Laurenz ging zum letzten mal den Weg zu seinem Lager. So nah war er seinem Ziel gekommen, und jetzt sollte es vorbei sein. (All die getroffenen Vorkehrungen, sind sie am Ende gar nicht nötig gewesen…?) Er baute die auf dem Weg gelegten Fallen ab, durchtrennte die Netze und Fallstricke, auf dass sich keine wilden Tiere in ihnen verfangen könnten, bis er sich zu seiner Schlafstätte vorgearbeitet hatte. (Wenn ich auf dieser Mission schon mein Leben lassen müsste), dachte er sich, (warum dann nicht hier? Im Kampf?) Und wahrlich, er wäre auf eine solche Schlacht vorbereitet gewesen. Selbst, wenn er aus ihr vielleicht nicht siegreich hervorgegangen wäre. Nun aber blieb ihm nichts, als seine Sachen zusammen zu räumen. Die wichtigsten davon lud er seinem Pferd auf, während er den Rest auf einer Lichtung verbrennen würde.
Nach getaner Arbeit ritt Laurenz auf Kampfers Rücken zum Dorfplatz.

Die Reihen hatten sich gelichtet. Vier Männer waren am vorigen Tag gestorben. Jetzt blieben nur noch Isabella, Roland und Avery. Und er selbst, Laurenz. Auch die anderen Dorfbewohner hatten sich weitgehend zurückgezogen. Einige ahnten vielleicht, was der heutige Abend für sie bedeuten würde.

Laurenz stieg von Kampfer ab und ging die letzten Schritte zum Dorfplatz.
"'Schlachtplatz' solltet Ihr diesen Ort nennen, so viel Blut wie hier unnötig vergossen worden ist…"
Vorwurfsvoll blickte er auf die Verbliebenen.

"Ich will heute mit einer unschönen Tradition brechen. Zu viel wurde die letzten Tage unnütz geredet. Auch von mir. Aber besonders von Bestien in Menschengestalt, die sich nicht mit ihrem Schicksal abfinden konnten. Die sich für ihre Taten rechtfertigen wollten. Lester, Lilith, Andreas… Und ja, auch Euer Godfrey, Isabella. Am Ende waren sie nur feige Kreaturen. Verräter, die ihr wahres Gesicht hinter einer Maske versteckten."
Gebieterisch trat er hervor.
"Auch ich trug eine Maske!"
Laurenz setzte seinen Helm ab und riss sich sein falsches Haar vom Kopf. Mit dem Wasser aus einer Trinkflasche wusch er sich die Schminke aus seinem Gesicht. Unter der Fassade offenbarte sich ein junger Mann mit kurzem, hellblonden Haar. Der bronzene Hautton Laurenz' war einer weit blasseren Farbe gewichen. Nein, er war nicht der Laurenz, der vor einer guten Woche ins Dorf gekommen war. Vor ihnen stand Lachesis.
"Ich trug eine Maske, aber unter ihr blieb ich immer ein Mensch!"

Lachesis griff in seine Gürteltasche, in der sich eine weitere Flasche befand. Jene, welche in der Kassette bei Dirans Leiche gefunden wurde.
"Dieser Trunk stammt aus Dirans Villa. Ich war mir nicht sicher, um was es sich handelte. Klar und geruchlos, aber auch stark brennbar. Ich wollte die Wirkung an Winfried erproben, doch jemand hatte bereits ein Gift in seinen Wein geschüttet. Inzwischen weiß ich, dass es sich um ein Schlafmittel handelt. Wer ihn trinkt, fällt kurz darauf in tiefe Ohnmacht. In diesem Zustand spürt der Körper keinerlei Schmerz."
Lachesis atmete tief ein.
Diran muss davon getrunken haben, bevor er sein Haus anzündete. Niemand lässt freiwillig die Qualen eines Feuertods über sich ergehen."
Lachesis öffnete die Flasche und nahm einen tiefen Schluck.
Es braucht seine Zeit, bis die Wirkung einsetzt. Danach könntet Ihr mit mir machen, was Ihr wollt. Aber bedenkt meine Worte: Erreicht mein Körper die Stadt nicht, oder wird er von Euch geschändet, dann Gnade Euch Gott."

Urplötzlich riss Lachesis seine Armbrust vom Rücken und zielte auf Isabellas Brust. Lauthals schrie er ihnen zu:
"Eine letzte Botschaft von Laurenz Eibisch!"
Er zog die Armbrust hoch und betätigte den Hebel. Der Bolzen zischte auf Isabella zu, ein Klickgeräusch, und der nächste Bolzen war schussbereit. Ein weiterer Bolzen löste sich. Und ein dritter. Innerhalb von vier Sekunden hatte Lachesis vier Bolzen verschossen, woraufhin er seine Armbrust wieder auf den Rücken schlang.
Das erste Projektil traf Isabellas Spitzhut und hinterließ zwei weitere Löcher. Rolands Kopf wurde vom zweiten Bolzen gestriffen, und auch ihm wurde der Hut vom Kopf gerissen. Der dritte Bolzen verfing sich in einer dieser seltsamen… Haar-Antennen (?), die Averys… Frisur (?) ausmachten. Keiner von ihnen schien in diesem Augenblick zu bemerken, dass Lachesis mit einem vierten Bolzen auf die Tafel geschossen hatte, auf der die Stimmen abgegeben wurden. Mit welchen die letzten Tage jeweils ein Verdächtiger bestimmt wurde, den man dann ans Messer liefern würde.

Dieser sackte nun in sich zusammen. Mit schwerer Stimme äußerte Lachesis das, was seine letzten Worte werden sollten.
"Die Wirkung scheint einzusetzen… Hoffentlich… werde ich Euch bald… wiedersehen… Aisa… meine A… isa"
Um Lachesis herum wurde es schwarz. Er war nicht länger Herr seiner Sinne.

~*~

Um den Bolzen, der sich in der Abstimmtafel verfangen hatte, war ein Zettel aufgewickelt: