Dieses ganze konservative Wertegelabere ist totaler Bullshit. Zum einen haben die Jugendlichen (wer ist das überhaupt?) auch nicht weniger "Werte" als zu irgend einer anderen Zeit auch; zum anderen basiert das viel beschworene Familienideal auf einem Familienbild, welches vielleicht 200 Jahre alt ist, obwohl es uns immer als die "traditionelle" Familie verkauft wird, d.h. hingestellt wird, als ob es "schon immer" so gewesen wäre. Dem ist faktisch nun mal nicht so.
Es mag ja sein, dass viele konservative Zeitgenossen den gesellschaftlichen Fortschritt, z.B. die Expansion der Bildung, die Beteiligung von Frauen am Bildungssystem, die Veränderungen im Rechtssystem in Richtung einer Individuumszentrierung und Emanzipation (und damit ist nicht nur jene der Frauen gemeint), oder z.B. auch die funktionale Differenzierung der Gesellschaft als solche, schlecht finden. Aufhalten lassen wird sie sich jedoch keinesfalls. An der damaligen Zeit lässt sich überhaupt nichts (!) gutes finden, weil die Motive, aus denen die ach so positiven Taten getan wurden, von Grund auf schlecht waren/sind. Es gibt kein Richtiges im Falschen (Adorno) und das gilt auch heute noch. Aber ich drifte ab....
Hinsichtlich der Familie gab es schon immer die verschiedensten Formen, auch wenn mache stärker, andere weniger präsent waren. Das Problematische an der Thematik ist ja nicht, dass konservative Menschen nicht so leben dürfen sollen, wie sie es fordern, sondern dass hier etwas als Norm verkauft wird, was noch nie eine Norm war, weil die wenigsten Menschen - damals wie heute - diesem gutbürgerlichen Familienbild entsprachen. Das ging vielleicht einen kurzen Zeitraum lang (Golden Age of Marriage) gut, aber auch damit war relativ schnell wieder schluss. Dieses "traditionelle" Bild von Familie mag für manche Menschen ein Ideal sein, für andere ist es dies jedoch nicht.
Zum Problem wird es dann, wenn Leute wie Frau Hermann ihr Bild als das einzig Wahre verkaufen und in ihrem Fanatismus dann derart bescheuerte und ehrverletzende Reden schwingen, wie sie dies zur Love Parade getan hat. Oder als sie damals über die Rolle der Frau zur NS-Zeit faselte und die Familienpolitik von damals mit lauter Halbwahrheiten romantisierte.
Davon ab, weiß ich gar nicht, über welche Werte hier tatsächlich gesprochen wird. In der Nachkriegszeit änderten sich nicht nur die Sozialisationsziele, sondern auch damit verbunden die angewandten Sozialisationspraktiken. Traditionelle Erziehungsvorgaben wie Ehrlichkeit, Pflichtbewusstsein und Zuverlässigkeit treten zunehmend in den Hintergrund während andere Eigenschaften wie das Fällen selbstständiger Entscheidungen oder die Entwicklung eigenständiger Moralvorstellungen auf der anderen Seite als Sozialisationsziele immer bedeutsamer werden. In Umfragen lässt sich parallel dazu beobachten, dass sich auch die Einstellung zu den praktisch angewandten Erziehungspraktiken verändert: Befehle, Ge- und Ver- bote und vor allem physische Strafen wie die Prügelstrafe werden von Verhandlungen, Erklärungen und der Mitwirkung der Kinder und Jugendlichen abgelöst.
Ich sehe wie gesagt eine Veränderung von Werten, einen - häufig beklagten - Verlust in jedem fall nicht. Fragt man Jugendliche was ihnen wichtig ist, d.h. welche Werte, wird man schnell merken, dass diese genug Punkte nennen können. Dass sich manche hier erwähnten Jugendlichen manchmal aufführen, mag an vielem liegen, aber nicht an irgendeinem Werteverlust.