Arranges schien dem Vorhaben nicht abgeneigt zu sein; kein Wunder, hatte sie ihm doch die gesamte Beute versprochen. Erynn hob ihren Bogen auf, und gemeinsam drangen sie in die Stollen vor. Sie waren eng und niedrig, wie Erynn befürchtet hatte. Goblingestank hing in der Luft, bis auf das gelegentliche Tropfen von Wasser war es totenstill. Der Gang öffnete sich zu einer kleinen Höhle, von der zwei weitere Wege wegführten. Sie hielten sich in den Schatten und suchten das Halbdunkel nach verräterischen Bewegungen ab. Als sich nichts rührte, deutete Arranges stumm auf den Gang, der vor ihnen lag. Er führte tiefer unter die Erde, und mehrere Seitenkammern zweigten von ihm ab. Sie schaute in jede einzelne. Leer.
Von dem Stollen aus gelangten sie in eine geräumige Grotte mit hoher Decke, die größtenteils natürlichen Ursprungs zu sein schien. Sie war offenbar von dem Clan als Wohnhöhle benutzt worden. An einer Seite fiel sie in eine Vertiefung ab, die grobe Bearbeitungsspuren erkennen ließ. Sie wurden auf ein Gatter auf der anderen Seite aufmerksam, neben dem ein Goblin zusammengesackt an der Wand lehnte und... schlief? Wie kann das denn sein? Verpennt den ganzen Aufruhr? Vielleicht ist er tot. Die Elfin schaute genauer hin, aber in dem schummrigen Licht war einfach nicht viel mehr als eine Silhouette auszumachen. Leise griff sie nach einem Pfeil. Sicher ist sicher. Auf eine Handbewegung des Kaiserlichen hin hielt sie inne. Im nächsten Augenblick pfiff er schrill. Das Wesen zuckte wie ertappt und rappelte sich auf. Plötzlich leckten Flammen über seine Haut. Mit wildem Gekreisch wälzte es sich auf dem Boden, um die Brände zu ersticken, dann lag es still. Dünne Rauchfahnen kräuselten sich über dem Kadaver.
Erynn verdrehte die Augen. Noch auffälliger ging es wohl nicht. Magier! Sie legte den Pfeil auf die Sehne und sah sich rasch um. „Damit dürftet Ihr jetzt alles aufgescheucht haben, was noch in diesem Nest herumkräucht. Großartig, daß Euch jetzt schon einfällt, daß Ihr einen solchen Zauber beherrscht“, knurrte sie Arranges zu. Er ignorierte ihren Kommentar. Als einigermaßen sicher war, daß trotz des Radaus keine Gobbohorden mehr aus irgendwelchen Löchern stürmen würden, gab er ihr ein Zeichen, ihm zu folgen.
Sie schlichen zu der Vertiefung herüber und blickten hinein. Goblins lagen dort, zehn oder fünfzehn. Alles Weibchen, viele in unterschiedlichen Stadien der Trächtigkeit, einige mit Jungen. Das hatte die Elfin nicht erwartet. Warum auch immer, sie hatte einfach niemals daran gedacht, daß Goblins... Familien... haben könnten? Obwohl... irgendwo mußten sie ja herkommen. Erynn starrte reglos und geschockt auf die Szenerie, die sich vor ihr ausbreitete. Was jetzt? Was sollte sie tun? Sie waren wehrlos, und wirkten in keinster Weise bedrohlich. Eher verängstigt. Hilflos. Schwarze Augen blickten zu ihr hinauf. Augen voller Furcht.

