Gerührt hatte Isabella sich Godfreys Mantel um die Schultern gelegt und war aus dem kuscheligen Lager nur ungern aufgestanden. In viel zu großen Socken stand sie auf dem trockenen Vorplatz des Hexenlagers. Das Feuer war gelöscht, die Lagerstätten verlassen. Der Nebel löste sich gerade eben unter dem Drängen der Sonne auf.

Sie wusste das sie einen komischen Anblick abgab - das besserte sich auch nicht als sie ihre Stiefel und den Hut anzog und sich ihren Pistolengurt umhängte. Halbnackt würde niemand eine Frau fürchten - nicht in diesem Dorf zumindest. Ihre Kleidung wollte ihr der Bader heute noch vorbeibringen - nur heute war inzwischen schon fast mittag und sie wollte nicht noch länger in der bloßen Tunika herumlaufen, auch wenn das die Männer und vor allem den Wirt sicherlich gereizt hätte.

Und ein Gedanke kam ihr, als sie sich mit ihrem Hab und Gut, zu dem jetzt auch Konrads Schnitzerei gehörte, aufmachte um beim Bader die Kleidung zu holen - konnte sie wirklich etwas für die Menschen hier tun? Zumindest für Godfrey und Nicolo wollte sie etwas gutes tun wenn sie zurück ins Lager kamen. Vielleicht sollte sie ein ordentliches Abendessen vorbereiten wenn sie zurück ins Lager ging? "Blödsinn, ich kann doch gar nicht kochen...", murmelte sie dann und schnappte sich was für eine Wanderung zum Hexenfelsen sinnvoll war. 15 Schritt Seil, Sturmlampe, Zündsteine, Späne, eine Decke, Nagelschuhe um auch an schwierigeren Hängen klettern zu können und ihren Wasserschlauch.

Auf dem Weg zu Callan erblickte sie die Bäckerin und eine kleine Gestalt, die ihr fast wie ein Phantom aus alten Tagen vorkam. "Avery?" Konnte es wirklich der verschollene Junge sein? Sie schlug sich die Hand, die sorgfältig verbunden war, vor den Mund und sammelte sich. Das war die erste gute Neuigkeit seit Tagen! Tagen, die ihr wie Wochen vorkamen.

Und vor allem obsiegte ihre Neugier und ihr Jagdinstinkt als sie sah was die beiden dort trugen. Es war ein kleines, blutgetränktes Bündel. Und ein Grund mehr nicht mehr länger in Selbstmitleid zu versinken sondern etwas gegen die Bestien zu tun!

Sie schnaubte kurz auf, observierte das Dorf und ihr stach sofort die Ansammlung vor dem Haus der Bäckerin ins Auge, die sich langsam in Richtung Ortsausgang in Bewegung setzte. Dorthin führten sie ihre Schritte, und sie riss sich zusammen und lächelte und nickte, grüßte alle die sie mit Namen kannte, als sie mit schmunzelnden Blicken empfangen wurde.

War ja auch kein Wunder - die Wollsocken die aus ihren Stiefeln ragten gingen ihr über die Knie, ihre Tunika offenbarte mehr als sie verdeckte und sie hatte Mühe und Not Godfreys Mantel nicht mit einem Schlammrand zu schmücken weil sie selbst einfach ein gutes Stück kleiner war als er.

Bei den Dorfbewohnern angekommen ging sie zielstrebig zu Nicolo und bat ihn sie über die Vorkommnisse aufzuklären. Wer war gestern gehängt worden? Was oder wen hatten die Bäckerin und der kleine Junge da zum Friedhof getragen? Und wenn jemand gestorben war wo war es passiert? Hatten Dirans Aufzeichnungen Hinweise geben können? Hatte sich jemand verdächtig verhalten?

"Ah und Nicolo, wozu brauchen wir Spitzhacken, wenn wir nochmal zum Felsen der Hexe gehen?"


Während sie sich mit ihm unterhielt nahm sie den Mantel von den Schultern und rollte ihn zusammen um ihm Godfrey zurückzugeben - sobald der seine Augen von der Bäckerin nehmen konnte.