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Young Imperial Combo
Die Entscheidung war gefallen, und obwohl sie lange versucht hatte, dem Tode zu entrinnen, war es nun nicht so schlimm, dem Schicksal ins Auge zu sehen. Zum ersten Mal seit Tagen schienen Lilith Füße leichtfüßig über den Boden zu schweben, als sie zur Tafel ging und den Stimmzettel ein letztes Mal betrachtete. Wahrscheinlich, weil es in diesem Moment nichts mehr gab, worüber man sich Gedanken machen brauchte... Sie war nicht mehr blind, nun war der Weg, der vor der Bäckerin lag nicht mehr dunkel, sondern hell erleuchtet, unausweichlich und endgültig. Auch wenn hier und jetzt alles enden würde, es war besser als die ewigen Sorgen, die nagenden Zweifel und die verzehrende Sehnsucht nach einem besseren Leben.
Warum hatte sie sich überhaupt gewehrt? Nach Lesters und Winfrieds Tod musste sie einsehen, dass es keine Rettung gab... dass es so etwas wie einen Treueschwur für sie in diesem Dorf nicht geben konnte, und ihre zarten, unsichtbaren Bande des Vertrauens dazu verdammt waren, getrennt zu werden.
“Eine recht eindeutige Entscheidung.” ,sagte sie leise, aber ohne jeglichen Gram in der Stimme. “Dann ist es nun also so weit.” Sie suchte Godfreys Blick, und der Hexenjäger nickte ihr zu, als Zeichen, dass auch er bereit war, seine Pflicht zu erfüllen. “Ich möchte mich nur noch verabschieden.”
Die Dorfbewohner ließen sie gewähren, als sie ihre Schritte auf Avery lenkte. Sie wusste, dass er nach allem, was er gehört hatte, wütend und enttäuscht sein musste, aber schließlich war dies das letzte Mal, dass sie den kleinen Kerl sehen würde...
“Avery...” ,sagte Lilith sanft, mit einem fast mütterlichen Lächeln auf den Lippen. “Du hast mich immer wieder zum Lachen gebracht, und hast auf mich geachtet, ohne dass du mich richtig gekannt hast. Das... hat mich immer sehr glücklich gemacht. Und es tut mir leid, dass du wegen mir nun so zu kämpfen hast.” Sie widerstand dem Drang, ihm den Kopf zu tätscheln, da sie ihm nicht zu nahe treten wollte. “Ich möchte, dass du meinen Speer bekommst. Er ist etwas Besonderes, er ist anders als die anderen. Selbst mich, die schwach und hilfslos war, hat er beschützt, und da du so tapfer gekämpft hast, sollst du von nun an diese Waffe tragen. Natürlich nur... wenn du willst!” Sie lachte verlegen und hätte den Jungen zum Abschied am liebsten gedrückt, doch noch war sie gefasst genug, diesem Gefühl nicht nachzugeben. Statt dessen drückte sie ihm den Speer in die Hand, und für einen kurzen Moment, als ihre Finger sich sachte berührten, spürte sie wie er zitterte. “Alles wird gut.” ,flüsterte sie ihm zu, strich ein letztes Mal über das kleine, eingeschnitzte Kreuz auf der Waffe und wandte sich dann ab, um zu Isabella zu gehen.
Die Miene der Hexenjägerin war steinern, aber Lilith ließ sich dadurch nicht davon abbringen, einen kleinen Knicks vor ihr zu machen. “Auch wenn Ihr es nicht immer zeigt, kümmert Ihr Euch sehr um Eure Mitmenschen, und diese kümmern sich ebenso um Euch. Dank Euch habe ich einen unbeschwerten Abend verlebt, und Euch dort ein wenig kennen gelernt. Bitte, Isabella, sorgt weiter so gut für Eure Kameraden, aber auch für dieses Dorf... als neuer Hauptmann.” ,sagte die Bäckerin. “Was in dieser Position auch auf Euch zukommen mag, ich weiß dass Ihr mit all dem umgehen könnt, anders als ich. Ihr habt Unterstützung, auf die Ihr vertrauen könnt.” Dies war das einzige, das Lilith für sie hatte, und es war wahrscheinlich eher eine Bürde, als etwas Gutes.
Schließlich ging sie zögerlichen Schrittes auf Godfrey zu. Sie wollte kein Mitleid oder ihm die Sache unnötig schwer machen, aber sie konnte sich der plötzlich auftauchenden Tränen nicht erwehren. Obwohl ihre Wangen nun unaufhörlich benässt wurden, lag unter dem Schleier des Abschiedsschmerzes ein ehrliches, warmes und strahlendes Lächeln.
Kurz zögerte die Bäckerin, da sie nicht wusste, wie sie jemals in Worte fassen sollte, was in ihr vorging, doch sie musste nun über ihren Schatten springen, da es schließlich die letzte Gelegenheit war.
“Ihr... wisst gar nicht, wie viel es mir bedeutet, euch kennen gelernt haben zu dürfen. Ihr habt mir Kraft, Hoffnung und Stärke verliehen, und nur durch Euch habe ich es geschafft, endlich richtig zu leben anzufangen. Deshalb seid Ihr für mich ein großer Held, ein Retter. Und ich habe... immer, jeden Tag und jede Nacht, gewusst, dass Ihr einen Weg finden würdet, das Dorf und mich zu retten.” Sie hatte die ganze Zeit auf einen Fleck auf seinem Mantel gestarrt, aber nun waren ihre Tränen vorübergehend getrocknet, so dass sie ihn ernsthaft ansehen konnte, um ihm zu zeigen, dass sie tief aus ihrem Herzen sprach: “Ich hatte gehofft, dass meine Rettung nicht aus meinem Tode besteht. Doch jetzt weiß ich, dass es nicht anders sein soll.... denn wenn Ihr dies als den richtigen Weg anseht, dann ist es wahrlich meine einzige Erlösung.”
Nun war sie bereit. Eine kühle Abendbrise strich ihr sanft durch das Haar, als würde der Wind sie trösten wollen, doch dies war gar nicht mehr nötig. Das, was sie zu Godfrey gesagt hatte, entsprach der Wahrheit, es gab keine andere Möglichkeit... und nun gab es auch keinen Grund mehr, darüber zu trauern. Jetzt, da sie sich fast alles von der Seele geredet hatte, war es gar ein höchst lächerliche Gedanke, der ihr in den Sinn kam. “Schade, dass ich in letzter Zeit nie Appetit auf mein eigenes Brot hatte, ich hätte gerne noch einmal die letzte gute Sache gekostet, die ich mit meinen Händen gemacht habe.” Die Bäckerin lachte wehmütig, und nun war sie von den Dorfbewohnern umringt, während Godfrey seine Pistole lud. Sie nutzte die angespannte Stille, um ein letztes Mal zu den Dorfbewohnern zu sprechen: “Ich war immer eine von euch, und habe nach reinem Gewissen und Herzen gehandelt... zumindest bis es Nacht wurde. Sobald die Sonne unter gegangen war, trat mein düsterer Begleiter aus den Schatten, bereit, all das zu vernichten, was ich zu lieben gelernt habe. Mit meinem Tod stirbt auch er, und dafür danke ich euch.” Nun schloss die Bäckerin die Augen, und eine letzte Träne, aber diesmal eine der Erleichterung, tropfte kaum merklich auf den Boden. “Schließt mit mir die Augen. Ich werde nicht mehr hier sein, wenn ihr sie öffnet, aber an meiner Stelle wird ein toter Werwolf am Boden liegen.” Dann nickte sie Godfrey zu, damit er sie endlich erlösen konnte.
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