Godfrey döste in unruhigem Schlaf vor sich hin, seine Lider flatterten und ab und an durchlief ein Schaudern und Zittern den massiven Leib, eingedenk des mittlerweile erkalteten Feuers, welches den Hexenjäger im nasskalten und feuchten Morgennebel zurücklief.

In seiner Seele jedoch brannte es lichterloh.
Gedankenfetzen liefen wie tanzende Geister vor seinem inneren Auge ab, er sah sich mit Lester an Serahs Grab stehen, dazwischen immer wieder der Duft von Salbei auf weiblicher Haut, grüne Moosreste in kupferrotem Haar, der Wind, wie er in den Locken einer toten Frau spielte...
Und dann war da Lester, auf den frischen Erdhügel hinabblickend, Tränen in den Augen und er sah sich selber mit steinernem Gesicht danebenstehen, es wirkte, als wäre er zu einer Salzsäule erstarrt, ehe er seine behandschuhte Pranke auf die Schulter des Hauptmanns legte, sich ankündigend mit knarzendem Leder und dem sachtem Rasseln der Kettenhemdringe.
"Gottes Auge ruht auf uns. Gott hat Abraham befohlen, seinen Sohn zu töten und Abraham hat diesem Wunsch entsprochen. Wer sind wir Menschen, dass wir die Befehle unseres HERRN in Frage stellen." Er atmete laut aus.
"Dieses Mädchen Serah wurde nicht von Gott und auch nicht von uns Menschen getötet, sondern alleine von Luzifers Bestien selbst, die uns zu solchen Dingen zwingen. Gott hat für jeden Menschen eine andere Prüfung bereit. Meine Mutter rief er auf dem Kindsbett zu sich, damit mein Vater mich in ein Kloster stecken konnte, wonach ich das Wort des HERRN lernen durfte.
Den Bettler gibt er die Prüfung zu überleben auf, dem Liebenden die Aufgabe, den Funken der Zuneigung zu nähren und dann gibt es Prüfungen für Soldaten und Krieger - Gottes Prüfungen, wenn es gegen Satan Luzifer geht.
Das Dorf ist als Schlachtfeld erkoren wurden, wir zu seinen Kriegern und auch der Satan hat seine Kämpfer mit Bedacht ausgesucht. Ich kann nicht sagen, ob wir gewinnen oder verlieren werden, aber wir werden kämpfen - und jeder Kampf auf dieser Welt fordert Blut und seine Opfer. Wir haben Serah verloren. Macht das aus uns Mörder?
Nein - denn wir stehen hier, wir beten für sie, wir weinen für sie und empfehlen sie in Gottes Hände."

Godfrey lächelte und mit behutsamer Kraft drückte er die Schulter des Wirtes.
"Sei ohne Sorge, der HERR wird niemals zulassen, das der Seele dieses Mädchens Unheil widerfährt. Sie war unschuldig und keine Selbstmörderin. Dort oben wird sie Liebe und Geborgenheit erfahren und ich bin mir sicher, mein Freund, sehr sicher..." Er blickte an Lester vorbei auf das Grab und tiefer Frieden und Seelenruhe schimmerte in seinen Augen.
"...Serah weint in diesem Moment ebenfalls Tränen der Rührung und des Glücks, dass sie hier auf dieser Scheibe von dir beweint wird.
'Das größte und schönste aber, was Menschen dir hinterlassen, wenn sie fort sind, sind Gedanken und Erlebnisse, die Himmel und Erde wiedervereint weinen lassen.' Bruder Bekker Jan-Kalde, Amsterdam, 1277 Anno Domini."


Und während er sich sah, wie er und Lester Serah die letzte Ehre erwiesen, jagte sein Geist schon wieder fort, seine Seele fiel in einen tiefen dunklen Brunnen, tiefer in seine Erinnerungen hinab und er sah sie wieder, die rote Mähne, hinter Bäumen verschwindend, sein Herz bis zum Hals klopfend, ihren Geruch noch in der Luft witternd...

Und dann wachte er auf, Rauschen in den Ohren, den Geruch von frischem Brot in der Nase, den wabernden Bodennebel des Morgens betrachtend, der sich langsam verflüchtigte...