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Held
Immernoch mit vielen Fragen im Kopf, verließ Roland den Platz und wanderte die Strecke entlang, die genau vor ihm lag. Von der Tageszeit her schien gerade der Wechsel von Mittag auf Nachmittag stattzufinden und trotzdem war es auf den Straßen beängstigend ruhig. In ein paar Tagen würde Düsterwald eine komplette Geisterstadt sein, zumindest, wenn weiterhin so viele Menschen sterben. Der Großteil der Überlebenden befand sich nun auf dem Dorfplatz, oder dessen Umgebung, gestern Nacht schienen wiedereinmal einige Leute geflohen zu sein, so dass sie mittlerweile nur noch knapp über 10 Leute hier sein dürften. Das schränkte die Suche zwar erheblich ein, aber es verkürzte das Zeitlimit, das sie hatten, um die Werwölfe zu finden.
Dann fiel Roland ein, dass es im Dorf jemanden gab, der sich, auf Grund seines Alters, aus all jenen Angelegenheiten, die das Dorf betraf, herausgehalten hatte. Es handelte sich um den alten Wilhelm, den Roland auf Grund dessen nicht wirklich zuordnen konnte. Er schien alt und gebrechlich, dennoch schaffte er es, jeden Tag am Marktplatz aufzutauchen und dort seine Stimme abzugeben. Überhaupt, bereits bevor die Überfälle angefangen hatten, wussten zwar alle, dass dieser Mann hier lebte, aber fast niemand hatte je mit ihm zu tun gehabt.
Diese Gedanken aber halfen Roland nicht wirklich weiter, aber zumindest half es ihm, die Schmerzen zu verdrängen, die sich auf Grund der Anstrengungen am heutigen Tag wieder verschlimmert hatten. Dabei hatte ihm der Arzt gestern Ruhe verordnet. Doch nicht nur er war in einem eher schlechteren Zustand. Dieser Andreas schien auch irgendwie gelitten zu haben. Vielleicht war es dieser Brand und die mit ihm resultierende merkwürdige Wolke, die aus Dirans Villa hervorquoll. Zumindest hatten sie Andreas ab dem Zeitpunkt an nicht mehr gesehen, zumindest bis jetzt.
Es machte alles keinen Sinn... Nun erinnerte Roland sich an die Worte, die die Hexenjäger heute auf dem Dorfplatz gesagt hatten. Gestern noch standen sie hinter dem Hauptmann und heute scheinen sie sich gegen diesen zu richten, was genau ging in ihnen nur vor sich... Lediglich der Abend konnte enthüllen, ob sie tatsächlich Recht behalten sollten, oder ob sie ihrem Wort folgen und sich selbst richten sollten, zumindest was Godfrey betraf.
Apropos Hexenjäger... Nicht nur Lilith wurde von diesen verdächtigt, sondern auch Avery, dieser Junge, der scheinbar die ganze Zeit über bei ihr war. Roland hatte eigendlich kaum mit ihm zu tun gehabt, aber auch so konnte er nicht sagen, was Avery vor den Überfällen eigendlich genau gemacht hatte. Er war sich lediglich sicher, dass er erst dann angefangen hat, sich mit Lilith herumzutreiben, als diese Unfälle begannen. Was Roland auch noch wusste, war, dass Avery nach dem Begräbnis, zu dem er gegangen war, wieder ins Dorf zurückkehrte, aber wieso? Laut den Hexenjägern hatte er auch letzte Nacht vor Liliths Haus versucht Wache zu halten, aber war das jetzt gut, oder schlecht?
Langsam bildete sich in Roland ein heftiger Frust, wusste er doch, dass er kurz vor dem Ziel war, aber trotzdem kam er nicht auf des Rätsels Lösung, wie man so schön sagt... Es gab noch mehr Leute hier im Dorf, da war z.B. dieser Bader, der eine gewisse Zeit einfach Spurlos verschwunden war, plötzlich auftauchte und seit dem bei jedem seiner Auftritte sehr verwirrt schien, fast, als wenn er irgendetwas verdrängen wollte, aber ständig wieder damit konfrontiert werden würde... Auf der anderen Seite schien er das Vertrauen der Hexenjäger zu haben, doch konnte man ihnen vertrauen? Tja, das würde man erst heute abend wissen, wenn der Nächste seinen Gang zum Galgen antreten würde. Wobei dieser gestern ja beim Tod von Lester durch das Feuer versengt wurde.
