Ich liebe meine Kollegen und ich liebe meine Chefin. Abgrundtiefst. Ich habe noch nie ein Arbeitsverhältnis (oder ein Lernverhältnis for that matter) kennengelernt, wo die Chemie so stimmte.
Das geht los bei meiner Chefin, die mir heute so ganz nebenbei und trotz Zeitdruck auf eine banale Nachfrage die Grundpfeiler der kulturellen Wahrnehmungsästhetik erklärt und ihrem Computerbildschirm und den Verwaltungsaufgaben darauf die Zunge rausgestreckt hat (man muss diese intelligente und souveräne Frau wahrscheinlich kennen, um zu verstehen, wie absolut skurril und gleichzeitig erhebend so eine Geste bei ihr ist). Das geht weiter bei dem Dozenten, der meine Bachelorarbeit betreut und mit dem ich 15 Minuten über mein Thema sprechen und eine anderthalbe Stunde über den Spartakus-Aufstand, Game of Thrones und das virtus-Konzept der abendländischen Welt philosophieren kann. Oder bei dem Privatdozenten, mit dem wir grad im state of the art des Diskurses um Narratologie und Kulturtheorie durchsprechen und der mittendrin aufflammt und euphorisch wie ein glücklicher Junge von seinem aktuellen Forschungsprojekt erzählt. Oder unsere Sekretärin, die uns Kaffee schenkt und augenzwinkernd ermahnt, beim Verlassen des Büros das Fenster zu schließen. Oder meine Mithilfskräfte, die jede gemeinsame Bürozeit zu einem produktiven Kaffeekränzchen verwandeln.
Zu wissen, dass ich genau dort hingehöre, dass ich genau dort sein möchte und am liebsten nie mehr mit anderen Leuten als denen von diesem Kaliber zusammenarbeiten möchte, macht es fast egal, dass ich da womöglich drohe mich völlig festzufahren, dass ich nach und nach zum Fachidioten mutiere. Ich bin Feuer und Flamme für diese Leute und unabhängig davon Feuer und Flamme für die Wissenschaft, die wir zusammen betreiben. Ich bin (und ich sage das nicht zur Selbstdarstellung, sondern um einen Punkt zu machen) einer, der in Tätigkeiten aufgeht, ich muss die Dinge ernst nehmen; ob ich 6 Stunden lang irgendwo putze, ob ich 10 Stunden lang Patienten betreue, ob ich 4 Stunden lang Nachhilfe gebe, ob ich 8 Stunden auf Kinder aufpasse, ob ich einmal die Woche 2 Stunden lang Zeitungen austrage -- ich muss das ernst nehmen, ich muss das ordentlich machen, weil ich sonst nicht damit klarkomme. Ich bin derzeit 5 Tage die Woche von 9h00 bis 20h00, manchmal 21h00, manchmal 23h00 Teil dieser kleinen wissenschaftlichen Sippschaft und racker mir den Arsch ab. Und danach sitze ich oftmals noch da und arbeite mich mit anderen Wissenschaftlern an prozeduralen Analysen lateinischer Verbalparadigmen und den Schicksalskonzepten in mittelalterlichen Heldenromanen ab. Nichts fühlte sich jemals so leicht und so dankbar an. Ich bin selber noch kein Wissenschaftler, das ist mir völlig klar. Mir fällt aber keine naheliegendere Vorstellung ein als mal einer zu werden. Das ist, nachdem man sich einmal geschworen hat, sich nie wieder komplett festlegen zu wollen, ein genauso unheimlicher wie liebenswerter Gedanke.