Nabend Atelier!
Ich präsentiere: Mid-Twen-Crisis, ein semi-autobiografischer Slacker-Roman im Stile von Filmen und Büchern wie Clerks, Mallrats und High Fidelity und gleichzeitig eine Sezierung der "Ausgangspflicht" und des Nachtlebens einer Generation orientierungsloser Mittzwanziger, die sich an jeden Strohhalm der Hoffnung klammern und mit knapp 24 bereits denken, dass sie vereinsamt und verbittert sterben werden.

Dies ist die Geschichte eines Typen namens Daniel Schandelorz (Und ja, das ist sein Name). Er hat spät Abitur gemacht, hat zwei Ausbildungen abgebrochen und hängt jetzt in einer Art grotesker Orientierungsphase fest, nachdem ihn jetzt auch noch seine große Liebe Sandra verlassen hat, die Größeres vorhat, als mit einem Looser wie ihm zusammen zu sein (denkt er zumindest). Getrieben von halbherzigen Suizidgedanken, einer gewissen Vergnügungslust und überdramatisiertem Überlebenswillen, versucht der typische Großstadthypochonder Daniel, sich wieder zu etablieren. Und nebenbei versucht er auch, seine Ex wiederzugewinnen und sein Trinkproblem unter Kontrolle zu bekommen.

Ich habe die ersten paar Seiten einfach mal für euch hier fertig gemacht. Lasst euch nicht vom Schreibstil täuschen - er ist halt situationsgebunden und dementsprechend leicht stakkatohaft

In diesem Sinne: Feedback wäre sehr nett. Ich schreibe an dem Teil seit längerer Zeit und versuche, meine gescheiterte Beziehung und noch ein paar andere Sachen damit zu verarbeiten. Viel Spaß beim Lesen und Kommentieren

[FONT="Courier New"]Verdammter Diskjockey. Natürlich muss er in diesem Augenblick in diesem Club genau diesen Song spielen. Alle möglichen Pärchen im Club machen einen auf Engtanz, die meisten Singles kommen sich hier näher und machen es diesen total glücklichen, egomanen Ärschen nach. Sollen sie sich doch ein Hotelzimmer buchen und mich in Ruhe lassen, verdammte Scheiße.

Er spielt „Hungry Eyes“ von Eric Carmen, ihr wisst schon: Dieses Lied vom Dirty Dancing-Soundtrack, das im Film gespielt wird, als sich Jennifer Grey und Patrick Swayze näher kommen. Hätte er geahnt, was er damit jetzt bei allen Leuten hier und vor allen Dingen in mir auslösen würde, wäre es a) kein Geheimnis mehr und b) würde er sich neben mich setzen, mir ein Bier ausgeben, auf die Schulter klopfen und sowas sagen wie: „Mach' dir nix draus. Genau in diesem Moment auf einem anderen Teil des Planeten sitzt bestimmt auch so ein Würstchen wie du in der dunkelsten Ecke des Clubs an einem Stehtisch, raucht auch eine Zigarette, trinkt auch das mindestens achte Bier heute Abend und denkt genau dasselbe wie du.“

Nun, ich denke, es gibt bestimmt ein paar Millionen Typen wie mich, die ebenfalls vierundzwanzig Jahre alt sind, keine Ausbildung und dafür mehr Wartesemester haben als alle afrikanischen Länder zusammen Bürgerkriege. Aber ich verschwende keinen Gedanken an die Kerle. Meinetwegen soll Dominique in Paris gerade ebenfalls den Gedanken haben, mit einer Uzi durch die Disko zu rennen und solange dem DJ ins Gesicht zu schießen, bis seine Hackfresse aussieht wie ein Nudelsieb. Naja, zumindest ist das jetzt gerade mein Gedanke. Ich hasse Dirty Dancing ab sofort. Dabei dachte ich immer, es gäbe keinen anderen Film im Universum, der halb so schwul und gleichzeitig halb so brillant ist wie Dirty Dancing. Außer Top Gun, vielleicht. Aber wie dem auch sei, ich hasse Dirty Dancing ab jetzt. DJ Fuckhead hat mir einen Mythos kaputtgemacht.

