Jau, aber hier ist das nirgends der Fall.
Erstmal einige grundlegende Anmerkungen zu Stil und Ausdruck:
Hörst du wirklich Tropfen fallen, wenn jemand unter der Dusche steht? Also ich hör da nur Tosen. Du musst aufpassen, bei Schilderungen bestimmte Sinneseindrücke nicht zu vermischen oder logisch zu verfälschen. Natürlich fallen da Tropfen (beziehungsweise ... ich hab ehrlich gesagt noch nie eine Dusche getroffen, aus der das Wasser herausgetropft wäre - meistens ist da Druck dahinter), aber das wissen deine Ohren nicht, das ist viel eher die Karikatur, die dein Kopf malt. Wenn du so markante Ausdrücke wie "hören" verwendest, musst du auch wirklich beim Hören bleiben, ansonsten wird es komisch. Für deinen Leser klingt das so, als wärst du in der Lage, jeden einzelnen Tropfen einzeln aufprasseln zu hören, und das funktioniert glaube ich nur unter Einfluss von bewusstseinserweiternden Substanzen.
"Stimme, Auge, tastende Hand" - Ist das für dich wirklich eine logische Aufzählung?Zitat
Was hieltest du von "Stimme, Blick, tastende Hand"? Natürlich merkt man, dass du mit den Augen irgendwie die Blicke implizierst, aber gleichzeitig wirkt es ebenso komisch, als würdest du von "wie Laub umherraschelnden Lippen" schreiben - je länger man darüber nachdenkt, umso schneller kommt man auf den Gedanken, dass da irgendwo Augäpfel im Treppenhaus rumliegen.
Du musst auch bei Sinnesäußerungen darauf achten, dass du die dem jeweiligen Ausdruck inhärente Logik beibehältst. Schau einfach, welche der Sinnesäußerung du selbst wahrzunehmen in der Lage wärst, bzw. wie du das dann ausdrücken würdest: Du kannst Stimmen hören und tastende Hände spüren - aber fallen dir wirklich die Augen auf, oder sind es die Blicke, die man dir zuwirft?
Auch hier ist das wieder so eine Sache mit der Logik. Es klingt einfach seltsam und ein bisschen laienhaft, wenn du von "die Identität kennen" schreibst. Dann nutz doch einen etwas obsoleteren, aber passenderen Ausdruck, wie beispielsweise: "[...], dass sich niemand der Identität gewahr war."Zitat
So wie ich das sehe, deuten nicht zuletzt der Schluss und das allgemeine "die Identität" (nicht etwa "ihre Identität") darauf hin, dass 'sie' und die Identität hier nicht eins sind. Warum also nicht noch etwas klarer werden und so etwas sagen wie: "Ihr größter Schutz war, dass niemand die Identität wahr nahm."
'kennen' ist hier aber in jedem Fall ein ziemlich komischer Ausdruck.
'erhob sich'? Wortwiederholungen können passieren, sind aber zu vermeiden.Zitat
Ansonsten finde ich die Idee recht hübsch, wobei ich zugeben muss, dass ich das Setting ein wenig zufällig finde - in meinem Kopf geschieht das alles in irgendeinem leeren Zimmer; das ist kein wünschenswerter Ort für etwas Ungeheuerliches. Mir gefällt auch der etwas inkonsequente Stil nicht: Du bringst sehr schöne Allegorien an und verstehst es schon irgendwie, bestimmte Sachverhalte poetisch zu abstrahieren, aber wenn etwas Ungeheuerliches passiert, erwarte ich mir - zumindest bei dem hier gesetzten Anspruch - auch, dass mir das stilistisch suggeriert wird. Gerade in solchen Identitätswirrwarr-Sachen müsstest du für mein Empfinden viel mehr darauf setzen, deinem Leser eine Gefühlswelt zu vermitteln, denn meine Vermutung ist, dass es dir um mehr geht, als um die weiße Hülle und das Rot. Die tatsächliche Sinneswelt, dort wo du wirklich mit synästhetischen Mitteln arbeiten könntest, bleibt weitestgehend stumm.
Das liegt vor allem daran, dass du nur schilderst, wenn du es für nötig hältst. Das kann in manchen Fällen ganz praktisch sein, hier finde ich es aber kontraproduktiv, weil du von Anfang an den Eindruck vermittelst (und gerade in Fragen der Identität rückt das nochmal in den Vordergrund), dass das Umfeld und die Außenwelt durchaus zählen und sehr viel vom Thema der Erzählung ausmachen.
Ansonsten bleibt die Symbolik recht hermetisch, aber das gefällt mir eigentlich an der Sache, es erhebt nicht den Anspruch, irgendeine Message zu vertellen, es geht einfach um das reine "Bin ich?". Letzten Endes lässt du es auch nicht an Verständlichkeit mangeln, für mich persönlich ist
einer der aussagefähigsten und - im Bezug auf den gesamten Text - schicksalhaftesten Sätze.Zitat
Wie gesagt also finde ich die Thematik und deine damit verbundenen Gedankengänge sehr hübsch und ausgereift, es mangelt meiner Meinung nach nur an der Umsetzung. Worauf du übrigens auch noch achten solltest: Kommasetzung. Man muss manche Sätze zweimal lesen, um zu wissen, was genau sie aussagen wollen. Es wirkt auch ein bisschen schöner, wenn die Modalsätze abgetrennt und nicht so an den Hauptsatz rangeklatscht sind.![]()