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Thema: [Märchen] Die Prinzessin mit den Bernsteinaugen

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  1. #1
    Für die Märchensorte, die norkia hier bemüht, sind sie das aber schon. Wenn du hier außer der Entgültigkeit noch andere Merkmale von Kunstmärchen wiederfindest, können wir uns gerne noch über die Textsorte streiten, ich bin mir aber beinahe komplett sicher, dass norkia im Volksmärchen denkt. =3

    Und für ein Volksmärchen, doch, da sind Fatalität und Ausweglosigkeit nicht gangbar.

  2. #2

    Examinierter Senfautomat
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    Zitat Zitat von Mordechaj Beitrag anzeigen
    Und für ein Volksmärchen, doch, da sind Fatalität und Ausweglosigkeit nicht gangbar.
    Öhm, nein. Auch in den unbekannteren Volksmärchen finden sich solche Tendenzen schon wieder. Du darfst hier nur nicht gerade die bekannteren Beispiele wie Dornröschen oder Schneewittchen aufführen, bei denen dieses Element in der Tat umgangen wird. Auch bei den Gebrüdern Grimm finden sich in einigen Märchen (wie bereits oben erwähnt) fatalistische Tendenzen.

    Aber um mal auch etwas zu Norkias Text zu sagen:

    Insgesamt hast du ein gutes Grundgerüst abgeliefert. Ich würde allerdings noch mehr Zeit auf die Ausgestaltung der Figuren setzen, da die Handlungsgründe nicht immer offensichtlich erscheinen. Auch ist das Textdesign eine Katastrophe, die das Lesen extrem erschwert. Arbeite bitte vernünftig mit Zeilenumbrüchen und Absätzen, wie es auch schon Mordechaj veranschaulicht hat.

    Geändert von BIT (21.01.2011 um 13:21 Uhr)

  3. #3
    Zitat Zitat von BIT Beitrag anzeigen
    Auch bei den Gebrüdern Grimm finden sich in einigen Märchen (wie bereits oben erwähnt) fatalistische Tendenzen.
    Könntest du Beispiele nennen? Das würde in meinen Augen keinen Sinn machen, kann aber sein, dass wir gerade von zwei verschiedenen Begriffen ausgehen.
    Beispiele wie Gevatter Tod ziehen hier nicht hinein, die bedienen sich eines ganz anderen Zeichenkosmos'. Mal ganz davon ab, dass hier ebenfalls keine Fatalität vorherrscht und genanntes Schlupfloch aus der Entgültigkeit propagiert wird.

    So oder so ist es hier äußerst unstimmig, eben auch in Verbindung mit den Figurmotiven. Können hier ruhig ganz werkimmanent rangehen: Der Aufbau sowie die Moral hinter dem Märchen sind fragwürdig. Ich habe versucht das an Beispielen, an welchen norkia sich offensichtlich orientiert, deutlich zu machen.

    Geändert von Mordechaj (21.01.2011 um 16:13 Uhr)

  4. #4

    Examinierter Senfautomat
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    Zitat Zitat von Mordechaj Beitrag anzeigen
    Könntest du Beispiele nennen? Das würde in meinen Augen keinen Sinn machen, kann aber sein, dass wir gerade von zwei verschiedenen Begriffen ausgehen.
    *Märchenbuch rauskram*

    Zugegebenermaßen sind diese Märchen nicht die Mehrheit, aber es gibt sie: "Der Gevatter Tod" und "Der Herr Gevatter" wären aber Beispiele dafür. Auch "Der Schneider im Himmel" sowie "Das Totenhemdchen", "Die sieben Schwaben" und "Simeliberg" zeigen Tendenzen in dieser Richtung.

  5. #5
    Lies mal "Der Ranzen, das Hütlein und das Hörnlein". Das Thema fragwürdige Moral dürfte damit erledigt sein.

  6. #6
    Ich mag Märchen und auch deines ist keine Ausnahme

    Ein paar Punkte, die mir noch aufgefallen sind:
    Zitat Zitat
    [...]die so fein war, dass sie nicht einmal klatschen konnte.
    Ich musste erstmal spontan lachen. Mir ist klar, was gemeint ist, aber es wirkt unfreiwillig komisch.
    Zitat Zitat
    [...]trauriger Magier[...]
    Hier wäre zu klären warum er traurig ist. Es hat den Anschein, weil "sie sich für ihn und seine Wissenschaft nie interessiert [hatte]". Dazu passt aber nicht, dass sich die Traurigkeit durch die ganze Geschichte zieht.
    Zitat Zitat
    [...]oberflächlichen Wahn[...]
    Passt nicht in das Wortfeld der Geschichte.
    Zitat Zitat
    Die Prinzessin verbag ihre Erbostheit über das ungestühme Erscheinen des
    traurigen Magiers,unter einem verschlagen Lächeln und trug ihr Gesuch vor.
    Eine wunderschöne Prinzessin, die erbost ist und verschlagen lächelt passt nicht in mein Weltbild.
    Zitat Zitat
    [...]Snierker[...]
    Was zum Teufel sind Snierker? Klingt wie eine Mischung aus Schuh und Reptil o_ô
    Zitat Zitat
    [...]der einst gutherzige Mann[...]
    Er hat auf mich nie einen gutherzigen Eindruck gemacht.

    Die Augen, die zu Bernsteinkugeln werden, gefallen mir wiederum sehr. Also guter Ansatz, aber die Umsetzung ist noch nicht ganz ausgereift.

  7. #7
    Zitat Zitat von BIT Beitrag anzeigen
    Zugegebenermaßen sind diese Märchen nicht die Mehrheit, aber es gibt sie: "Der Gevatter Tod" und "Der Herr Gevatter" wären aber Beispiele dafür. Auch "Der Schneider im Himmel" sowie "Das Totenhemdchen", "Die sieben Schwaben" und "Simeliberg" zeigen Tendenzen in dieser Richtung.
    In Gevatter Tod / Herr Gevatter gibt es kein Fatalitätsprinzip; der Ausgang ist zwar nicht sonderlich rosig, aber dieses Märchen hat kein derart missmutiges Ansinnen wie norkias. Es dürfte sich auch um ein Märchen aus dem 15ten/16ten Jahrhundert handeln, wage ich dreist und unbelegt zu vermuten, entstammt es wie gesagt auch einem anderen Zeichenkosmos.

    Ähnlich ist das mit dem Schneider im Himmel; der Zeichenkosmos ist doch ein völlig anderer, folglich ist auch die Textsorte nicht diegleiche. Sehe da eigentlich auch keinen von den angesprochenen Punkten drin, in diesem Schwank geht es doch offensichtlichst um christliche Moralvorstellungen.
    Die Sieben Schwaben - Schwank aus dem 16ten Jahrhundert. Völlig anderer Zeichenkosmos.
    Das Totenhemdchen - per definitionem ein anderer Zeichenkosmos. Keine Fatalität, unter anderem, weil weder Konflikt noch Handlung vorherrschen.
    Simeliberg - da hast du zugegebenermaßen einen guten Punkt, allerdings fehlt hier überhaupt der Fluch.

    Zitat Zitat von Liferipper Beitrag anzeigen
    Lies mal "Der Ranzen, das Hütlein und das Hörnlein". Das Thema fragwürdige Moral dürfte damit erledigt sein.
    Du hast da ebenfalls einen Punkt, aber auch hier fehlt der Fluch als Strafe.

    Ist auch nicht so, dass in irgendeinem der Textbeispiele ein ganzes Motiv getötet werden müsste, es trifft keine Protagonisten der Geschichte. Die Geschichte selbst geschieht ebenfalls jeweils außerhalb von Fatalität (Ausnahme wäre hier eben der Simeliberg). Es wird wieder nur das Alte, Kranke, Geringe ausgelöscht, nicht die schöne, junge Prinzessin - und der Rest des Reiches.


    Zugegeben, ich hab mich zu weit aus dem Fenster gelehnt mit dem Pauschalismus vonwegen "Volksmärchen" und so. Rein bezogen hierauf sollte aber denke ich klar sein, von welcher Sorte Märchen und von welchem Zeichenkosmos ich rede, wenn es um norkias Text geht. Es geht um eine bestimmte Erzählform mit bestimmten Erzählelementen und vergleichbarem Inhalt. Und in dieser Sorte Märchen existiert keine Entgültigkeit und kein flaches "Doh, da fallense alle tot um."; - was ja auch der Grund ist, warum Disney auf diese Sorte Märchen so abfuhr. Bin mir sehr sicher, dass norkia nicht auf memento mori und christliche Zucht aus war, sondern schon auf diese Märchenform, von der man ausgeht, dass sie im 12ten/13ten Jahrhundert so ihre Blüte hatte, die halt noch die guten, alten Archetypen kennt. Schwanks und Meistersänge sind etwas anderes, so viel sollte uns dabei klar sein.

