\o/ 9 Minuten Video: 6 Minuten Inhaltsangabe. 2 Minuten Pseudo-Interpretation. 30 Sekunden Rezension.
Jerome, eine Rezension soll sich hauptsächlich zur Leseerfahrung äußern, auf keinen Fall soll sie eine dermaßen ausführliche Inhaltsangabe enthalten. Das Thema hatte Ianus auch schonmal angesprochen, wenn du dich erinnerst. Gib in 1-2 Sätzen die inhaltliche Thematik vor und bringe Inhaltsschwerpunkte dort an, wo du spezifisch über sie sprichst, aber ansonsten hat eine Inhaltsangabe in einer Rezension eigentlich überhaupt nichts zu suchen. Und wenn du schon so ausführlich auf die Handlung eingehst, warum bringst du dann nicht an entsprechender Stelle deine rezensiven Momente an? Es gibt genau eine Aussage, die mir als deinem Rezipienten und damit potenziellen Leser des Buches einen Blick auf die Gestalt des Buches gibt - und das ist ein schnöder Nebenkommentar: "Faber ist technikgläubig, versteht sich... 50er-Jahre, Aufbruchsstimmung" Beinahe alles andere in der Rezension hättest du dir eigentlich sparen können, das ist nämlich unnötig.
Was mich sehr gestört hat, ist dass man dir deutlich anmerkt, dass du mit der Thematik überhaupt nicht firm bist.
Das ist einmal offensichtlich, weil man wirklich aller paar Sekunden das Mausrad scrollen hört. Ja, du darfst dir Aufzeichnungen machen, das gehört zu deiner Vorbereitung und zur zuschauergerechten Inszenierung, aber entweder, du druckst dir deine Aufzeichnungen aus, oder du machst Schnitte im Video (sehr gut übrigens auch für Stellen, an denen du planlos irgendwo hinguckst und nicht weißt, was du sagen willst - sowas gehört höchstens als äußerst belustigendes [...not] Outtake ans Ende des Videos), oder du besorgst dir irgendeinen dynamischen Scroller, der für dich den Text weiterzieht. Ideal wäre es natürlich, wenn du nicht so viel Text hättest, dass du in die Verlegenheit kommst, scrollen zu müssen. Auch das gehört zu deiner Vorbereitung, du musst mit wenigen Stichpunkten auskommen, dir deine Präsentation so gut verinnerlichen, dass du frei sprechen kannst.
Ein andermal wird das deutlich, wo du sagst, dass du dir Sekundärliteratur besorgt hast. Nicht, dass das was Schlechtes wäre, aber ganz ehrlich, wenn ich mir Sekundärliteratur durchlese, dann kann ich schon über einzelne dramaturgische Momente oder genuine Mittlungsmethoden über 9 Minuten reden. Beschäftige dich entweder richtig mit der Thematik, oder lass den interpretatorischen Aspekt offen. Deine Interpretationsversuche hier sind großer Mist.
Warum ist das so?
Du beginnst damit, Frischs Schreibstil zu beschreiben (was nicht mal wirklich Interpretation ist, aber gut, ist ja vorangestellt). Nein, eigentlich nennst du ihn nur "glänzend", "hervorragend" und "brillant". Schön und gut, das kann man dir jetzt glauben oder nicht, allerdings tut es ohne Beleg wenig zur Sache, ich kenne auch Leute, die finden Stephanie Meyer brillant. Und dann kommt der große Gong der Ahnungslosigkeit: Max Frisch einer der besten deutschen Autoren? Das ist für einen Schweizer schon eine Leistung, muss ich zugeben.
Max Frisch ist einer der größten deutschsprachigen Autoren, und der Unterschied ist hier so gravierend, dass es sich nicht mal um Krümelkackerei handelt, das auszuklamüsern. Wenn du dich irgendwann mal mit Dürrenmatt beschäftigst, wird das wiederkommen: Die Schweizer Literatur existiert gerade in den 40er-, 50er- und auch noch 60er-Jahren vollkommen distant zur deutschen und auch zur österreichischen Literatur. Warum? Nachkriegsdeutschland, Nachkriegsösterreich kontra neutrale Schweiz. Während die anderen beiden deutschsprachigen Länder in ihrer Kunst noch größtenteils das schwere Erbe zu verorten suchen, sich ihre deutsche Sprache mühselig aus der Instrumentalisierung der Nazis zurückerkämpfen und Bilanzen über den hinterrücks erdolchten Humanismus und seine wünschenswerte Widergeburt ziehen, während vor allem Existenzkampf und Papiermangel die Literatur bestimmen, hat man in der Schweiz die Zeit und die Mittel, viel früher als irgendeine andere westliche Nation Fehl am Spießbürgertum zu finden. Frisch und Dürenmatt sind da nur zwei sehr prominente Beispiele dafür.
