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Legende
Sie sah das Aufblitzen in dem Gesicht des Alten – Mordlust, anders konnte man es nicht beschreiben. „Schotte oder Spanierin? … Zwei Schatten … einen von euch werde ich mitnehmen...“ Der Körper der Spanierin straffte sich bei diesen Worten, jeder Muskel war durchpeitscht von Adrenalin. Sie war sich sicher das sie es sein würde... der Hauptmann der zu lange gelebt hatte.
Aber sie sollte weiterleben – aber für welchen Preis!
„Nein! Oh Gott, bitte! NEIN!“ Ihre Starre löste sich und sie schnellte an Nicolo vorbei hin zu dem Mann dem sie ihr Leben versprochen hatte. Ihre langen, feingliedrigen Finger pressten verzweifelt auf die Wunde in seiner Brust, während immer mehr Blut seinen Körper verließ. „Zieh den Speer heraus!“, bellte sie Nicolo an, während sie mit blutigen Fingern durch das Haar des Kriegers strich. Der Franzose stand unbewegt neben der Szene und blickte Godfrey ins Gesicht.
Isabella umklammerte verzweifelt den Speerschaft, aber sie hatte nicht die Kraft ihn, durch das Leder hindurch, herauszuziehen, ihr Körper war durch die andauernden Strapazen so geschwächt das sie sich kaum aufrecht halten konnte. Und dann fiel ihr Blick, tränenverschleiert und verzweifelt ebenfalls auf das Gesicht ihres Liebsten. „Und siehe die Wahrheit offenbart sich denen die willens sind sie zu sehen.“
Seine ruhigen, vernarbten Züge veränderten sich unter ihren Blicken. Sein Körper schien sich unter dem Blutverlust noch seiner letzten Reserven zu bedienen und bäumte sich auf, schien zu wachsen und obwohl es immer noch er war, war er es nicht mehr. An seiner Stelle lag ein mit Narben übersähtes Tier mit einer Wunde auf der silbernen Brust aus der stetig Blut das Fell benetzte. In seinem verblieben Auge schimmerte der Mond in der goldenen Iris wieder.
Isabellas Hände fielen herab vom Speer, den sie umklammert gehalten hatte und sie fiel mit offenem Mund und starrenden Augen auf die Knie, während die Tränen von ihrem Gesicht zu Boden fielen.
Es fing an zu regnen und unter ihre Knie versanken im Schlamm als sie reglos an seiner Seite hockte, unfähig irgendetwas zu tun. Dann drängten die Siegesrufe der übrigen Dorfbewohner an sie heran. Rufe, unter denen sie nur eines heraushörte „Noch eine Bestie ist tot!“ Aber er lebte noch... wand sich unter Schmerzen...
Ihre verhangenen Augen suchten Halt in dem Mob der sich um sie gebildet hatte. Fratzen, von denen sie nichts menschliches ablesen konnte. Blutlust. Mordlust. Siegestrunkenheit.
Ihr Blick fiel auf den einen der unbeweglich dastand, mit einem reglosen Gesicht das Godfrey alle Ehre gemacht hätte und auf den Jungen dessen bewundernde Leidenschaft zu der Bäckerin sie bisher nicht nachvollziehen konnte. Doch nun war er eine verwandte Seele, ebenso wie Nadeschka es gewesen wäre... die Geliebte eines Biests.
Avery und Nicolo halfen ihr auf und dann brachten sie den Verwundeten in sein Zelt.
~*~
Godfrey hatte sich zurückverwandelt, während sie bei ihm gesessen hatte. Er lag ruhig da, leichenblass unter den Narben die sein Gesicht zerschnitten. Im Licht des Mondes sah er schon aus wie ein Toter. Die Verletzung an seiner Schulter, die ihr am Morgen nicht weiter aufgefallen war, wies inzwischen rötliche Verfärbungen auf. Die verfärbten Venen pochten heiß unter ihrer Hand. Sie wendete jegliche Kunst auf die sie konnte, aber sie würde den Fluch nicht brechen können. Und sie wusste das der stolze Krieger so nicht weiterleben würde.
Sie verließ das Zelt um seinen Träumen zu entkommen. Draussen hörten sie am Feuer sitzend immer noch seine unterdrückten, dumpfen aber verzweifelten Schreie, die er unter Schmerzen und Alpträumen herausknurrte. Wortfetzen und immer wieder ein Name – Yolanda.
Er war so weit fort von ihnen wie er es noch nie gewesen war. Obwohl er noch lebte, obwohl er nur schwerverletzt auf seiner Lagerstatt lag, wünschte sich die Hexenjägerin nichts mehr als seine Schmerzen zu beenden. Er war niemals verzweifelt gewesen, er war niemals schwach gewesen. Ihn jetzt so zu sehen... seine Wunden berührt zu haben...
„Er wird die Nacht nicht überleben.“, murmelte sie dem Franzosen zu. Nicht die Wunden würden ihn richten, die hatten sich bereits geschlossen. Aber sein Stolz würde ihn umbringen.