Boah, mein Gott, der Song läuft immer noch. Ich schau mich gelangweilt im Club um. Warum bin ich nochmal hier? Ach ja, mein Kumpel Thomas hatte mich angerufen und gesagt: „Ey, Daniel! Wir machen heute Kieztour und ich weiß ja, dass du nicht so der Typ dafür bist, ne? Also, so für ausgehen und so, ne? Aber ich hab' das Gefühl, heute Nacht läuft was, Alter! Heute Nacht läuft was!“

Das Einzige, was läuft, bin ich – und zwar aus diesem Ranzladen raus. Zumindest tue ich das, falls der DJ nicht auf der Stelle aufhört, ständig diesen Mist zu spielen, bei dem ich leider Gottes daran denken muss, dass ich die einzige Wurst in Hamburg bin, die heut' Nacht ungevögelt nach Hause geht. Thomas, der Arsch, hatte sich einfach so verzogen und tanzt jetzt mit dieser einen Blondine im schwarzen T-Shirt und Jeansrock, und - falls mich meine Augen nicht täuschen – hat der Alten gerade 'nen Zungenkuss verpasst, mit dem er ihr die Weisheitszähne raus operieren könnte, wenn er wollte. Natürlich kann ich ihn jetzt nicht unterbrechen mit meinen unwichtigen Problemen, denn es ist ja gerade so romantisch. Bitte: Bringt mich um. Und zwar schnell und schmerzlos.

Ich lasse den Blick noch einmal schweifen, während ich simultan, mit Kippe im Mund, mein Handy aus der rechten Hosentasche fummel, um zu sehen, wieviel Uhr es ist. Gerade einmal 23:51 Uhr, her-fucking-vorragend. Das heißt, ich muss anstandshalber noch mindestens zwei Stunden hier bleiben. Ich will ja nicht, dass Thomas denkt, seine Überredungskunst wäre umsonst gewesen. Was hatten wir noch vor fünf Stunden oder so besprochen?

„Komm' schon, Daniel. Musst ja nicht lange bleiben, aber du musst auch mal raus aus deiner Bude.“
„Hast ja Recht, irgendwie. Aber ich hab' einfach keinen Bock, ich... ich bin noch nicht soweit.“
Ich hörte ihn laut ausatmen, was hieß, dass er genervt war von meiner Aussage. „Meine Güte. Das mit Sandra ist schon wie lange her? Drei Monate?“
„Ziemlich genau drei einhalb Monate.“
„Du kannst nicht daran kleben bleiben. Das Leben geht weiter. Auch ohne sie.“
„Ja, aber...“
„Nix aber.“, unterbrach er mich, „Du kommst mit ins Drafthouse! Und wenn ich dich kidnappen muss!“

Großes Tennis, das alles. Jetzt sitze ich hier, besauf' mich, rauche wie ein Schlot und in circa anderthalb Stunden werde ich mich dann langsam auf den Nach-Hause-Weg machen, aufgrund von akuter Bockloseritis. Trotzdem: Umsehen schadet ja nicht. Ich bin zwar nicht für One-Night-Stands gemacht und zur Not tut es auch Mister Hand, aber was soll's. Wer tanzt gerade nicht zu dem anderen 80er-Powerballaden-Rotz, den der DJ gerade aufgelegt hat?

Abgesehen von den geschätzt fünf Millionen Pärchen, die sich zum Gegenseitig-Abknutschen an jeden verdammten Tisch gestellt, beziehungsweise (versteht ihr? Beziehungs-weise? Haha! Ich bin so ein Witzbold!) gesetzt, haben, außer (zum Glück) meinem? Abgesehen von einer Gruppe Metalheads, die völlig besoffen zu „Take My Breath Away“ von Berlin (Ein Lied aus dem Top Gun-Soundtrack. Mann, ich hasse Top Gun.) headbangen und dabei aussehen, als würden sie den Luftmolekülen vor ihnen unzählige Kopfnüsse verpassen? Abgesehen von ein paar dicken und/oder hässlichen Weibern, bei denen ich einen Weingarten bräuchte, um sie mir schön zu saufen? Sind wirklich alle gut aussehenden und wahlweise auch zusätzlich sympathischen Frauen hier vergeben?

