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Thema: Ein Wiedersehen - Kurzgeschichte

  1. #1

    Ein Wiedersehen - Kurzgeschichte

    Ich stelle diese Geschichte, die um 10 Uhr morgens in einer Hotellobby in Berlin entstanden sind, hier völlig aus dem Kontext heraus gerissen online. Mich würde nämlich die Wirkung auf Leser interessieren, die die andere Kurzgeschichte nicht kennen, mit der diese hier zusammen hängt.
    Außerdem war dieses kurze Werk an vielen Stellen auch eine Stilübung. Um formelle Kritik wäre ich daher sehr froh, da diese unmittelbaren Einfluss auf einige andere Arbeiten von mir haben könnte.


    Ein Wiedersehen


    Widerwillig kämpfte sie sich aus dem Reich ihrer Träume in die Realität zurück. Sie versuchte, mit ihrer Hand nach etwas zu greifen, doch da war nichts. Sie war allein in ihrem Bett. Zumindest jetzt wieder.
    Mühsam richtete sie sich auf und blickte sich um. Es war immer noch das gleiche enge Schlafzimmer, in dem sie jeden Morgen aufs neue erwachte, seit sie hierher gezogen war. Wann sie ihre letzte Heimat verlassen hatte, das vermochte sie schon gar nicht mehr genau zu sagen. Vielleicht ein paar Tage, vielleicht einige Jahre. Was bedeutete das schon?
    Ihr war nach einer Dusche. Jetzt wo sie aufgewacht war, alleine und nach weit weniger Schlaf, als sie eigentlich nötig gehabt hätte, begann sie sich auf einmal dreckig zu fühlen. Übermüdet und verschlafen schlurfte sie in Richtung Bad um wenigstens ihren Körper zu reinigen.

    Eiskalt lief ihr das Wasser über die Haut und die Haare. Sie zitterte ein wenig, doch das störte sie kaum. Wenigstens sorgte die kalte Dusche dafür, dass sie wieder wach wurde. Sie hatte gerade den Wasserhahn wieder zugedreht und nach ihrem Handtuch gegriffen, als sie hörte, wie jemand an der Tür klingelte.
    „Auch das noch...“ grummelte sie. Was mussten die Leute auch immer dann etwas von einem wollen, wenn man es gerade selbst nicht brauchen konnte? Sie band sich rasch das große Handtuch um den Körper und griff nach einem kleineren, mit dem sie ihre Haare bedecken konnte und schritt dann zur Tür. Eigentlich gab es nur zwei Möglichkeiten, wer um diese unsägliche Uhrzeit vor der Tür stehen konnte. Der Postbote, oder jemand, der im Nachhinein von seinem schlechten Gewissen geplagt wurde.
    „Ja?“ fragte sie in die Sprechanlage hinein.
    Die vertraute Stimme, die sich meldete, war weder der eine noch der andere.

