Ergebnis 1 bis 4 von 4

Thema: Der Anfang vom Ende

  1. #1

    Der Anfang vom Ende

    Kräfte messen sich an meinem Ufer,
    wo saure, abgenagte Äpfelgehäuse weit der Stämme fallen.
    Hier bin ich daheim.
    Hier stopft man mir Finger in die Nase,
    bis ich sie voll habe.
    Hier beraubt man mich noch am Schandpfahl.

    Ich stochere im Bienenstock,
    bis du mir wimpernzuckend eine Grube gräbst,
    um dich mit beiden Beinen hineinzustellen.
    Und ich, mit einem Beine, steh in dir.
    Hier hänge ich stets in der Luft.
    Hier belle ich, bevor ich beiße.

    Zwei Klappen brauche ich für eine Fliege.
    Hier wasche ich fremde Hände,
    die mich würgen und die Flucht versperren.
    Hier spreche ich Bände in Braille.
    Hier hauche ich heiße Luft in die Ohren der Tauben.
    Und dann lasse ich den Worten Taten folgen.

    Wo ich den verjagten Wellen nachschaue,
    da steht und fällt die Welt.
    Erst stichst du mir ins Auge,
    dann geht es mit uns hinein:
    Hier stehe ich
    wider Erwarten
    und begrüße all den schweren Anfang vom Ende.




    War eigentlich nicht viel mehr als eine Spielerei, die mir im Endeffekt ganz gut gefiel. Es geht grob gesagt um den Eindruck, Erwartungen nicht erfüllen zu können und um die Absehbarkeit des Scheiterns. Dabei soll die Schuldfrage vollkommen offen bleiben. Die Bezüge auf Redewendungen wollen einerseits die in ihnen konservierte Erwartungshaltung ad absurdum führen, andererseits tragen sie die Stilbesonderheit im Text, der ohne sie einfach langweilig wäre (ja, Aufpeppen ist eine Existenzberechtigung \o/ ).

    Kritik, Meinungen und Anmerkungen sind willkommen.

  2. #2
    Das die verdrehten Redewendungen das ganze "aufpeppen" sollen finde ich okay, allerdings sind das ein paar Redewendungen zuviel für meinen Geschmack geworden. Da ich aber eh ein Verfechterin moderner Lyrik a la Celan und Benn bin, möge mir das verziehen sein.

    Ein paar Anregungen zu deiner selbsternannten "Spielerei":


    Der Anfang vom Ende

    Kräfte messen sich an meinem Ufer,
    wo saure, abgenagte Äpfelgehäuse weit der Stämme fallen. /
    Da ist was aus dem Takt geraten glaube ich, wie wärs mit
    „wo saure Apfelgehäuse weit der Stämme fallen“. Abgenagt entspricht dem -gehäuse ja, ein paar Silben müssen hier auf jeden Fall raus.


    Hier bin ich daheim.
    Hier stopft man mir Finger in die Nase,
    bis ich sie voll habe./
    Bis ich die Nase voll habe klar, aber im ersten Moment impliziert das aber einfach nur dreckige Finger oder jemanden der Komplexe hat und in der Nase bohrt.


    Hier beraubt man mich noch am Schandpfahl./
    Das würde ich als letzte Zeile im Gedicht nehmen um das Scheitern zu verdeutlichen. Es wird eigentlich keine Geschichte erzählt, sondern es werden nur Fakten aufgereiht.


    Ich stochere im Bienenstock,
    bis du mir wimpernzuckend eine Grube gräbst,
    um dich mit beiden Beinen hineinzustellen.
    Und ich, mit einem Beine, steh in dir./
    Das lyr. Ich steht ihn ihr? … oder ist das ein Schreibfehler und müsste heißen „in ihr“ (der Grube). Wimpernzuckend eine Grube graben... was soll das dem Leser sagen? Zwinkert sie ihm zu, oder "zuckt" sie vor ihrer eigenen Tat zurück?


    Hier hänge ich stets in der Luft.
    Hier belle ich, bevor ich beiße./
    Würde ich beide streichen – zuviele Metaphern verderben das ganze und sie tragen gar nichts zur Geschichte bei.


    Zwei Klappen brauche ich für eine Fliege./
    Das Scheitern kommt hierin ganz gut zum Ausdruck, die Zeile wird aber fast schon erschlagen von den anderen Vergleichen. Eventuell isoliert an den Anfang setzen?