Ja sind sie. Ich gehe an die Bar, bestelle mir zwei Bier und will mich zurück zu meinem Tisch durch die Menschenmenge vor mir kämpfen, allerdings hat schon eines dieser beschissenen Pärchen den Tisch in Beschlag genommen, um dort aneinander rumzuspielen. Vielen Dank. Es ist nicht so, dass die Wände oder die Umgebung näher kommt in meinen Augen, aber ich muss raus. Einfach raus, irgendwohin. Ich entscheide mich in meiner theatralischen Panik für die letzte Zuflucht, die ich vor diesen ganzen Gestalten habe, die mir heute Nacht das Leben versauen wollen: Das Herrenklo.

Ich renne an der Tanzflüche vorbei, vorbei an Thomas, der die Zunge aus der Blondine nimmt, um mir verpeilt hinterher zu gucken. Und vorbei an allen anderen. Ich habe den Suff-Tunnelblick, wie er nicht angenehmer sein kann. Alles was zählt, ist die Flucht in die Toilette. Ich trete förmlich die Tür zum Herrenklo auf und befinde mich jetzt mit den zwei Pils in meinen Händen in einem Raum, dessen Boden und Wände mit schwarzen und weißen Fliesen im Schachbrett-Muster gekachelt sind. Vier Pissoirs, drei Kabinen, allesamt – zu meinem Erstaunen - frei im Moment. Ich entscheide mich für die von mir aus rechte Kabine und schließe die Tür ab. Nachdem ich mich auf der Schüssel hingesetzt, meine fast völlig abgebrannte Zigarette auf den Boden geworfen und die Fluppe unter meinen sandfarbenen K-Swiss zertreten habe, hole ich erneut mein Handy raus aus meiner Hosentasche. Ich habe einen dämlichen, wirklich wirklich dämlichen Gedanken, der so horrend dämlich ist, dass ich auf den Dämlichkeits-Schock zunächst die zwei Bier exe. Eiskalt läuft der Gerstensaft die Speiseröhre runter. Seine Kohlensäure wiederum kommt wenig später hoch. Ich öffne den Mund und rülpse einen Ton heraus, mit dem ein Jäger eine Horde Hirsche hätte anlocken können, weil sie den Ton für einen Brunftschrei gehalten hätten. Irgendjemand, der jetzt auch im Herrenklo ist und wahrscheinlich gerade das Stehbecken vollpinkelt, ruft mir zu: „Respekt!“, was ich mit einem „Danke!“ quittiere.

Es kommt kein Hirsch, also bin ich zunächst sicher im Klo. Im Suff durchsuche ich mein Handy nach einer Nummer, die ich anrufen könnte. Und weil ich schon seit fast zwei Monaten einem gewissen Ritual folge, rufe ich meine Ex an, ist doch logisch. Ihr wollt jetzt bestimmt wissen, was das Ritual ist, nicht wahr? Aber ich habe das Handy am Ohr und eine neue Kippe im Mund, die ich mir prompt anstecke. Ich atme blauen Dunst aus, während nicht meine Ex, sondern ihre Mailbox rangeht und mich darüber informiert, dass der t-mobile-Kunde mit der Nummer null... eins... sieben... Ich lege auf. Nun, das hat es gebracht!