Das ist schon ein wichtiger Punkt, die Abgrenzung zur historischen Einordnung. Du sprichst hier über ein Werk, das einer anderen Zeit entstammt, warum ordnest du es dann nicht auch ordentlich ein, erläuterst, wie es beispielsweise zur Kritik am Neo-Technizismus kommt? Du verfehlst hier auch vollkommen Ursache und Wirkung, die Opposionierung zur Freigeistigkeit ist nur ein Erzählmittel, aber nicht Frischs eigentlicher Kontrastfaktor. Und hier hälfe es, wenn du dich mal mit Frisch selbst beschäftigt hättest oder zumindest mit seiner literarischen Strömung.
Dazu gehört auch, dass du dich mit so ganz elementären Sachen wie dem Titel auseinandersetzt, see how far that goes, Homo faber ist nicht bloß irgendein Titel, die Bezeichnung ist essentiell in der Subjektfindung des Romans. Ach ja, die Subjektfindung. Ich bin immer noch in den ersten 10 Sekunden des "interpretatorischen Teils", wo du über "die Geschichte, die von Max Frisch erzählt wird", sprichst. Mein lieber Jerome, ich kann es nur vermuten, aber ich glaube auch an deiner Schule wird davon ausgegangen, dass Autor und Erzähler niemals ein und dieselbe Person sein können.
Und nein, auch das ist wieder keine Krümelkackerei, warum nämlich, der Homo Faber wird von einem Ich-Erzähler, nämlich von Faber selbst, vermittelt. Warum ist das so wichtig? Tja, das wüsste man, wenn man bloß mal die Wikipedia-Seite zu Max Frisch aufschlägt und den dritten Absatz der Einleitung liest, oder man sich alternativ mit Buch und Autor beschäftigt - naja, aber das ist auch abwegig.
Im Ich des Erzählers kommt die große Kritik des Buches zum Tragen, Frisch legt viel Wert auf die Autonomie seiner Figuren, sie setzen sich stets mit sich selbst auseinander, verwirklichen dabei aber eine allgemeine Anthropologie über den postmodernen Menschen - hier im Speziellen über den homo faber. Wäre der Roman personal oder auktorial erzählt, würde das einer sich über alle anderen erhebenden, anmaßenden Kritik gleichkommen, man hätte ein griechisches Drama, das nur belehren will. So aber hat man - um mal im Vergleich zu bleiben - Brecht'sches Theater, freie Wertung für alle außerhalb des Figurenkreises stehenden, sprich jede Instanz, die außerhalb des Buches existiert, sprich vornehmlich für den Leser, der die Selbstreflexion des homo faber verinnerlichen und frei für sich selbst werten kann.
Noch so ein völlig banaler Ansatz für die darstellende Interpretation des Romans, der mir als Rezipienten und potenziellen Leser das Buch näher gebracht hätte, tausendmal mehr als eine nichtssagende Inhaltsangabe.
"Homo Faber lebt natürlich von seinen Bildern und Motiven, das sind hauptsächlich Gegensätze und Widersprüche" - wo genau findest du Widersprüche? Also: Ja, es sind Widersprüche im Roman enthalten und zwar unglaublich substanzielle, aber ich werfe dir vor, dass du dir dieser überhaupt nicht gewahr bist. Und hier hast du nämlich den eigentlich Bezug zur Sprache; was ist denn die Essenz von Fabers Weltsicht? Genau, der Technizismus. Und wie wird der sprachlich verwirklicht? Genau, in freigeistigem, ästhetizistischem, poetisch "glänzend, hervorragend und brillant" Verwirklichtem. Die Diskrepanz von Fabers Wesen kommt doch genau hier zum Ausdruck, genau da findet sich sein innerer Konflikt wieder. Konflikte - noch so ein banales Etwas in narrativen Texten.
