Es war also entschieden. Arlén würde heute sein Leben aushauchen. Der Henker wollte ihm schon das Seil um den Hals legen, doch Arlén packte ihn am Kragen und schleuderte ihn zu den restlichen Überlebenden, die erschrocken zurückwichen.

"Wenn ich heute schon sterben muss, dann will ich selbst darüber entscheiden!"

Er starrte eine Weile auf seine Hände, bis er schlussendlich eine zu seiner Augenklappe führte und sie sich vom Kopf riss. Darunter kam nicht etwa eine grässliche Wunde zum Vorschein, sondern ein scheinbar vollkommen gesundes Auge. Er spürte die verwirrten Blicke der Dorfbewohner auf sich ruhen und wandte sich ihnen wieder zu.

"Ja, es war nur eine Lüge...alles eine Lüge. Vor vielen Jahren habe ich meine Männer enttäuscht. Wir verloren eine wichtige Schlacht und ich war der einzig Überlebende. Ich dachte sie würden mich verschonen, wenn ich so tue als hätte ich ein Auge verloren, aber von wegen. Lynchen wollten sie mich, also rannte ich davon.
Schlussendlich kam ich dann hier an und obwohl ich ein komplett neues Leben hätte anfangen können habe ich die Augenklappe seitdem nicht mehr abgenommen. Vielleicht habe ich mir sogar vorgemacht, dass die Verletzung echt sei..."


Er richtete seinen Blick gegen Himmel, schloss die Augen und atmete tief durch. Plötzlich hörte er wie jemand auf ihn zustürmte und ohne die Augen zu öffnen wich er zur Seite und packte seinen Angreifer.

"Maia...was soll das? Wolltest du mich damit etwa erstechen?"

Grob packte er ihren Arm und riss ihr ein Messer aus der Hand. Dann setzte er sie ab, aber anstatt sie wegzustoßen umarmte er sie. Sie versuchte sich loszureißen und schrie lauthals, aber er war einfach zu stark.

"Es tut mir so leid, dass diese Morde ausgerechnet in diesem friedlichen Dorf stattfinden mussten. Ich wünschte ich hätte etwas dagegen tun können, aber ich war einfach nicht stark genug. Ich hätte mich wahrlich schon vor vielen Jahrem umbringen sollen...oder wenigstens vor einer Woche, aber ich konnte es einfach nicht. Zu sterben und dann in die Dunkelheit des Todes abzugleiten...diese Vorstellung war schlichtweg zu beängstigend..."

Damit ließ er Maia los und sie rannte weinend zu Adalbert und klammerte sich an ihn. Arlén verfolgte sie mit einem traurigen Blick und schließlich packte er das Seil.

"Also dann will ich mal..."

Langsam legte er sich das Seil um den Hals und zog es so fest wie möglich zu, doch urplötzlich ballten sich düstere Wolken am Himmel zusammen und innerhalb weniger Sekunden fing es an zu regnen. Arlén hielt kurz inne und starrte in den Himmel.

"Willst du mir etwa weismachen, dass es da draußen irgendjemanden gibt, der um meinen Tod trauert? Was für ein Witz..."

Für ein paar Momente genoss er den Regen, doch dann war es genug. Es musste enden.

"Vielleicht sehen wir uns in einem anderen Leben wieder...oder in einem anderen Spiel. Etwas anderes ist das Leben doch nicht...einfach nur ein Spiel um Leben und Tod, welches ich nun verloren habe.
Aber bevor ich gehe noch eine Sache: Es ist vorbei. Das Morden hat endlich ein Ende. Glückwunsch!"


Und damit trat er gegen den Hebel und die Falltür unter ihm klappte auf. Die Dorfbewohner sahen seinen Todeskampf mit an in der Hoffnung, dass seine Worte der Wahrheit entsprachen und just in diesem Augenblick wurde Arlén von einem Blitz getroffen und ein ohrenbetäubendes Brüllen ertönte als der Galgen zerbarst.
Adalbert warf sich schützend über Maia während William zur Seite sprang, als Arléns Körper in seine Richtung geschleudert wurde.


Die Regenwolken verzogen sich ebenso schnell wie sie gekommen waren und die wenigen Überlebenden Düsterwalds versammelten sich um Arléns Leichnam. Trotz des Blitzes schien er unversehrt und so unglaublich es auch klang, so trug er doch tatsächlich ein Lächeln auf den Lippen. Plötzlich fiel Williams Blick auf Arléns Hand...die Klaue eines Wolfes. Er beugte sich hinab und berührte sie, woraufhin Arléns gesamter Körper für einen Moment in der Gestalt eines Werwolfs aufblitzte und sich schließlich wieder in einen einfachen Menschen verwandelte.
Damit hatte der letzte Werwolf von Düsterwald sein Leben ausgehaucht. Möge er in Frieden ruhen...