Ich fahre mir mit den Händen durchs Gesicht. Wie erbärmlich: Ich hocke besoffen auf dem Klo und will meine Ex-Freundin anrufen, weil mich der Umgang mit Thomas langweilt und mir eh im Moment nichts bringt, weil er ja mit der blonden Tussi beschäftigt ist. Als ich darüber nachdenke, klopft es an meiner Klotür. Es ist Thomas, der mich fragt: „Alles okay da drin?“
Ich nehme meine Hände aus dem Gesicht und antworte: „Jo, alles Roger du Verräter.“
„Verräter? Hör mal, bin ich deine Nanny oder was?“, fragt's und ergänzt: „Mach' die Tür auf, Danny. Jetzt.“
Ich beuge mich nach vorne und entriegle die Tür. Thomas – gekleidet im dunkelblauem Sacko, gelbem T-Shirt und schwarzer Jeans – kommt hinein und sieht mich an wie eine Mutter, die ihren Sohn gerade beim Masturbieren erwischt hat.
„Danny, was machst du hier?“, fragt er im Erzieher-Ton.
„Nun...“, fange ich an, „Ich hocke auf der Herrentoilette, hab' zwei Biere auf meine Ex - ich meine: auf Ex - getrunken, hätte fast einen Hirsch angelockt und dann hatte ich den brillanten Einfall, Sandra anzurufen! Geil, ne?“ Ich grinse über beide Backen. Thomas sieht mich entgeistert an und schüttelt den Kopf.
„Meine Güte, das hat dir echt zugesetzt.“, kombiniert er und mein Grinsen verwandelt sich wieder in ein ernsthaftes Gesicht.
„Natürlich hängt mir das nach! Sie hat mir das Herz gebrochen und will nichts mehr von mir hören!“, sage ich und pausiere kurz, um zu rülpsen. Ich höre ein „Wow, nicht schlecht!“ vom selben Typen, der mir vorhin schon ein ähnliches Kompliment gemacht hatte. Der steht immer noch am Pissbecken? Der muss wirklich richtig Blasendruck haben. Ich sehe Thomas an und fahre fort:

„Was soll der Scheiß: Von wegen 'Du passt nicht in meine Lebensplanung.'? Was denkt sich die Fotze eigentlich, wer ich bin?“ Ich bin mittlerweile beim Lallen angekommen, und mit dem Lallen kommt das Pöbeln und Schreien. Die zwei Biere waren wohl die Tropfen, die Fass zum überlaufen brachten. „Und du weißt, dass ich in der Hinsicht emo... emotio... gefühlig bin und...“, ich pausiere noch einmal. Bis eben ging der Alkoholpegel bei mir, jetzt brechen alle Dämme, in jeder Hinsicht. „... und du Arsch rennst los, suchst dir die nächstbeste Alte aus und lässt mich alleine mit diesen ganzen Paaren und schönen Singles, die jetzt Paare werden und ich bin...“ Ich kann den Satz nicht zu Ende bringen, weil ich anfange zu hyperventilieren. Ich verliere gerade alle möglichen Coolness-Punkte, die ich bis jetzt mit meinen Hirschimitationen eingeheimst hatte.

Thomas will mich beruhigen, aber ich stehe auf und stoße ihn mit dem linken Arm zur Seite, während ich mit der rechten Hand die untere Hälfte meines Gesichts abdecke. Er soll nicht sehen, wie ich heule. Ich renne wieder vorbei an der Tanzfläche, die Blondine im Jeansrock sieht mich kurz an und ihr Blick schreit förmlich „Ich bemitleide dich!“. Ich renne ungehindert zur Garderobe. Hier fällt mir ein, dass ich nichts abgegeben habe, ich bin mit den Klamotten gekommen, die ich jetzt trage. Also geht es raus aus dem Drafthouse an die frische Luft.

Ein imaginäres kleines Männchen mit Holzhammer wartet bereits links neben der Tür und streckt mich nieder, als ich aus der schwitzigen Bude in die höchstens vier Grad Celsius kalte Nachtluft renne. Ich falle auf die Fresse und höre das Männchen kichern. Ich würde am liebsten aufstehen und das kleine Arschloch verprügeln, aber da er nur imaginär ist, würde das keinen Sinn ergeben. Also stehe ich nur auf. Völlig kopflos wanke ich erst einmal in Richtung Reeperbahn, um mich zwischen die Party-People zu drängeln, die in Heerscharen hier herum­latschen. Wenn Sandra sehen könnte, wie es mir geht, dann... Nein ich denke lieber nicht daran. Ich bin völlig breit und will im Prinzip nur noch nach Hause. Aber da gibt es noch eine Sache, die ich erledigen muss, bevor ich heim fahre.

Ich habe vorhin von einem Ritual gesprochen. Nun, ich habe meine Checkliste fast abgearbeitet:
1.:
Mich richtig schön volllaufen lassen, bis ich emotional werde. Check.

2.:
Mir ein paar Bier bestellen, um mir noch mehr Mut für Punkt 3 anzutrinken, und mich aufs Herrenklo verziehen. Check.

3.:
Meine Ex anrufen und immer, wenn sie oder ihre Mailbox rangeht, auflegen. Check.

4.:
Abhauen. Check.