Nur ein Käuzchen schrie in der Ferne, ansonsten lag die Nacht still da. Sie wollte grade anheben etwas zu sagen als ihr Kamerad die Finger an die Lippen legte und ihr gebot still zu sein. Er erhob sich und lief pfeilschnell in die Nacht davon. Sie fluchte leise und schnappte sich ihre Waffe, dann huschte sie hinter ihm her. Er musste etwas gehört haben...
An einem spiegelglatten See angekommen sah sie zwei Schemen an dessen Ufer. Es waren ihre beiden Kameraden... ansonsten war niemand hier.
Barfuss lief sie auf die beiden Männer zu, eben als sie beinahe so nahe bei ihm stand, das sein Duft sich mit ihrem vermischte richtete er das Wort an sie und lächelte sie an mit einem Blick der jeglichen Rest ihrer bisherigen Frostigkeit zerschmelzen ließ. Sie wusste warum sie diesen Mann liebte, doch zuletzt war sie ihm zum Verhängnis geworden, wie sie aus seinen Worten heraushören konnte.
Eine Prophezeihung... daher seine Zurückhaltung. Und sie hatte schon Angst gehabt das seine Leidenschaft bloß durch die Anwesenheit des Biests in ihm ausgelöst worden war. Aber er bereute nichts... Gott sei Dank. Denn sie bereute es ebenfalls nicht.
Sie saßen eine Weile eng beieinander, sie zu Godfreys Linken, Nicolo an seiner Rechten Seite. Sie berührte ihn nicht, dennoch fühlte es sich an als ob ihre Gedanken miteinander verwoben waren.
Sie erinnerte sich an seine Worte „entscheidend ist das wir gewonnen haben und dass es uns noch gibt. Als letzte Bastion zwischen Licht und Dunkelheit. Dies soll deine Aufgabe werden, du jagst den Bürgern weniger Angst ein.“ und sie war froh das er diesen Weg beging ohne das sie Schuld traf. Denn wie leicht hätte Wilhelm den Speer gegen sie richten können, wie leicht hätte sie an seinem Platz stehen können...
Sie erinnerte sich an ihre Worte, die ersten Worte der Zuneigung, der Beginn von etwas wahrem und wundervollem: „Ihr wisst das ihr für Nicolo immer schon mehr wart als bloss ein gelehrtes Vorbild; für mich wart ihr ebenfalls mehr – euch zu sehen bedeutet Hoffnung zu haben in der dunkelsten Stunde.“
Und sie erinnerte sich an den Kuss in der Nacht in der es zum ersten Mal Frieden in ihrer Seele gegeben hatte, weil es kein falsch oder richtig gab. Weil sie erkannt hatte das sich hinter einem Mörder auch eine reine Seele verbergen konnte. Und sie erinnerte sich... an ihn, seine Lippen, seine Hände, seinen liebevollen Blick.
Als der Mond hinter den Wolken hervorkam schien es als wäre ein unsichtbares Zeichen auf die Drei gefallen. Nicolo erhob sich, Godfrey kniete sich aufrecht hin. In Isabellas Kopf schwirrten Worte, nun ohne Sinn und ohne Hoffnung zu geben... „Unvergleichlich... unvergesslich...“ dennoch rutschte sie auf dem schlammigen Untergrund neben ihn und ihre kalten, blassen Hände umfingen seine Hände. Sie betete für ihn, damit er den Frieden finden konnte. Damit er vorausging und auf sie wartete. Denn ihren Augen war er immernoch Mensch, nicht Monster. Und niemals etwas anderes gewesen.
Dann durchschlug der Pistolenschuss die Nacht und teilte das weiße vom schwarzen. Der Mann, den sie geliebt hatte, der einzige dem sie ihr Herz wirklich anvertraut hatte, war tot.
~*~
Sie bauten ein kleines Floß, das gerade groß genug war um seinen Körper zu tragen. Dann schichteten sie trockenes Holz das sie aus den Resten von Ewalds Hütte holten um seinen Leib und legten seinen Körper in ein weißes Tuch, auf seine Lider zwei goldene Münzen. Um seine Rechte war immer noch das Tuch geschlungen, die Worte die sie gemalt hatte waren inzwischen schon leicht von seinem Schweiß verwischt. Er hatte es nie abgenommen... ~Unter dem Schatten deiner Flügel habe ich Zuflucht, bis das Unglück vorübergehe.~
Sie griff in ihr Mieder und zog den Brief von ihm heraus, zusammen mit der weißen Rose die er ihr geschenkt hatte. Sie hatte an Konrads Grab auch noch eine der wilden Rosen gepflückt, die so süß dufteten und sie hoffte das dieser Duft ihm ein Trost wäre, wenn er fern von ihr war. Die Rosen bargen mehr als nur den Duft.. sie waren ein Zeichen für ihr ewiges Versprechen und die immerwährende Erinnerung an das Schöne, das sie so kurz genossen hatten. Sie steckte die kleinen, süßduftenden Knospen unter das Tuch, dann küsste sie ihn... ein letztes Mal.
Seinen Mantel hatten sie vorher ausgeleert, das war eine der Lektionen die er ihnen eingeprägt hatte. Nichts wegzuwerfen, was noch nützlich war. Und das letzte Hemd hat keine Taschen...
