Nebelschwaden umhüllten den knochigen Körper, der sich langsam auf dem Rücken eines schwarzen Pferdes durch den Wald begab. Auch die Robe des Fremden war in ein schlichtes Schwarz getaucht, lediglich ein Schwert vor einem Auge als Zeichen seiner Ordensangehörigkeit stachen für den geneigten Betrachter voraus. Seine Augen waren nur auf ein Ziel gerichtet, den Westen des ihm bekannten Landes. Schon bald würde er ein Schiff nehmen, um an einer gefährlichen Expedition teilzunehmen. Vielleicht würde er dann endlich die Antwort auf die quälende Frage finden, wer die Verantwortlichen für das Schicksal seiner Familie waren. Bisher wusste er nur den Namen der Organisation. Sie nannte sich „Blüte des Chaos“, aber anscheinend gab es niemanden, der ihm bei seiner Suche helfen konnte. Niemand, aber auch wirklich niemand wusste, um was es sich bei der Blüte genau handelte. Die Gestalt seufzte auf. Würde seine Suche jemals ein Ende finden? Mittlerweile zweifelte er wirklich daran.

Plötzlich stockte sein Pferd. Es schien, als ob ein eisiger Schauer seinen gesamten Rücken hochfuhr. Die Gestalt blickte sich um. Seine Sinne und sein Instinkt verrieten ihm, dass irgendetwas hier ganz und gar nicht stimmte. Er blickte sich um. Überall um ihn herum konnten sich Spuren von langsam verrottenden Zelten finden lassen, vor denen noch schwer bewaffnete Söldner lagen. Irgendetwas stimmte hier ganz und gar nicht, zumal die Söldner eindeutige Zeichen von Bissspuren aufwiesen. Was auch immer ihnen diese Wunden zugefügt hatte, es musste definitiv über eine gewaltige Kraft verfügen, die nicht von dieser Welt war. Der Reiter erschauerte. Es war gefährlich an diesem Ort zu bleiben. Langsam fuhr seine Hand an die Klinge, die sich an seiner Seite befand. Hoffentlich würde er sie nicht benutzen müssen, aber wenn es der Fall sein sollte, so wäre er bereit.
Schnell gab er seinem Pferd die Sporen und ritt weiter. Der Wald schien mit jedem Meter, den er voranschritt düsterer zu werden. Leichte Schauer breiteten sich jetzt auch auf dem Rücken des Reiters aus. Irgendetwas stimmte hier definitiv nicht. Während er sich noch in Gedanken befand, endete der Wald abrupt und der Reiter fand sich auf einer Art Dorfplatz wieder. So weit man dabei noch von einem Dorf sprechen konnte. Die Hütten waren zerfallen und es lag eine bedrohliche Stille über dem Ort. Nicht einmal einen Vogel konnte man hier hören. Dennoch war dieses Dorf eindeutig von Menschenhand geschaffen worden. Der Reiter setzte ab. Langsam schritt er voran und erhob seine Stimme: „Mein Name ist Thomas von Phiorus, Inquisitor und Hoher Richter. Wenn hier irgendwer leben sollte, so möge er sich jetzt melden.“ Aber Thomas sollte keine Antwort erhalten, außer der Stille, die über dem Dorf lag.

Der Inqusitor zog sich die Kapuze aus dem Gesicht. Wenigstens sein Anlitz schien in diese unwirtliche Gegend zu passen, sah er doch mehr aus wie ein lebender Toter als wie ein menschliches Wesen. Sein Gesicht glich mehr dem eines Geiers und seine Augen waren dunkel unterlegt. Zumindest für den Laien musste dies in Verbindung mit seiner hageren Gestalt sehr erschreckend wirken und so manches Mal hatte sie ihre Wirkung nicht verfehlt. Langsam schritt Thomas voran. In diesem Dorf schien es wahrlich kein Leben mehr zu geben. Nicht ein Lebenszeichen ging von ihm aus. In Gedanken versunken schritt er voran, bis er plötzlich über einen kleinen aber harten Gegenstand stolperte. Verärgert suchte er das Objekt, dass ihn fast zu Fall gebracht hatte und entdeckte ein kleines Buch. Behutsam hob Thomas es auf. Womöglich konnte das kleine Buch ihm ja die Informationen liefern, die er über diesen Ort benötigte.
Thomas sollte nicht enttäuscht werden. Es enthielt nämlich die Aufzeichnungen eines gewissen Nicolo de Beauvais, seines Zeichens ein Hexenjäger und Laienbrüder. Mit höchstem Interesse blätterte Thomas die Seiten durch, bis er sich ein Gesamtbild machen konnte. Mit einem Schlag wusste er, was hier vorgefallen war. Düsterwald, so der Name des kleinen Dorfes, war von einer Horde Werwölfe, einer der größten Geißeln Gottes, überrannt worden. Anscheinend hatten sich die Dorfbewohner nach allen Kräften gegen die bevorstehende Vernichtung gestellt, doch am Ende waren sie, wie es aussah, den Wölfen unterlegen gewesen. „Ein wahrlich hartes Schicksal“, entfuhr es Thomas. Doch er wusste auch, dass er an diesem Ort besser nicht länger als nötig verweilen sollte. Womöglich war die Gefahr zwar weitergezogen, vielleicht lebten die Bestien aber auch noch in dieser Gegend und warteten nur darauf, einen Leckerbissen wie ihn in die Finger zu bekommen.

Thomas begab sich zurück zu seinem Pferd und ritt zurück in die Richtung des Waldes. Als er den Rand erreichte, stieg er noch einmal ab und blickte auf das Dorf zurück. Womöglich war die Gefahr gebannt, vielleicht bestand sie aber auch weiter. Thomas konnte kein Risiko eingehen. Er griff in die Satteltasche und holte ein Stück rote Kreide heraus. Langsam begann er damit die mächtigen Symbole seines Ordens auf den Boden zu zeichnen. Als er sein Werk vollbracht hatte, sprach er die entscheidende Formel: „Durch diese Zeichen sollst du auf alle Ewigkeit verflucht sein, Düsterwald. Kein sterblicher Fuß soll dich betreten und keine Kreatur dich je wieder verlassen.

Es dauerte nicht lange, bis die Zeichen ihre Kraft entfalteten. Der Nebel zog auffallend in Richtung des Dorfes und verfärbte sich warnend rötlich. Thomas wusste, dass er Düsterwald der Verdammnis preisgegeben hatte, aber ihm blieb keine andere Wahl. Die Werwölfe dürften niemals wieder eine Gefahr für die Menschheit werden. Was bedeutete da schon das Schicksal eines einzelnen Dorfes, zumal es ja eh schon nur noch eine geisterhafte Erscheinung war. Noch einmal blickte sich Thomas um. Der Nebel war mittlerweile so dicht und bedrohlich, dass kein Mensch es jemals wagen würde, Düsterwald wieder zu betreten. Langsam schritt Thomas wieder zu seinem Pferd und ritt davon. Vor ihm lagen größere Aufgaben, die es nun zu erfüllen galt. Düsterwald war nicht mehr als eine Randnotiz in Anbetracht der kommenden Ereignisse.

-Ende-