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The Big Guns
No Fronts, True Stories 11 - Loslassen
Diesmal keine hirnverbrannte Story über die Service- und Intelligenzwüste Deutschland. Ich muss eben was von der Seele schreiben, denn die Situation lässt es gerade zu und ich habe mir ernsthafte Gedanken gemacht in den letzten Stunden, wie mein Leben weitergehen soll.
Ich habe gerade eine E-Mail bekommen, dass ich meinem Ziel, einen Ausbildungsplatz zu bekommen, fast schon zum Greifen nahe bin. Als Bürokaufmann bei Karstadt. In Essen. In einer völlig anderen, mir fremden Stadt. Und Gott weiß, dass ich diesen Platz nicht unbedingt mit einem Lächeln auf dem Gesicht nehmen werde, sollte ich das Angebot bekommen - aber ich würde ihn nehmen. Denn ich habe das Gefühl, dass ich weg muss. Loslassen muss. Irgendwas in meinem Herzen schreit danach, dass Hamburg zu klein für mich beide geworden ist. Für mich, den Typen, der eine Zukunft aufbauen, glücklich mit seinem Job werden und bestimmt nicht jedes noch so beschissene Job-Angebot annehmen will. Und für mich, den Typen, dessen Vergangenheit ihm zu lange hinterherhinkte und es wahrscheinlich immer tun wird.
Und die Sache, die mich am meisten beeinträchtigt in meinem Leben, ist die Trennung von meiner Freundin vor anderthalb Jahren. Ich weiß: Es ist nicht mein Stil, Gott und der Welt mein Herz auszuschütten, aber hier im QFRAT bin ich seit Jahren zu Hause. Ich habe Freunde hier und es gibt genügend Menschen hier, die jedem von euch Schwanzgesichtern, die mich für 'nen verblödeten Proleten halten sagen würden, wie ich wirklich bin.
Laut: Ja.
Ehrlich: Ja.
Unreif: Ein bisschen.
Ein Proll, der nur in den Themen Saufen und Ficken seine Bestimmung gefunden hat: Nein.
Und egal, wie ihr es drehen und wenden wollt: Ihr könnt den Dreck hier lesen oder es lassen. Mir ist das hier wichtig, weil ich denke dass es für euch auch eine Art Leitfaden sein könnte, wie man mit all dem negativen Dreck, der einen runterzieht, umgehen sollte.
Meine Ex ist in Estland geboren und das mit ihr war meine erste richtig tiefgehende Beziehung. Es war das erste Mal, dass ich jemandem "Ich liebe dich" gesagt habe und es auch genauso meinte. Es war nicht dieses "Hihi, ich und sie halten Händchen"-Teenie-Geplänkel. Es ging tief. Vielleicht zu tief. Ich war bei der Bundeswehr, sie machte ihr Abitur fertig. Sie mochte dieselben Filme und Bands wie ich. Ich war mit ihr 2009 auf dem Hurricane-Festival wo wir zusammen an der Bierbong gehangen haben. Sie wollte studieren und plante bereits, mit mir zusammenzuziehen. Ich wusste nicht, wohin es mich in der Zukunft verschlagen würde. Ich wollte Spaß, Zärtlichkeit und einen Ritt in der Gefühlsachterbahn mit ihr haben (wehe, ihr macht jetzt 'nen Sex-Witz. Dann kille ich euch.). An eine großartige Zukunft hatte ich überhaupt nicht bewusst gedacht und - das war der Fehler - hatte ihr das auch genauso gesagt, woraufhin sie wenig später einen herzzerschmetternden Heulkrampf bekam. Und ich Vollpfosten habe das nichtmal als Reaktion auf meinen dämlichen Spruch realisiert. Wie blöd kann man sein?
Natürlich machte sie kurz vor unserem anderthalbjährigen Jubiläum Schluss. Ich hätte es ahnen müssen. Sie rief mich an, als ich auf dem Stützpunkt war. Sie sagte sowas wie "Wir müssen reden, wenn du wieder hier bist." Ich wollte das Ganze aber hier und jetzt bereden. "Ich denke, ich mache mit dir Schluss. So geht das nicht weiter." Vor Wut ballerte ich mein Samsung-Handy gegen die nächstbeste Wand und fluchte drauf los. "Was bildet sie sich ein? Schlussmachen? Ist sie dumm? Warum? Wieso?" Ich baute mein Handy wieder zusammen und rief zurück. Und sie sagte, was los war.
Sie war bei ihrer Cousine in Polen auf der Hochzeit. Dort fiel es ihr ein. Meine Laisze-Faire-Attitüde, mein "Meine Zukunft kann warten."-Gelaber. Meine dämlichen Sprüche über ihre Herkunft. Meine Jähzorns-Anfälle, wenn Sachen nicht liefen, wie sie laufen sollten. Aber ich hörte das einfach nicht. Ich war taub dem gegenüber. Ich hörte nur "Bla bla bla Schluss machen bla bla bla" und wurde noch wütender, noch aggressiver, noch mehr zum Arschloch, das ich in den letzten Wochen gewesen war. Und schob im Nachhinein alles auf sie. Alle Fehler in der Beziehung - wobei der Ausspruch "ES GAB JA KEINE FEHLER!" öfter in diesem Zusammenhang fiel - und alles, was danach für mich schiefging. Ich begann zu saufen wie ein Loch. Jeden Abend mindestens anderthalb Sixpacks Bier und eine halbe Buddel Wodka, ansonsten konnte ich nicht einschlafen. Ich fing an, noch mehr zu rauchen, noch mehr zu """feiern""" und noch mehr Scheiße zu bauen und auf meine Zukunft keinen feuchten Furz zu geben, als ich es bereits so getan hatte. Ich wurde wieder zu dem Typen, der ich nicht mehr sein wollte. Der Typ, der in der achten Klasse anfing, Drogen zu schmeißen und sich eher allen möglichen Rauschen (Plural von "Rausch"?) hinzugeben, als irgendwas sinnvolles zu tun. Dämlich.