  8. #8
    wow ich finde mordechaj's tatsächlich nachvollziehbar.aber hebe doch bitte noch ein wenig die punkte heraus die dir gefallen haben und lobe mich.

    ich kam irgendwann im zug auf die idee und habs gestern nacht in 30 minuten geschrieben und direkt gepostet.man merkt das sicher.was man nicht merkt ist das dies lediglich eine einführungsgeschichte zu einer story,die ich irgendwann nochmal
    verwurschteln will ist.
    ich stelle mir ständig spawn vor der einen energieblitz zucken lässt und wieder mal extrem wütend wird obwohl er eigentlich eine arme sau ist.
    passt irgendwie.
    viel cooler ist die idee für die eigentliche geschichte.der magier lebt natürlich in der gegenwart und wütet weiter.ist bestimmt ein tolles bild wenn jemand seinen unterschlupf infiltriert und dort einen beutel voller bunter kugeln findet

  9. #9

    Examinierter Senfautomat
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    Zitat Zitat von Mordechaj Beitrag anzeigen
    In Gevatter Tod / Herr Gevatter gibt es kein Fatalitätsprinzip; der Ausgang ist zwar nicht sonderlich rosig, aber dieses Märchen hat kein derart missmutiges Ansinnen wie norkias. Es dürfte sich auch um ein Märchen aus dem 15ten/16ten Jahrhundert handeln, wage ich dreist und unbelegt zu vermuten, entstammt es wie gesagt auch einem anderen Zeichenkosmos.
    Ich glaube, du musst mir hier mal deine Definition von "Fatalismus" offenlegen. Allgemein und übergeordnet bezeichnet Fatalismus nämlich nur eine Form des unausweichlichen Schicksals und dieses Prinzip ist durchaus bei Gevatter Tod gegeben.

    Zitat Zitat
    Ähnlich ist das mit dem Schneider im Himmel; der Zeichenkosmos ist doch ein völlig anderer, folglich ist auch die Textsorte nicht diegleiche. Sehe da eigentlich auch keinen von den angesprochenen Punkten drin, in diesem Schwank geht es doch offensichtlichst um christliche Moralvorstellungen.
    Die Sieben Schwaben - Schwank aus dem 16ten Jahrhundert. Völlig anderer Zeichenkosmos.
    Das Totenhemdchen - per definitionem ein anderer Zeichenkosmos. Keine Fatalität, unter anderem, weil weder Konflikt noch Handlung vorherrschen.
    Simeliberg - da hast du zugegebenermaßen einen guten Punkt, allerdings fehlt hier überhaupt der Fluch.
    Die stammen alle aus meiner Version von Grimms Märchen, die ich hier rumfliegen habe. Wenn das dann nicht zu den Volksmärchen gehört, definierst du dir gerade eine eigene Gattung zusammen. Volksmärchen sind ja per se schon keine besonders einheitliche Gattung, sondern haben verschiedene Vorläuferversionen, aus denen sie dann vor allem während der Romantik zusammengestellt wurden. Das "Volksmärchen" an sich gibt es nicht, von daher kann man auch keine grundlegende Definition treffen.

    Zitat Zitat
    Du hast da ebenfalls einen Punkt, aber auch hier fehlt der Fluch als Strafe.
    Ein Fluch ist kein allgemeines Zeichen für Fatalismus und wurde von dir auch nicht eingefordert.

    Zitat Zitat
    Ist auch nicht so, dass in irgendeinem der Textbeispiele ein ganzes Motiv getötet werden müsste, es trifft keine Protagonisten der Geschichte. Die Geschichte selbst geschieht ebenfalls jeweils außerhalb von Fatalität (Ausnahme wäre hier eben der Simeliberg). Es wird wieder nur das Alte, Kranke, Geringe ausgelöscht, nicht die schöne, junge Prinzessin - und der Rest des Reiches.
    Hier wüsste ich wie gesagt gerne deine Definition von Fatalismus, da wir anscheinend mit anderen hypothetischen Grundannahmen arbeiten.

    Zitat Zitat
    Zugegeben, ich hab mich zu weit aus dem Fenster gelehnt mit dem Pauschalismus vonwegen "Volksmärchen" und so. Rein bezogen hierauf sollte aber denke ich klar sein, von welcher Sorte Märchen und von welchem Zeichenkosmos ich rede, wenn es um norkias Text geht. Es geht um eine bestimmte Erzählform mit bestimmten Erzählelementen und vergleichbarem Inhalt. Und in dieser Sorte Märchen existiert keine Entgültigkeit und kein flaches "Doh, da fallense alle tot um."; - was ja auch der Grund ist, warum Disney auf diese Sorte Märchen so abfuhr. Bin mir sehr sicher, dass norkia nicht auf memento mori und christliche Zucht aus war, sondern schon auf diese Märchenform, von der man ausgeht, dass sie im 12ten/13ten Jahrhundert so ihre Blüte hatte, die halt noch die guten, alten Archetypen kennt. Schwanks und Meistersänge sind etwas anderes, so viel sollte uns dabei klar sein.
    Dir Grimmschen Märchen, die wohl auch bei norkia die Grundlage bilden, stammen allesamt in ihrer Zusammenstellung aus dem 19. Jahrhundert. Inwiefern da schon bei der Zusammenstellung "geschönt" wurde, lässt sich dabei heute nur noch schwer feststellen, da die Märchen bis dahin mündlich tradiert wurden. Bedenke dabei, dass in dieser Zeit vor allem die Epochen der Romantik, des Biedermeier und des Vormärz ziemlich stark mit in die Zusammenstellung hereingespielt haben und überhaupt erst das so genannte "Volksmärchen" ermöglicht haben. Die Gattung gab es vorher nämlich nicht und das sollte dir als angehendem Germanisten eigentlich klar sein.

  10. #10
    Zitat Zitat von BIT Beitrag anzeigen
    Ich glaube, du musst mir hier mal deine Definition von "Fatalismus" offenlegen. Allgemein und übergeordnet bezeichnet Fatalismus nämlich nur eine Form des unausweichlichen Schicksals und dieses Prinzip ist durchaus bei Gevatter Tod gegeben.
    Wirklich? Die Möglichkeit, mit den eindeutigen Zeichen des Todes zu arbeiten, beschreibt ein unausweichliches Schicksal? Wenn man die Königsfamilie im Bett umdreht, um ihr Schicksal abzuwenden, ist das unausweichlich?

    Abgesehen davon spitzt sich das Geschehen nicht auf den Tod des Protagonisten zu. Natürlich, das Liebeswagnis führt zurück in die Feindschaft mit dem Gevatter, aber das ist doch nicht Teil einer Fatalität. Kannst das Märchen sehr gut mit Faust vergleichen, man hat eine Art Pakt, man hat die reifen Fähigkeiten als Arzt, man hat das Liebeswagnis und in der Schlussfolge eben den Tod. Du wirst aber feststellen, dass es hier zwischen den Versionen Unterschiede gibt, die vor einem kulturellen Hintergrund stehen. Die "areligiöse" Fassung gibt sich mehr oder minder tatsächlich einem fatalen Ende preis, das liegt daran, dass die gesteigerte Angst vor dem Tod mit der Christianisierung einhergeht. Je weiter aber in eine christliche Vorstellung eingedrungen wird, umso schwächer wird die Entgültigkeit des Ausgangs. Schließlich in einem Fragment der Grimmschen Sammlung wendet der Arzt sein Schicksal durch eine List sogar völlig ab.

    Zitat Zitat
    Die stammen alle aus meiner Version von Grimms Märchen, die ich hier rumfliegen habe. Wenn das dann nicht zu den Volksmärchen gehört, definierst du dir gerade eine eigene Gattung zusammen. Volksmärchen sind ja per se schon keine besonders einheitliche Gattung, sondern haben verschiedene Vorläuferversionen, aus denen sie dann vor allem während der Romantik zusammengestellt wurden. Das "Volksmärchen" an sich gibt es nicht, von daher kann man auch keine grundlegende Definition treffen.
    Ich sagte ja, dass die pauschale Definition dessen, wovon ich spreche, als Volksmärchen zu bezeichnen, vermutlich vergriffen ist. Du hast aber eben nicht, wie du selbst sagst, diese eine Gattung Volksmärchen, du hast zig Textsorten, die darunterzählen. Hätten die Grimms nur eine davon betrachtet, würden wir heute entweder auf noch mehr Disney-Kram sitzen, oder uns mit moralisierenden Schwanks kasteien.

    Zitat Zitat
    Ein Fluch ist kein allgemeines Zeichen für Fatalismus und wurde von dir auch nicht eingefordert.
    Der Fluch ist ja gerade das Gegenteil von Fatalität. Wenn du dir mal anschaust, wie ein Fluch im Allgemeinen in Märchen formuliert ist, wirst du erkennen, dass sie so wenig fatal sind wie die Wolken am Himmel. Ein Fluch formuliert immer eine Bedingung für seine Aufrechterhaltung bzw. ein Schlupfloch für den Verfluchten. Das ist so ziemlich das Gegenteil von Fatalität. Wenn du nun andere Textsorten zusammengreifst, die einen völlig anderen Zeichenkosmos besitzen, zu dessen Charakter das Fatalitätsprinzip sogar dazugehören könnte, ist es klar, dass wir keinen Nenner finden. Komm bitte von dieser einen Definition weg, die ich da fehlgeleitet von mir gegeben habe, es geht hier um eine bestimmt Textsorte, welche norkia hervorrufen wollte und die eigentlich ziemlich offensichtlich ist. Der Fluch als Auslöser für einen zweiten Konflikt ist dabei vor allem ein Stichwort.

