Hochbegabung heißt meistens, dass du in einer anderen Denke stehst, als das von der Gesellschaft normalerweise gefordert wird (das ganz wertungsfrei). Ich kenne zwar mindestens einen Hochbegabten, auf den diese pauschale Definition nicht direkt zutrifft, der voll und ganz in die Norm fällt und seine Fähigkeiten darin zu entfalten weiß, aber das ist nunmal per se nicht der Regelfall. Wir denken anders, nicht besser, nicht schlechter. Anders.
Was du beschreibst (ich kann es völlig falsch deuten, nur mit mir Bekanntem vergleichen), dürfte so ziemlich die Wechselhaftigkeit sein, die bei den meisten Hochbegabten vorkommt, die nicht von klein auf maßgeblich gefördert wurden. Wechselhaftigkeit, underachievement vs. herausragende Leistungen. Es gibt dagegen kein "Mittel" und keine Strategie; leider gibt es die nicht, vor allem, weil selbst dann immer noch individuelle Bezüge mit hinein spielen.
Die Frage ist nun, was deine Handschrift ist, was willst du tatsächlich machen, wo liegt dein Potenzial genau? Das ist das, was du eigentlich machen solltest.
Und das ist leider so eine Sache, die sich so supereinfach sagen lässt, wie ich das hier getan habe, die aber durch die äußeren Umstände, vor allem wie du sie beschreibst, unglaublich schwer ist. Du sprichst sicher von intellektuellem Potenzial, allerdings kannst du das mit deinem bisherigen Abschluss ja nicht wirklich weiter verfolgen - außer es geht in die künstlerische Richtung, da wäre durchaus Raum offen. Mit dem, was du derzeit tust (auch das kann ich nur deuten, nicht sicher sagen; deine Ausführungen lassen es aber vermuten), wirst du über kurz oder lang so arge Probleme haben, dass es dich ein bisschen kaputt macht. Dein Ziel ist ein anderes und du wirst ihm mit dieser Tätigkeit vermutlich auch kein Stück näher kommen, dich eher davon weg bewegen.
Die große Frage ist immer, was wirklich zielführend ist. Viele Hochbegabte haben komischerweise große Probleme, darauf eine Antwort zu geben. Gerade deshalb kommt es zu dieser unwillig-Problematik, Ansprüche von außen decken sich selten mit den inneren Ansprüchen; - die äußeren müssen aber erfüllt werden, um weiter zu kommen. Und sich das vor Augen zu halten, macht es meist leichter, die Folterschmerzen inkauf zu nehmen.
Du hast immer noch die Chance, dein Abitur nach zu machen, wenn du das für zielführend erachten würdest. Für einen intellektuellen Werdegang wirst du das Abitur brauchen; die Frage ist eben nur, ob du dich dazu bringen kannst, es wirklich zu bestehen. Danach wird alles einfacher; du darfst dir im akademischen Ausbildungsweg nämlich größtenteils aussuchen, was du machst und was nicht. Auch hier wirst du mit deinem Schweinehund konfrontiert werden, aber es wird leichter. Vor allem wird es das, wenn du dir vor Augen hältst, was du damit anfangen kannst (wenn du etwas damit anfangen kannst).
Für mich wäre das der größte Punkt; entscheide, was aus deinem Leben werden soll. Wenn du ein genaues Ziel setzt und auf dieses Ziel hinarbeitest, wird es leichter, weil du eine bestimmte Zukunft im Blick hast. Für viele Hochbegabte ist das essentiell, weil sie viel weiter vorausdenken als andere - was übrigens meistens der Hauptgrund für das große Maß an Überwindung ist, das man für die meisten Dinge benötigt.
Ich spreche da natürlich sehr pauschal von Hochbegabung, einiges davon mag auf dich gar nicht zutreffen; auf mich selbst trifft auch nur ein Drittel davon zu. Wichtig ist aber, dass du entscheidest, ob du mit der derzeitigen Situation weiterleben kannst, ob du dein Ziel unabhängig davon erreichen kannst, oder ob du dein Leben ändern musst. Wenn letzteres der Fall ist: Probier's aus. Wieder einfacher gesagt als getan, aber wenn du mit Null und Hundert einmal vertraut bist, dann wird es auch nicht so der große Schocker werden. Denn das Schlimmste, was passieren kann, ist dass du scheiterst. Und so blöd das klingt, aber dann gibt es immer noch ein Sozialsystem, das dich auffängt. Aber solltest du die Veränderung brauchen, dass ist sie deine beste Chance. Wenn du jetzt schon nicht mit der Situation klar kommst, wird sich das in 5 Jahren auch nicht geändert haben; du wirst dich nicht dran gewöhnen und es wird auch nicht besser werden.
Und natürlich ist jeder andere Weg, den du von hier aus einschlagen könntest, mit großer Anstrengung verbunden. Es kann sogar sein, dass es dir widerstrebt, irgendwas zu tun, was dich weiterbringt (zumindest kenne ich das Gefühl in dem Zusammenhang sehr gut); aber so ist das für Leute wie dich leider, viele Dinge des Lebens sind in unserer Denke schwerer zu bewältigen, zumindest wenn man nie ausreichend gefördert und mit Normen der "Normalen" konfrontiert wurde.
Ganz wichtig, egal wofür du dich entscheidest: Such dir jemanden, der den gleichen Weg geht wie du (also nicht nur oberflächlich das Gleiche macht, sondern zumindest ansatzweise nachvollziehen kann, wie bestimmte Dinge für dich wirken). Vieles an Unwilligkeit und fehlender Motivation entsteht aus dem allein gelassen Werden mit den eigenen Problemen, wer diese aber nicht ganz nachvollziehen kann, wird auch schwerlich für Motivation sorgen können.
Und das nur am Rande, weil ich mir nicht anmaßen möchte, so viel aus deinem Beitrag herauslesen zu können: Hast du schon einmal über psychiatrische Behandlung nachgedacht? Ich meine nicht zwangsläufig eine Seelendoktortherapie mit Gesprächsterminen und Sitzkreisen (ob das hilft oder nicht bleibe dann nämlich Therapeut und Therapiertem überlassen), sondern vor allem medikamentöse Behandlung. Es ist keine Schande, an der Welt zu verzweifeln, schon gar nicht mit Hochbegabung. Der Unmut und die Folterschmerzen, Null und Hundert und alles daraus resultierende sind aber ziemlich häufig Symptome von Depression bzw. einfach Antriebsstörung; und die gehen so oft mit ungeförderter Hochbegabung Hand in Hand, dass schon Leute dazu verleitet waren, sie gleichzusetzen. Gab schon Theorien, dass Hochbegabung durch Serotoninmangel hervorgerufen wird (das Bild vom unglücklichen Genie oder vom wahnsinnigen Künstler spielt hier mit hinein) bzw. entstanden daraus übrigens auch bestimmte Abstraktionsformen des Byronic Hero.
Schön, wie ich den Themenbezug hergestellt hab, oder? ._."