Die inzestuöse Beziehung zu seiner Tochter, ein ödipaler Konflikt, ja, das gibt es im Roman, wäre schön, wenn du es nicht nur nennen würdest. Und verdammt, wenn du es schon ansprichst, dann hab gefälligst den Anstand, dich auch damit ordentlich auseinander zu setzen. Wo liegt denn der große Konflikt in der Ödipus-Tragödie? Lass es mal die Rückwendung sein, die ursächliche Beschränkung des Menschen auf seine Kindheit als ursächliches Moment seiner Psyche. Ödipus verliebt sich in seine Mutter, in seine eigene Ursache, ganz im Bilde der griechischen Mythologie sucht er den Einklang mit dem Schöpfenden. Aber ist er ein homo faber? Halt, was ist eigentlich ein homo faber? Er ist der schaffende Mensch, ein aktiver Gestalter seiner Umwelt, ein Schaffer, Schöpfer, Autonom. Ödipus ist das nicht, er strebt rückwärts, zum Alten, zum Tradierten.
Ist Walter Faber ein homo faber? Das können wir mit Ja beantworten, sein Glaube an den technischen Fortschritt ist unbestreitbar. Aber ist er ein Ödipus? Nein. Seine Thematik entspringt aber dem Ödipus-Zeichenkosmos, widerspricht und verdreht ihn jedoch vollkommen:
Faber verliebt sich in seine Tochter, nicht in seine Mutter. Das ist das Essentiellste und Aussagekräftigste, was uns der Roman in die Hand drückt: Er verliebt sich in seine Tochter, nicht in seine Mutter. Faber liebt das, was seiner Schöpfung entsprungen ist. Und zwar nicht nur als Ingenieur, der die Technik liebt, sondern als Vater, der die Tochter liebt. Faber liebt das neu Geschaffene, er liebt, was nach ihm kommt, er liebt die Zukunft - und er steht damit völlig im Bilde einerseits des anthropologischen homo faber, andererseits im Bilde der Generation nach den 50er-Jahren. Dieser dissidente Konflikt in ihm aber - einerseits das Neue zu wollen, andererseits die Unfähigkeit der technischen Monokultur zu Neuem zu verdrängen - wird von Sabeth aufgegriffen und ihm wie ein Spiegel vor's Gesicht gehalten. Sabeth ist geprägt durch die Freigeistigkeit, die Kunst, gleichwohl ist sie mühelos zu technischem Verständnis in der Lage, sie ist ein besserer homo faber als Walter selbst; ihre Zukunft ist ungewiss, aber vielversprechend, die seine konfrontiert sich von Moment auf Moment selbst mit ihrem bevorstehenden Scheitern aufgrund ihrer Singularität.
See, die Thematik ist nicht nur "Blenden und Blindsein", das wäre auch viel zu banal und völlig irrsinnig. Die Thematik geht nämlich sogar noch über ihre Grenzen hinaus:
Wie Frisch den Schöpfer von Geliebtem in das Liebende legt, setzt er Gott in den Menschen. Der Mensch schafft, verändert, ist autonom, immer wieder ist er autonom, unabhängig. Vor allem Sabeth ist unabhängig, weil sie sich nicht, wie Faber etwa, von überwindungsbedürftigen Wertebildern beschränken lässt. In Wertebildern, durch die sich der Mensch freimütig kategorisieren lässt. Geradezu substanziell zieht sich diese Bildproblematik durch den Roman, "Du sollst dir kein Bildnis machen von dir selbst.", ruft er. Gemeint ist, die Unergründbarkeit des menschlichen Wesens nicht in Wertebildern festzusetzen. Frisch bringt hier so viel progressiven Nihilismus ein, dass einem das geradezu ins Gesicht springt.
Dann sprichst du den Bruch im Buch an, es gibt 2 Teile. Ja warum denn? Hatte Frisch einfach mal Lust, sein Schema zu ändern? Gab's da vielleicht irgendwas Wichtiges in der Schwerpunktsetzung des Romans, das einen Bruch begünstigen könnte? Gibt es irgendwelche Stichworthinweise, oder ist auch im zweiten Teil alles "wie üblich"?
