Doktor Tigreffiev schaute verärgert von seinen Apparaturen auf. "Können diese einfältigen Narren denn nicht einmal ruhig sein.", fragte er sich ob des lauten Gebrülles vom Dorfplatze her. Er hatte die letzte Stunde beharrlich versucht, dieses Geschrei zu überhören. Doch sein Nervenkostüm hatte inzwischen Höllenqualen durchlitten und er konnte sich nicht mehr zurückhalten. Er nahm seinen schweren Lederumhang vom Haken neben sich.
"Unglaublich, schnattern wie die Hühner... man sollte doch meinen, dass man auf dem Lande Ruhe für seine Forschung hat..."
Nörgelnd lief er zu seiner Tür und riss sie theatralisch auf. Er hob schon seinen Fuß an um nach draußen zu gelangen, als er wieder mit einem Satze nach drinnen stolperte und mit ausgestrecktem Arm nach seinem dicken Schlüsselring fummelte. Als er wenige Sekunden später merkte, dass dieser dann doch zu weit weg lag tat er einen Schritt auf das Tischchen zu um gegen die selbstschließende Türe zu knallen.
"VERDAMMTER OCHSENHAUFEN!!!", brüllte er. "Wer erfindet derartigen Koth wie selbstschließende Türen?!???", stieß er aus, wohl wissend, dass er den Türschließer höchstselbst erfunden und an seiner Eingangstüre installiert hatte.
Als er endlich alles beisammen hatte schritt er zeternd nach herausen und konnte sich gerade noch beherrschen, als er den Aufruhr um einen schwer verstümmelten Körper unter einem krumm darüber gelegten Laken am Boden sah.
"Grund...gütiger...", hauchte er schockiert und klappte mit seiner linken Hand seine Kinnlade wieder nach oben.
Mit langsamen Schritten schlich er an die Leiche heran. Mit zunehmender Nähe bemerkte er, dass die Stimmung zwischen den Dorfbewohnern am zerreißen war. Die ersten führten schon eifrige Wortgefechte, die anderen fixierten mit böser Miene ihre Nachbarn und Freunde. Es war wie die Szenerie in einem Theaterstück, kurz vor dem Höhepunkt...
der erste Kopf musste rollen und alle Darsteller würden ihre Schwerter zücken.
"Lasst mich das ansehen,... ich bin Doktor!", rief er der Menge zu, wohl wissend, dass nur die wenigsten das mitbekamen, waren sie doch schon gut mit sich selbst beschäftigt. Dennoch schritt er näher heran. Immer langsamer.
Er hatte schon viel gesehen, doch er ahnte bereits, dass er für das was nun kommen würde nicht gefeit war. Er kniete nieder und hoffte, dass seine dürren, wackelnden Beine nicht einklappen würden wie ein Teleskopstativ in stürmischer Nacht. Er wartete kurz ab, ob einer der Bewohner protestierend eingreifen würde, bevor er die Decke anhob und Ferdinand von Drachenfels erkannte.
"Naja... wenigstens erwischt's die Dummen zuerst...", murmelte er vor sich hin und konnte sich ein Lächeln nur verkneifen, weil ihm vor Übelkeit ohnehin nicht nach Lachen zumute war.
Daraufhin zückte er ein kleines Flakon aus seiner Tasche und begann, mit einem alten, grauen Stofftaschentuch etwas Blut von den tiefen Risswunden am Körper des toten Adligen. Diese träufelte er vorsichtig in das kleine Glasfläschchen.
Als er fertig war und sein Fläschchen mit einem Korken verschloss deckte er Ferdinand erleichtert wieder zu und nahm rückwärts gehend etwas Abstand.

"Dass Werwölfe als Legende gelten", sagte er, an die Menge gewandt "Liegt nicht unbedingt daran, dass es sie nicht gibt. Viel eher daran, dass noch niemand sie eindeutig beweisen konnte.
Ich werde es zu meiner Aufgabe machen, dieses Geheimnis zu lüften. Mit Wissenschaft, Besonnenheit und Weisheit. Wenn wir auf die Vernunft vertrauen werden wir es schaffen, den schuldigen zu finden und ihm den Prozess zu machen."