5.:
Mit der S-Bahn bis zur Haltestelle Landungsbrücken fahren, dort mit Kopfhörern und lauter Musik im Ohr chillen, bis es ein wenig heller ist und mich ans Geländer der Promenade stellen. Mit dem festen Gedanken, mich heute Nacht endlich fallen zu lassen ins arschkalte Elbewasser. Und um dort zu bleiben, bis ich erfriere und wie ein Stein zu Boden sinke.

Okay, ich bin nach einer fünfminütigen S-Bahn-Fahrt - und einer anschließenden Kotzorgie an zwei Müllcontainern - angekommen an meinem Platz. Es ist wunder­schön hier. Wunderschön auf eine typisch hamburgische Art und Weise. Man geht aus dem Haltestellengebäude hinaus und kommt direkt auf einen circa fünf Meter hohen Wall. Dieser hoch gelegene Fußweg führt direkt auf die Promenade, die an der Elbe verläuft. Mit hellen Steinen erbaut und den Metallstreben am Rande, die als eine Art Reling fungieren, wirkt sie wie ein unauffälliger Farbtupfer in der ansonsten eher eintönig grauen Hafen City. Ich setze mich auf eine der zahlreichen Bänke hier und werde fündig: Neben meinem Sitzplatz steht eine halbvolle Flasche „feinster“ Moskovskaya-Wodka. Unglück im größeren Unglück. Ich greife mir die Flasche, öffne sie, rubbel mit dem Ärmel meines schwarzen Kapuzenpullis die Flaschenöffnung einigermaßen sauber und nehme einen tiefen Schluck. Pure Chemie und ein ekeliger Druck im Magen folgen. Vor allem, nachdem man sich erbrochen hat, ist es eigentlich eine arg schlechte Idee, weiter zu trinken. Aber ich achte nicht darauf im Moment. Ich sitze hier und starre auf den Boden, während mein MP3-Player einen Song spielt, den ich bisher noch nicht so oft gehört habe:

Yeah, my my, such a sweet thing
I wanna do everything
What a beautiful feeling
Crimson and clover, over and over


Ich weiß, auf euch wirke ich jetzt wie eine weinerliche Pussy, die sich mit Pubertätsproblemen rumschlägt. Glaubt mir: Ich bin absolut nicht in der Stimmung für solche Anschuldigungen. Ich habe alles Recht der Welt, mich beschissen zu fühlen. Es war nicht immer so. Es war alles gut bis vor kurzem. Ich war glücklich, ich dachte, sie wäre es auch. Aber anscheinend war es anders, als ich gedacht hatte. Ich denke zuviel nach. Ich kann es jetzt nicht mehr ändern. Sie hat mich verlassen, mit dem Grund, ich würde nicht in ihre Lebensplanung passen und sie wüsste nicht, wie wir weitermachen sollten. Sie meinte definitiv damit, dass sie es nicht mehr ertragen konnte, dass ich im Gegensatz zu ihr keine Lebensplanung hatte. Außer, möglichst glücklich mit ihr zu sein und am Blowjob- und Schnitzeltag von vorne bis hinten bedient zu werden.

Ich nehme einen Schluck aus der Flasche, dann stelle ich mich – leise Joan Jetts Greatest Hits mitsingend – an die Reling der Promenade und schaue auf das, was vor mir liegt. Dunkles Wasser, ein paar Segelschiffe dümpeln herum. An den Kais und sporadisch auch an den Stegen vor der Promenade selbst – die vom Wasser aus wie eine massive Steinmauer aussieht und deren Höhe über der Wasseroberfläche fünf oder sechs oder ein paar Meter mehr ist - sind Schiffe und Boote angeleint oder angeankert oder wie auch immer das heißt. Sorry, ich bin besoffen. Da ist das mit dem Beschreiben so 'ne Sache für sich. Ich hoffe, ihr versteht mich bis jetzt. Ich schreie laut mit:

Do you wanna touch me there? Where? There! Yeah!


