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Lizzie presste das Büchlein fest an ihre Brust, als hätte sie Furcht es könnte gestohlen werden, und ging zum Ladentisch hinüber. Mit einem dümmlich-freundlichen Grinsen erwartete sie der Ladeninhaber bereits. „Das muss ja ein spannendes Buch sein. Sie standen wie versteinert und haben darin gelesen“: bemerkte der Händler. Lizzie setzte ihr kesses Mädchengrinsen auf, dass sie sich über die Jahre bewahrt hatte und sagte: „Ziemlich altes Seemannsgarn, aber ich habe ein Faible für so was.“ Wieder lächelte der Mann in einer sehr verschrobenen Art und Weise. Er schien fast naiv, wenn man das allein aus einem Lächeln ablesen konnte, zu sein. „Dann wünsche ich viel Spaß bei der Lektüre. Für das Buch verlange ich... hmm mal sehen... Ach sagen wir 20 Septime, wegen des Antiquitätenstatusses“: offerierte er einen Preis. Lizzie wäre jedoch nicht Lizzie, wenn sie nicht versuchen würde zumindest ein wenig zu handeln. „20 Septime für so ein abgegriffenes und schmutziges Büchlein. Ich interessiere mich zwar für Seemannsgeschichten, aber so etwas könnte ich mir gewiss auch hier in der örtlichen Hafentaverne anhören. Wie wäre es mit zehn Septimen?“: unterbreitete die junge Frau ein Gegenangebot. „Zehn? Zugegeben das Buch ist nicht mehr im allerbesten Zustand, aber es ist gut eingebunden, sogar in wetterbeständiges Leder. Also Zwanzig hielte ich da schopn für angemessen. Zur Güte gehe ich aber auf 18 Septime als Ausgleich für den Zustand herunter. Was sagt ihr?“: korrigierte Lelles sein Angebot nach unten. Lizzie schüttelte den Kopf und lächelte dann wieder zuckersüß. „Wir könnten uns doch in der Mitte treffen und sagen 15 Septime und die Sache ist geritzt. Aus meiner Sicht ein fairer Ausgleich“: warf sie ein weiteres Angebot in die Runde. Der Händler rieb sich das Kinn und musterte sie eindringlich. Dann trat ein mildes Lächeln in sein Gesicht. „Weil sie es sind. Gut 15 Septime sind abgemacht“: schlug er ein. Lizzie zog ihre Geldbörse, einen einfachen Lederbeutel, hervor und zahlte den Mann aus. Sie verabschiedete sich und verließ das Geschäft mit ihrer Neuerwerbung. Als sie aus dem Gebäude trat, fuhr ihr umgehend der frische und prickelnde Geruch des Meeres in die Nase. Sie genoss ihn und den leichten Geschmack von Salz auf der Zunge, als sie tief einatmete. Ja sie liebte das Meer und inzwischen kannte sie es auch recht gut. Als Matrosin auf einem Schoner, der leider nur vor der Küste Hochfels’ kreuzte und dann ihre weite Reise von Hochfels, über die Summerset Inseln, über Hammerfell bis schließlich hier her nach Anvil. Und diese Hafenstadt war für sie eine Art Wallfahrtsort. Hier an dieser Küste hatten große Piratenflotten angelegt. Hier auf diesem Land hatten Piraten gelebt und gekämpft. Dort draußen auf der See wurde die legendäre Seeschlacht von Anvil geschlagen und über allem schwebte der Name des größten Piraten Tamriels – Torradan ap Dugal – der hier ebenfalls lebte und dort draußen vor der Küste sein Seemannsgrab fand. Heutzutage legten zwar auch wieder ab und an Piraten in Anvil an, ein Piratenschiff fand sich beispielsweise am äußersten Kai, aber das waren keine teuflischen Seehunde mehr, sondern nur noch weichgespülte Kielratten. Wenn ein Piratenschiff gefahrlos in einer gesetzestreuen Stadt Ankern konnte, dann konnten das unmöglich vernünftige Piraten sein. Aus diesem Grunde war Lizzie auch auf der Suche nach Dingen aus der glorreichen Vergangenheit.
Elisabeth wandte ihren Blick von der blau schimmernden See ab und ging zum Hafentor um wieder in die Stadt zu gelangen. Irgendwie erinnerte Anvil sie an ihre Heimat. Etwas provinziell aber dennoch ein großer Hafen. Die Menschen hier waren freundlich und die Ortschaft sehr schön. Das leicht verfallende in der Kulisse ließ sie sehr authentisch erscheinen und verstärkte den Eindruck einer Hafenstadt noch etwas. Das Wetter war bisher auch sehr angenehm, ebenso wie die Temperaturen, wenn auch etwas zu warm, aber nicht sehr. Man konnte sich hier heimatlich fühlen. Bei diesem Gedanken musste Lizzie grinsen. Mit sechzehn war sie von Zuhause ausgerissen, als sie an einen wohlhabenden Mann verheiratet werden sollte. Eigentlich war ihr Zuhause seit dem die See. Entweder war sie unterwegs auf den Meeren oder sie hielt sich ausnahmsweise für einige Monate in großen Hafenstädten, wie beispielsweise Stros’Mkai über Wasser. Ihre Heuer und ihre Löhne hatte sie gespart um sich eben diese Reise auf den Spuren der Piraten zu gönnen. „Womöglich“: so träumte sie jetzt wieder: „werde ich eines Tages selbst Pirat werden.“ Dieses Leben übte eine unglaubliche Faszination auf sie aus. Lizzie schlenderte zu einer Bank im Schatten eines Hauses hinüber und ließ sich dann darauf nieder. Umgehend holte sie das Büchlein hervor, blätterte zu der Stelle, an der sie gestoppt hatte, und las weiter.
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