Roland erinnerte sich an den gestrigen Tag zurück. An die Mine, in der er den anderen geholfen hatte, das Silber zu bergen, an die Schlacht, die daran anknüpfte, in der er ohne Rücksicht auf sich selbst für das Dorf gekämpft hatte, obwohl er sicher sein konnte, dass einige von ihnen Werwölfe waren. Dabei waren Schlachten alles andere als das, worin er sein volles Potenzial zeigen konnte, lagen seine kämpferischen Fähigkeiten doch eher im Duell mit dem Degen. Trotzdem gelang es ihm, einen Teil zum Gesamtsieg beizutragen, auch wenn Roland durch die vielen Toten, von denen er auch einige verschuldet hatte, bereits erneut übel wurde. Mittlerweile war er sich aber klar geworden, dass es wenigstens einen Sinn hatte, da er somit mit Sicherheit die Leben einiger gerettet hatte, die vielleicht durch diese Söldner ums Leben gekommen wären.
Dann kam der Abend und mit ihm beinahe das Verhängnis Rolands. Angeschlagen durfte er feststellen, dass der Alphawolf, als derer sich Lester schlußendlich herausstellte, versucht hatte, die Bevölkerung, die Roland noch zuvor versucht hat, zu beschützen, gegen ihn aufzuwiegeln versuchte und der letztendlich sich selbst verraten hatte. Allzu viel der Umstände hatte Roland nicht mitbekommen, nur soviel, dass Lester sich ein eine Geliebte unter den Menschen angelacht hatte, welche auch noch diejenige der Händlerinnen war, welche zuvor durch eben jene Bestien ihre Schwester verlor. Nach Lesters Tod soll sie angeblich im Wald von den Hexenjägern hingerichtet worden sein, aber zumindest Roland konnten sie nichts in diesen Dingen vormachen, da er wusste, dass sie niemals wissendlich unschuldige Menschen töten würden. Das war ein Argument, was wenigstens dafür sprach, den Hexenjägern zu vertrauen.
Lesters Tod war wohl eine der bizarrsten Szenen überhaupt. Als Alphawolf hatte er mehr Macht als alle restlichen Werwölfe zusammen, doch anstatt zu fliehen, nahm er sein Schicksal an und nicht nur das, so schien er nun darauf aus zu sein, auch jetzt, nachdem er in der Hölle gelandet war, noch seinen Fäden zu ziehen. Der teufel selbst war gekommen, um Lesters Seele einzufordern und Lester hatte um sein Leben gefleht, er hatte sogar gesagt, dass er den Guten helfen wolle, doch gnadenlos hatte der Teufel zugeschlagen. Das einzige, was Lester hinterlassen hatte, war ein verbrannter unbenutzter Galgen, Brandspuren auf dem kompletten Dorf verteilt, seine Taverne, die nur so von giftigen Flüssigkeiten vollgestopft war und eine Lilith, die er zum neuen Hauptmann ernannt hatte. War das doch ein weiterer Hinweis?
Dann noch diese ominösen Zeichen, die scheinbar von einem Wesen ausgesendet werden, das selbst unter den lebenden weilte und unschuldig starb. Roland hatte das Zeichen gesehen, doch schien es ihm weniger eindeutig, dass damit Lilith gemeint war. Genauso gut konnte es auch Raphael sein, welcher selbst dem ehemaligen Hauptmann gefolgt war, auch, als dieser sich als Werwolf entpuppte. Doch als erfahrener Hexenjäger hätte Godfrey spüren müssen, wenn etwas mit der Kirche nicht stimmte. Wäre Raphael ein Werwolf, dann wäre diese bereits längst entweiht gewesen und die Hexenjäger hätten Raphael längst gerichtet. Nun gut, Roland würde Raphael noch eine letzte Chance geben, aber aus den Augen würde er ihn trotzdem nicht lassen.
