Godfrey war sofort nach Isabellas Ruf zum hintersten Zelt ihres kleinen Lagers geeilt und mit kundigem Blick die Situation eingeschätzt, trotzdem stand er dort, stumm, still, schweigsam und vom Donner berührt, während es hinter seiner vernarbten Stirn sichtlich arbeitete.
Verbissen kaute er auf seiner Lippe herum und murmelnd durchschritt er Maß nehmend die Stätte der Bluttat, die ihn erschütterte, als würde er an der Schädelstätte Golgatha selbst stehen und den Heiland an seinem Kreuze hängen sehen.
Plötzlich spritze ihm eine heiße Flüssigkeit ins Gesicht, die entfernt nach heißem Eisen und Schießpulver stank und schon grollte auch der Donner des Pistolenschusses heran, der die diebische Ratte direkt zu Luzifer geschickt haben musste.
Mit unbewegter Miene, die Andeutung eines verkniffenen Lächelns nur, nickte er Isabella zu und fuhr sich mit dem Handschuh über das Gesicht, das Blut abwischend, wobei es leichte Schlieren in seinem Gesicht hinterließ, wo es alsdann zu trocknen und zu gerinnen beginnen würde.
Er zwang sich zur Ruhe und wollte das stoische Vorbild für seine verbliebenen Jäger sein, also schalt er sich und schimpfte mit seiner Seele, sich in Bewegung zu setzen, als er Nicolo die Hand auf die Schultern legte. „Ich habe dein Werk über die Wundernisse des menschlichen Leibes gelesen, Bruder Nicolo – sag mir, was ist deiner bescheidenen Meinung nach hier geschehen?“, knurrte er, gefolgt von einem „‘Blut ist an keinem Orte so blind, als dass es nicht den Schritt des Mörders zeichnen könne.‘, Francois Jouve, 1283, Berichte der Gendarmerie in der Provence.“
Der gelehrte Bruder sah ihn an und schluckte für den Augenblick einer Sekunde schwer, doch schienen die harten Augen des älteren Hexenjägers kein Mitleid zu kennen und ein ungeduldiger Zug erschien um Godfreys Lippen, als Nicolo sich die Worte zurechtgelegt hatte: „D’accor. Es ´at den Anschein, als wären die Bestien von Norden ´er gekommen, im Unter´olz verliert sisch ihre Spur rasch, doch es scheint, als ´ätte Konrad die ersten Geräusche für seine Wachablösung ge´alten, was auch Sinn machen würde und sisch nischt weiter darum geschert, bis eine der Bestien in sein Zelt eindrang. Es ist zu vermuten…“ Der Gelehrte schob eine Hautfalte des Halses auf den unappetitlich freiliegenden Adamsapfel zurück und fuhr fort. „…das der erste Schlag der Krallen durch seinen `als gingen und ihn einfach gefällt ´aben, unfä´ig noch zu spreschen oder zu schreien. Danach scheint besagte Bestie ihn zerfetzt zu `aben, für mehrere Kreaturen ist das Zelt zu klein, sie müssen wohl in der Nä´e Wacht ge´alten haben.“
Godfrey schauderte es bei dem Gedanken, diese Bestien so nah während seines Schlafes gewusst zu haben, doch er schluckte Wut und Bedenken hinunter und klopfte dem Gelehrten auf die Schulter.
„Gute Arbeit, Bruder Nicolo. Nun soll Rache und Blutschwur den Platz einnehmen, der einst dem teutonischen Konrad gehört hatte…“

Und während Isabella und Nicolo sich ihrem gefallenen Kameraden widmeten und den geschändeten Leichnam zudeckten, wandte sich Godfrey an Lester, wobei er den Hut abnahm und sich räusperte, ehe er salutierte.

„Wie es passieren konnte, Hauptmann, verlangt es Euch zu wissen? Nun, wir sind nicht der Papst, also sind wir nicht unfehlbar. Wir sind nicht Jesus, also nicht unverwundbar. Wir sind Gottes liebste Kinder, genau wie ihr alle, also bedarf es auch uns des Schlafes, der Rast und der Ruhe.
Doch nun, werter Hauptmann Mundschenk, lasst uns das Andenken unseres gefallenen Kameradens nicht mit weiterem Geschnatter entehren. Wir werden unseren Mann begraben und eine Messe lesen – es ist jeder eingeladen, uns zu folgen, doch werde ich von keinem schlecht denken, der dies nicht vermag. Gott hat uns nicht auf die Erde gesandt, um jedermanns Freund zu sein. Wir sind alleine hier, der Feind des Bösen zu sein.“

Mit diesen Worten verneigte er sich kurz vor Lester und den übrigen Dorfbewohnern und sah seinen beiden Kameraden bei ihrer gewissenhaften Arbeit zu.

