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Neuling
Kapitel 2: Fließendes Blut
Vor ein paar Stunden ist er angekommen und brauchte einige Zeit um sich zurechtzufinden. Nicht jede Großstadt ist wie die andere und doch fällt er hier wenigstens nicht auf. Einmal machte er den Fehler und versuchte sich in einem asiatischen Land niederzulassen, doch dort stach er heraus wie eine Leuchtkugel in einer tiefschwarzen Nacht.
Hier passt er hin, wirkt wie ein Tourist, ein Globetrotter. Vollgepackt mit allem, was ihm noch wichtig war in einem riesigen Rucksack, läuft er durch die Straßen, erblickt Werbebanner, die er nicht versteht und dessen plakatative Wirkung er nur erahnen kann, sieht Läden, deren Überschrift er nicht versteht und auch ein Blick in das Innere verrät ihm nur selten, was man in diesem Geschäft erstehen kann.
Nach einer Weile kommt er an seinem Ziel an. Gamla Stan. Die Altstadt. Er läuft über die Västerlånggatan und blickt in die unzähligen Restaurants und Souvenirläden und bleibt vor einem Geschäft stehen in dessen Schaufenster einige Fernsehgeräte ausgestellt sind. Auf einem laufen Nachrichten, auf dem anderen sieht man ein Fußballspiel, aber ein Bildschirm erregt besonders seine Aufmerksamkeit. Ein bärtiger Mann starrt ihn mit eindringlichem Blick an, direkt in die Augen und es dauert einen Moment, bis er sich selbst erkennt. Ein älteres Bild, einige Monate alt, bevor er eine radikale Rasur vornahm und sich von seinen längeren Haaren und seinem Bart trennte, aber die Merkmale sind unverkennbar. Plötzlich starrt ihn das Gesicht von jedem Bildschirm an, dann blendet das Bild aus und er sieht auf den Bildschirmen nun einen Mann aus der Vogelperspektive von schräg oben auf ein Schaufenster starren. Der Mann trägt nicht nur ebenfalls einen Rucksack... er erkennt sich selbst. Langsam dreht er sich um, sieht aus dem Augenwinkel seine eigene Bewegung und sucht dann die gegenüberliegenden Häuser nach dem Kameraobjektiv ab. Nur Augenblicke vergehen, doch sie kommen ihm vor wie Stunden. Dann bemerkt er, wie sich ein Vorhang bewegt. Der Feind... will er ihn holen? Will er fliehen?
Seine Entscheidung ist gefallen, er kann sich diesem Kampf nicht stellen, also sprintet er los, rennt die Västerlånggatan herunter. Am Järntorget blickt er noch einmal zurück, sieht nichts, aber die Panik sitzt ihm im Nacken. Er sprintet über die Straße und sieht den PKW zu spät, der ihm in die Beine fährt. Er prallt mit dem Gesicht hart auf den Steinboden und sieht als letztes, bevor er sein Bewusstsein verliert, wie sich sein Blut auf dem Asphalt verteilt und ein weißer Stiefel in die Lache tritt.
Geändert von Eschatologe (25.09.2010 um 08:17 Uhr)
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