Ich hab einen wunderbaren Blick auf die Elbe. Auf den Hafen. Auf die Möchtegern-Wolkenkratzer der Alster City. Auf die Schiffswerft Blohm & Voss, - pardon, jetzt heißt sie Thyssen Krupp Marine Systems oder so – deren Trockendocks wie pechschwarze, unförmige Vierecke im genauso schwarzen Wasser langsam hin- und herschaukeln und dadurch hervorstechen, dass sie einem zunächst nicht auffallen, wenn man gegen 3 Uhr morgens betrunken bei den Landungsbrücken steht und laut (und völlig schief) alte Punkrock-Songs mitgröhlt. Ich liebe Hamburg. Ich hasse mich selbst. Ich bin vierundzwanzig Jahre alt und gehe schneller als mir lieb ist auf „Mitte Zwanzig“ zu. Ohne abgeschlossene Berufsausbildung oder Studienplatz. Ich bin das wandelnde Aushängeschild der Generation „Berufserfahrung wird vorausgesetzt“.

Und ich liebe es, dass mir alles scheißegal ist.

Ich steige auf das Geländer und halte mich notdürftig an einem Fahnenmast rechts neben mir fest, an dem die Landesflagge von Hamburg hängt und im strammen Nordnordost-Wind (oder von wo auch immer der Scheißwind herkommt) laut vor sich hin flattert. In der linken Hand meinen Wodka, rechts neben mir die Hamburger Flagge. Es wäre der coolste Abgang der Welt, wenn ich keine Höhenangst hätte. Ich schaue ein wenig zitternd – zum einen vor Kälte, zum anderen vor Panik – den Wall hinunter. Es geht maximal acht Meter weit abwärts, bis ich im Wasser aufschlage oder wahlweise auch auf dem Steg oder – wenn ich wirklich kreativ sein möchte - auf dem Deck des Dampfers, der unten direkt vor meiner angepeilten Landeposition ankert. Das ist schon das vierte Mal, dass das hier passiert. Immer wieder bin ich drauf und dran, es wirklich zu tun. Doch im letzten Augenblick (so wie jetzt) entscheide ich mich um, steige vom Geländer runter und versuche, wie Arnold Schwarzenegger samt Judorolle die letzten paar Zentimeter hinunter zu hüpfen. Natürlich packe ich mich auf die Fresse. Die Wodkaflasche fliegt im hohen Bogen aus meiner Hand und landet mit einem lauten Klirren ein paar Meter von mir entfernt neben der Bank, auf der ich bis vor fünf Minuten gesessen hatte vor meinem halbherzigen Suizidversuch. Ich liege am Boden und ich glaube, ich habe mir die Knie aufgeschürft, meine Bluejeans sieht jedenfalls an den Knien ein bisschen angerissen aus. Ist das nicht heutzutage trendy oder so? Egal. „Leck mich Hamburg! Ich fahr' nach Hause!“, rufe ich und trotte mit gesenktem Haupt zurück zur S-Bahn-Station.

I love Rock'n'Roll, so put another coin in the jukebox, baby!

[SCHNITT]
Mein Wecker nervt. Also greife ich nach links, taste mich über die Oberfläche meines Nachttischs zu ihm heran, packe das Scheißding und schmeiß' es gegen die nächstgelegene Wand. Lasst mich und meinen Kater schlafen, ihr fiesen Penner. Mein Kater miaut zufrieden. Nein... Moment...

Es ist 14 Uhr am Nachmittag und ich muss mich übergeben. Während ich auf der Suche nach meinem Badezimmer durch mein Ein-Zimmer-Wohnklo torkel, fällt mir ein, dass ich heute irgendetwas vor ha... UUAARGH! Okay, zur Not tut es halt auch manchmal die Spüle in der Küche. Wo war ich? Ach ja: Ich hatte heute irgendetwas vor. Fragend und eine Flasche Wasser suchend sehe ich mich in meinem persönlichen Chaos um, bis mein Blick an einem Post-It am Kühlschrank hängen bleibt:

Sandra. 13 Uhr. Hendrik's.
Hey, wer hat den Penis unter der Notiz gezeichnet?

Moment einmal. Das heißt also Folgendes:
Es ist 14 Uhr.
Auf dem Post-It steht 13 Uhr.
Irgendetwas mit Sandra.