    „Lange nicht gesehen.“ grüßte sie den vom Regen durchnässten Kerl, der gerade dabei war, sich die Treppe zu ihrer Wohnung hochzukämpfen.
    „Gut siehst du aus.“ antwortete dieser, als er gerade dabei war, die letzten drei Stufen zu bewältigen. „Komme ich ungelegen?“
    „Nein, überhaupt nicht. Zumindest jetzt nicht mehr.“
    Sie begrüßte ihren alten Freund mit einer höflichen Umarmung.
    „Komm ruhig rein. Ich werde mir allerdings erst mal was anziehen, also entschuldige mich einen Moment.“
    „Mach ruhig. Will ja nicht, dass du dir den Tod holst, das passiert bei dem Wetter draußen ganz schnell.“
    Er ließ einen kräftigen Nießer ertönen um seine Aussage zu untermalen.
    „Und ich sollte mir vielleicht besser die Schuhe ausziehen, bevor ich noch deine Wohnung besudele.“
    Während er sich daran machte, den Schnürsenkeln seiner Stiefel den Krieg zu erklären, machte sie sich daran, die Wäsche vom Vortag zusammen zu räumen und ging anschließend an ihren Schrank um sich neue zu holen. Sie musste nicht lange überlegen, ehe sie sich für eine schlichte Jeans und ein gewöhnliches schwarzes Shirt entschied. Sie hatte noch nie viel davon gehalten, sich lange mit ihrer äußeren Erscheinung herumzuplagen.
    „Nettes Plätzchen hast du hier.“ rief er ihr aus einiger Ferne zu. „Nicht ganz so groß wie deine letzte Behausung, aber dafür irgendwie gemütlicher.“
    „Danke.“ antwortete sie ihm, während sie ihr Handtuch fallen ließ und in einer der Schubladen nach Unterwäsche griff. Darum, dass er zusehen könnte, machte sie sich keinen Kopf. Sie kannte ihn mittlerweile gut genug um zu wissen, dass er das nicht tun würde. Stattdessen wartete er vermutlich mit dem Rücken zum Türrahmen bis sie fertig war. „Aber sag mal, was treibt dich eigentlich hierher? Du hast mich mit deinem Besuch völlig überrascht.“
    „Na ja, ich bin gerade auf der Durchreise gewesen und da dachte ich mir: Hey. Wenn du schon mal hier bist, kannst du auch kurz mal bei einer alten Freundin von dir reinschauen.“
    „Freut mich.“ sagte sie, während sie sich das Shirt über den Kopf zog und aus dem Türrahmen heraustrat.
    „Kann ich dir einen Kaffee anbieten?“
    „Soll das eine Fangfrage sein?“
    Sie gingen zusammen in die Küche, wo er sich auch umgehend einen Stuhl schnappte, während sie nach einer Kaffeedose auf dem Regal griff. Er musterte den Raum interessiert.
    „Und? Was ist alles passiert, seit wir uns das letzte Mal gesehen haben?“
    Er zuckte mit den Schultern, doch das bemerkte sie selbstredend nicht, da sie gerade damit beschäftigt war, Kaffeepulver in die Maschine zu bekommen.
    „Nichts, was du nicht schon aus meinen Briefen weißt. Der Wahrheit die Ehre, ich habe eigentlich nichts neues zu erzählen. Mein Leben ist so langweilig und eintönig, wie eh und je.“
    „Dein Leben ist eintönig?“ lachte sie. „Dann habe ich aber irgendwas verpasst. Nach allem, was ich von dir zu lesen bekomme, geht’s bei dir doch drunter und drüber. Glaub mir, von eintönigem Leben kannst du mir nichts erzählen.“
    „Ach, du kennst mich doch. Ich beschreibe die Dinger halt gern spannender als sie eigentlich sind.“
    Mit einem Gluckern und Röcheln, gleich den Sterbensschreien eines urzeitlichen Untieres, machte sich die Kaffeemaschine daran, heißes Wasser durch die gemahlenen Bohnen zu pressen. Ächzend und stöhnend drückte sie Tropfen um Tropfen in die unter ihr bereitstehende Kanne und es schien fast so, als wäre sie dabei, einen Krieg zu führen. Eine Schlacht, die sie nicht gewinnen konnte, weil, gleichgültig wie viel von der Hitze sie auch erduldete, die da durch ihren Körper floss, sie diese Schlacht doch immer nur gegen sich selbst führte.
    „Du beschreibst die Dinge so, wie du sie siehst.“ entgegnete sie ihm. „Deswegen glaube ich dir nicht, das dir langweilig ist.“
    Sie holte zwei Tassen aus einem Schrank über ihr und stellte diese zusammen mit der vollen Kanne Kaffee auf den Tisch.
    „Sollte man wohl nicht glauben, was?“ sagte er, während er nach der Kanne griff und erst ihr, dann sich selbst Kaffee einschenkte.
    „Ich würde es auch nicht unbedingt Langeweile nennen. Aber irgendwie... na ja, irgendwie ist es doch eintönig. Ich versuche einfach nur das Beste daraus zu machen.“
    „Ja... irgendwie versuchen wir das alle...“ seufzte sie und leitete damit eine längere betretene Phase des Schweigens ein.
    Er blickte ihr nicht in die Augen. Stattdessen war sein Blick auf das Fenster gerichtet, welches einen beeindruckenden Blick auf die mit Regenwolken verhangene Stadt bot. Tropfen schlugen regelmäßig gegen das Fenster, um anschließend langsam daran herunterzuperlen. Doch dieser Ausblick faszinierte ihn gerade nur wenig. Was ihn mehr interessierte, war die Fensterbank selbst.
    „Irgendwie vermisse ich da etwas.“ brach er auf einmal das Schweigen.
