Tigreffiev konnte sich selbst beobachten. Er sah wie er zum Teekessel lief, wie er eine Flasche finnischen Weines öffnete, wie er seinen Ledermantel mit Speck einrieb, wie er mit einem Besen die Überreste von Chemikalien vom Boden kehrte. Das alles sah er gleichzeitig und es wunderte ihn nicht. Die letzten Tage hatte er kaum eine Minute geruht, geschweigedenn geschlafen. Seine Augen brannten und waren mehr rot denn weiß. Sein Haar war zerzaust, sein Gesicht stoppelig, seine Wangen eingefallen.
Wieder einmal hatte er seinen gesamten Elan und seine ganze Kraft auf die Wissenschaft gesetzt und mit verschiedensten Blutproben experimentiert. Er war zu einigen Erkenntnissen gekommen, doch konnte er diese zum einen nicht zu einhundert Prozent bestätigen, zum anderen keinen pragmatischen Transfer schaffen.
Er hatte Dinge herausgefunden, doch keines davon hätte etwas gegen die Werwolfplage ausrichten können. Er hatte als Wissenschaftler gutes geleistet, als Pragmatiker versagt. Und so nahm er einen der billigen Elixiere aus dem Regal, mit denen er seinen Lebensunterhalt und seine Experimente finanzieren konnte.
Eine einfache Mischung aus Schnaps, Schafsgarbe und Kamillenblüten, verdünnt in Wasser und mit etwas Ziegenmilch aufgekocht. Nach einem tiefen Schluck legten sich die höllischen Kopfschmerzen etwas und der Doktor hatte wieder das Gefühl, er könne aufrecht gehen, ohne dass ein Schwarm Störche auf ihn hinunter gehen würde.
Beim Herausgehen stieß er sich den Finger an seinem Beistelltischchen an, während er wieder nach seinem Schlüsselring gegriffen hatte.
Resignierend ging er auf die diskutierende Menge zu und schüttelte den Kopf, als er sah, auf welches niedrige Niveau die Einwohnerschaft Düsterwaldes bereits reduziert war.
"Ich habe Dinge herausgefunden.", sagte er. "Doch leider keine Dinge, die die Plage von uns nehmen könnten. Zunächst... das Blut des verstorbenen Advo ist erst Stunden später geronnen. Nicht so wie bei normalen Menschen."
Der Doktor strich sich mit seiner Hand über das herabhängende, blasse Gesicht. "Doch es deutet darauf hin, dass der Speichel eines Werwolfes eine Blutung am Laufen hält... damit das Opfer auch wirklich nicht nur mit dem Schrecken davonkommt."
Er lief ein paar Schritte hin- und her, als er überlegte und nahm zur Kenntnis, dass sein kurzer Moment der Aufmerksamkeit ohnehin schon wieder vorbei war.
"Ich weiß nicht, wen von euch ich anklagen soll. Ich bin ein Mann der nüchternen Analyse, kein Mann der nach seiner Intuition entscheidet. Meine Analysen haben mich nicht weitergebracht. Ich wünschte, ich könnte eine Hilfe sein...
aber solange ich nicht mehr Prob..."
Da fuhr er wie vom Blitz getroffen auf. Wie konnte er das nur vergessen haben. Er war blind gewesen. Er hatte das offensichtliche übersehen. Wie von der Tarantel gestochen rannte er zurück in sein Haus.