2. Kapitel

Lendor zwang sich aus dem Bett, was ihn viel Überwindung kostete. In gedanken verfluchte er Darelliun dafür, dass er Claudia geschickt hatte, nur um ihn viel zu früh zu wecken. Dann wand er sich wieder zu Claudia, die immer noch an der Bettkante stand. "Was denn für eine Aufgabe?" Sie zuckte die Schultern. "Keine Ahnung... Aber er meinte es ist dringend, also mach dich besser so schnell wie möglich auf den Weg! Ich geh jetzt erstmal Frühstücken." Mit diesen Worten drehte Claudia sich um und ging, leise eine Melodie pfeifend, die breite Treppe runter. Nachdem sie gegangen war, verdrehte Lendor kurtz die Augen. Claudia Tosepus war eine der wenigen Wachen, die ihre Arbeit genoßen, und sie ging dabei so weit, dass sie mindestens eine halbe Stunde vor Anfang ihrer Schicht von allein aufwachte, ihr eigenes Morgentraining absolvierte und dann einige Minuten später schon fröhlich pfeifend an ihrem Posten stand.

Noch einige Minuten kämpfte Lendor gegen seinen inneren Schweinehund an, dann quälte er seine Beine über die Bettkante und fing an, sich seine Stiefel anzuziehen. Laut schnaubend und mit geschlossenen Augen zog er erst den rechten und dann den linken Stiefel an. Seuftztent stellte er sich auf die Füße, wobei er sich mit seinen Händen abstützte. Als er endlich stand, gähnte er, streckte sich kurz und zog dann den Rest seiner Rüstung an.

Als er seinen mit Leder und Leinen überzogenen Kettenharnisch, auf dem das Wappen von Cheydinhal abgebildet war, angelegt hatte, wankte er müde auf die Treppe zu. Wärend er müde in alter Routine die Stufen herunterschritt, fing er an über Garrus Darellium und seine "bestimmte Aufgabe" nachzudenken. Wollte er wieder jemanden, der nickend neben ihm stand und ihn bei einem seiner Versuche unterstützte, den Grafen zu überreden, ihm zu helfen? Oder war Lendor jemandem auf den falschen Fuß getreten und Garrus wollte ihm jetzt helfen, indem er ihm einer "Strafschicht" zuteilte, damit Leland halbwegs besänftigt war, bevor er über weitere Geldstrafen nachdachte. Als Lendor dann am Esstisch ankam, bemerkte er kaum noch, dass einer der Teller, die normalerweise jeden Morgen und jeden Abend belegt wurden, leer war. Claudia hatte, wie immer, eilig aufgegessen und keinen Gedanken daran verschwendet, hinter sich wegzuräumen. Lendor schüttelte den Kopf. "Das Becken steht zwei Schritte entfernt, und sie bringt´s nicht fertig, ihren Teller reinzustellen."

Ra´Kinji blickte in seinen halbvollen Becher Dunkelbier. Oder war er halb Leer? Kopfschüttelnt hob er den Blick und ließ ihn durch den "Einsahmen Freier" schweifen. Die Taverne, die schon seit längerem in Bravil standt und Anlaufstelle aller möglichen Banditen, Smuggler und anderer zwielichtiger Gestallten war, befand sich in einem schlechtem Zustand. Wie bei allen von Bravils älteren Gebäuden waren die groben Holzwände durch den andauernden Regen und der hohen Luftfeuchtigkeit halb durchgeschimmelt, und durch das offene Fenster schwappte der ekelerregende Gestank aus dem verdreckten Kanal. Es war eng, selbst die oberen Etagen, die sonst nur von denen Benutzt wurden, die für sich sein wollten, waren überfüllt.

Unten saßen die meisten um die Theke herum, die die Hälfte des engen Raumes einnahm, oder an kleinen, bemitleidenswerten Tischen. In dem Gemenge von Ärmlich aussehenden Besuchern, Dieben und hereingeschlichenen Bettlern stachen einige besonders hervor: Söldner von der Dunkelforstrotte mit ihren verziehrten Stahlrüstungen und einige Wachen, die mit den hiesigen Kriminellen Skooma und Bestechungsgelder tauschten. Für den Rest der Besucher schienen sie jedoch ein gewohnter Anblick zu sein.

Unvermittelt wurde Ra´Kinji von der Seite angestoßen. Schnell drehte er seinen Kopf nach rechts. Es war Kurtzschwantz. Nervös blickte sie um sich, als habe sie Angst, jemand könnte sie belauschen, dann sprach sie: "Mir gefällts hier nicht, ich will zurück zum Haus." Verwundert blickte der alte Kajiit sie an. "Bitte!" Er seufzte, blickte nochmal zu seinem halbvollen Becher und wand sich dann wieder Kurtzschwantz zu: "Und warum kommst du dann zu mir?" Verlegen sengte sie den Blick zum Boden. In Ra´Kinjis altem Hirn machte es klick und er verstand. "Ahsoo... du willst hier weg, aber du willst dem "großen" Herren Senjiu nichts davon sagen, weil du denkst, er könnte dich für Schwach oder sonstwas halten..!" Ertappt nickte sie. Ra´Kinji warf nochmal einen Blick auf seinen Becher, dann stand er langsam auf. "In Ordnung. Bist du sicher, dass du zurück zum Haus willst? Der einzige der dort sitzt ist Dra´Sush, und er ist nicht gerade die Art von Person, mit der eine junge Kajiitin wie du verkehren sollte." "Ja, ich bin mir sicher. Ich habe keine Angst vor Dra´Sush! Mancheiner würde auch sagen ich sollte nicht mit euch "verkehren". Aber egal, ich will nur noch Schlafen." Nach einem dritten Blick auf den Becher nickte Ra´Kinji dann zustimmend. "Folge mir. Bleib dicht bei mir, vor allem wenn wir draußen sind." Er tippte einen von seinen Mit-Renjirakrin auf die Schulter und nachdem er seiner Aufmerksahmkeit sicher war, deutete er auf seinen Becher: "Pass drauf auf!", dann packte er Kurtzschwantz bei der Hand und zog sie hinter sich her, durch die Menge, auf die schmale Ausgangstür zu.