    Zitat Zitat
    Hier wüsste ich wie gesagt gerne deine Definition von Fatalismus, da wir anscheinend mit anderen hypothetischen Grundannahmen arbeiten.
    An der Stelle wüsste ich aber tatsächlich nicht, was du daran anders aufgreifen würdest. =(
    Fatalität passiert in einem Ich-Bezug. Das sieht man doch vor allem schön bei Gut-Böse-Darstellungen. Das Böse ist krank und gering, muss zwangsläufig ausgelöscht werden. Wenn das Gute der Ausweglosigkeit anheimfällt, wäre das ein Bruch für das ganze Gut-Böse-System, was schlecht ist würde gewinnen und damit als überlegen herausgestellt werden.
    Ähnlich ist das eben im Hausmärchen. Du hast nie einen großen Personenkreis, meist sogar nur eine oder zwei wirkliche Bezugspersonen (an deren Schicksal dann wiederum andere Personen hängen mögen); eine Bezugsperson in Fatalität zu stürzen, ist nichts, was ein Märchen oft macht, wenn dann passiert das auf Schwankebene (eine Ebene, die norkia sicherlich nicht angestrebt hat) oder um zu moralisieren.

    Zitat Zitat
    Dir Grimmschen Märchen, die wohl auch bei norkia die Grundlage bilden, stammen allesamt in ihrer Zusammenstellung aus dem 19. Jahrhundert. Inwiefern da schon bei der Zusammenstellung "geschönt" wurde, lässt sich dabei heute nur noch schwer feststellen, da die Märchen bis dahin mündlich tradiert wurden. Bedenke dabei, dass in dieser Zeit vor allem die Epochen der Romantik, des Biedermeier und des Vormärz ziemlich stark mit in die Zusammenstellung hereingespielt haben und überhaupt erst das so genannte "Volksmärchen" ermöglicht haben. Die Gattung gab es vorher nämlich nicht und das sollte dir als angehendem Germanisten eigentlich klar sein.
    Da wir aber nicht über einen Gattungsbegriff, sondern über Textsorten streiten, welche sich sehr gut mit dem Volksmärchen zusammengefasst wissen, ist mir das als angehendem Germanisten auch relativ egal. Auch der Kontext der Sammlung spielt doch auch überhaupt keine Rolle, wir sind Menschen im 21ten Jahrhundert, leben nun schon im Zweiten Jahrhundert nach der "Erfindung" der Germanistik, uns sind Textversionen und Abweichungen durchaus bekannt. An der Einordnung des Zeichenkosmos ändert sich im Grunde auch nichts, der lässt sich bereits werksimmanent erschließen, ohne auch nur ansatzweise irgendwelche sozialgeschichtlichen Anhaltspunkte zurate zu ziehen.

    Abgesehen davon ist das für norkia an sich auch völlig irrelevant. Er stützt sich auf die Märchenform, in der keine Fatalität existiert, Punkt um. Find auch nich, dass man alles gleich wissenschaftlichen Definitionen unterwerfen muss, nur weil man in dem Metier zugange ist. Wir können norkias Märchen gern noch differentiell betrachten und nach Binäroppositionen aufschlüsseln, während sich einer dranmacht und den inhärenten Wertekodex bestimmt, um eine fiktive Epocheneinordnung anzustellen. Dass das irgendeinen Nutzen für norkia hat, der diesen Thread ja einst vor langer Zeit eröffnete, wage ich allerdings vehement abzustreiten.


    Um das übrigens noch anzufügen: "Es war einmal vor langer Zeit ... und sie lebten glücklich bis an ihr Lebensende." ist ja wohl der godmotherfucking Urschleim, wenn es um Märchen geht.

    Außer natürlich, norkia war darauf aus, uns ollen Wannabe-Literaturgeschichtlern Arbeit zu geben. Aber auch daran hege ich meine Zweifel.

    Geändert von Mordechaj (23.01.2011 um 17:12 Uhr)

  11. #11
    wie gesagt ich hab nich unbedingt wert drauf gelegt das es wirklich ein "echtes" märchen ist.aber stellt euch doch mal vor ich hätte KURZGESCHICHTE in den titel gesetzt.dann hätte ich mir noch die frage gefallen lassen müssen,wieso
    ich in so einem seltsamen erzählstiel schrieb :P
    btw. ich glaub hab einfach zuviel sopor aeternus gehört.diese gruftimusik beinflusst einen,es ist nicht mehr feierlich.

  12. #12

    Examinierter Senfautomat
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    @noRKia

    Bleib bitte bei der Bezeichnung "Märchen", da diese wirklich passend ist. Eine Kurzgeschichte wäre wieder ein anderes Metier, mit anderen Themen- und Motivkomplexen. Und wie gesagt, dass Märchen ist nicht schlecht, sondern in sich bis auf einige Kleinigkeiten stimmig.

    Zitat Zitat von Mordechaj Beitrag anzeigen
    Wirklich? Die Möglichkeit, mit den eindeutigen Zeichen des Todes zu arbeiten, beschreibt ein unausweichliches Schicksal? Wenn man die Königsfamilie im Bett umdreht, um ihr Schicksal abzuwenden, ist das unausweichlich?
    Der Tod ist das unausweichlichste Schicksal überhaupt, dem jeder Mensch einmal anheimfällt.

    Zitat Zitat
    Abgesehen davon spitzt sich das Geschehen nicht auf den Tod des Protagonisten zu.
    Der Tod im Märchen kündigt ihm sein Schicksal merhmals im Vorhinein an, von daher gibt es sehr deutliche Anzeichen für den Tod des Protagonisten.

    Zitat Zitat
    Natürlich, das Liebeswagnis führt zurück in die Feindschaft mit dem Gevatter, aber das ist doch nicht Teil einer Fatalität. Kannst das Märchen sehr gut mit Faust vergleichen, man hat eine Art Pakt, man hat die reifen Fähigkeiten als Arzt, man hat das Liebeswagnis und in der Schlussfolge eben den Tod. Du wirst aber feststellen, dass es hier zwischen den Versionen Unterschiede gibt, die vor
    einem kulturellen Hintergrund stehen.
    Der Vergleich hinkt gewaltig. Auf der einen Seite hast du den Sturm und Drang eines Goethe, dem du die spätromantischen Ausführungen der Gebrüder Grimm gegenüberstellst. Beide haben allerdings völlig andere kulturelle Voraussetzungen, auch was die Zeichenkodierung angeht. Dazu gehört beispielsweise auch, dass vor allem dei Spätromantik sich durch eine enorme christlich geprägte Symbolik und die Natur aufweist, während beim Sturm und Drang das Ich selbst im Mittelpunkt steht.

    Zitat Zitat
    Die "areligiöse" Fassung gibt sich mehr oder minder tatsächlich einem fatalen Ende preis, das liegt daran, dass die gesteigerte Angst vor dem Tod mit der Christianisierung einhergeht. Je weiter aber in eine christliche Vorstellung eingedrungen wird, umso schwächer wird die Entgültigkeit des Ausgangs. Schließlich in einem Fragment der Grimmschen Sammlung wendet der Arzt sein Schicksal durch eine List sogar völlig ab.
    Eine areligiöse Fassung liegt eher nicht zugrunde, wenn man eben davon ausgeht, dass die Sätromantik vor allem auch auf christlichen Symboliken aufbaut. Sicherlich wird dabei das Ende dadurch abgeschwächt, dass das Christentum eben auf der Auferstehung aufbaut. Dies ändert jedoch nichts daran, dass das Märchen durch seine Vorausdeutungen auch auf eben jenes fatale Ende hinarbeitet.

    Zitat Zitat
    Ich sagte ja, dass die pauschale Definition dessen, wovon ich spreche, als Volksmärchen zu bezeichnen, vermutlich vergriffen ist. Du hast aber eben nicht, wie du selbst sagst, diese eine Gattung Volksmärchen, du hast zig Textsorten, die darunterzählen. Hätten die Grimms nur eine davon betrachtet, würden wir heute entweder auf noch mehr Disney-Kram sitzen, oder uns mit moralisierenden Schwanks kasteien.
    Und genau deshalb verstehe ich auch nicht, warum du ein fatales Ende bei Norkia kritisiert hast, obwohl es im europäischen Kulturraum eben auch solche Versionen gibt. Nur, weil es nicht unbedingt die üblichste Variante ist, musst du sie ja nicht von vorneherein ausschließen.

    Zitat Zitat
    Der Fluch ist ja gerade das Gegenteil von Fatalität. Wenn du dir mal anschaust, wie ein Fluch im Allgemeinen in Märchen formuliert ist, wirst du erkennen, dass sie so wenig fatal sind wie die Wolken am Himmel. Ein Fluch formuliert immer eine Bedingung für seine Aufrechterhaltung bzw. ein Schlupfloch für den Verfluchten. Das ist so ziemlich das Gegenteil von Fatalität.
    Das kommt natürlich auf die Definition des Fluches an. Geht man vom klassischen Fluch aus, so ist dieser eben dadurch gekenzeichnet, dass sein Schicksal unausweichlich ist. Ödipus stürzt nicht ohne Grund in sein Verderben und auch bei einem Shakespeare, der großen Einfluss auf die Autoren der betrachteten Zeit hatte, finden sich diese Motive immer wieder. Nicht alle Märchen müssen daher zwangsweise auch in eben diesem Schlupfloch enden, welches du hier beschreibst.