Sie tränkten das Floß, das Holz und das Tuch mit Schnaps, der schon in ihrer Kehle ordentlich brannte, dann setzten sie es in Brand und schoben es aufs Wasser hinaus.
Von dem Licht angelockt näherten sich die Dorfbewohner. Die wenigen, die noch übrig waren. Isabella erhob die Stimme und sagte Worte die in ihren Augen nichtssagend waren. Aber die Stille konnte sie nicht ertragen.
„Godfrey McCorrought, der von Gott beschützte, der am meisten vom HEERN Geliebte in unseren Reihen. Du warst schwer zu beeindrucken, Hexenjäger, Krieger, geliebter Gefährte. Du warst für uns alle ein Lehrer und ein Vorbild, ein strahlendes Licht in der Düsternis die diesen Ort umwob. Dein Wort wiegte schwerer als das eines einfachen Mannes, da du mehr gesehen hattest als jeder von uns. Dein Wissen wird uns fehlen. Deine Liebe und dein Glaube an das Gute in jedem wird uns fehlen. Deine Zuversicht und deine Hoffnung wird uns fehlen.
Mögest du Frieden finden, fern dieser Gefilde, getrennt von dem Leib der einem Fluch zum Opfer fiel. Mögest du Frieden finden bei unserem HERRN, denn wahrlich, wenn nicht du dich als sein Kind bezeichnen darfst, soll es niemand mehr tun.“
Das rote Samt, das ihren schlanken Körper verhüllte, leuchtete im Schein des allverzehrenden Feuers. Der See vor ihren Augen schien in Flammen zu stehen. Genauso wie ihr Inneres. Sie spürte immer noch seine Hände, die ihren Leib in einer festen Umarmung fest an seinen pressten, bis ihnen beiden keine Luft mehr blieb. Sie spürte immer noch seine Lippen auf ihren, den Geschmack seiner Zunge, die Hitze der Worte, die zärtlich ihr Ohr gestriffen hatten.
Sie spürte seinen Blick auf ihr. Den Moment als er sie zum ersten Mal so ansah wie sie es sich immer von einem Mann, den sie bewundern konnte, gewünscht hatte. Er war der einzige gewesen dessen Blick sie nicht nur ertragen hatte – sie hatte sich förmlich danach gesehnt bei der Jagd von ihm beobachtet zu werden. Sein Lob zu hören. Einen zufriedenen Blick. Seine schwere, warme Hand auf ihrer Schulter.
Sie legte ihre Hand auf das Mieder, unter ihre linke Brust wo sein Brief verborgen war und ein Wort schoss ihr durch den Sinn, „Gemeinsam.“ Lasst uns diesen Kampf gemeinsam bestreiten, Godfrey. Zusammen jagen heißt zusammen leben.
Er war jetzt fort. Und jetzt war sie wieder einsam. Und sie konnte niemandem hier vertrauen, niemandem. Die alte Maske der Kälte und der Arroganz legte sich wieder um ihr Herz und verschloss es. Ihre Hände krallten sich so fest in ihren schäbigen Hut, dass ihre Nägel das Leder durchstießen.
Eine weiße Feder viel vom Himmel herab auf ihre Schulter. „Was...“ es war eine Schwanenfeder, lang, weich und unversehrt. Sie steckte sie vorsichtig vorne in das Band, das Godfreys Hut zierte.
Dann glitten ihre Finger über das silberne Messerchen, das er ihr gegeben hatte. Nadeschkas Messer. Mit geschlossenen Augen klappte sie es auf und mit einem glatten Schnitt trennte sie ihre Haare entschlossen auf kinnhöhe ab und ließ die goldenen Strähnen ins rotleuchtende Wasser fallen. Sie brauchte sie nicht mehr um irgendjemanden zu betören oder um jemandem zu gefallen. Und im Kampf, der ihr bevorstand würden sie sie eh nur stören und ablenken.
„Nicolo, ich denke heute Nacht trennen sich unsere Wege. Ich hoffe das wir mit der Morgensonne dieses verfluchte Dorf verlassen können, weil wir unsere Aufgabe als Jäger erfüllt haben. Wenn das alles hier vorbei ist, werden wir nicht mehr durch die Liebe zu unserem Lehrmeister verbunden sein...“
Sie las die Habseligkeiten ihres Gefährten auf und machte sich bereit um diesen Ort des Schreckens zu verlassen. Zuvor nahm sie jedoch mit einem Lächeln auf die Schusslöcher, die ihr Werk waren, den Hut ihres Lehrmeisters, ihres Weggefährten, ihres Geliebten und setzte ihn auf.
Sie uns Godfrey waren gewesen wie zwei Schatten... der Alte hatte Recht gehabt. „Wenn das alles hier vorbei ist werde ich kein Hexenjäger mehr sein.“ Dann schwieg die Schöne und kein Wort kam an diesem Abend mehr über ihre Lippen. Sie verschwand in Richtung des Lagers der Hexenjäger – und hinter ihr stand der See immer noch in Flammen.
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