    „Hm?“
    „Dort drüben auf dem Fenstersims.“
    „Was ist damit?“
    „In deinem letzten Heim hattest du dort etwas stehen. Eine Rose, wenn mich nicht alles täuscht.“
    Sie sagte nichts. Doch der finstere Blick, den sie ihm entgegen warf, war Antwort genug.
    „Du kannst es einfach nicht lassen, oder?“
    „Ich frag ja nur.“ entgegnete er mit gespielter Unschuld.
    „Hör mir zu, und hör mir jetzt bitte gut zu: Es ist vorbei. Diese Zeit habe ich hinter mir gelassen und du würdest gut daran tun, endlich damit abzuschließen.“
    „Schon gut, schon gut!“ versuchte er sie zu beruhigen, und hob dabei die Hände, wie zur Abwehr. „Ich hab ja nur gefragt.“
    Ihr Gesichtsausdruck hellte sich ein wenig auf, doch behielt ihre Mimik immer noch eine gewisse Drohung bei.
    „Ich hab ja nur gefragt...“
    Das Schweigen kehrte wieder zurück. Der Kaffee wurde langsam kälter.
    „Milch? Zucker?“ brach sie diesmal das Schweigen.
    „Ja, Zucker wäre 'ne gute Idee.“
    Sie stand auf und holte ein schlichtes Zuckerdöschen aus einem tiefer gelegenen Schrank.
    „Tut mir leid.“ meinte sie, als sie ihm die Dose zuschob.
    „Was denn?“ entgegnete er ahnungslos, während er haufenweise kleine Berge aus Zuckerkristallen, die ein wenig an Schneehaufen erinnerten, in seine Tasse schaufelte und anschließend umrührte.
    „Das ich gerade so ausgetickt bin. Meine Nerven liegen nur gerade etwas blank.“
    „Brauchst dich nicht dafür zu entschuldigen.“ beschwichtigte er, während er aus seiner Tasse schlürfte. „Ich hätte selbst wissen müssen, dass dir das Thema unangenehm ist. Du klingst auch irgendwie, wie soll ich sagen... enttäuscht. Kann es sein, dass ich gerade einen schlechten Zeitpunkt gewählt habe, um das Thema anzusprechen?“
    „Ja... ich meine nein... das heißt... vielleicht... ach, ist auch egal.“
    „Egal klingt anders.“
    Er nahm einen weiteren tiefen Schluck Kaffee.
    „Du kennst mich.“ versuchte sie sich zu sammeln. „Nimm es mir bitte nicht persönlich, wenn ich dieses Thema gerade nicht ansprechen will. Es ist ja nichts gegen dich, aber ich...“
    Sie rang merklich nach Worten, während er mit einer beunruhigenden Gelassenheit da saß.
    „Du weißt nicht, wie ich darauf reagieren würde, wenn wir dieses Thema nochmal anschneiden, nicht wahr?“ nahm er ihre Gedanken vorweg.
    „Ich mache mir Sorgen um dich. Die alten Geschichten sind Vergangenheit. Du solltest endlich beginnen, dir ein neues Leben aufzubauen. Eines, in dem ich eben nicht mehr die Hauptrolle spiele.“
    „Das tue ich doch schon die ganze Zeit. Jetzt spiele ich die Hauptrolle. Vielleicht zum ersten Mal in meinem Leben.“
    Einen Moment lang starrte er wortlos auf seine Tasse, dann stürzte er wie aus einem plötzlichen Impuls heraus den ganzen in der Tasse verbliebenen Rest hinunter.
    „Es ist ätzend.“ stellte er fest. „Ich habe nämlich gar keine Lust auf die Hauptrolle. Von mir aus schreibe ich gerne das Drehbuch, gestalte das Bühnenbild oder schnappe mir irgendeine kleine Nebenrolle, die den Zuschauer zum Lachen bringt. Irgendeiner, der die ganze Zeit nur durchs Bild stolpert und dem Panne nach Panne passiert. Eine Witzfigur über die der Zuschauer von der ersten bis zur letzten Szene lacht und die nur eine einzige Stelle hat, eine einzige, an der sie dem Zuschauer die gnadenlose Wahrheit ins Gesicht sagt. Aber die Hauptrolle? Die möchte ich ebensowenig sein, wie der Regisseur.“
    Er ließ sich ein Stück zusammensacken und rieb sich mit den Fingerspitzen über die Schläfen.
    „Mir fehlt etwas. Jemand oder etwas, für den ich diese Show auf der Bühne abziehe.“
    „Ich glaube, ich verstehe, was du meinst...“
    Für einen Moment wurde er hellhörig.
    „Und für wen oder was spielst du gerade?“ fragte er sie.
    „Darüber mache ich mir erst mal keine Gedanken. Und du solltest es auch lieber bleiben lassen, mit solchen Fragen drehst du dich nämlich nur im Kreis.“
    „Sieht dir gar nicht ähnlich, dir so wenig Gedanken um die Sache zu machen.“
    „Ach, sagt wer?“
    Mit einem Mal war sie aufgestanden und blickte mit verschränkten Armen auf ihn herab. „Ich meine mich daran erinnern zu können, dass du mir mal vor langer Zeit gesagt hast, dass ich mir immer zu viele Sorgen und Gedanken mache, und dass ich die Dinge auch mal locker angehen sollte. Aber das war noch bevor mir ein gewisser Jemand stockbesoffen ins Gesicht gesagt hat, dass ihm die ganze Welt am Arsch vorbeigeht. Verstehst du es einfach nicht, oder willst du es nicht verstehen? Du und ich... wir verändern uns. Wir haben uns verändert. Du hältst immer noch an jemandem fest, der ich nicht bin. Der ich vielleicht niemals war.“
    „Vielleicht. Dass wir uns verändert haben, dass weiß ich. Aber ich weiß auch... ich glaube, ich weiß, wer ich jetzt bin. Und du?“
    Sie wusste keine Antwort auf diese Frage.