    Zitat Zitat
    Wenn du nun andere Textsorten zusammengreifst, die einen völlig anderen Zeichenkosmos besitzen, zu dessen Charakter das Fatalitätsprinzip sogar dazugehören könnte, ist es klar, dass wir keinen Nenner finden. Komm bitte von dieser einen Definition weg, die ich da fehlgeleitet von mir gegeben habe, es geht hier um eine bestimmt Textsorte, welche norkia hervorrufen wollte und die eigentlich ziemlich offensichtlich ist. Der Fluch als Auslöser für einen zweiten Konflikt ist dabei vor allem ein Stichwort.
    Siehe oben. Da die Volksmärchen eben keine einheitliche Textsorte sind, sondern verschiedene unter sich subsumieren, kannst du eben nicht auch nur eine Definition als Arbeitsgrundlage benutzen.

    Zitat Zitat
    An der Stelle wüsste ich aber tatsächlich nicht, was du daran anders aufgreifen würdest. =(
    Fatalität passiert in einem Ich-Bezug. Das sieht man doch vor allem schön bei Gut-Böse-Darstellungen. Das Böse ist krank und gering, muss zwangsläufig ausgelöscht werden. Wenn das Gute der Ausweglosigkeit anheimfällt, wäre das ein Bruch für das ganze Gut-Böse-System, was schlecht ist würde gewinnen und damit als überlegen herausgestellt werden.
    Nein. Vor allem auch in den Kunstmärchen wird gerade dieses Motiv der Volksmärchen wieder aufgegriffen. Als Beispiele nenne ich hier nur "Das kalte Herz" (mit Einschränkungen), "Der Runenberg" oder auch "Die Bergwerke von Falun", wo eben das Gute den Mächten erliegen.

    Zitat Zitat
    Ähnlich ist das eben im Hausmärchen. Du hast nie einen großen Personenkreis, meist sogar nur eine oder zwei wirkliche Bezugspersonen (an deren Schicksal dann wiederum andere Personen hängen mögen); eine Bezugsperson in Fatalität zu stürzen, ist nichts, was ein Märchen oft macht, wenn dann passiert das auf Schwankebene (eine Ebene, die norkia sicherlich nicht angestrebt hat) oder um zu moralisieren.
    Meine ursprüngliche Kritik richtete sich auch nicht darauf, dass ein Märchen dies ständig tut, sondern dass es auch vorkommen kann. Und das ist eben nicht nur im Schwank so. Im Übrigen moralisieren Märchen ständig, dazu muss man nur "Schneewitchen" oder "Dornröschen" ebenfalls ein wenig detaillierter betrachten. Es ist gerade ein Zeichen der kleinen Erzählformen, zu denen neben dem Märchen eben auch die Fabel oder Kalendergeschichten aber auch der Witz gehören, dass sie stark mit dem Thema Moral arbeiten.

    Zitat Zitat
    Da wir aber nicht über einen Gattungsbegriff, sondern über Textsorten streiten, welche sich sehr gut mit dem Volksmärchen zusammengefasst wissen, ist mir das als angehendem Germanisten auch relativ egal.
    Mir als ausgelerntem Germanisten, Historiker und Pädagogen aber eben nicht. Je weiter du im Studium fortschreitest, desto mehr wirst du wissen, warum.

    Zitat Zitat
    Auch der Kontext der Sammlung spielt doch auch überhaupt keine Rolle, wir sind Menschen im 21ten Jahrhundert, leben nun schon im Zweiten Jahrhundert nach der "Erfindung" der Germanistik, uns sind Textversionen und Abweichungen durchaus bekannt. An der Einordnung des Zeichenkosmos ändert sich im Grunde auch nichts, der lässt sich bereits werksimmanent erschließen, ohne auch nur ansatzweise irgendwelche sozialgeschichtlichen Anhaltspunkte zurate zu ziehen.
    Stopp. Da muss man immer darauf achten, aus welcher Schule man entstammt. Als ehemaliger Bielefelder Student entstamme ich eben der Sozialgeschichte, sowohl im Bereich der Geschichtswissenschaften ("Bielefelder Schule") als auch im Bereich der Literaturwissenschaften. Der Zeichenkosmos verschiebt sich nämlich durchaus. Wir lesen die Märchen heute unter völlig anderen Voraussetzungen als damals. Lässt du diese Faktoren außen vor, wirst du zu völlig anderen Ergebnissen kommen, als wenn du mit ihnen arbeitest. In naher Zukunft wird aus diesem Grund auch ein neuer Promotionsstudiengang an der Uni Bielefeld eingerichtet, der sich genau mit dieser Thematik befasst. Das ist aber auch wie gesagt eine Frage der Schule, welcher man angehört.

    Zitat Zitat
    Abgesehen davon ist das für norkia an sich auch völlig irrelevant. Er stützt sich auf die Märchenform, in der keine Fatalität existiert, Punkt um.
    Das kann man eben so nicht sagen. Wie gesagt gibt es diese Formen auch halt in dieser Märchenform, sie ist nur nicht die üblichste.

    Zitat Zitat
    Find auch nich, dass man alles gleich wissenschaftlichen Definitionen unterwerfen muss, nur weil man in dem Metier zugange ist.
    Zustimmung. Allerdings wollte ich eigentlich nur klarstellen, dass deine ursprüngliche Kritik an norkia in dieser Form eben nicht gerechtfertigt war. Wenn ich dazu auf die Ebene des wissenschaftlichen Diskurser übergehen muss, um dich zu überzeugen, ist mir dieses Mitttel aber Recht.

    Zitat Zitat
    Wir können norkias Märchen gern noch differentiell betrachten und nach Binäroppositionen aufschlüsseln, während sich einer dranmacht und den inhärenten Wertekodex bestimmt, um eine fiktive Epocheneinordnung anzustellen. Dass das irgendeinen Nutzen für norkia hat, der diesen Thread ja einst vor langer Zeit eröffnete, wage ich allerdings vehement abzustreiten.
    Dann such den Nutzen für deine Seite.

    Zitat Zitat
    Um das übrigens noch anzufügen: "Es war einmal vor langer Zeit ... und sie lebten glücklich bis an ihr Lebensende." ist ja wohl der godmotherfucking Urschleim, wenn es um Märchen geht.
    Wo du das jetzt allerdings findest, ist mir schleierhaft. Ich kann es jedenfalls weder bei norkia noch bei mir finden.

    Zitat Zitat
    [...] Wannabe-Literaturgeschichtlern [...]
    Also ich bin kein Wannabe mehr, da ich mein Studium erfolgreich mit dem Master und dem Ersten Staatsexamen abgeschlossen habe. Theoretisch wäre ich sogar bei dir prüfberechtigt.

    Geändert von BIT (23.01.2011 um 23:32 Uhr)

  13. #13
    Zitat Zitat von BIT Beitrag anzeigen
    Der Tod ist das unausweichlichste Schicksal überhaupt, dem jeder Mensch einmal anheimfällt.
    Und es durch List abzuwenden ist die derbste Negation dieses Anheimfallens.

    Zitat Zitat
    Der Tod im Märchen kündigt ihm sein Schicksal merhmals im Vorhinein an, von daher gibt es sehr deutliche Anzeichen für den Tod des Protagonisten.
    Ich denke hier, ohne dir zu nahe treten zu wollen, dass du das viel zu simpel siehst. Warnende oder prophetische Aussagen sind kein rückwärts motivierendes Moment, welche auf ein fatales Ende hinarbeiten, außer sie ordnen sich in noch andere Hinweise auf ein solches ein. Das ist übrigens schon der nächste Punkt, den ich dir gegen das Argument der Fatalität einwerfen könnte: Die Geschichte ist rückwärts motiviert, hat aber auch ohne den Tod des Protagonisten bestand (siehe die Fassung, in der er seinen Tod abwendet) und ist schlüssig. Wenn du mir das gleiche über Romeo & Juliet erzählen könntest (das inkarnierte Fatalitätsprinzip), wäre ich mit dir einer Meinung, dass hier Fatalität vorherrscht. Da aber dort von Anfang bis Ende auf das Fatum zugespitzt wird - gänzlich ohne Warnung, sondern viel beeindruckender und subtiler -, hier im Gegensatz dazu die Warnungen nur dazu dienen, die Präsenz des Gevatters zu verstärken (Im Sinne von: "Ich bin der Tod und ich bin gegenwärtig"), wird das nicht gelingen.

    Zitat Zitat
    Der Vergleich hinkt gewaltig. Auf der einen Seite hast du den Sturm und Drang eines Goethe, dem du die spätromantischen Ausführungen der Gebrüder Grimm gegenüberstellst.
    Der Faust basiert auf der alten Volkserzählung vom Doktor Faustus, welche erstmals im 16ten Jahrhundert festgehalten wurde.
    Faust ist keine Tragödie des Sturm und Dranges (was eigentlich schon an der Textsorte auffällig werden sollte), es ist ein den Epochenbegriff sprengendes Werk, welches vom späten Dränger über den Klassiker bis zum Romantiker eigentlich alles einfasst.