Die Tradiertheit von Fabers fälschlicher Technikgläubigkeit ist pathologisch für seine tragische Verlebtheit. Alles ist "wie üblich", irgendwie wird uns die Rationalität und Technik schon voranbringen, war ja immer "üblich" so. Das, was nach dem Bruch in der Erzählung passiert, ist, was Faber die ganze Zeit so eine scheiß Angst macht, Chaos und Ungewissheit, die sich mit seinen den Geist hemmenden Ikonen nicht fassen lassen. Die Verhaftung an der Rationalität und die vollkommene Missachtung der Vergangenheit, die es aufzuarbeiten gälte (nur aufgrund dieser Ignoranz kommt es ja überhaupt zur inzestuösen Beziehung), wird durch den Bruch zerstört, Zufälle, haufenweise Zufälle brechen über Faber nieder, Zufälle, die ihn immer und immer wieder mit seiner Vergangenheit konfrontieren. Die Welt ist kein Dorf, es ist ein einziger großer Zufall, dass all diese Figuren seiner Vergangenheit wieder auftauchen. Zufälle wie Fehlfunktionen in der Technik seines Lebens, Zufälle, die er nicht einberechnet, weil Zufälle nicht rational und säuberlich geordnet sind, weil Zufälle prinzipiell eine Gefahr für eine technisierte Gesellschaft sind.
Nicht erst mit dem Bruch werden Zukunft und Vergangenheit immer mehr ineinander verspiegelt, verschränken sich zueinander, bedingen sich gegenseitig, aber mit dem Bruch offenbart sich entgültig das Chaos Fabers Daseins, welches von jeher schon immer gegenwärtig, ihm aber erst jetzt bewusst ist.
Es ist dann auch cool, wie du deine Meinung zum Buch sagst: Es ist für dich schwer zu verstehen (was auch sehr offensichtlich deutlich wird), du hast dich "durchgequält" - aber du empfiehlst es, weil es schön geschrieben ist und für dich ein Plädoyer für die Rückbesinnung auf Kunst, Leidenschaft und Schöngeistigkeit ist.
Max Frisch rotiert inzwischen unterirdisch aus seinem Grab heraus gen China.
Tu dir selbst bitte einen Gefallen: Fang an, Rezensionen zu lesen und beschäftige dich mal damit, wie sie aufgebaut werden, was sie enthalten und welchen Zweck sie verfolgen. Rezensieren ist nicht nur "über Bücher Reden"; das ist ein Irrglaube, den der Misnomer der Kommentarfunktion beispielsweise bei Amazon als "Kundenrezensionen" vermittelt. Und bitte lern interpretieren, das wirst du im Deutsch-Abi nämlich brauchen. Setz dich mit Büchern auseinander, die du verstehst; und wenn du ein Buch nicht verstehst, aber trotzdem darüber sprechen willst - elohim adirim, dann ist es doch die Normalhaltung, dass man sich damit solange beschäftigt und so viel Wissen wie möglich über das Buch anhäuft, bis man die nötigen Einblicke darin hat. Ich bitte dich, wenn du Max Frisch so liest, verstehst und interpretierst, wie du es hier gezeigt hast, dann nimm um Gotteswillen nie nie niemals ein Buch von Hesse in die Hand - außer vielleicht Unterm Rad, aber von allen anderen solltest du die Finger lassen, das gibt sonst unschöne Brandwunden. Oh, und Kafka und Canetti und Saint-Exupéry können auch gefährlich werden.
Zum Video an sich:
Das Intro ist immer noch scheiße. Sorry, aber sonderlich gebessert hat es sich nich. Übrigens betreibst du auch nicht "Buch Rezension", das wäre extrem komisch, weil es überhaupt keinen Sinn ergibt, du machst eine "Buch-Rezension". Wer bläut euch Kindern immer ein, man müsse zusammengesetzte Substantive auseinander schreiben? War's der Club der trennbaren Verben, Unterabteilung Zersägen von Substantiven? War's die Vereinigung zur Wiedereinführung von nongenitiven Attributsnomina? Ich halte das ja für Unfug, aber naja.
Dann solltest du sowohl mit deiner Kamera, als auch mit deinem Mikrophon was machen. Die Kameraposition ist reichlich dämlich, entweder schräg von unten oder gesichtsfrontal, ebenfalls von unten - das ist so seriös und ansprechend wie diese Kerzen, die sich immer wieder von selbst entzünden; fucking around with people's minds.
Die Soundqualität ist bescheiden und du hörst dich an wie Dorothys Blechmann. Es gibt gute, billige, kamerakompatible Mikros im Elektronikmarkt deiner Wahl. Alternativ dazu kannst du auch was von dem guten Zeug bestellen, das macht sich zwar im Preis bemerkbar, aber so wie's jetzt klingt, ist es eher anstrengend, dir zuzuhören.
Entschuldige den harschen Ton an manchen Stellen. That's how I teach.