Ein Jahr lang lebte ich in diesem Zustand. Ich nannte sie "Die böse Frau", "Die blöde ••••••••" und gebrauchte noch andere Schimpfwörter für sie und verfluchte sie. Sie möge "Ihr Leben lang schlechten Sex und hässliche Kinder" haben. Es wurde mir aber irgendwann zu langweilig, ständig ihr alles aufzudrücken, was ich falsch machte. Das ist nicht gut, für niemanden.
Also saß ich gestern inmitten des Schneechaos' nach einem erfolgreichen Bewerbertag bei Karstadt im völlig verspäteten und überfüllten Zug nach Hamburg und dachte "Wow, eine Ausbildung in Essen...". Da fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Ich sprach es sogar relativ laut aus und erntete etwas ratlose Blicke von meiner Sitznachbarin.
"Ich muss loslassen."
Drei simple Worte. Ich wiederholte es:
"Ich... muss... loslassen."
Die Sitzpartnerin stopfte sich wieder ihre Sennheiser-Stöpsel in die Ohren und hörte ihre shitty Electro-Mucke weiter, während meine Gedanken hin- und herflogen. Ich bin ein Vollidiot. Eine dumme Sau. Ich hab's genauso vermasselt wie sie. Nicht nur wie sie, sondern auch wie andere Menschen, denen ich die Schuld für diverse Versagen meinerseits in die Schuhe schob. Alles war plötzlich so klar wie noch nie. Dass es in dem Moment für einen kurzen Augenblick aufhörte, draußen zu schneien, war entweder Zufall oder ein Fingerzeig vom Schicksal. Ich wusste, was vorging.
Ich hatte ihr wehgetan, ohne es zu wollen. Tief im Inneren wusste ich, dass ich - sofern ich alles richtig machen würde - mit ihr zusammenziehen wollen würde. Dass ich in ihren Augen von dem Moment an, als ich sie gesehen hatte, den Eingang zu tausend Kirchen gesehen hatte. Dass ich ihr eher danken müsste für alles, was ich mit erleben durfte, als dass ich jeden Tag mit einer Fresse bis zum Boden durch die Gegend laufen und alle Pärchen hassen sollte. Ich hätte alles richtig machen können, warum tat ich es dann nicht? Vielleicht, weil ich wusste, dass die Zeit nicht reif dafür ist. Ich bin noch nicht reif dafür, "loszulegen", an Familie und sowas zu denken, in Sex mehr zu sehen als Spaß und Leidenschaft. Ich bin unreif in dieser Hinsicht. Klar, ich hab viel Mist erlebt und gemacht in meinem Leben, aber der Gedanke, diese Chance auf etwas längerfristiges verkackt zu haben, könnte mich zerstören. Doch ich weiß, dass es so okay war. Irgendwann bin ich bereit dafür, ihr wieder vor die Augen zu treten und sie zu fragen, ob wir nicht "loslegen" wollen. Irgendwann wird sie dazu bereit sein, auf diese Frage mit "Ja" zu antworten. Vielleicht kommt dieser Augenblick niemals, wer weiß. Und der Umstand, dass sie das hier niemals lesen wird, ist nur halb so wild in meinen Augen. Denn bevor all das passiert, muss ich loslassen. Von ihr, der Zeit mit ihr, den guten Sachen, den beschissenen Sachen - von allem.
Ich stell das Bild mit uns beiden wieder auf. Sie hatte es in Photoshop nachbearbeitet und es sieht gut aus. Das hat sie mir zu meinem 23ten Geburtstag geschenkt.
Wir waren ein schönes Paar, wobei sie natürlich schöner ist als ich.
Ich grinse, setze mich wieder auf meinen Bürostuhl und bestelle schonmal meine Bahnkarten für das zweite Vorstellungsgespräch am 23ten Dezember in Essen.
Den Platz habe ich so gut wie sicher.
Und wenn ich dorthin fahre, bzw. nächstes Jahr umziehe, werde ich wenigstens etwas weniger Ballast dorthin mitnehmen, jetzt wo alles so klar zu sein scheint.
Ja, ich habe sie wirklich geliebt.
Ja, manchmal liege ich nachts noch wach und denke, dass ich sie zurückerobern könnte, wenn ich wollte.
Aber nein, ich will es noch nicht.
Sie wird niemals lesen, dass ich sie von allen Pflichten, sich bei mir zu melden, hiermit entbunden habe.
Schade, irgendwie.
In your eyes
The light the heat
In your eyes
I am complete
In your eyes
I see the doorway to a thousand churches
In your eyes
The resolution of all the fruitless searches
In your eyes
I see the light and the heat
In your eyes
Oh, I want to be that complete
I want to touch the light
The heat I see in your eyes
True Story.
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