    Zitat Zitat
    Beide haben allerdings völlig andere kulturelle Voraussetzungen, auch was die Zeichenkodierung angeht. Dazu gehört beispielsweise auch, dass vor allem dei Spätromantik sich durch eine enorme christlich geprägte Symbolik und die Natur aufweist, während beim Sturm und Drang das Ich selbst im Mittelpunkt steht.
    Und was hat das mit der Vergleichbarkeit der Werke zu tun? Also abgesehen davon, dass Faust kein Werk des Sturm und Drangs ist, dass der Faust grade so von christlich geprägter Symbolik strotzt, grade zu Natur schreit und sich darüber hinaus auch noch des volkstümlichen Zeichenkosmos' bedient?

    Ich bin kein sonderlicher Fan vom ollen Goethe, aber du tust ihm da grade ganz schön unrecht, wenn du ihn pauschal in die Stürmer-und-Dränger-Ecke knallst.

    Zitat Zitat
    Eine areligiöse Fassung liegt eher nicht zugrunde, wenn man eben davon ausgeht, dass die Sätromantik vor allem auch auf christlichen Symboliken aufbaut.
    Wir gehen davon aus, dass beinahe jedes Hausmärchen unzählige Fassungen hat - ist auch irgendwie klar bei mündlicher Überlieferung. In den Aufzeichnunge der Gebrüder Grimm gibt es von Gevatter Tod allein zwei (oder sogar drei, das weiß ich gerade nicht) unterschiedliche Fassungen, die veröffentlicht wurden, nämlich eine "originärere", "areligiöse" Version und eine, welche die christliche Symbolik besser aufgreift. In den Fragmenten der Brüder Grimm findet sich noch mindestens eine weitere Fassung, in welcher der christliche Wertekanon so weit vollführt wird, dass der Arzt am Ende noch bittet, ein Paternoster vor seinem Tode beten zu dürfen, dieses aber nie beendet und so am Leben bleibt.

    Die Brüder Grimm hatten soweit ich weiß öfter Momente, wo sie an christliche Wertevorstellungen angeeckt sind, weil vor allem Jakob sehr wissenschaftlich arbeiten wollte.

    Zitat Zitat
    Sicherlich wird dabei das Ende dadurch abgeschwächt, dass das Christentum eben auf der Auferstehung aufbaut. Dies ändert jedoch nichts daran, dass das Märchen durch seine Vorausdeutungen auch auf eben jenes fatale Ende hinarbeitet.
    Warnungen sind keine Vorausdeutungen, außer du beweist das schlüssig mit mindestens 2 verschiedenen Textmomenten.

    Zitat Zitat
    Und genau deshalb verstehe ich auch nicht, warum du ein fatales Ende bei Norkia kritisiert hast, obwohl es im europäischen Kulturraum eben auch solche Versionen gibt.
    Weil es sich nicht um unterschiedliche Versionen einer Gattung handelt, sondern um unterschiedliche Textsorten mit distanten Zeichenkosmen. Norkia erzählt in einem Zeichenkosmos, der das Fatalitätsprinzip aus angeführten Gründen negiert. Und ohne seinem Text dabei jetzt das Unrecht zu tun, ihn wertlos zu zeihen - denn das ist nicht meine Absicht, da er durchaus Wert hat -, du kannst selbst lesen, dass er sich dabei auf Einflüsse stützt, die nicht nur historisch sondern auch semiologisch eine große Divergenz zum eigentlichen Genre aufweisen.

    Zitat Zitat
    Nur, weil es nicht unbedingt die üblichste Variante ist, musst du sie ja nicht von vorneherein ausschließen.
    Ein klassisches Drama ohne klassischen Dramenaufbau ist kein klassisches Drama. Gut, kann man sagen, dann lässt man das klassisch eben weg.
    Ein klassisches Drama ohne Umsetzung der Obrigkeitsvorstellung und klassische Allegorien hingegen ist ein Fehler. Sich eines Zeichenkosmos' zu bedienen und dort dann aber Motive reinzuschmeißen, die diesem abgeschlossenen Gebilde nicht entsprechen, ist als ob man Zuckerwatte in ein Chili rührt: Es ist bestenfalls nicht ganz schlüssig (wie norkias Text), im schlimmsten Fall stößt es unangenehm auf. Zeichenkosmen sind solche, weil sie abgeschlossene Systeme sind. Das System aufbrechen und lose Zahnräder reinfüllen tut der Funktionalität des Systems (also des Textes) nicht sonderlich gut.

    Zitat Zitat
    Das kommt natürlich auf die Definition des Fluches an. Geht man vom klassischen Fluch aus, so ist dieser eben dadurch gekenzeichnet, dass sein Schicksal unausweichlich ist. Ödipus stürzt nicht ohne Grund in sein Verderben und auch bei einem Shakespeare, der großen Einfluss auf die Autoren der betrachteten Zeit hatte, finden sich diese Motive immer wieder. Nicht alle Märchen müssen daher zwangsweise auch in eben diesem Schlupfloch enden, welches du hier beschreibst.
    Also du findest Faust und Gevatter Tod nicht im Ansatz vergleichbar, aber kommst bei der Motivinterpretation des Märchenfluchs mit den Klassikern? Das finde ich etwas fragwürdig, muss ich zugeben. Vor allem, weil du damit gleichzeitig auch noch allem anderen widersprichst, was du gesagt hast - auch dem, was durchaus richtig war. Der griechische Zeichenkosmos beruht ja gerade auf Fatalität. Der gesamte Ödipus-Antigone-Komplex ist das größte Spektakel an Fatalität seit der Erfindung des griechischen Dramas. Dieser Zeichenkosmos ist zum volkstümlichen Märchen im deutschsprachigen Raum dermaßen distant, dass man bald schon zwei Pole hat (was unter anderem auch mit der absoluten Negierung des Heidentums in der christianisierten Welt einhergeht).

    Der Grund, warum Shakespeare Einfluss auf das geisteswissenschaftliche Arbeiten der Grimms hatte, ist mir ein wenig schleierhaft. Du kannst den beiden Helden Romantik schon so viel Eigenständigkeit und Wissenschaftlichkeit zugestehen, dass sie nicht wild und ohne jegliche Basis Motive ausgetauscht haben. Ihr Spielraum bestand zwischen der Rekonstruktion aus mehreren Erzählversionen, aber sie haben die Texte nicht gänzlich neu erdacht, schon gar nicht im Sinne eines Shakespeare.

    So oder so sprechen wir hier von diesem einen Fluchmotiv, welches durch den Zeichenkosmos, den norkia bemüht, bedingt wird.

    Zitat Zitat
    Siehe oben. Da die Volksmärchen eben keine einheitliche Textsorte sind, sondern verschiedene unter sich subsumieren, kannst du eben nicht auch nur eine Definition als Arbeitsgrundlage benutzen.
    Ich kann noch dreimal sagen, dass der Begriff "Volksmärchen" nicht dem entspricht, was ich sagen wollte, ich kann diese zu unpräzise Definition noch dreimal widerrufen; anerkennen musst du das aber. Bis dahin sage und widerrufe ich vehement und frage mich, warum du so liebend gern Textsorten als unabgegrenzten Begriff verstehst und keinerlei Unterscheidbarkeit zwischen Schwank, Sang und Prinzessinnenmärchen siehst.

    Zitat Zitat
    Nein. Vor allem auch in den Kunstmärchen wird gerade dieses Motiv der Volksmärchen wieder aufgegriffen. Als Beispiele nenne ich hier nur "Das kalte Herz" (mit Einschränkungen), "Der Runenberg" oder auch "Die Bergwerke von Falun", wo eben das Gute den Mächten erliegen.
    Da wir aber nicht von Kunstmärchen sprechen, ist das irrelevant. Vor allem, weil Kunstmärchen ja gerade darauf aus sind, den alten Wertekanon zu brechen. Wenn du diesen Unterschied zwischen herkömmlichem Märchen und Kunstmärchen nicht zugestehst, kann ich dir allerdings auch nicht sagen, wie wir hier weitersprechen wollen.

    Zitat Zitat
    Meine ursprüngliche Kritik richtete sich auch nicht darauf, dass ein Märchen dies ständig tut, sondern dass es auch vorkommen kann.
    Nicht im betrachteten Zeichenkosmos, da hier der Tod die Werteblase des erzählenden Pulks dekonstruieren würde.

    Zitat Zitat
    Und das ist eben nicht nur im Schwank so.
    Wo denn dann noch?

    Zitat Zitat
    Im Übrigen moralisieren Märchen ständig, dazu muss man nur "Schneewitchen" oder "Dornröschen" ebenfalls ein wenig detaillierter betrachten. Es ist gerade ein Zeichen der kleinen Erzählformen, zu denen neben dem Märchen eben auch die Fabel oder Kalendergeschichten aber auch der Witz gehören, dass sie stark mit dem Thema Moral arbeiten.
    Eine Moral zu enthalten heißt nicht zu moralisieren. Ich weiß, dass da rein von der Sache her das gleiche Wort drinsteckt, das liegt aber am misnomer der Lehrform im Märchen. Märchen vermitteln keine wirklichen moralischen Werte; dazu fehlt nicht nur der Parabelcharakter, sondern auch der Kontext. Moralisierend sind in dieser Zeit überhaupt nur von christlichen Moralvorstellungen getränkte Texte, im volkstümlichen Feld meistens Schwanks. Vom Stricker beispielsweise hast du sowas häufiger; parabelischer Charakter, stark christliche Wertesymbolik, vermittelt eine Moralvorstellung (nicht etwa nur eine Lehre, wie sie im Märchen vorherrscht).