Draußen war die Luft nicht viel frischer als in der Taverne. Der faulige Geruch des Kanals war hier sogar noch intensiver. Wie üblich für Bravil und Umland regnete es und der Nachthimmel war stark bewölkt. Ra`Kinji bedeutete Kurtzschwantz die Führung zu übernehmen: "Wer weis was sich von hinten alles anschleichen könnte". Er packte den Griff seines Kurtzschwertes, nur für alle Fälle, und als Kurtzschwantz diese zweite Sicherheitsmaßnahme bemerkte, tat sie es ihm gleich. Schnell schritten die beiden Kajiiten auf die alte Hängebrücke, die einzige Verbindung zwischen dem Hauptteil der Stadt und dem kleinem Stück, auf dem der Einsame Freier und einige weitere Häuser standen, denn der dreckige Kanal trennte die beiden Teile wie eine tiefe Narbe im Gesicht von Bravil.

In der trüben Dunkelheit war das Stadtgebiet auf der anderen Seite des Kanals fast nicht zu sehen. So schnell wie möglich bewegten sich Kurtzschwantz und Ra´Kinji über die Hängebrücke. Bei jedem Schritt knarrten die Holzbalken. Nachdem sie die Brücke passiert hatten verschwanden die beiden Renjiakrin wie Schatten in der Nacht. Trotz der vielen, gleich aussehenden Gebäuden kannte Ra´Kinji den weg zum "Haus" auswendig. Der Regen wurde stärker und traf in dicken Tropfen auf das Meer aus Flachdächern. Es gab keine festen Straßen und die Wege verwandelten sich langsam in Matschpfützen. Ra´Kinji dirigierte Kurtzschwantz durch das Labyrint, gab ihr die Richtung an, in die sie abbiegen sollte, auch wenn seine Stimme durch den Regen gedämpft war.
Sie kamen an einigen streunenden Hunden und einer Gruppe Bettler vorbei, von denen sich einer einen Platz unter einer kleinen Treppe erkämpft hatte, der Rest von ihnen musste im Regen sitzen. Wärend sie weitergingen blickte Ra´Kinji um sich, auf die verfallenen Gebäude, die einsamen, verarmten Gestallten, die sich durch Regen und Matsch kämpften, die argwöhnisch dreinblickenden Augen in den engen Gassen und die Betler, die der Natur und der Willkür der Verbrecherbanden schutzloß ausgeliefert wahren. Dabei stellte er sich vor, wie der Graf wohl gerade in seiner warmen Burg an seinem voll bedecktem Tisch saß. Dadurch wurde ihm wieder bewusst, warum er sich schon vor vielen Jahren den Renjiakrin angeschlossen hatte: "Diese verdammten Kaiserlichen! Sie nehmen sich einfach das Land anderer und verwandeln es in sowas! Nur damit ihre Adligen ihre Orgien feiern können!" Er wurde aus seinen Gedanken gerissen, als Kurtzschwantz mit dem Finger auf ein mehrstöckiges Haus vor ihnen zeigte, sich umdrehte und ihm aufgeregt zurief: "Das ist es doch, oder? Der Eingang ist oben, oder?" Ra´Kinji nickte zustimmend.

Sie mussten nur noch eine Treppe hoch, und dann waren sie da. Ra´Kinji und Kurtzschwantz standen vor einer maroden Holztür. Sie war mit Moos bewachsen und es sah aus, als könnte man sie mit blosen Händen aus den Angeln heben. Ra´Kinji kramte einen Schlüssel hervor und schloss die Tür auf und ein warmer Schwall aus Luft kam ihm entgegen. "Nichts wie raus aus dem Regen..." murmelte Ra´Kinji fast nur zu sich selbst, und noch bevor er eintreten konnte, schob sich Kurtzschwantz vor ihm durch die Tür und betrat das Obergeschoß.

Es bestand nur aus einem Raum, der von einer halb geschmoltzenen Kerze erhellt wurde, die auf einem kleinen Tisch stand. An den Tisch war noch ein hölzener Stuhl rangeschoben worden und in der rechten Ecke war eine Luke in den Boden eingelassen. Sonst war der Raum leer. Ra´Kinji klopfte Kurtzschwantz noch auf die Schulter, wünschte ihr eine gute Nacht und verließ das warme Trockene wieder. Hinter sich schlug er die Tür zu und der Regen hatte ihn wieder. "Ein gutes Mädchen. Sie macht sich nur zu viele Gedanken darüber, was Senjiu von ihr denkt". Langsam schritt er die Treppe aus Holz runter und trat mit einem Stiefel in den Matsch. Er verharte in dieser Position, denn eine Gestallt am Ende der Straße hatte seine Aufmerksahmkeit erregt: Der Körperbau, die Art in der sie sich bewegte. Die Gestallt bog um die Ecke und Ra´Kinji fluchte. "Verdammt! Sollte Dra´Sush nicht im Haus sein?!" Er fluchte noch einmal und lief dann der Gestallt hinterher, durch Regen, Matsch und Kälte. "Mist, sieht aus als war der Becher doch halb leer!"