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Thema: [Märchen] Die Prinzessin mit den Bernsteinaugen

Baum-Darstellung

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  1. #2
    Zitat Zitat von noRkia Beitrag anzeigen
    Es war einmal eine Prinzessin, die so fein war, dass sie nicht einmal klatschen konnte. Sie aß nur den süßesten Kuchen und trank den teuersten Kaffee. Und auch wenn sie nur den vornehmsten Zwirn zu tragen pflegte, war ihre grösste Sorge stets die Schönheit.

    Seit Jahren schon war ein trauriger Magier am Hofe des Vaters zugegen. Sie hatte sich nie für ihn und seine Wissenschaft interessiert, bis eine Amme gestand, er sei wohlmöglich befähigt das Äußere zu erhalten, ja, sogar zu verschönern. Getrieben von ihrem oberflächlichen Wahn ließ sie nach ihm schicken und gewährte ihm ein Treffen in den prächtigsten Gemächern.

    Der Traurige Magier erschien am vereinbahrten Ort und unterbrach unbeindruckt vom währenden Prunk und vom Glanz das Possenspiel des Hofnarren. Die Prinzessin verbarg ihre Erbostheit über das ungestühme Erscheinen des Traurigen Magiers unter einem verschlagenen Lächeln und trug ihr Gesuch vor. Der traurige Magier schaute hoch zu ihrem Thron und fragte sie, ob sie wisse, wieso er als der Traurige Magier bekannt sei. Völlig gleichgültig und ohne die Frage einer Antwort zu würdigen sagte die Prinzessin, dass sie bereit sei, ihm im Gegenzug jeden Wunsch zu erfüllen. Da sprach der traurige Magier: "Wenn ihr ein Kind von mir empfangt, soll eure Schönheit für immer währen".

    Die Prinzessin willigte ein und beide vereinten sich. Schon bald sollte die Prinzessien ein Kind tragen. Als einige Wochen ins Land gegangen waren, zogen des Königs Ritter in die Schlacht gegen die Snierker und dieser befahl auch dem Traurigen Magier ihnen mit seiner Macht und Erfahrung zu Seiten zu stehen. Der Traurige Magier wollte die Zukunft seines Kindes gesichert sehen und so folgte er dem Ruf. Die Prinzessin sah jedoch mit ihrer Schwangerschaft ihren Teil der Abmachung erfüllt und so ließ sie das Ungeborene von sich nehmen.

    Viele friedliche Jahre vergingen am Königshofe, während die Todesschlacht weiter tobte und schliesslich in einem Buchenhain ihr Ende fand. In Hoffnung auf Familienglück und einen Nachkommen, dem er die Magie beibrächte, schleppte sich der vom Krieg ausgezehrte Traurige Magier zurück zum Hofe des Königs. In freudiger Erwartung ob seines Nachwuchses betrat er die Gemächer der Prinzessin, welche ihm von ihrer Tat berichtete und nun einforderte, was ihr zustünde. Der gedemütigte und traurige Magier sah sich um sein Glück betrogen und so senkte der einst gutherzige Mann leicht das Haub wie die Stimme. "Nun will auch ich meinen Tribut zollen", sprach er leise und zog den Quell seiner Kraft, eine giftgrüne Kristallkugel, aus dem Gewand, die er, so wie er es gesprochen hatte, auf die Erde schmetterte. In diesem Augenblick strahlte die Sonne durch das Fenster, der Prinzessin genau ins Gesicht, sodass man die Tiefe ihrer Bernsteinaugen sehen konnte. Doch der Moment ward nicht lang, denn als bald das Kristallglas splitterte, ging der Prinzessin das Fleisch von den Knochen und zwei glänzende Bersteinkugeln fielen zu Boden.