Sie hörte Arranges Stimme, leise, sehr dicht in ihrem Nacken: „Ihr wolltet dieser Plage ein Ende bereiten...“ Die Dunmerin drehte sich zu ihm herum. Wollte er sie vereimern? Aber sein Gesicht war ausdruckslos, fast kalt. Sie hob den Bogen, um auf die Kreaturen unter ihnen anzulegen. Ließ ihn wieder sinken. Schloß die Augen. Lehnte sich an einen Stalagmiten. Atmete ein. Zitternd. Atmete aus. Das kann ich nicht. Auf keinen Fall. Ein weiterer Atemzug. Aber aus den Jungen werden Krieger, die wiederum Mensch und Mer angreifen und nur Ärger machen werden. Die Mütter werden in ihnen den Haß auf jene zum Kochen bringen, die ihre Väter getötet haben. Uns. Noch einmal hob sie den Bogen, brachte es aber nicht über sich, auf die Weibchen und Jungen anzulegen. Wieder schloß sie die Augen Ich kann das nicht tun. Ich bin eine Kriegerin. Ich schlachte keine wehrlosen Schwangeren ab. Schwangere. Da war es, das Wort, das sie zu vermeiden versucht hatte. Schwanger, nicht ‚trächtig’, wie ein beliebiges Tier. Sie versuchte, sich an das Gefühl zu erinnern, das nach dem Kampf vor dem Höhleneingang Besitz von ihr ergriffen hatte. Es wirkte plötzlich nicht mehr so euphorisierend, sondern vielmehr primitiv und barbarisch. Mit etwas Glück werdet Ihr Euch niemals an das Töten gewöhnen, schossen ihr Tadroses Worte durch den Kopf. Glück?, sagte eine kleine, gemeine Stimme in ihrem Kopf. Du wolltest dir einen Namen machen, wolltest es zuende bringen, weiß du noch? Wer wird es jemals erfahren? Arranges? Wer ist er schon? Ein dahergelaufener Streuner. Du bist ein angesehenes Mitglied der Kriegergile. Deinen Namen wird man nennen, wenn man von der Beseitigung der Goblinplage von Skingrad spricht, nicht seinen. Hebe deinen Bogen. Vernichte sie. Ein für allemal!
Sie wandte sich zu dem Kaiserlichen um und sah ihn flehend an. „Könntet... könntet ihr nicht einen von Euren Dremora dort hinunterschicken und ihn das erledigen lassen?
Feigling...

Arranges hatte ja mit einer zögernden Reaktion gerechnet, aber das, was er jetzt bei Erynn beobachtete, war ihm dann doch eine Spur zu dumm. Ja wirklich, er kam sich ein wenig dämlich vor, zeigte dies aber nicht. Die Dunmer schien jeden Moment einen Schwächeanfall erleiden zu müssen, so schockiert war sie von seiner Aufforderung. Unweigerlich langte er sich mit der Hand an die Stirn und brachte so seine Gedanken teilweise zum Ausdruck, auch wenn Erynn im Moment wohl kaum Notiz davon nahm. Jetzt mal ehrlich, was habe ich hier vor mir? Eine Kriegerin oder eine gefühlstrunkene Heultante?

Völlig ungerührt stand er vor ihr und schwieg sie an, als sie ihm in die Augen blickte und ihn bat, dass er sich doch um die Brutmütter der Goblins kümmern könnte. Arranges war eigentlich jemand, der einen Kampf so abfertigte, dass er eine gewisse Garantie hatte, dass sein Wiedersacher nie wieder eine Waffe gegen ihn erheben würde - meistens verstand Arranges unter dieser Garantie eben den Tod seines Gegners. Das Problem, welches der Kaiserliche hatte, war eher, dass er einem sterbenden Gegner, welcher ihm sowieso schon unterlegen war, nochmal so schwer zusetzte, wie während des Kampfes... ein Überbleibsel, eine normalerweise unerwünschte Nebenwirkung des Kaltblutrituals. Aber das hier hatte mit einem Kampf nichts mehr zu tun. Und so hatte Arranges immer das Problem, wenn er einem absolut unterlegenen Gegner gegenübertrat, dass er dies in einem Massaker enden ließ, so selten das auch vorkam.