Mit einem lauten „Oh Fuck!“ renne ich kopflos durch die Bude. Wo soll ich anfangen? Soll ich erst duschen, dann mich anziehen und noch einmal in die Spüle brechen, danach eine Zigarette rauchen und die Zähne putzen gegen den Kotzegeruch? Oder lass' ich alle Punkte ab „Anziehen“ aus? Oder zieh ich mich einfach an, mach' eine Deo- und Haargel-Dusche und... Oh, die untere Hälfte des Post-Its ist nach innen gefaltet. Jetzt besagt die Nachricht:

Sandra. 13 Uhr. Hendrik's.
(Pimmel)
Montag, nach Frühschicht.
Bloß keinen Scheiß labern und die Alte zurückgewinnen.


Charmant, also der letzte Teil. Das ergibt Sinn, denke ich.

Welcher Tag ist heute überhaupt?

Während diese Frage in meinem alkoholgeschädigten Kopf hin- und herfliegt, als würden meine Hirnzellen damit Ping Pong spielen, klingelt mein Handy. Und hier ist schon die nächste Frage: Wo ist mein Handy?
Ich wühle mich durch Klamottenhaufen, die auf dem dunklen Laminatboden meines Wohnklos liegen. Ich suche in jeder Hose, die durch glückliche Zufälle in meinen Händen landet. Endlich werde ich fündig: Da ist die zerstörte Bluejeans. Allem Anschein nach habe ich mich nach meiner Landungsbrücken-Aktion noch einmal saftig hingepackt, so sehen zumindest die Bereiche an den Knien und am Hintern aus. Warte mal: Am Hintern? Hab ich mich auf Schmirgelpapier gesetzt? Egal. Ich fummel mein Handy aus der Hosentasche und melde mich mit einem leisen Rülpsen, gefolgt von einem „Daniel Schandelorz? Und ja, das ist mein Name?“
„Danny, wo bist du?“, fragt eine vertraute Männerstimme.
„Zuhause und gleichzeitig ganz woanders, glaube ich.“, antworte ich und nehme einen tiefen Schluck aus der 1,5 Liter-Wasserflasche, die ich gerade unter meinem Bett gefunden habe, neben dem ich liege. Mitten in einem Haufen aus Unterhosen, Socken, Hosen und Pullovern. Ist irgendwie bequem hier. Ich glaube, ich bleibe hier.
„Ach so.“, sagt Thomas darauf und führt aus: „Pass' auf: Erinnerst du dich an gestern Nacht?“
„Teilweise ja.“
„Also hast du bestimmt noch diese eine Blondine in Erinnerung? Mit dir ich...?“
„Schwarzes T-Shirt und Jeansrock?“, unterbreche ich.
„Denke schon.“
„Wie?“
Thomas pausiert ob seiner offensichtlich reichlich dämlichen Antwort. „Nun: Nachdem du deine fünf Minuten hattest, ist sie dir hinterher gerannt. Ich dachte eigentlich, du wärst mit ihr noch unterwegs gewesen, weil zu mir zurückgekommen ist sie nicht.“
Ich antworte zunächst mit Stille, die auf der anderen Seite der Leitung durch ein paar „Hallo?“s und „Bist noch dran?“s unterbrochen wird. Ich ringe mich zu einer Gegenfrage durch: „Hinterher gerannt, ja?“
„Jo.“
„Okay, und was jetzt?“
„Heute ist Samstag, Alter. Und der Tag ist noch jung.“
Danke, Thomas, mein wandelnder Kalender! „Aber ich nicht mehr. Ich hab' genug für die nächsten zwei Jahre oder so.“
„Lass' mich nicht hängen. Ich hab' die Nummer von der Blondine und... wie es aussieht hat sie für dich was übrig, also kannst du sie haben.“
„Thomas, sie ist ein Mensch und keine Pokémon-Sammelkarte.“
„Okay, sorry. Aber du weißt, was ich meine, oder?“
„Ja, natürlich.“
„20 Uhr bei mir?“
Ich seufze laut. Aber irgendein Teufel, der auf meiner linken Schulter zu sitzen scheint sagt, ich solle mit „Ja, ich bin da.“ antworten und danach auflegen.
Ich tue genau das, stelle meinen Handywecker auf 18 Uhr und gehe wieder pennen. Die Welt wird mich bis dahin wohl nicht vermissen, denke ich.[/FONT]