    Der traurige Magier hingegen stieg hinauf in die Wolken, die schwarz wurden und einen Eisregen heulten, dessen Tropfen spitzer noch als Nähnadeln waren und alle Untertanen des Königreiches töteten. Aus ihren Gebeinen erwuchsen Bäume, die gierig ihre Äste ineinander hakten und so ein für immer und ewig undurchdringbares Reduit schufen.
    Fixed that, first.

    Finde weder Idee noch Umsetzung schlecht, allerdings gibt es hier und da einige Punkte, die du nicht ganz so gut gelöst hast.

    Fangen wir mit dem Offensichtlichsten an, dem Ende. Du hast dir eine Textsorte ausgesucht, die sehr stark von inhärenter Symbolik lebt bzw. sich auf einen allumfassenden Zeichenkosmos stützt, welcher Geschehnisse stimmig macht. Warum werden die Untertanen ebenfalls bestraft? Warum werden sie in Bäume verwandelt? Warum geht der Magier nicht listiger vor, hat er doch ein dermaßen tumbes Opfer gefunden?

    Auch die Problematisierung in der Erzählung ist zwiespältig. Einerseits generierst ein recht beachtliches Konfliktfeld, andererseits wertest du sehr offen und wendest Erzählmittel und Symboliken an, die nicht in diese Textsorte passen.

    Das hängt zunächst am Textaufbau, er ist kurz und besitzt nur eine Ebene. Diese Form des Märchens lässt aber eben auch nur eine eindimensionale Erzählform zu, du kannst keine Fragen aufwerfen (etwa, warum man den Magier als traurig bezeichnet) und du kannst eigentlich auch nicht über den Personenkosmos hinausgehen (die Untertanen beispielsweise sind ein viel zu großer Personenkreis, um ihn in dieser Erzählform zu denken).

    Was dein Konflikt eigentlich erfordert, ist das, was viele andere Märchen machen, nämlich den Konflikt der Nachwirkung zu generieren. Da du hier einige Symbole aus Dornröschen hast: Im Vergleich dazu ginge das Märchen von Dornröschen genau bis zu dem Moment, wo das Schloss in tausendjährigen Schlaf versetzt wird, danach ist Schluss. Aber würde das dann noch irgendeinen inhärenten Sinn besitzen? Würden die Dornenhecken noch eine Wirkung haben? (Später sind sie das Hindernis, das vom Prinzen überwunden werden muss. Das hat nicht nur starken Symbolcharakter, sondern sorgt auch für das Abenteuer in den Nachwirkungen.)
    Kurzum: Dir fehlt die Ausführung des eigentlichen Konfliktes. Aufgabe deines Magiers wäre es jetzt nicht, ein bisschen Hokus Pokus walten zu lassen, dass hier und da ein bisschen Tod und Wucherwurzel bei rumkommt, nur um dann zum Himmel zu fahren, er müsste der Prinzessin irgendwas ganz Fieses antun, das ihr ihren Vertragsbruch vor Augen führt. Es darf aber nichts so Entgültiges wie der Tod sein, das Märchen entstammt einer Zeit, in der der Tod die grausamste aller grausamen Vorstellungen und für den Zuhörer nur zu ertragen war, wenn er etwas Altes, Krankes, Geringes auslöscht, etwa einen bösen Wolf oder ein Schrumpelhexe - und selbst da erhält der Tod keinen Namen. Der Tod einer jungen Person von hohem gesellschaftlichem Rang bzw. von vielen vielen Menschen ist ein Unding, über das nicht gesprochen wird - Maeren sollen vom weltlichen Leid ablenken, nicht darauf zurückweisen. Wie wichtig die Ausblendung des Todes ist, nämlich so wichtig, dass sie auch die offensichtlichste Unlogik überwiegt, siehst du vor allem beim Märchen von Frau Holle: Glaube nicht, dass die Pechmarie noch viel jammern kann, nachdem sie mit kochendem Teer übergossen wurde.