    „Na ja, wie dem auch sei...“ Er blickte kurz in seine leere Tasse und stellte diese auf die Spüle. „Ich muss leider schon wieder los. Wie gesagt, ich bin leider nur auf der Durchreise.“
    Sie nickte. Erst jetzt stellte sie fest, dass sie nicht einen einzigen Tropfen von dem Kaffee in ihrer Tasse getrunken hatte. Derweil hatte er schon seine Jacke angezogen und war bereits damit beschäftigt, seine Stiefel wieder zuzubinden.
    „Ich hoffe, dass ich demnächst mal wieder länger Zeit habe, dich zu besuchen. Hast wirklich eine nette Wohnung. Tut mir leid, wenn ich jetzt Sachen angesprochen habe, die ich nicht hätte ansprechen sollen.“
    „Geht schon in Ordnung.“ murmelte sie. „War vermutlich auch besser, das Ganze offen anzusprechen.“
    „Ja, vielleicht...“
    Er richtete sich auf und drehte sich zu ihr um.
    „Ich muss dann mal wieder los. Bis irgendwann.“
    „Ja, bis dann und... danke, dass du da warst.“
    Sie nahmen sich zum Abschied noch einmal in den Arm, dieses Mal jedoch deutlich herzlicher als bei ihrer Begrüßung.
    „Jederzeit gerne. Mach's gut...“
    Er zögerte noch einen kurzen Moment, ehe er im Gehen noch jenes kleine, aber alles sagende Wort hinzufügte, dass ihn mit ihr verband.
    „...Schwester.“
    Seine Schritte verhallten im Treppenhaus, als er wieder hinaus in das Unwetter schritt, welches mittlerweile stärker geworden war. Regentropfen schlugen ihm, von einem scharfen Wind getrieben ins Gesicht und weckten in ihm Erinnerungen an längst vergangene Zeiten.
    „Manche Dinge ändern sich einfach nie...“ sagte er zu sich selbst, als er sich wieder daran machte, die Straße ins Unbekannte weiter zu beschreiten.

    Manche Dinge ändern sich wirklich nie.

  2. #2
    Liest sich interessant. ^^ Also, im positiven Sinn, nicht: "Liest sich… interessant…"
    Der Stil gefällt mir sehr. Fast durchgehend elegant formuliert, teilweise lustige, das Ganze auflockernde Vergleiche – da habe ich von Berufsschriftstellern schon deutlich Unbeholfeneres gelesen. ^^"
    Nur die Stelle mit der Kaffeemaschine hättest du dir imo sparen können. Es erscheint mir klar, was du damit bezweckt hast, aber so wirkt es irgendwie gezwungen, und die Sache mit dem Krieg wirkt nach den Schnürsenkeln (wo sie aber sehr gut gepasst hat) wie eine Wortwiederholung (bzw. Vergleichswiederholung ).
    Also insgesamt ein "Would read again", mit nur einer Stelle die ich als Lehrer unterwellen würde. ^^

    Oh, und ein paar Groß-/Kleinschreibungsfehler hast du drin ("aufs Neue", "nichts Neues").

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