Der Kaiserliche sah in die flehenden Blutaugen der Dunkelelfe. Er hob seine Hand und tippte sich mit dem Zeigefinger an die Stirn, so als wollte er fragen, warum er das jetzt erledigen sollte oder was er davon für einen Vorteil hätte, aber seine Gedanken waren andere. Ein Grinsen zeichnete sich auf seinem Gesicht ab, während er die Hand wieder sinken ließ. Es war aber kein nettes, freundschaftliches Grinsen, es hatte etwas teuflisches an sich. Seine sonst so starren Augen wurden zu tiefen Höhlen, welche weit hinter seine Stirn blicken ließen, sie schrien der Dunmer fast schon entgegen, was sich hinter der Kulisse des normalen Kaiserlichen verbarg. Arranges wandte sich von der Dunmer ab und schaute nach unten. 'Ich... könnte das für euch erledigen... aber ich verlange etwas dafür... Egal was ihr jetzt seht, es wird unser kleines Geheimnis bleiben, sonst könnte es sein, dass euch etwas schlimmeres wiederfährt, als es gleich diese in wenigen Augenblicken bemitleidenswerten Geschöpfe treffen wird...' Er sah wieder zu Erynn, seine Augen funkelten. Goblins zermalmen... das wird eine sehr schöne Abwechlung sein... Arranges schloss kurz die Augen und für einen Moment trat ein konzentrierter Ausdruck auf sein Gesicht, welcher das Grinsen verdrängte. Wenige Sekunden später begann die ganze Höhle rötlich zu leuchten, das Licht schien von überall und niergends zu kommen. Eine rote Kaskade manifestierte sich neben Arranges, ein tiefes Knurren war zu hören, dann trat ein Daedroth aus der Wolke. Das Licht nahm wieder ab und so plötzlich wie der Spuk begonnen hatte, war er auch wieder vorrüber. Nur das Daedroth war geblieben. Ein wahres Prachtexemplar, ein Monster, wie es Arranges nur selten an Nirn binden konnte. Mit den Augen eines Künstlers, der gerade ein Meisterwerk vollendet hatte, sah Arranges auf und blickte ihn die abgrundtief bösartigen Schlitzaugen der Kreatur. Nun geh und vernichte unsere Feinde! Wieder war ein kehliges Brummeln zu hören, dann trat das Ungeheur schwerfällig an den Rand zur Grube und sah hinunter. Mit einem Satz war das Monstrum unten angekommen und hatte gut gezielt, es zerquetschte direkt ein Goblinweibchen unter sich. Das Brabbeln der anderen wandelte sich in ein Kreischen und Wimmern, aber die Biester waren dem Daedra schutzlos ausgeliefert.

Arranges sah jetzt mit stählernem Blick nach unten und verfolgte das Tun des Monstrums. Das Daedroth schlug, trampelte und schnappte nach allem, was kreischte und nach Goblin aussah, aber nicht nur das, es riss auch einigen der Brutmütter Kopf, Arme oder Beine ab und schleuderte sie gegen die Felsen. Das Massaker dauerte nicht wirklich lange und von den Goblins war nicht mehr als ein dunkelroter Fleischbrei und Knochen übrig. Das Kreischen und Wimmern erstarb und schlussendlich war nur noch eine Brutmutter übrig, sie lag in einem Eck und stand wohl nur noch wenige Tage vor der Geburt. Das Daedroth kam langsam auf die aufgeblähte Kreatur zu. Das Goblinweibchen, nicht in der Lage sich zu wehren oder zu fliehen, kreischte einfach lauthals. Das Kreischen hielt allerdings nicht sehr lange, denn schon hatte das Daedroth seine Klaue um den Hals der Kreatur gelegt und drückte dezent so lange zu, bis das Goblinweibchen nicht mehr kreischen konnte.

Erynn wandte sich schon bald von dem grausigen Schauspiel ab. Die dazugehörenden Geräusche reichten ihr völlig aus, um sich ein Bild zu machen. Kein Wunder, daß du nicht willst, daß das jemand erfährt, du kranker Irrer. Nächste Lektion, Erynn: In Zukunft machst du sowas selbst, wenn du etwas unbedingt zu Ende bringen willst. Und spuck nicht mehr so große Töne...

Das Daedroth ließ die Überreste des Goblins in seinen Klauen fallen und drehte sich zu Arranges herum um auf weitere Anweisungen zu warten. Der Nekromant, welcher die ganze Szenerie mit ausdruckloser Miene mitverfolgt hatte, bewegte seine Lippen kaum merklich, dann verging die Gestalt des Daedras in einem leichten, imaginären Windhauch. 'Das wars, gehen wir.' Sagte der Kaiserliche und wandte sich Richtung Ausgang.

Sie folgte Arranges aus der Höhle, froh, den schmalen Gängen und dieser letzten, unschönen Szene entkommen zu können. Nein, sie würde gewiß niemandem davon erzählen. Dafür schämte sie sich viel zu sehr. Was denn, meldete sich die bösartige Stimme in ihrem Kopf wieder, hat die strahlende Rüstung der Gildenkriegerin einen häßlichen Fleck bekommen? Willkommen in der Wirklichkeit. Erynn schüttelte den Kopf, um ihre Gedanken zu klären. Es gab keinen anderen Weg, die Plage endgültig zu beenden. Das ist mir auch klar. Aber man hätte es... sauberer erledigen können.
Sie gab ihrer Stimme einen betont gleichgültigen Klang, als sie den Kaiserlichen noch einmal ansprach: „Vergeßt nicht, Eure Beute einzusammeln.“ Nein, vor diesem Kerl würde sie sich ganz sicher keine Blöße mehr geben.