    Zitat Zitat
    Mir als ausgelerntem Germanisten, Historiker und Pädagogen aber eben nicht. Je weiter du im Studium fortschreitest, desto mehr wirst du wissen, warum.
    Das bezweifle ich stark; unter anderem, weil ich die Begriffsordnung außerhalb des wissenschaftlichen Kontextes ablehne und die Tendenz dazu mit dem Studium nur noch weiter steigt.

    Zitat Zitat
    Stopp. Da muss man immer darauf achten, aus welcher Schule man entstammt. Als ehemaliger Bielefelder Student entstamme ich eben der Sozialgeschichte, sowohl im Bereich der Geschichtswissenschaften ("Bielefelder Schule") als auch im Bereich der Literaturwissenschaften. Der Zeichenkosmos verschiebt sich nämlich durchaus. Wir lesen die Märchen heute unter völlig anderen Voraussetzungen als damals. Lässt du diese Faktoren außen vor, wirst du zu völlig anderen Ergebnissen kommen, als wenn du mit ihnen arbeitest. In naher Zukunft wird aus diesem Grund auch ein neuer Promotionsstudiengang an der Uni Bielefeld eingerichtet, der sich genau mit dieser Thematik befasst. Das ist aber auch wie gesagt eine Frage der Schule, welcher man angehört.
    Ich wüsste nicht, was die Schola mit der historischen Distanz zum Textfeld, über welches wir sprechen, zu tun hat. Außer natürlich, ihr lehnt den Konsens darüber ab, dass darin verschiedene Textversionen ein und derselben Geschichte bestehen und versteht kulturelle Unterschiede als nicht abgrenzbar. Das wäre allerdings töricht, muss ich sagen.

    Zitat Zitat
    Das kann man eben so nicht sagen. Wie gesagt gibt es diese Formen auch halt in dieser Märchenform, sie ist nur nicht die üblichste.
    Dafür hätte ich gern Beispiele, oder du führst mir auf, warum deine bisher angeführten Beispiele der gleichen Textsorte mit dem gleichen Zeichenkosmos entspringen.

    Zitat Zitat
    Zustimmung. Allerdings wollte ich eigentlich nur klarstellen, dass deine ursprüngliche Kritik an norkia in dieser Form eben nicht gerechtfertigt war. Wenn ich dazu auf die Ebene des wissenschaftlichen Diskurser übergehen muss, um dich zu überzeugen, ist mir dieses Mitttel aber Recht.
    Also findest du das Ende so wie es sich in Motivation zum Erzählaufbau darstellt stimmig und nimmst das kommentarlos hin? Wenn ja, dann ist das vermutlich dein gusto. Wenn nicht, dann sage mir, was du daran falsch findest.

    Zitat Zitat
    Wo du das jetzt allerdings findest, ist mir schleierhaft. Ich kann es jedenfalls weder bei norkia noch bei mir finden.
    Ja, du suchst ja auch an der falschen Stelle. Es gibt soweit ich weiß keine Rahmenkonstruktion, die bekannter und geläufiger wäre, und nichts, was man eindeutiger dem Märchen zuordnen könnte, als "Es war einmal ... und sie lebten glücklich bis an ihr Lebensende."
    Dieser letzte Satz, auf welchen man da so gern enden möchte, der immer wieder aufgegriffen wird, wenn man über etwas Märchenhaftes spricht (vor allem auch im angelsächsischen Kulturzyklus ist das "happily ever after" schon längst verfloskelt), ist meiner Meinung nach ein einziger, großer Beweis dafür, dass man zuerst einmal davon ausgehen darf, dass das Märchen kein Fatalitätsprinzip und keine Ausweglosigkeit kennt.

    Alles darüber hinaus ist sophistiziert und entspricht für meine Begriffe nicht dem, was wir norkia in einer Betrachtung seines Textes antun sollten.

    Zitat Zitat
    Also ich bin kein Wannabe mehr, da ich mein Studium erfolgreich mit dem Master und dem Ersten Staatsexamen abgeschlossen habe. Theoretisch wäre ich sogar bei dir prüfberechtigt.
    Tut mir leid, dass diese Bemerkung so schnippig ist (und ich muss auch dazugestehen, dass sie ein bisschen schnippig gemeint ist), aber wer Faust dem Sturm und Drang zuordnet, den Motivzyklus der klassischen Antike mit dem des dunklen Zeitalters in Mitteleuropa auch nur ansatzweise vergleichbar hält und die Brüder Grimm zu den empirischen Autoren der KHM-Anthologie erklärt, der darf mit mir Kaffee trinken und über Gott und die Welt diskutieren und mich rein abschlussrelevant vielleicht sogar prüfen, der darf von mir aus sogar viel auf seinen Abschluss halten - aber ernst nehmen muss ich das dann deshalb nicht und ein bisschen aufgeplustert darf ich das im Gegenzug dann auch finden. Muss ehrlich zugeben, dass ich den Begriff "aufgeplustert" gern durch "peinlich" ersetzt hätte, aber das wäre dann wirklich nicht so höflich gewesen - die Randnotiz ist's mir trotzdem wert, du weißt ja sicher, was für Klabauter wir Ersties so sind.

    Geändert von Mordechaj (24.01.2011 um 01:19 Uhr)

  14. #14

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    Zitat Zitat von Mordechaj Beitrag anzeigen
    Und es durch List abzuwenden ist die derbste Negation dieses Anheimfallens.
    Genau das tut er in der vorliegenden Textfassung aber eben nicht. In dieser stirbt der Protagonist eben am Ende der Erzählung und kann sein Schicksal nicht abwenden. Würden wir hier jetzt vergleichende Literaturwissenschaft über mehrere Textfassungen machen, dann wäre dein Argument schlüssig. So muss ich dir allerdings sagen, halte dich an den gegebenen Text, in dem der Protagonist sein Schicksal eben nicht abwenden kann.

    Zitat Zitat
    Ich denke hier, ohne dir zu nahe treten zu wollen, dass du das viel zu simpel siehst. Warnende oder prophetische Aussagen sind kein rückwärts motivierendes Moment, welche auf ein fatales Ende hinarbeiten, außer sie ordnen sich in noch andere Hinweise auf ein solches ein. Das ist übrigens schon der nächste Punkt, den ich dir gegen das Argument der Fatalität einwerfen könnte: Die Geschichte ist rückwärts motiviert, hat aber auch ohne den Tod des Protagonisten bestand (siehe die Fassung, in der er seinen Tod abwendet) und ist schlüssig. Wenn du mir das gleiche über Romeo & Juliet erzählen könntest (das inkarnierte Fatalitätsprinzip), wäre ich mit dir einer Meinung, dass hier Fatalität vorherrscht. Da aber dort von Anfang bis Ende auf das Fatum zugespitzt wird - gänzlich ohne Warnung, sondern viel beeindruckender und subtiler -, hier im Gegensatz dazu die Warnungen nur dazu dienen, die Präsenz des Gevatters zu verstärken (Im Sinne von: "Ich bin der Tod und ich bin gegenwärtig"), wird das nicht gelingen.
    Ich denke, hier interpretieren wir die Funktion des Gevatters einfach aus unterschiedlchen Blickwinkeln. Während er für dich für ein Allgegenwärtigkeitsprinzip steht, welches durch sein Auftreten verstärkt werden soll, geht das Ganze für mich sogar noch einen Schritt weiter. Gerade dadurch, dass der Gevatter von Anfang an auftritt muss man sich der Tatsache bewusst sein, dass es zu einem schlechten Ende kommen kann. Dazu braucht man die Geschichte dann auch nicht mehr rückwärtsgewandt lesen, sondern kann sie auch von Beginn an auf den Tod des Protagonisten lesen. Insbesondere die Seznen am Bett der Sterbenden geben darüber Aufschluss, dass der Protagonist sich eben nicht an die Abmachung halten wird und so einem fatalen Ende preisgegeben wird.

    Zitat Zitat
    Der Faust basiert auf der alten Volkserzählung vom Doktor Faustus, welche erstmals im 16ten Jahrhundert festgehalten wurde.
    Faust ist keine Tragödie des Sturm und Dranges (was eigentlich schon an der Textsorte auffällig werden sollte), es ist ein den Epochenbegriff sprengendes Werk, welches vom späten Dränger über den Klassiker bis zum Romantiker eigentlich alles einfasst.
    Dann hättest du korrekterweise vom "Dr. Faustus" sprechen müssen und nicht vom Faust, welcher im deutschen Sprachraum üblicherweise mit Goethes Faust I oder dem Urfaust gleichgesetzt wird. Das es auch schon frühere Versionen gibt, beispielsweise von Marlow, ist mir klar. Goethes Faust habe ich allerdings nur als Beispiel in diesem Fall benutzt und dieser wird üblicherweise dem Sturm und Drang und mit einigen wenigen Abstrichen der frühen Weimarer Klassik zugerechnet. Faust II wäre dann das Paradebeispiel für die Hochklassik Weimars. Auch später gab es natürlich weitere Adaptionen, allerdings haben sich die Romantiker gerade wegen der Präsenz Goethes und seiner Funktion innerhalb der Weimarer Klassik davon distanziert. Falls du weiteres Interesse an der Thematik hast, empfehle ich dir die Einführung Buschmeiers und Kaufmanns zum Sturm und Drang und zur Weimarer Klassik.

