Also ich finde es bei Büchern unheimlich einfach, das Gute/Interessante/Relevante zu finden. Liegt vielleicht wiederum an den persönlichen Interessen, Ansichten und Zielsetzungen, aber ich bin echt schon mehrmals an den Punkt gekommen, an dem ich mehr Bücher vor mir hatte, als ich lesen könnte und die waren es dann auch tatsächlich alle wert gelesen zu werden.
Bei Filmen wiederum ist das nicht so einfach, finde ich. Man hat nur selten etwas wirklich Gehaltvolles, auf gute Filme stoße ich persönlich immer nur durch Glück und Zufall. Ähnlich ist das auch mit guter Musik. Ich sitze manchmal 1-2 Stunden da und durchforste Youtube nach neuen Einflüssen.
(Man beachte bitte dass alle wertenden Begriffe hier meinen persönlichen Empfindungen entsprechen, das kann jedem anders gehen.)
Allgemein würde ich auch behaupten, es gibt nicht zu viele Medien, es gibt nur zu einer unterproportionalen Anzahl wertvolle Medien, die in einem großen Sumpf von halbgaren Konsumgütern aufgeschwemmt werden.
Diese Must-Sees und Must-Have-Reads entstehen meistens aus der Illusion heraus, dass irgendwas besonders großen, kulturellen Einfluss hat. Das mag dann im Endeffekt auch stimmen, aber entsteht dadurch auch irgendwie eine gewisse Leitkultur. Deswegen beispielsweise ist es so einfach, die deutsche Literatur immer wieder auf Goethe runterzubrechen, obwohl andere Autoren wie Hesse, Lessing oder Brecht 1000mal wertvoller sind als der olle Johann Wolfgang von und zu. Ich finde, schon allein wenn mal Lessings Nathan der Weise liest, ist man viel näher an den Idealen und Problemen der modernen abendländischen Kultur dran als mit Goethes Faust.
Must-See-Filme aus den Vierzigern: Casablanca. Warum? Großer Film.
An Stromboli denkt keiner, weil der kommerziell nicht so erfolgreich war, dahinter steckt aber so viel mehr Wert für die kulturelle Identität der Nachkriegszeit, dass er für mich persönlich dem Bogart-Streifen vorzuziehen ist.
So geht das immer weiter, vor Schreck, dass es so viele große Werke gibt, vergisst man die kleinen, meist viel würdigeren Werke. Was nehme ich mir aus Moby Dick oder Vom Winde verweht? Hingegen Der Alte Mann und das Meer (ich muss allerdings zugeben: Ich kann mit Hemingway nix anfangen) oder Die Abenteuer des Tom Sawyer machen wiederum tatsächlich was her.
Auf der anderen Seite hat man sich auch auf einzelne Personen, ob nun Autoren, Regisseure, Schauspieler oder Künstler, einen Reim machen wollen und pauschalisiert sie auf ihre großen Erfolge herab. Mal ehrlich - kennt wer mehr als ein weiteres Werk von Antoine de Saint-Exupéry außer den Kleinen Prinzen? Und wie viele davon hat man auch gelesen? Hat jemand ein vollständigeres Bild von Saint-Ex als die Vorstellung, er sei ein Kinderbuchautor? Was ist mit Hesse? Außer dem Steppenwolf und Unterm Rad noch mehr gelesen? Fällt euch spontan ein Film von Jean-Pierre Jeunet ein, außer Die fabelhafte Welt der Amélie?
Irgendwann pauschalisiert man ganze Landeskulturen auf Einzelwerke und einzelne Autoren herab.
Spanien? Isabella Allende.
Großbritannien? Harry Potter.
Frankreich? Léon - Der Profi.
Italien? da Vinci.
Südafrika? Nadine Gordimer.
Ukraine? ... uff.
China? öh... Jackie Chan?
Je großer und bekannter die Kultur, umso mehr fällt uns dazu ein. Ich meine, das ist ein logischer Zusammenhang, aber für die allgemeine kulturelle Entwicklung ist es sehr schade.
Letzten Endes - und das genau ist der Punkt - ist es wichtig, dass man individuell entscheidet, was man sehen, hören oder lesen muss. Damit so etwas gewährleistet ist, braucht es eine unvoreingenommene Gesellschaft und ein großes, offenes und legales Netzwerk, das einem freien Zugang zu jeder Art von Medien gewährt. Beides wird es nicht geben und wäre vermutlich auch unverhältnismäßig. Aber so gut es geht, sollte jeder sein eigenes kulturelles Interesse befriedigen und sich nicht von "muss man gesehen haben" oder "sollte man gelesen haben" beeinflussen lassen.