Godfrey spürte, wie der Speer seine Lederrüstung durchschnitt, die scharfe Spitze in seine Brust eindrang und den Weg durch seine Rippenbögen fand, er spürte das heiße Blut auf seiner Haut herabrinnen und das letzte, das er hörte, bevor das Rauschen überhand nahm und er kraftlos mit dem Kopf in die feuchte Erde sank, war der gellende Schrei Isabellas…

Er hatte die Jagd fast vollendet, er hatte den Dieb gestellt, wegen dem er ausgepeitscht wurde. Es roch betörend nach Harz und modriger Waldluft, die Sonne ließ unschuldig ihre Strahlen auf dem Boden tanzen und die Lichtflecken schienen ihm den Weg zu weisen. Er zog seinen Dolch aus der Scheide und näherte sich dem Busch in welchen er seinen Speer geschleudert hatte, wohl wissend, dass der Dieb sich dahinter verbarg.
Und dann sah er ihn. Feuerrote Mähne, blutbespritzt umkränzten ein bleiches Gesicht, in welchem der Schmerz stand. Der Speer hatte sich in die Schulter Yolandas gebohrt und schwer atmend saß sie an einen Baum gelehnt und voll Mitleid blickte sie ihn an, da augenscheinlich tiefste Verwirrung auf der verletzten Miene zu sehen war. „Yolanda…“ entfuhr es dem jungen Godfrey tonlos und er schluckte schwer, atemlos den Namen seiner Geliebten auf der Zunge führend, unfähig sich zu rühren. „Ja, Godfrey, mein Geliebter, ich bin es.“, flüsterte sie mit matter Stimme. „Hast…du…?“ Er blinzelte sie verwirrt an, seine Augen schimmerten feucht.
„Ich musste es tun…“, flüsterte sie leise, während ein Faden von Blut aus ihrem Mundwinkel lief. „Dein Herr hätte sonst zuviele der Meinen getötet.“ Sie schluchzte leise, während die Schweißperlen über seinen Rücken liefen und seine Wunden dort scharf brennen und bluten ließen, Wunden, die bei der Jagd wieder aufgebrochen waren.
„Und wir…?“ keuchte Godfrey verzweifelt, während die rothaarige wunderschöne Frau noch bleicher wurde und ihre Hand kraftlos herabfiel von dem Speerschaft, den sie umklammert gehalten hatte. „Du warst einfach zu erobern, junger Mönch und du warst mein Tor in das Kloster. Ich wollte dich benutzen, Godfrey…“, wisperte sie leise, dann füllten sich ihre Augen mit Tränen. „..bis ich mich in dich verliebte.“, fügte sie zitternd vor Schmerz hinzu, während Godfreys Herz sich mit Wut füllte. Heiß wie kochendes Öl fühlten sich seine Tränen an und mörderisch kalte Wut ließ seine Seele taub werden und erfrieren. Er umklammerte den Dolch fester und schritt auf sie zu. Er hörte das knallende Peitschen der Folter, die Enttäuschung im Blick des Inquisitors und des Abts, sein Nacken kribbelte, sein Bauch schmerzte von der Wunde des Verrats, die in seine Eingeweide getrieben wurde.
„Geliebter…ich…“, keuchte sie ängstlich, während er mit Hass im Blick auf sie zutrat und sich dann vor ihr auf die Knie niederließ, ein letztes Mal ihr schönes Gesicht mit seinem Handrücken streichelte.
„Sag mir, warum ich dich hätte leben lassen sollen, schlangengleiche Verräterin.“, zischte er hasserfüllt und rammte ihr den Dolch in die Brust.
„Weil ich dein Kind… unter dem…Herzen trage…“, flüsterte Yolanda mit ersterbender Stimme, während Godfrey wie versteinert neben ihr sitzen blieb, unbewegt eine Stunde lang, den blutgetränkten Dolch in ihrem Leib umklammernd, in die Ferne blickend, während ihre Worte in seinem Kopf nachhallten und er zu spüren schien, das dieser Alptraum ihn noch sein Leben lang begleiten würde…


…und er behielt Recht.

Erschrocken und die Luft scharf einsaugend schlug Godfrey die Augen auf. Es war dunkel und er erkannte eine Zeltbahn. Es roch nach Isabella und Nicolos Suppe. Er erinnerte sich an den Speerstoß Wilhelms und er hörte die Spaniern draußen schluchzen und Nicolo, der beruhigend auf sie einredete und er war froh, das der unerschrockene und stille Franzose sich um sie kümmerte.
„Er wird die Nacht nicht überleben.“, stieß sie gerade heiser hervor, abermals geschüttelt von ihrem Schluchzen. Und Godfrey schluckte schwer, als er sich aufsetzte. Er hatte kaum Schmerzen und er befühlte vorsichtig die Wunde, konnte jedoch nur frische Haut erspüren. Er war genesen… der Fluch war vollendet, er war zum Wolf geworden, er hatte immer gewusst, dass es passieren würde.
Schnell zog er sich an, seine geliebte Hexenjägerrüstung, die ihn schon so viele Jahre begleitet hatte und in welcher er nun zu sterben gedachte. Geschickt schnitt er die Zeltbahn am hinteren Teil des Zeltes auf und er stahl sich in die Nacht davon. Er spürte, dass er sich wieder verwandeln würde, die Nacht stand noch jung am Himmel, der Mond schien verborgen hinter den Wolken, doch er spürte schon die Wolfswut in sich aufsteigen, die kochende Hitze, welche die Adern durchzog und ihn in eine Bestie verwandeln würde. Und er wusste, dass er nur wenig Zeit für sein Vorhaben übrig hatte. Und dann war er endlich war er am See angekommen. Er strahlte eine beruhigende Kühle ab, linderte seinen Seelenschmerz und ließ ihn innehalten, ihn gar auf die Knie fallen und ein letztes Mal beten, inbrünstig und voller Leidenschaft. Dann lud er seine Pistole mit tausendfach geübter Hand und hielt sie sich an den Kopf, wollte abdrücken…


