Erynn hatte die letzten Tage damit verbracht, ihre Wunden zu lecken, die Ausrüstung zu reparieren und nicht zuletzt damit, sich im Lichte ihres Triumphs zu sonnen, der sich in der colovianischen Stadt rasch herumsprach. Die Tatsache, daß zumindest die zweite Phase der ganzen Aktion lange nicht so heldenhaft gewesen war wie die Gerüchte behaupteten, die mittlerweile wild ins Kraut schossen, verdrängte sie mehr oder weniger erfolgreich. Ihr wurde klar, daß die Leute ohnehin nicht an der Wahrheit interessiert waren, sondern vielmehr nach Figuren suchten, an denen sie sich festhalten konnten, auf die sie all die selbstgeschaffenen Ideale projezieren und sich so die Illusion schaffen konnten, daß auf Nirn alles in bester Ordnung sei. Und wie es aussah, war Erynn zu einer dieser Figuren geworden, zumindest für eine Weile. Zu Anfang hatte sie noch mit Verwunderung darauf reagiert und festgestellt, daß sie sich und ihre Ideale dadurch korrumpiert fühlte. Nach genauerem Nachdenken über diese Empfindung beschloß sie, es einfach zu akzeptieren. Sie hatte ihre hehren Ziele spätestens in dieser Goblinhöhle gegen die Notwendigkeiten der Realität eingetauscht; vielleicht auch schon viel früher: Schließlich hatte sie sich bei den ungezählten vorangegangenen Gobbojagden niemals darüber Gedanken gemacht, daß die Kreaturen mehr sein könnten als Schädlinge...
An diesem Punkt waren Erynn ihre eigenen Gedanken zu dumm geworden. Sie war doch keine Philosophin oder Schriftgelehrte. Einfache Lösungen für einfache Probleme. Das war ihre Welt, und so sollte es auch bleiben, beschloß sie.

Mittlerweile langweilte die Elfin sich fürchterlich. Die Auftragslage für die Gilde war nach wie vor mau, und die Beschaulichkeit, die Skingrad trotz der Obliviontore in festem Griff hielt, ging ihr zusehends auf die Nerven.
Während sie ihre Schritte nach einem Rundgang durch die Stadt zurück zum Gildenhaus lenkte, überlegte sie, ob sie nicht eine kleine Reise unternehmen sollte. Vielleicht nach Anvil. Möglicherweise gab es in der Gilde dort mehr zu tun.
Sie betrat die Eingangshalle und grüßte drei rothwardonische Söldner, die ihr gänzlich unbekannt waren. Scheinbar waren sie auf der Durchreise, und vermutlich ebenso auf der Suche nach etwas Nützlichem zu tun wie sie selbst, dachte sie entmutigt.

Sie schlich in den Speisesaal, unschlüssig, was sie jetzt mit sich anfangen sollte. Dort traf sie auf Parwen, die konzentriert in einigen Papieren blätterte. Im Gegensatz zu Erynn war der Waldelfin fast nie langweilig: Als Ausbilderin hatte sie trotz der Flaute, die sich seit dem Auftauchen der Blackwood Company in der Kriegergilde unschön bemerkbar machte, stets genug zu tun. Die andere blickte kurz auf, als die Dunmerin den Raum betrat. „Ah-Malz sucht dich. Er ist oben.“ „In Ordnung. Ich werde ihn sofort aufsuchen“, antwortete Erynn und wandte sich zum Gehen. Was hab ich denn jetzt wieder angestellt?

Sie fand den Argonier in seinem Büro. Er hielt ihr einen Brief unter die Nase. „Gut, daß du da bist. Lies das.“ Erynn nahm das Schreiben und überflog es. Kabeyona Arino... nie gehört. Könnte rothwardonisch sein, aber sicher bin ich mir nicht.
Sie ließ das Papier sinken. „Ganz schön geheimnistuerisch... ein Treffen auf dem Friedhof.“ Sie grinste schief. „Was hältst du davon?“
Der Gildenleiter sortierte seine langen Beine unter dem Schreibtisch. „Ich finde es auch ein wenig seltsam. Tja, der Adel und seine Marotten.... jedenfalls schließe ich aus dem Geschriebenen, daß es sich um einen Adligen handelt. Dazu das Versprechen, für neue Ausrüstung der Gilde aufzukommen. Der Typ scheint wirklich verzweifelt zu sein, oder da ist noch etwas anderes im Busche. Letztendlich mußt du entscheiden, was du tun willst.“
Erynn warf noch einen Blick auf den Brief. „Ich werde gehen“, entschied sie. „Hier steht, daß ich auch noch jemanden zu dem Treffen mitbringen kann, wenn ich will. Daher glaube ich nicht, daß es sich um eine Falle handelt.“ Sie schaute in Ah-Malz’ zweifelndes Gesicht und lächelte. „Mach dir keine Sorgen. Ich werde vorsichtig sein. Wenn mir nicht gefällt, was dieser Bote zu sagen hat, kann ich immer noch ablehnen.“
„Gut“, antwortete der Argonier mit einem Kopfnicken. „Ich muß auch zugeben, daß uns neue Ausrüstung ganz gut tun würde...“ er sah sie scharf an „...aber das behältst du für dich, verstanden? Und wenn sich dieser ‚kleine Schmugglerring’ plötzlich als doch gar nicht so klein herausstellen sollte –zum Beispiel als eine Niederlassung der Camonna Tong oder ähnliches- dann läßt du die Finger davon. Tot würdest du für mich noch mehr Ärger bedeuten als lebendig.“
Erynn hob eine Augenbraue. „Charmant wie immer. Wie versprochen: Ich passe auf.“

Mit diesen Worten wandte sie sich ab und begann, ihre Ausrüstung zusammenzusuchen. Bis zur Abenddämmerung war nicht mehr allzuviel Zeit, und zwei Stunden später sattelte sie Falchion und ritt im flotten Trab auf den Friedhof zu.
Jetzt bin ich ja mal gespannt, dachte sie, als sie schließlich absaß und sich, eine Hand am Schwertgriff, nach dem geheimnisvollen Kontaktmann umsah.