Zunächst einmal: Glückwunsch. Dass man eine Person kennenlernt, mit der man sich auf Anhieb gut versteht und bei der man auf gegenseitige Gefühle bauen kann, kommt selten vor und ist von Herzen gönnenswert.
Allerdings muss ich sagen, dass eine Sache wie ein Umzug in so einer Situation durchaus einen Bruch hervorbringen kann. Bei einigen Paaren - sind die richtigen Voraussetzungen gegeben - kann man auch über längere Entfernungen davon ausgehen, dass die Beziehung hält. Es ist eine Frage des Timings: Ich will dir um Gottes Willen nicht raten, sofort nen Deckel auf die Sache und das Mädel "klar" zu machen - aber je schneller deine Mutter merkt, dass dir etwas an dem Mädel liegt, desto eher lässt sich vllt ein Kompromiss finden (vllt dass du nachziehst o.ä.). Es ist ein schwieriges Thema, aber ich würde es ehrlich gesagt so schnell wie möglich klären in dieser Hinsicht.
Aber nun zu etwas völlig anderem:
No Fronts, True Stories 10 - Der schlechteste Bewerber Hamburgs
Nun, nachdem ich Ende Oktober meinen Ausbildungsplatz als Bürokaufmann gekündigt habe (Assistenzrolle, nerviger Chef, Bocklosigkeit - you do the math) bin ich nun auf der Suche nach einem neuen Platz (wenn möglich in einem größeren Betrieb! Nie wieder kleine Piss-Betriebe wie der letzte!). Zum Glück darf ich bis Ende November in meiner Berufsschulklasse bleiben und habe dementsprechend wenigstens dienstags und donnerstags ein wenig Tätigkeit in der HARTZ 4-Hölle. Und zwischendrin schiebe ich hie und da ein Bewerbungsgespräch ein. So wie heute.
Heute ging es ins Thalia Theater. 12 Uhr. Bewerbungsrunde. Ich bin aufgeregt wie vor meinem ersten Mal. Also: Meinem richtigen ersten Mal. Nicht dem "ersten Mal" mit 16, zu dem es im Endeffekt nicht wirklich kam (haha, Wortwitz), weil ich kurz vorm Einlochen besoffen von der Bettkante fiel. Obwohl... Dann doch wie vor diesem ersten Mal. Das Herz schlägt bis zum Anschlag. Ich bin im Konferrenzraum mit neun anderen Bewerbern/-innen. Natürlich geht es denen nicht halb so mies wie mir. Immerhin bin ich 23, verbitterter Zyniker, Hobbyalkoholiker und brutaler Realist (behaupte ich zumindest, ich bin auch durchaus romantisch. Für meine Ex habe ich mir zu unserem Einjährigen die Schamhaare in Herzform rasiert. Das macht nicht jeder.). Ich sitze da im Nadelstreifenanzug, türkisem Hemd, schwarzer Hose, schicken Dockers-Turnschuhen (die Scheißdinger haben schlappe 60 Euro gekostet!) und mit rasiertem und geabdeckstiftetem Gesicht. Wir sind nach Alphabet an einem runden Tisch sortiert. Und ich sitze dank meines Nachnamens am Ende, direkt am Kopfende wo der Co-Intendant des Theaters, die Personalchefin, der Ausbildungsleiter und zwei Azubis sitzen. Einen der Azubis sollen wir ersetzen, da er im Februar geht. Er heißt Paul und ist Asiate. Ja. Ernsthaft.
Ich bilde also das eine Ende der Kette. Wer bildet das andere Ende? Der schlechteste Bewerber Hamburgs! Gott sei der Seele von Kevin G. gnädig, denn er ist - so wahr mir der Herr helfen möge - der schlechteste Bewerber Hamburgs! Es gibt keinen schlechteren Bewerber als mich, dachte ich bis eben, als ich den Blick schweifen ließ und auf die Nassbirne stieß. Denn ich bin der ÄLTESTE IN DER RUNDE! Der Rest ist 16-17 Jahre alt, hat gerade seinen/ihren Realschulabschluss gemacht und sucht nun den richtigen Job. Die einzige wirklich harte Konkurrentin für mich - denn ich bin der Beste wo gibt in dieser Runde (True Story) - ist ein blondes Mädel namens Daniela. Sie ist blond, ansonsten kann man ihr extreme Blondheit vorwerfen und einen Arsch, für den sie eigentlich einen Waffenschein bräuchte. Und eventuell kann man ihr neben ihrer blonden Blondheit vorwerfen, dass sie zu meinen beruflichen Erzfeinden gehört, wenn es um Ausbildungs- und Praktikumsplätze geht: Sie ist Walldorfschülerin! AAAAAARGH!!!