„Selbstmörder kommen in die 'ölle.“, erklang eine Stimme aus Richtung des Dorfes und er sah Nicolo und Isabella zwischen den Bäumen stehen. Der Franzose hatte gesprochen und kam auf ihn zu, keine Waffe tragend und augenscheinlich vollkommen ohne Furcht. „Du hast dein Buch nicht vollendet, mon Ami.“, sprach sein Weggefährte und Godfrey lächelte still. „Dies wird nun deine Aufgabe werden, mein Freund. Ich kann es nicht vollenden, doch wenn es einst geschrieben ist, lass den Titel „Geteilte Loyalitäten“ sein.“ „Also ist es wahr. Du bist ein Wolf.“, seufzte er traurig und fügte hinzu: „Seit wann?“ Godfrey räusperte sich leise, es war ein seltsames Gefühl, noch immer zu leben, wusste er seine Seele doch bereits schon bei den Toten. „Ich habe diesen Wolf fast 2 Jahre lang verfolgt. Über Darmietta, Marrakesch, Leon und dann schließlich bis nach Frankreich. Schließlich konnte ich ihn in seiner Höhle stellen.“ Er blickte die beiden nacheinander aus seinem verbliebenen Auge an. „Wir kämpften auf Leben und Tod und trotzdem überlebten wir beide. Doch hatte die Beste mich gebissen und damit meinen Tod besiegelt.“
Er deutete auf seine linke Schulter und blickte nachdenklich auf den See hinaus.
„Solange ich den Mensch in mir spürte kämpfte ich mit aller Kraft gegen den wölfischen Feind und ich bin sehr glücklich, dass ich noch einige von ihnen zur Strecke bringen konnte. Mir wurde einst prophezeit, dass schöne Frauen Wendepunkte meines Lebens sein würden, deswegen habe ich die letzten drei Jahrzehnte keusch gelebt.“ Er lächelte traurig und blickte Isabella voll Wärme und Zuneigung an. „Doch war es die Liebe zu dir, Isabella, und unsere unvergleichliche und unvergessliche Nacht, die das Biest erweckt hat, der einzige Moment fehlender Selbstkontrolle, ein Moment voll rasender Leidenschaft und glutvoller Liebe. Und obschon er mich gestern zum Biest hat werden lassen, bereue ich keinen Augenblick davon, mehr noch… ich sterbe nun als glücklicher Mann. Entscheidend aber ist: Ich sterbe als Mensch und nicht als Wolf.“
Er lächelte friedlich in sich hinein und blickte weiter auf den See hinaus. „Der wölfische Fluch hat keinen Menschen dieses Dorfes getötet und darob bin ich mehr als stolz. Ich kann nun gehen und darf mich endlich meiner Sünden verantworten. Nach so langer Zeit auf dieser Scheibe, nach so vielen Jagden werde ich nun endlich ruhen dürfen, schlafen, bis man mich gewogen hat. Und ich will nicht hadern oder zaudern, sondern büßen oder lächeln, je nachdem was Gott und HERR für mich bereithält.“
Er schwieg nun und blickte auf den See hinaus, still waren seine Gefährten hinter ihn getreten und hatten sich an seine Seite gesetzt, alle Drei ließen in Gedanken Revue passieren, wie sie sich getroffen hatten und was sie einander gelehrt und geschenkt hatten. Er sah Nicolo und sich wie sie beide Male eine offensichtlich Unschuldige beschützten, sah, wie beide sich trafen und Freunde wurden in Respekt und Ergänzung ihre Fähigkeiten. Er sah den wundervollen Moment vor sich als er Isabella traf und den nicht unkomplizierten Reigen, ehe sie sich einander die Gefühle gestanden und während sie die Verbundenheit spürten, die Gegenwart des Kameraden wahrnahmen, war es, als wäre auch Konrad unter ihnen.
Und als der Mond sich schließlich hinter den Wolken hervortat und sein silbriges Licht glitzernd auf dem See zu sehen war, hatten sie stumm und in Eintracht voneinander Abschied genommen. Sie waren alle Drei Jäger und sie wussten, was zu tun war. Godfrey hätte sich keinen besseren vorstellen können als Nicolo, als dieser endlich abdrückte…
Es war wie ein Traum aus glücklicheren Tagen, er schien zu schwimmen und Wärme durchflutete ihn. Vom See aus sah er seine beiden Gefährten, die auf seinen Leichnam blickten und dahinter einen Schemen, geisterhaft und gütig, seine weißen Schwingen schienen wie ein Schutzmantel für Isabella und Nicolo. Und während seine Seele geborgen wurde, spürte er, das Niemand von den vier Hexenjägern je wieder alleine sein würde.
Und so starb der Mann wie er gelebt hatte. Ohne Tränen.