    Hier wasche ich fremde Hände,
    die mich würgen und die Flucht versperren./
    Diese Zeile klingt sehr erzwungen dramatisch und plötzlich fällst du aus deinem Stil heraus - was auch wieder an den Silben und der Wortwahl liegt; es wäre stilistisch angenehmer zu lesen "hier wasche ich fremde Hände rein, die mich meiner weißen Weste berauben.

    Hier spreche ich Bände in Braille./
    Schön!

    Hier hauche ich heiße Luft in die Ohren der Tauben.
    Und dann lasse ich den Worten Taten folgen. /
    Soll sich das reimen? Klingt ein wenig nach „reim dich oder ich fress dich“ - zumal mir die zweite Zeile ein wenig rangeheftet erscheint Wieder fällst du aus dem Rhythmus. Ist das gewollt?


    Wo ich den verjagten Wellen nachschaue,
    da steht und fällt die Welt.
    Erst stichst du mir ins Auge,
    dann geht es mit uns hinein:/
    Sehr schön! Hier würde ich Schluss machen...


    Hier stehe ich
    wider Erwarten
    und begrüße all den schweren Anfang vom Ende. /
    Finde ich, wie den Titel, nicht sehr gelungen, aber in Ordnung. Der Kreis schließt sich sozusagen.

    Ich hoffe du kannst was mit den Anregungen anfangen; ich finde sehr viele wunderbare Ideen in deiner Lyrik - nur die Geschichte darin wollte sich mir nicht offenbaren bis ich deine Anmerkungen nochmal durchgelesen habe.

    Hab mich gern damit auseinandergesetzt. lg Viviane

  3. #3
    Hm.. Schöne Bilder setzt du auf, aber sprachlich find' ich da nichts, das mich sofort überzeugt.
    Liegt meinem ersten Eindruck nach an den Satzformen. Du legst nur Tatsachen auf, in einfachen Aussagesätzen.

    "Ich gehen Einkaufen." "Ich sehe dabei einen Vogel." "Der Vogel fliegt."

    Mir fehlt da die "Spielerei" mit den Wörtern. Hier ist alles so klar und vorgegeben, kein Raum für Gedanken.

    Zitat Zitat
    Wo ich den verjagten Wellen nachschaue,
    da steht und fällt die Welt.

    Erst stichst du mir ins Auge,
    dann geht es mit uns hinein
    Gefällt mir aber.

  4. #4
    Vielen Dank euch beiden für eure Anmerkungen, das bringt mich erstmal ein ganz großes Stück weiter. =)
    Ich will noch kurz auf einzelne Punkte eingehen:

    Zitat Zitat von Viviane Beitrag anzeigen
    Da ist was aus dem Takt geraten glaube ich, wie wärs mit
    „wo saure Apfelgehäuse weit der Stämme fallen“. Abgenagt entspricht dem -gehäuse ja, ein paar Silben müssen hier auf jeden Fall raus.
    Nunja, eigentlich schwebte mir überhaupt kein Rhythmus vor, weil's ja nicht wirklich lyrische Formen hat, aber es ist wahr, dass der Vers etwas silbenlastig ist. Ich war mir nicht wirklich sicher, ob das Aufgegessensein der sauren Äpfel allein durch die "-gehäuse" so herauskommt. Der geneigte Leser soll halt wirklich wissen "Aha, die haben ihre Äpfel verputzt..."
    Wie ich das anders umsetze oder ob ich direkt zu deinem freundlichen Vorschlag greife, muss ich mir nochmal durch den Kopf gehen lassen.

    Zitat Zitat
    Bis ich die Nase voll habe klar, aber im ersten Moment impliziert das aber einfach nur dreckige Finger oder jemanden der Komplexe hat und in der Nase bohrt.
    Den Hinweis bersteh ich leider nicht ganz. *shy* Rein bildhaft soll das eigentlich sogar ein bisschen karrikativ wirken, sozusagen dass in eine Nase ein ganzer Haufen Finger passen würde. Ziel verfehlt? =/

    Zitat Zitat
    Hier beraubt man mich noch am Schandpfahl./
    Das würde ich als letzte Zeile im Gedicht nehmen um das Scheitern zu verdeutlichen.
    Also rein systematisch betrachtet sollen die ersten drei Strophen jeweils auf eine ins Gegenteil verkehrten Erwartungshaltung enden (der Dieb am Schandpfahl; Hunde, die bellen, beißen nicht; Taten auf keinerlei Worte), weshalb das hier auch weniger mit dem Scheitern an sich zu tun hat, sondern viel mehr mit dem absichtlichen Erschweren des Erfolges durch die Umwelt (alle drei Strophen wollen je für eine Hürde stehen; Umwelt, der/die andere bzw. eine Bezugsperson, das Selbst).