    Abgesehen davon ist das nicht sonderlich spannend. Es steckt keine Häme darin, wie etwa bei einem Frosch, der sich küssen lassen möchte, oder bei einer unüberwindbaren Dornenhecke. Im Märchen gibt es immer eine Möglichkeit, das üble Schicksal auszutricksen, weil das Böse eitel ist und seine Opfer mit der Hoffnung quält. Und so sagt die böse Zauberin nicht "Ich verwandle dich in einen Frosch, auf dass du von einem Heuwagen überrollt wirst.", sondern "Du wirst ein Frosch sein solange, bis du den Kuss einer Prinzessin empfängst."; Die dreizehnte Fee meint nicht "Ihr habt mich nicht eingeladen, deshalb bring ich euch alle um.", sondern "Ihr werdet tausend Jahre schlafen hinter einer unüberwindbaren Dornenhecke, und nur der Kuss eines Prinzen kann den ewigen Schlaf beenden."

    Entgültigkeit ist, nochmal, nichts, was die Märchengesellschaft kennen darf. So ist das übrigens auch mit dem Krieg, daran will kein Zuhörer erinnert werden, darüber spricht man nicht.
    Ganz beißend finde ich die Sache mit dem Abort und ich weiß auch nicht, was du uns damit sagen willst. Hätte sie das Kind zur Welt gebracht und erdrosselt (nagut, das wäre wohl auch nicht so wirklich gängig) oder an Bauern verschenkt, wäre das ebenso möglich gewesen. Hier setzt du den Schwangerschaftsabbruch einer Wertung aus. Abgesehen davon ist auch das kein Bild, welches in die Märchenwelt passt.

    Probleme gibt es auch mit den Motiven:
    Im Märchen spiegelt sich oftmals vor allem die Mystifizierung des höveschen Lebens wider, deshalb wird Hochmut und Schönheit auch nie wirklich abwertend betrachtet (höchstens mal der Unterschied zwischen echter und falscher Schönheit gemacht), eine schöne Prinzessin ist prinzipiell erstmal tugendhaft, überlegen. Sie ist gesellschaftlich dazu gezwungen, auf ihr Äußeres zu achten, deshalb ist das Auftreten und Gebahren dieser Prinzessin hier alles andere als "oberflächlich" oder "wahnsinnig". Das Motiv der jungen, hübschen Prinzessin kann de facto eigentlich gar keine schlechten Eigenschaften in sich aufnehmen.
    Männliche Zauberer sind in der Regel gutmütig und verbleiben starr in dieser Rolle, genauso wie alle anderen Märchenfiguren. Es gibt weder oberhalb noch unterhalb der Oberfläche 180°-Drehungen, nur ein entweder-oder. Im Gegensatz zur verachtenswerten Hexe bringen sie kein Übel über den Menschen, ihre Magie ist nutzbringend und kommt ohne Flüche aus.


    Ansonsten bist du mehr oder weniger sicher in dieser Ausdrucksweise, finde einige Begriffskonstruktionen sehr passend und schön, teilweise benutzt du aber Verben falsch bzw. scheinst dir hier und da selber nicht ganz sicher zu sein, wie du etwas archaischer klingen lassen kannst. Dann lass es einfach weg. Bringt nichts, auf Biegen und Brechen den Sprachstil in irgendeine Richtung wenden zu wollen - manchmal haben die früher auch echt so gesprochen wie wir heute.

    Kann dir alles in allem keine konkreten Verbesserungshinweise geben, ohne das gesamte Konzept aufzurütteln und abzuändern. Märchen sind eine sehr, sehr komplexe Sache, die sehr viel Kohärenz mit einem allgemeinen Zeichenkosmos aufweisen oder einen eigenen aufbauen müssen. Beides ist sehr schwer zu erreichen, wenn man in diesen Kosmos nicht "hineingeboren" wurde. Es ist nichts desto trotz alles andere als ein schlechter Text, vieles beißt sich aber leider und tut der Textsorte großen Abbruch.

    Geändert von Mordechaj (21.01.2011 um 11:34 Uhr)

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