hast nie einen großen Personenkreis, meist sogar nur eine oder zwei wirkliche Bezugspersonen (an deren Schicksal dann wiederum andere Personen hängen mögen); eine Bezugsperson in Fatalität zu stürzen, ist nichts, was ein Märchen oft macht, wenn dann passiert das auf Schwankebene (eine Ebene, die norkia sicherlich nicht angestrebt hat) oder um zu moralisieren.
Da wir aber nicht über einen Gattungsbegriff, sondern über Textsorten streiten, welche sich sehr gut mit dem Volksmärchen zusammengefasst wissen, ist mir das als angehendem Germanisten auch relativ egal. Auch der Kontext der Sammlung spielt doch auch überhaupt keine Rolle, wir sind Menschen im 21ten Jahrhundert, leben nun schon im Zweiten Jahrhundert nach der "Erfindung" der Germanistik, uns sind Textversionen und Abweichungen durchaus bekannt. An der Einordnung des Zeichenkosmos ändert sich im Grunde auch nichts, der lässt sich bereits werksimmanent erschließen, ohne auch nur ansatzweise irgendwelche sozialgeschichtlichen Anhaltspunkte zurate zu ziehen.Zitat
Abgesehen davon ist das für norkia an sich auch völlig irrelevant. Er stützt sich auf die Märchenform, in der keine Fatalität existiert, Punkt um. Find auch nich, dass man alles gleich wissenschaftlichen Definitionen unterwerfen muss, nur weil man in dem Metier zugange ist. Wir können norkias Märchen gern noch differentiell betrachten und nach Binäroppositionen aufschlüsseln, während sich einer dranmacht und den inhärenten Wertekodex bestimmt, um eine fiktive Epocheneinordnung anzustellen. Dass das irgendeinen Nutzen für norkia hat, der diesen Thread ja einst vor langer Zeit eröffnete, wage ich allerdings vehement abzustreiten.
Um das übrigens noch anzufügen: "Es war einmal vor langer Zeit ... und sie lebten glücklich bis an ihr Lebensende." ist ja wohl der godmotherfucking Urschleim, wenn es um Märchen geht.
Außer natürlich, norkia war darauf aus, uns ollen Wannabe-Literaturgeschichtlern Arbeit zu geben. Aber auch daran hege ich meine Zweifel.