Diese Nena-Öko-Abitur in Trommeln und Bildhauerei-Penner (No Front) klauen mir seit 3 Jahren die Ausbildungsplätze für Veranstaltungstechniker, Beleuchter, Kameramann etc. vor der Nase weg!
Ach, Herr Wagner, Sie bewerben sich hier im Thalia Theater als Veranstaltungstechniker?
Sie haben bereits ein Praktikum in unserem Hause gemacht?
EIN JAHR LANG?
Tontechnik?
Ausgeholfen bei der Beleuchtung?
Nun, schön für Sie - wir nehmen den Walldorfschüler!
AAAAAARGH!!! Scheiß auf kriminelle Ausländer - die Walldorfschüler klauen dem kleinen Mann die Jobs (zumindest in der Medien- und Kulturbranche)! Schiebt die ab!
Naja, zurück zum schlechtesten Bewerber Hamburgs. Er ist der stereotype "Ich hab keine Ahnung, was ich machen soll - ich bewerb mich mal stumpf für ne Ausbildung als.... öööhhhmmm... BÜROKAUFMANN!"-Typ. Einige Eckdaten:
Name: Kevin G.
Statur: Dick. Extrem dick. Mindestens 150 Kilo auf maximal 1,70 Meter verteilt. Dick, sozusagen.
Merkmale: Pickel im Gesicht, eine Brille mit Colaflaschenböden als Gläser, pubertärer Milchbrötchen-Bart, Pickel auf den Pickeln im Gesicht.
Kleidung: Trainingsjacke von Adidas, roter Pulli, Baggyjeans, abgerannte Turnschuhe. Alter...
Geschätzter IQ: Freundlich ausgedrückt: Forrest Gump wirkt gegen ihn wie Thomas Edison.
Alter: 16. Sieht aber aus wie 42.
Er wurde also nicht unbedingt mit den besten Eigenschaften des hiesigen Genpools gesegnet. Er ist dick, doof, hässlich und dazu noch gekleidet wie ein Asi. Tut mir leid, wenn das oberflächlich klingt: Aber ihr werdet gleich merken, dass ich kein Stück untertreibe.
Nun, der Co-Intendant eröffnet die Runde mit ein paar freundlichen Willkommensworten und startet daraufhin die "Vorstellungsrunde". Wir sollen erzählen, wie zum Geier es uns hierher verschlagen hat und warum wir diesen Ausbildungsplatz wirklich voll gerne haben wollen. Kevin darf anfangen und beginnt, mit seiner sonoren, monotonen Lispelstimme loszublubbern. Ab hier folgt O-Ton:
Joah. Isch'ab ers'ma' Realschule g'macht. Also: Abschluss. Und hab' noch zwei Praktickers (gemeint sind wohl "Praktika(s)") gemacht. Eins bei Schule (also Schülerpraktikum?! Oder wie oder wat oder wer?), eins dann bei d'Barn (gemeint ist wohl "bei der Bahn") inna Fawaltung. Und das'at ma schon Spass g'macht und so. Und 'schdachtdaswer doch die idealie (SIC!) Gelegenheit, misch zu bewerben für'n Ausbildung(Denkpause, hier hat er wohl gerade einen Fellball verschluckt. So hörte sich zumindest sein krasses Geschlucke an.)platz hier.
Ja, denn wie wir alle wissen: Die Bahn empfiehlt das Thalia Theater immer als Arbeitgeber. Oder is' Quatsch?
Kennt ihr diese Situationen, in denen ihr einfach nur das Gesicht in alle Richtungen mit all seinen Muskeln verzerrt aufgrund der horrenden Dämlichkeit, die gnadenlos auf euch einprügelt mit einer Nagelkeule und höhnischem Gelächter?
