Ewald und Godfrey schritten einander her und waren in eine Debatte darüber vertieft, wie man die Wirksamkeit der gestern angefertigten Lanzen noch erhöhen könnte, denn auch wenn sie keine dieser Bestien erwischt hatten, so hatte Godfrey doch während seiner Patrouille deutlich gespürt, wie die schweren Waffen die Herzen der Wachmannschaft ein bisschen leichter hatten werden lassen.

Endlich waren beide an der Backstube angekommen und fürwahr, es duftete nach frischem warmen Brot und Godfrey konnte schon fast die knusprige Kruste eines dunklen Brotes zwischen seinen Zähnen knistern hören, begleitet vom Geschmack leicht gesalzener Butter und Schnittlauch aus seiner Zunge und er hieb dem kräftigen Ewald auf die Schulter.
"Bei Tag ists der Wolf des Hungers und bei Nacht diese Ausgeburten der Hölle - und beide sind sie hinter meinen Eingeweiden her.", brummte er.

Dann sah er Lilith langsam und mit bedächtigen Schritten auf die Backstube zuschreiten und es schien, als würde die Kraft der Sonne nicht durch den Schleier aus Trauer hindurchscheinen können, welcher das Haupt der schönen Frau bekränzte.

Es war deutlich, dass die Frau geweint hatte und Godfrey konnte sich schnell einen Reim darauf machen, als er an die Verzweiflung der Russin zurückdachte, die ihn vorhin aufgesucht hatte.

"Sie wird im Himmel willkommen sein, wie alle Menschen, die unschuldig von uns gegangen waren." sagte er leise mit einer Bestimmtheit in der Stimme, die tief aus seiner Kehle kam und mit sanftem Blick suchte er ihre Augen, wo er den Schmerz darin lesen konnte, der noch im Herzen dieser Frau saß.

"Man erkennt einen wahrhaftigen Menschen auch daran, wieviel Kummer er sich um das Unglück anderer macht. Mitfühlend zu sein ist das Märtyrertum der Lebenden. Ohne eigenes Unglück weinen zu müssen, mag wie ein Fluch klingen. Aber die Liebe jener, die dieses Unglück widerfahren ist, ist ein Geschenk des Himmels."

Er sah ihr bei diesen Worten in die Augen, dann glitt sein Blick über ihr Gesicht und dann zum Kreuz, welches sie um den Hals trug, er schien zu verstummen und die Lippen zusammenzupressen, dann räusperte er sich, da seine Stimme schwer belegt schien.

"Ich kann dir diesen Schmerz nicht nehmen, ich kann dich nur bewundern für die Stärke, die du an den Tag legst."

Es war offensichtlich, dass er seit ihrem Eintreffen nur mit Mühe dem Impuls widerstehen konnte, sie einfach in den Arm zu nehmen, ihren Kopf an seine Schulter gebettet und stoisch mit der ihm zu eigenen steinern Miene abzuwarten, bis sich ihr Schluchzen beruhigt hätte, doch wagte er es nicht vor Ewalds Augen, eine unverheiratete Frau so unschicklich zu berühren.

Sein Hunger war auf einmal verflogen, Wut und Zorn auf diese Bestien und die Hilflosigkeit machte sich stattdessen breit und zerrte an ihm, er war im Begriff zu gehen, als er sich aus einem Gefühl heraus umdrehte und sie anblickte.

"Lilith.", sagte er sanft. "Komm mit uns zur Mine. Wir werden nicht nur Kraft, sondern auch Fleiß brauchen und in diesem Moment kenne ich niemanden, der fleißiger ist als du. Der Marsch wird dich ablenken, der Erfolg den Schmerz deiner Seele lindern und jeder Schritt, den du tust, jedes Quentchen Silber, welches du findest, wird zum Untergang der Bestien beitragen, deren Wirken du heute hast beweint."

Er streckte ihr die Hand hin, die wie immer in den schweren Handschuhen steckten und er lächelte sie vorsichtig an, aufmunternd, während niemand sagen konnte, ob nicht doch andere Gründe dahintersteckten, die Bäckerin ungewöhnlicherweise auf die Expedition mitzunehmen.

Nur Godfrey wusste in seinem Inneren, dass er Angst um ihre Sicherheit im Dorf hatte und... und dass er sie gerne um sich hatte? Konnte dies sein?