Langsam schritt Roland die Straße entlang und blieb letztendlich bei der Ruine der Villa Dirans stehen. Dort hatte er vor ein paar Tagen einen geheimen Raum entdeckt und er konnte auch einige Schriften retten, bevor alles durch Isabella eingestürzt war. Diran hatte sich mit der Bekämpfung der Werwölfe auseinandergesetzt, schon bevor die Überfälle begonnen hätte. Doch aus Angst, wegen Ketzerein angeklagt zu werden, muss er es wohl geheimgehalten haben. Selbst als die Angriffe begannen und jeder wusste, dass es Werwölfe waren, schweigte er lieber, bis er letztlich genau aus diesem Grund verurteilt wurde, weshalb er wohl seine Forschungen mit ins Grab nehmen wollte. darauf folge eine Explosion, die wohl noch lange ihre Spuren hinterlassen sollte.
Ja, vor ein paar Tagen gab es hier viel mehr Menschen, aber nun waren sie fast alle verschwunden... Roland ließ die Ruine hinter sich und begab sich auf den Weg nach Hause. Was er dort suchte, wusste er nicht, aber er wusste wenigstens, dass es richtig war. Trotz, dass es immernoch nicht Nachmittag war, wurde die Sonne so durch den Hexenfelsen verborgen, dass man meinen könnte, es wäre bereits später Abend und es wäre das Abendrot. Nun stand Roland endlich vor seiner Haustür und kramte in den taschen seines Anzugs nach dem Schlüssel, den er aber nicht gleich fand. Es dauerte noch eine Weile, aber er schaffte es letztendlich den Schlüssel zu finden und seine Haustür aufzuschließen.
Drinnen setzte Roland sich an seinen Tisch, auf dem noch immer die Pläne Dirans lagen und dachte nach, dass ihn viele der Menschen im Dorf bis zum ersten Überfall als nutzlosen Schnorrer gehalten hatten. Alles was Roland bisher gemacht hatte, war von Arbeitgeber zu Arbeitgeber zu rennen, um für eine weitere Woche genug Geld zum Überleben zu haben. Sein Geld war nun fast aufgebraucht, aber einen Arbeitgeber würde er in nächster Zeit bestimmt nicht mehr finden. So blieb ihm nichts anderes, als die Jagt nach diesen Bestien.
Rolands Blick fiel auf den Degen, der an einer Ecke des Hauses lehnte. Das Silber, das er benutzt hatte, um die Waffe zu reparieren, schimmerte im fahlen Sonnelicht und blendete Roland leicht. Er stand auf, nehm die Waffe, nahm seinen Hut ab und setzte sich wieder hin. Daraufhin legte er beide Dinge auf den Tisch und es wurde ihm ganz schwer ums Herz. "Freunde, wenn ihr doch noch leben würdet..."
Als er beides auf den Tisch gelegen hatte, kam der Zettel, den Roland vor vielen Jahren in den Hut eingenäht hatte zum Vorschein. Auf ihm stand ein Schwur, den Roland damals seinen Freunden gegeben hatte, einer, den er unbedingt einlösen musste und dem kein Werwolf in die Quere kommen durfte, jeder, der es wagte, würde sein Leben lassen. Roland würde das alles überleben und seinen Schwur erfüllen, seine Freunde sollen nicht umsonst gestorben sein. Er würde seine Kraft wiedererlangen und sie jagen, koste es, was es wolle!
Zwar konnten seine Wunden nicht schneller heilen, trotzdem erfüllten die Erinnerungen an seine Freunde Roland wieder mit Kraft und Entschlossenheit. All seine Schmerzen waren wie weggeblasen und so machte er sich wieder auf, dieses Mal nahm er auch seinen Degen mit, denn wenn noch etwas anstünde, würde er auf jeden Fall dabei sein, egal wie anstrengen es auch werden würde, egal wie viele Feinde es zu besiegen galt.
Entschlossen kehrte Roland zum Dorfplatz zurück.
Geändert von R.F. (10.09.2010 um 15:43 Uhr)
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