Ja, das war einer dieser Momente. ALLE verziehen das Gesicht, als hätte sich Kevin gerade einen Pickel auf seinem voluminösen Arsch ausgedrückt und nicht erzählt, warum er überhaupt hier eine Ausbildung starten möchte. Ein paar Sekunden lang bleibt es still, bevor der Co-Intendant wieder alle seine Hirnzellen beisammen hat, die während Kevins Vortrag kollektiven Harakiri begangen hatten. Die Runde geht weiter. Alle wärmen im Prinzip dieselbe Story auf (Schule, fünf Millionen Praktika, jetzt Ausbildung weil toll), bis ich komme und fast eine Minute lang erzähle, was ich so gemacht habe: 1 Jahr Tontechnik-Praktikum im Thalia, 2 Jahre Bundeswehr, 3 Monate Ausbildung, Gute Noten in der Berufsschule, Interesse für Bürokommunikation und Zahlen, Verbindung zum Thalia weil tolle Erfahrungen - BÄM, MOTHERFUCKERS! Ich fühle mich wie der beste Bewerber Hamburgs. Und selbst wenn ich nur so wirke, weil Kevin der schlechteste ist.
Runde 2 ist eröffnet worden von der Personalleiterin. Wir sollen von unseren Hobbies erzählen und was wir sonst so außerhalb der Arbeit/Schule machen oder gemacht haben. Ich erzähl von meinen Kurzgeschichten und Filmreviews, meiner Rap-"Karriere", meinem Fitnesstraining (ich sagte, ich würde viermal die Woche trainieren gehen, was einfach mal eine Lüge ist - ich gehe höchstens zweimal die Woche, und selbst dann nur wenn ich gute Laune habe. Und die hab ich selten.) und meinem Interesse für Film und Kultur. Die anderen folgen. Immer derselbe Scheiß. "Sport, mit Freunden treffen, irgendwas mit Musik" - Einfach nichtssagendes Bla. Daniela glänzt wenigstens noch mit ihrem Interesse für Schauspiel und mit der Tatsache, dass sie E-Gitarre spielen kann. Dann, als ich dachte, es könnte nicht schnarchiger werden, fängt Kevin an. Und das kann man einfach niemandem vorenthalten. Die Welt muss wissen, was für völlig verblödete Flöten sich für rar gesähte Ausbildungsplätze bewerben UND AUCH NOCH IN DIE ENGERE AUSWAHL KOMMEN! O-Ton:
Joah. (Schmatz.) Ischbin gudam Kompjutah. Also: Isch int'r'ssier misch auch so für Kompjutah. Wenn jemand'n Kompjutah-Problem hat, helf'sch ihm auch... m-m-mit sei'm Kompjutah. Dat kann'sch ganz gutnä? Aba isch bin auch gu'dabei wenn meine Fawant'n Probleme hab'n mit Zeischensetzung und Kommas un so isch kenn misch damit aus. Nä? (ein paar Sekunden Stille, um den Hirnzellen beim Sterben zuzuhören.) Und isch spiel auch ganz gerne... nischso'ft aba abundanmaauchnbisschen Fußball.
Fußball? Was für eine Position bitte? Ball? Wasserträger? Flitzer?
Er spielt Fußball und ich wohne in einem Zelt in Israel. Der Typ würde eher mit 'nem Vorschlaghammer auf Minensuche gehen als seinen Hintern von nach dem Kompjutah wesch zu bewegen und Fußball zu spielen. Auch nicht nur abundansonbisschen. Nee. Ich dachte, ICH hätte mit meiner Angabe, was Sport angeht, schon krass gelogen. Aber dieser Kerl schoss just den Vogel ab mit seiner hinterhergeschobenen Falschaussage.
Der Kerl war - nebenbei erwähnt - nicht behindert. Ich weiß, wenn ein Behinderter vor mir sitzt. Ich weiß, wann ich keine Witze über seine Intelligenz machen darf. Dieser Kerl war einfach nur faul und grottendumm. Ich will das nur eben aus dem Weg haben. Denn immerhin kam DER SCHLECHTESTE BEWERBER HAMBURGS IN DIE NÄHERE AUSWAHL! ALTER...!
Naja, jedenfalls ist die Bewerberrunde nach einer Stunde Vorstellen, Fragen und Hirnwasser-absenkender Dämlichkeit vorbei. Wir verlassen das Haus. Ich war unglaublich gut. Wenn ich gut genug war, darf ich mit einem oder zwei anderen Glücklichen noch drei Tage auf Probe arbeiten, bevor dann der endgültige Azubi feststeht. Und eines steht fest: Sollte ich in den drei Tagen mit Kevin arbeiten, werde ich erst einmal an der Intelligenz der Geschäftsführung zweifeln. Sollte dann Kevin den Ausbildungsplatz bekommen, werde ich das Thalia Theater bis auf die Grundmauern niederbrennen.
Aber wenigstens habe ich Danielas Handynummer.
True Story.

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