    Zitat Zitat
    Das lyr. Ich steht ihn ihr? … oder ist das ein Schreibfehler und müsste heißen „in ihr“ (der Grube). Wimpernzuckend eine Grube graben... was soll das dem Leser sagen? Zwinkert sie ihm zu, oder "zuckt" sie vor ihrer eigenen Tat zurück?
    Ich gebe zu, es klingt extrem seltsam, aber rein idiomatisch ist es zumindest nicht unmöglich. ^^" Bildlich gesehen ist das auch etwas verwirrend, denke ich, aber um die Bedeutungsebene wirklich auf den Redewendungen zu halten, musst ich da in ein paar fragwürdige Ausdrucksweisen abgleiten. Es geht hier um die Wendungen "Mit beiden Beinen im Leben stehen" und "Mit einem Bein im Grab stehen", weshalb das 'in dir' auch eher abstrakt gesehen werden muss. Wie gesagt, ist ziemlich blöd verworren die Stelle.

    Zitat Zitat
    Zwei Klappen brauche ich für eine Fliege./
    Das Scheitern kommt hierin ganz gut zum Ausdruck, die Zeile wird aber fast schon erschlagen von den anderen Vergleichen. Eventuell isoliert an den Anfang setzen?
    Nunja, der ganze Text baut eben gerade darauf auf, dass er eine einzige Ansammlung von versinnbildlichten Sprüchen ist. Ich kann verstehen, wenn einen das vielleicht ein bisschen überrennen mag, mir persönlich gefällt das aber hier ganz gut. ^^

    Zitat Zitat
    Hier hauche ich heiße Luft in die Ohren der Tauben.
    Und dann lasse ich den Worten Taten folgen. /
    Soll sich das reimen? Klingt ein wenig nach „reim dich oder ich fress dich“ - zumal mir die zweite Zeile ein wenig rangeheftet erscheint Wieder fällst du aus dem Rhythmus. Ist das gewollt?
    Öh... ich kann mir nicht mal ganz vorstellen, wie sich das reimen könnte. Der letzte Vers der Strophe bezieht sich auf die beiden vorhergehenden, um die Tatsachen noch ein bissche mehr ins Absurde zu ziehen.

    Zitat Zitat
    Ich hoffe du kannst was mit den Anregungen anfangen; ich finde sehr viele wunderbare Ideen in deiner Lyrik - nur die Geschichte darin wollte sich mir nicht offenbaren bis ich deine Anmerkungen nochmal durchgelesen habe.

    Hab mich gern damit auseinandergesetzt. lg Viviane
    Das war auf jeden Fall eine außergewöhnlich hilfreiche und nette Auseinandersetzung! Vielen Dank dafür. =)
    Ich weiß, der Text ist ziemlich gewöhnungsbedürftig und wirkt fast ein bisschen zusammengewürfelt, vielleicht werde ich dem in einer Bearbeitung nochmal entgegen wirken. Deine Anregungen dahingehend und überhaupt sind da wirklich unglaublich wertvoll.

    Zitat Zitat
    Mir fehlt da die "Spielerei" mit den Wörtern. Hier ist alles so klar und vorgegeben, kein Raum für Gedanken.
    Das liegt ein bisschen daran, dass das lyrische Ich so ein bisschen episodisch aufzeigt, was so alles bei ihm schief läuft, sodass er eben keine wirklich fließenden Übergänge in den Gedanken hat. Hängt auch damit zusammen, dass so viele künstliche, vorformulierte Erwartungshaltungen wie möglich desillusioniert werden wollen, um den Druck, der hinter ihnen entsteht, deutlich zu machen. Du sagst es eigentlich sehr schön: Alles ist klar vorgegeben, kein Raum für Gedanken, deshalb auch kein Raum für Abweichungen; genau das, was diese vorformulierte Erwartungshaltung schafft. Ich kann nicht sagen, dass ich diesen Effekt, den du da wahrnimmst, direkt eingeplant hatte, aber er ist meiner Intention sogar relativ zuträglich. ^^

    Jedenfalls auch dir vielen Dank für dein freundliches Feedback. Man ist immer ein bisschen auf Fremdmeinungen angewiesen bei sowas, weil man ja schlecht so tun kann, als hätte man's nicht selbst geschrieben, deshalb kommt jedweder Kommentar - und gerade, wenn er so aussagekräftig und hilfreich ist - sehr gelegen. =)

Berechtigungen

  • Neue Themen erstellen: Nein
  • Themen beantworten: Nein
  • Anhänge hochladen: Nein
  • Beiträge bearbeiten: Nein
  •