Zitat
Der Mensch ist mit allerlei wunderlichen Blättern behangen, gleich einem Baum, der die Blätter aller Bäume trägt, die da aus seiner nackten, formlosen Haut hinauswachsen. Der Vielfalt ist grösser als der Mensch sie begreifen kann, doch spriesst nichts, das für den Verstand nicht zu erfassen wäre. Doch irrt der Mensch, denn sein Blattwerk heisst ihn mit abertausend Stimmen in diese oder jene Richtung zu gehen und nie sind sich zwei der Stimmen einig. Das grösste Hindernis am Fortkommen jedoch ist der farbenprächtige Schwanz, den der Mensch über den Boden schleift. Hier sind Blätter, die der Mensch für schon lange abgefallen und zurückgelassen glaubt, denn er kann sich nicht in den Rücken schauen. Das Gewicht des Schwanzes beschädigt den Boden hinter ihm und der Mensch lässt eine graue Spur hinter sich. Doch der Mensch weiss davon nichts, denn er schaut nie zurück. So irrt der Mensch ziellos und langsam durch die Welt, trifft andere Menschen und mit jeder Begegnung verzweigt sich sein Behang, spriessen neue Blätter, oder sie fallen ab und bleiben in seinem Schwanz hängen. Der Mensch kann die anderen Menschen nicht sehen, denn das eigene Blätterwerk verdeckt ihm die Sicht. Der Mensch kommt an einen Ort, an dem eine Vielzahl der Blätter plötzlich ein ähnliches Verlangen äussern: sie wollen bleiben. So harrt dann der Mensch aus zum ersten Mal. Eine Glaskuppel senkt sich über ihn und hält ihn unter ihr gefangen. Diese Kuppel bringt Gefühle des Glücks mit sich und der Mensch merkt nicht, wie die scharfe Kante des Glases seinen Schwanz abtrennt. Im Glas gefangen dreht der Mensch fortan einen Tanz um die eigene Achse. Doch das Gefühl des Glückes hält an. Der Mensch, der nichts sieht, ausser den eigenen Blättern, kann durch das Glas keine anderen Menschen treffen, sodass keine neuen Blätter spriessen und kein Ästchen sich verzweigt. Die Blätter werden alt, abgenutzt und grau. Schliesslich fallen sie ab und allmählich erblickt der Mensch die Welt um sich. Vom Licht geblendet muss er den Blick zu Boden richten, wo er seinen Schwanz mit all den längst vergessenen Blättern entdecken wird. Wegen der Glaskuppel bleibt er ewig getrennt von seinem Schwanz oder anderen Menschen und wie er weiterhin sein leben neben dem toten Schwanz tanzt, fallen ihm auch die letzten Blätter ab und nackt und formlos stirbt er. Schon sein Leben hat er in seinem gläsernen Sarg verbracht.
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