    Zitat Zitat
    Und was hat das mit der Vergleichbarkeit der Werke zu tun? Also abgesehen davon, dass Faust kein Werk des Sturm und Drangs ist, dass der Faust grade so von christlich geprägter Symbolik strotzt, grade zu Natur schreit und sich darüber hinaus auch noch des volkstümlichen Zeichenkosmos' bedient?
    Du greifst hier nur einen Teil meiner Ausführungen an. Zum Sturm und Drang habe ich mich ja oben schon geäußert, allerdings hast du hier ja auch den Ich-Bezug herausgelassen, den ich bereits erwähnt habe. Dieser ist nämlich das entscheidende abgrenzende Merkmal zur Romantik, in welcher vor allem der Mensch im Kontext des Natürlichen im Mittelpunkt der Handlung steht. Sicherlich bedient sich auch der Faust christlicher und natürlicher Motive, allerdings aus einem völlig anderen Zeichenkosmos heraus. Während die Romantik sich dabei vor allem auf eine Abgrenzung von Christentum und Natur in gesamtgesellschaftlichen Kontexten bemüht, steht hier der Mensch als handelndes Individuum im Mittelpunkt.

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    Ich bin kein sonderlicher Fan vom ollen Goethe, aber du tust ihm da grade ganz schön unrecht, wenn du ihn pauschal in die Stürmer-und-Dränger-Ecke knallst.
    Was ich nicht getan habe. Du verallgemeinerst hier eine Aussage zu einem Werk auf den Gesamtautor. Natürlich ist Goethe später auch der Weimarer Klassik, sowie Teilbereichen der Architektur- und Naturforschung zuzuordnen.

    Zitat Zitat
    Wir gehen davon aus, dass beinahe jedes Hausmärchen unzählige Fassungen hat - ist auch irgendwie klar bei mündlicher Überlieferung. In den Aufzeichnunge der Gebrüder Grimm gibt es von Gevatter Tod allein zwei (oder sogar drei, das weiß ich gerade nicht) unterschiedliche Fassungen, die veröffentlicht wurden, nämlich eine "originärere", "areligiöse" Version und eine, welche die christliche Symbolik besser aufgreift. In den Fragmenten der Brüder Grimm findet sich noch mindestens eine weitere Fassung, in welcher der christliche Wertekanon so weit vollführt wird, dass der Arzt am Ende noch bittet, ein Paternoster vor seinem Tode beten zu dürfen, dieses aber nie beendet und so am Leben bleibt.
    Siehe meine Eingangsmeinung zum Thema vergleichende Literaturwissenschaten. Wir sprechen hier zunächst einmal von einer Textfassung, in der eben die Deutung in fatalistischer Weise möglich ist.

    Zitat Zitat
    Die Brüder Grimm hatten soweit ich weiß öfter Momente, wo sie an christliche Wertevorstellungen angeeckt sind, weil vor allem Jakob sehr wissenschaftlich arbeiten wollte.
    Was sie nicht daran gehindert hat, die Motive dennoch in ihre Sammlungen zu übernehmen. Wisenschaftliches Arbeiten muss dem ja nicht bei einer Sammlung gegenüberstehen.

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    Warnungen sind keine Vorausdeutungen, außer du beweist das schlüssig mit mindestens 2 verschiedenen Textmomenten.
    Diese Aussage ist solch ein Quatsch. Natürlich können Warnungen Vorausdeutungen auf ein kommendes Ende sein. Allein wenn der Tod ihn eben mehrmals davor warnt, ein Leben zu retten, da dem Protagonisten ansonsten Konsequenzen drohen (und welche anderen als der Tod sollten das wohl in diesem Kontext sein), kann man das in der vorliegenden Textfassung als Vorausdeutung auf das Ende begreifen. Zwar kann man es auch anders interpretieren, allerdings funktioniert es auch so. Es gibt halt nicht "die eine" richtige Interpretation.

    Zitat Zitat
    Weil es sich nicht um unterschiedliche Versionen einer Gattung handelt, sondern um unterschiedliche Textsorten mit distanten Zeichenkosmen. Norkia erzählt in einem Zeichenkosmos, der das Fatalitätsprinzip aus angeführten Gründen negiert. Und ohne seinem Text dabei jetzt das Unrecht zu tun, ihn wertlos zu zeihen - denn das ist nicht meine Absicht, da er durchaus Wert hat -, du kannst selbst lesen, dass er sich dabei auf Einflüsse stützt, die nicht nur historisch sondern auch semiologisch eine große Divergenz zum eigentlichen Genre aufweisen.
    Hier drehen wir uns im Kreise, da ich auch begründet eine andere Annahme vertrete. Eben da das Genre Märchen so weit gefasst ist, kannst du meiner Meinung nach nicht sagen, dass es eine große Divergenz zum Genre gibt.

    Zitat Zitat
    Ein klassisches Drama ohne klassischen Dramenaufbau ist kein klassisches Drama. Gut, kann man sagen, dann lässt man das klassisch eben weg.
    Ein klassisches Drama ohne Umsetzung der Obrigkeitsvorstellung und klassische Allegorien hingegen ist ein Fehler. Sich eines Zeichenkosmos' zu bedienen und dort dann aber Motive reinzuschmeißen, die diesem abgeschlossenen Gebilde nicht entsprechen, ist als ob man Zuckerwatte in ein Chili rührt: Es ist bestenfalls nicht ganz schlüssig (wie norkias Text), im schlimmsten Fall stößt es unangenehm auf. Zeichenkosmen sind solche, weil sie abgeschlossene Systeme sind. Das System aufbrechen und lose Zahnräder reinfüllen tut der Funktionalität des Systems (also des Textes) nicht sonderlich gut.
    Es kam und kommt in der Literatur immer wieder zur Einführung von neuen Motiven innerhalb einer Gattung, falls dem nicht so wäre, könnten wir auch gleich bei der Regelpoetik stehen bleiben. Gerade das Aufbrechen alter Strukturen ist doch das Interessante an der Literatur.

    Zitat Zitat
    Also du findest Faust und Gevatter Tod nicht im Ansatz vergleichbar, aber kommst bei der Motivinterpretation des Märchenfluchs mit den Klassikern? Das finde ich etwas fragwürdig, muss ich zugeben. Vor allem, weil du damit gleichzeitig auch noch allem anderen widersprichst, was du gesagt hast - auch dem, was durchaus richtig war. Der griechische Zeichenkosmos beruht ja gerade auf Fatalität. Der gesamte Ödipus-Antigone-Komplex ist das größte Spektakel an Fatalität seit der Erfindung des griechischen Dramas. Dieser Zeichenkosmos ist zum volkstümlichen Märchen im deutschsprachigen Raum dermaßen distant, dass man bald schon zwei Pole hat (was unter anderem auch mit der absoluten Negierung des Heidentums in der christianisierten Welt einhergeht).
    Ich widerspreche mir nicht grundlegend, sondern führe einige Bereiche zur theoretischen Grundlage weiter aus. Während ich beim Faust aufgrund der unterschiedlichen Motive einen Vergleich nicht für sinnbringend erachte, kommt es mir bei der Definition des Themas "Fluch" darauf an, die theoretischen Grundlagen zu bilden und darzulegen, warum Gevatter Tod ein fatales Ende hat. Geht man davon aus, dass es eben Vorausdeutungen gibt (auch wenn du da anderer Meinung bist), dann kann man das Fluchprinzip in abgeschwächter Form nämlich auch hier anlegen.

    Zitat Zitat
    Der Grund, warum Shakespeare Einfluss auf das geisteswissenschaftliche Arbeiten der Grimms hatte, ist mir ein wenig schleierhaft. Du kannst den beiden Helden Romantik schon so viel Eigenständigkeit und Wissenschaftlichkeit zugestehen, dass sie nicht wild und ohne jegliche Basis Motive ausgetauscht haben. Ihr Spielraum bestand zwischen der Rekonstruktion aus mehreren Erzählversionen, aber sie haben die Texte nicht gänzlich neu erdacht, schon gar nicht im Sinne eines Shakespeare.
    Shakespeare war das große Vorbild nahezu aller deutschen (und auch internationalen) Dichter jener Zeit. Unter anderem haben seine Werke auch dazu beigetragen, dass sich in Deutschland in Abgrenzung zum klassischen und französischem Drama die Bewegung des Sturm und drang oder auch der Romantik entwickeln konnten. Desweiteren unterstellst du mir, dass ich behauptet hätte, dass es zu einem Austausch von Motiven gekommen wäre. Das habe ich so nie behauptet. Tatsache ist jedoch, dass die Gebrüder Grimm sich als Editoren betätigt haben und es dabei teilweise zu Verschiebungen innerhalb der Motivik kam. Das ist bei Editionen allerdings nicht ungewöhnlich.

    Zitat Zitat
    So oder so sprechen wir hier von diesem einen Fluchmotiv, welches durch den Zeichenkosmos, den norkia bemüht, bedingt wird.
    Habe ich etwas grundlegend anderes behauptet?