Eine Stunde später hatten tiefgraue und düstere Wolken den Himmel verdunkelt und waren an den Gebirgshängen des Hunsrücker Gebietes gefangen und so entlud sich langsam ihre kalte Frachte.

Die drei Hexenjäger hatten außerhalb des Dorfes ein kleines Grab ausgehoben und standen nun dort vor dem Grab ihres geschätzten Kameraden, der von ihnen gehen musste, ehe sie Freunde werden konnten. Isabella und Nicolo hatten die Hände gefaltet und standen links und rechts des Erdlochs, der älteste Hexenjäger stand an der Kopfseite und las Strophen mit weithallender und klarer Stimme aus der Bibel vor, doch konnte die Kraft seiner Stimme nicht leugnen, dass die Drei einsam dort standen, jeder für sich, verloren, während der Regen von ihren Gesichtern troff und sich vielleicht mit hie und da mit einer salzigen Träne vermischte. Schließlich klappte Godfrey das Buch zu und er sprach mit tiefer, dunkler Stimme:

„Gott, unser Herr, wir empfehlen in deine Arme und in dein Himmelreich Konrad aus dem heiligen römischen Reich. Ein Krieger Gottes, eine ehrliche Seele, ein Mann, dessen Sünden vergessen sein sollen und dessen Buße Petrus selbst nicht einfordern würde.
Er kam mit uns zusammen in dieses Dorf und stellte seine Fähigkeiten ohne zu zögern in den Dienst des Dorfes, ebenso, wie er davor uns als getreuer Kamerad gedient hatte. Es sagen die großen Generäle, dass kein Krieg ohne Opfer ist, keine Schlacht ohne Verlust und tief in unseren Herzen wissen wir, dass diese großen Männer Recht haben. Auch Konrad wusste dies, er wusste besser als wir alle zusammen, dass man den Tode findet, wenn man sich nur in Gefahr begibt, doch hätte es ihn niemals aufgehalten oder innehalten lassen.
Wir betrauern seinen Tod, wir füllen die Lücke, die er hinterlässt, mit Gedanken und Erinnerungen an ihn und sein Gottvertrauen, mit der Schweigsamkeit, die er so liebte und mit allem gottgerechtem Hass auf die Kreaturen, die ihn uns genommen hatten.
Auch verbeugen und verneigen wir uns vor ihm, da er das höchste Opfer gebracht hat, das ein Soldat bringen kann: Sein Leben im Austausch für das Leben eines Zivilisten. Konrad ist tot, doch konnten die Bestien keinen weiteren Unschuldigen morden. Diese letzte Tat Konrads wird weder vergessen noch ungesühnt bleiben. `Es gibt kaum eine größere Ehre, als den Respekt des Feindes, kaum eine größere Genugtuung als seinen Hass und kaum ein wichtigeres Ziel als seinen Tod‘ “ Salah ad-Din Yusuf bin Ayyub , 1187, Hattin. Der Wolf fürchtete Konrad.“

Er senkte den Kopf und spürte, wie der kalte Regen seinen massigen Schädel entlang rann, er hörte von Ferne das Donnergrollen des Gewitters, das sich in den Bergen brach und dessen Hall von den Felsen wiedergebrochen wurde und er blickte auf das menschengroße Bündel leicht rötlich verwaschener Lappen, die den Leichnam Konrads nun eine Decke sein sollten, bis er aufsteigen würde ins Himmelreich.
Dann griff er in seine Tasche und holte ein altersfleckiges Bündel mit Lederband verschnürter Karten heraus, dessen trockenes Pergament sich schnell mit dem stetig fallenden Regen satt trank.

„Dieses Kartenmaterial aus der Abtei in Brügge hätten mein Geschenk an dich sein sollen, nach einem Monat Dienst an meiner Seite, zusammen mit deinem Sold. Wie könnte es diese unscheinbare Gabe dem besten Fährtenleser vorenthalten, den ich auf meinen Reisen jemals getroffen hatte?“, sagte er und ließ mit steinernem Gesicht die Karten in das Grab fallen…