    Zitat Zitat
    Ich kann noch dreimal sagen, dass der Begriff "Volksmärchen" nicht dem entspricht, was ich sagen wollte, ich kann diese zu unpräzise Definition noch dreimal widerrufen; anerkennen musst du das aber. Bis dahin sage und widerrufe ich vehement und frage mich, warum du so liebend gern Textsorten als unabgegrenzten Begriff verstehst und keinerlei Unterscheidbarkeit zwischen Schwank, Sang und Prinzessinnenmärchen siehst.
    Erstens weil der Begriff "Volksmärchen" immer noch die übergeordnete Gattung ist. noRKia ist sogar einen Schritt weniger gegangen und hat nur von Märchen gesprochen, so dass deine erste Kritik mit dem Fatalismus als "nicht anwendbarem Motiv" innerhalb der Gattung nicht ganz korrekt war. Das solltest du vielleicht auch einsehen. Zweitens grenze ich dann von diesem Punkt weitergehend nicht weiter ab, da es nicht im Sinne noRKias sinnbringend wäre, wenn wir jetzt noch auf den Schwank, den Sang und die spezielle Gattung des Prinzessinnenmärchen übergreifen würden. Wir könnten das ganze zwar immer weiter unterteiölen, würden aber dennoch nicht auf einen Nenner kommen, in welche Untergattung wir das ganze einzuordnen haben. Von daher habe ich an der Stelle abgebrochen, damit wir uns nicht noch weiter in Haarspalterei begeben.

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    Da wir aber nicht von Kunstmärchen sprechen, ist das irrelevant. Vor allem, weil Kunstmärchen ja gerade darauf aus sind, den alten Wertekanon zu brechen. Wenn du diesen Unterschied zwischen herkömmlichem Märchen und Kunstmärchen nicht zugestehst, kann ich dir allerdings auch nicht sagen, wie wir hier weitersprechen wollen.
    Stop. Ich habe in meiner Aussage literaturgeschichtliche Entwicklungen als weiteres Beispiel angeführt und nicht beide auf eine Stufe gestellt. Natürlich gibt es Unterschiede, die sind aber vor allem auf die Moral hinter dem Kunstmärchen, der stark christlich geprägt ist und sich damit wieder dem alten Wertekanon annähert.

    Zitat Zitat
    Nicht im betrachteten Zeichenkosmos, da hier der Tod die Werteblase des erzählenden Pulks dekonstruieren würde.
    Du gehst hier wieder von einem einheitlichen Zeichenkosmos aus, den es aber so im Märchen nicht gibt. Wenn du über diesen Punkt nicht wegkommst, kann man nur schwer diskutieren.

    Zitat Zitat
    Wo denn dann noch?
    Lies meine Ausführungen noch einmal genau durch, dann wird deutlich, dass es diese eben auch in anderen Märchenformen gibt.

    Zitat Zitat
    Eine Moral zu enthalten heißt nicht zu moralisieren. Ich weiß, dass da rein von der Sache her das gleiche Wort drinsteckt, das liegt aber am misnomer der Lehrform im Märchen. Märchen vermitteln keine wirklichen moralischen Werte; dazu fehlt nicht nur der Parabelcharakter, sondern auch der Kontext. Moralisierend sind in dieser Zeit überhaupt nur von christlichen Moralvorstellungen getränkte Texte, im volkstümlichen Feld meistens Schwanks. Vom Stricker beispielsweise hast du sowas häufiger; parabelischer Charakter, stark christliche Wertesymbolik, vermittelt eine Moralvorstellung (nicht etwa nur eine Lehre, wie sie im Märchen vorherrscht).
    Dazu lies dir bitte noch einmal meinen Absatz über die kleinen Formen der Literatur durch. Auch wenn es keine offensichtliche Moral am Ende der Geschichte gibt, so arbeiten doch alle diese kleinen Formen stark moralisierend. Das muss dann auch nicht zwingend ein christlicher Wetrekanon sein, sondern kann auch andere Moralvorstellungen enthalten.

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    Das bezweifle ich stark; unter anderem, weil ich die Begriffsordnung außerhalb des wissenschaftlichen Kontextes ablehne und die Tendenz dazu mit dem Studium nur noch weiter steigt.
    Dann wirst du auf lange Sicht Probleme bekommen. Spätestens dann, wenn die ersten größeren Hausarbeiten (30 Seiten und mehr) anstehen, manövrierst du dich sonst in eine Sackgasse ...

    Zitat Zitat
    Ich wüsste nicht, was die Schola mit der historischen Distanz zum Textfeld, über welches wir sprechen, zu tun hat. Außer natürlich, ihr lehnt den Konsens darüber ab, dass darin verschiedene Textversionen ein und derselben Geschichte bestehen und versteht kulturelle Unterschiede als nicht abgrenzbar. Das wäre allerdings töricht, muss ich sagen.
    Das habe ich so nicht gesagt. Ich habe lediglich ausgeführt, dass sich Motive auch in der Wahrnehmung mit der Zeit verändern können und so einen anderen Sinnkontext ergeben.
    Zitat Zitat
    Dafür hätte ich gern Beispiele, oder du führst mir auf, warum deine bisher angeführten Beispiele der gleichen Textsorte mit dem gleichen Zeichenkosmos entspringen.
    Bübele, ich (und auch Liferipper) haben dir Textbeispiele gegeben, die eben diesem Zeichenkosmos entspringen.

    Zitat Zitat
    Also findest du das Ende so wie es sich in Motivation zum Erzählaufbau darstellt stimmig und nimmst das kommentarlos hin? Wenn ja, dann ist das vermutlich dein gusto. Wenn nicht, dann sage mir, was du daran falsch findest.
    Ich habe weiter oben Kritik geäußert.

    Zitat Zitat
    Ja, du suchst ja auch an der falschen Stelle. Es gibt soweit ich weiß keine Rahmenkonstruktion, die bekannter und geläufiger wäre, und nichts, was man eindeutiger dem Märchen zuordnen könnte, als "Es war einmal ... und sie lebten glücklich bis an ihr Lebensende."
    Dieser letzte Satz, auf welchen man da so gern enden möchte, der immer wieder aufgegriffen wird, wenn man über etwas Märchenhaftes spricht (vor allem auch im angelsächsischen Kulturzyklus ist das "happily ever after" schon längst verfloskelt), ist meiner Meinung nach ein einziger, großer Beweis dafür, dass man zuerst einmal davon ausgehen darf, dass das Märchen kein Fatalitätsprinzip und keine Ausweglosigkeit kennt.
    Du bringst also ein neues Element mit in die Diskussion ein. Sehr schön, nur lässt sich die These leicht falsifizieren, wenn man nur die von uns hier betrachteten Märchen miteinbringt. Die wenigsten Märchen enden halt mit diesem Satz, von daher kann man auch nicht allgemein sagen, dass es kein Fatalitätsprinzip gibt.

    Zitat Zitat
    Alles darüber hinaus ist sophistiziert und entspricht für meine Begriffe nicht dem, was wir norkia in einer Betrachtung seines Textes antun sollten.
    Das wäre wiederum zu kurzsichtig ...

    Zitat Zitat
    Tut mir leid, dass diese Bemerkung so schnippig ist (und ich muss auch dazugestehen, dass sie ein bisschen schnippig gemeint ist), aber wer Faust dem Sturm und Drang zuordnet,
    Siehe weitere Ausdiffernzierung oben.

    Zitat Zitat
    den Motivzyklus der klassischen Antike mit dem des dunklen Zeitalters in Mitteleuropa auch nur ansatzweise vergleichbar hält
    Das Mittelalter war nicht dunkel. Dies ist eine Konstruktion der Humanisten, die sich vor allem auf die lateinische Sprache bezog. Außerdem finden sich im mittelalterlichen Reiseroman sehr viele Motive aus dem Zeitraum der Antike (vor allem der Spätantike). Als Einführung empfehle ich dir die Werke von Weddige und Schumacher (mein Lehrer).

    Zitat Zitat
    und die Brüder Grimm zu den empirischen Autoren der KHM-Anthologie erklärt,
    Editor passt besser.


    Zitat Zitat
    der darf mit mir Kaffee trinken und über Gott und die Welt diskutieren und mich rein abschlussrelevant vielleicht sogar prüfen, der darf von mir aus sogar viel auf seinen Abschluss halten - aber ernst nehmen muss ich das dann deshalb nicht und ein bisschen aufgeplustert darf ich das im Gegenzug dann auch finden.
    Ok, wenn du diese Schiene fahren willst, dann muss ich dich ja nicht weiter ernst nehmen. Ich habe versucht, dir darzulegen, wo deine Hypothesen kranken. Wenn du die Kritik nicht annehmen willst, dann ist es eh vergeudete Zeit meinerseits, darüber zu diskutieren.

    Zitat Zitat
    Muss ehrlich zugeben, dass ich den Begriff "aufgeplustert" gern durch "peinlich" ersetzt hätte, aber das wäre dann wirklich nicht so höflich gewesen - die Randnotiz ist's mir trotzdem wert, du weißt ja sicher, was für Klabauter wir Ersties so sind.
    Und dazu fällt mir dann echt nichts mehr ein.

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