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Thema: "Hybris" - Eine Fabel in Reimprosa

  1. #1

    "Hybris" - Eine Fabel in Reimprosa


    Ein Blümlein stand im weiten Land,
    Gekleidet in Hyazinthengewand,
    All die anderen Blumen bezaubert sind,
    Wenn sich ihre Blätter bewegen im Wind,
    Den Kopf erhoben – sie schämt sich nie,
    All die anderen Pflanzen beneiden sie;

    „Schöneres als mich das gibt es nicht!“,
    Sagt' sie und reckte ihr hübsches Gesicht,
    Zu den Feuern die droben am Himmel steh'n,
    Mit funkelnden Strahlen, Schön anzuseh'n,
    Es trifft sie ein Schlag, durchfährt sie ein Ruck,
    „Ich muss ihn haben den güldenen Schmuck!

    „Willst du denn verlieren das himmlische Licht?
    Denn ohne die Strahlen existiere ich nicht!“
    Fragt die Sonne die Blume als sie es erfährt,
    Doch der Sonne Fragen sind der Blume nichts wert,
    „Ich brauche dein Feuer nicht – verleugne dein Rot,
    Ja ich wag' zu behaupten: Du Sonne bist tot!“

    „Ich brauch' keine Sonne – Ich wünsche dich fort!“
    Spricht die Blume und begeht den infanen Mord
    Steckt die Strahlen sich an - „Die stehen mir gut!“
    Und in ihrem Wahn ignoriert sie die Glut,
    „Die Allerschönste nenn' ich mich hinfort.“
    Doch schon am Abend. Die Blume – verdorrt.

    Geändert von Jerome Denis Andre (10.01.2010 um 15:56 Uhr)

  2. #2
    Ich bin fast ein bisschen beeindruckt. Du hast dich stilistisch wirklich unheimlich verbessert (auf einige Unfeinheiten gehe ich gleich noch ein) und die Thematik ist um einiges feinfühliger, als das zu anderen Zeiten der Fall war; ich bin mit der Überblendung vom klassischen Begriff der Hybris in den atheistischen Sinn zwar nicht einverstanden und irgendwie hast du Nietzsche auch immer noch nicht ganz verstanden, das hat der Focus aber auch nicht und letztendlich hast du doch einen sehr eingängigen Themenkomplex geschaffen, der dein eigenes Glaubensempfinden wiederspiegelt, ohne anderen eine Marke aufdrücken zu wollen. Du hast damit die Phase der Trivialliteraten, die manch anderer erst mühselig überwinden muss, ausgelassen und hast dich gleich zu kritischem Stoff gemausert - das verdient Lob.
    Ein bisschen skeptisch bin ich doch noch, aber wenn du weiter in ähnlicher Qualität schreibst, steht deinem Lernprozess eine sehr interessante Zukunft bevor.


    Ich würde das ganze nicht Fabel nennen. Fabeln haben eine sehr feste Form und Funktion und können auch nichts anderes als episch sein. Dein Text ist auch nicht prosaisch. Nenn's einfach Gedicht, das trifft es doch ganz gut.

    Einige Verbesserungsvorschläge:

    Zitat Zitat
    Ein Blümlein steht im weiten Land,
    Gekleidet in Hyazinthengewand: 1
    All die anderen Blumen bezaubert sind,
    Wenn sich ihre Blätter bewegen im Wind. 2
    Den Kopf erhoben – sie schämt sich nie 2
    All die anderen Pflanzen beneiden sie; – 2, 3

    „Schöneres als mich das gibt es nicht!“, 3
    Sagt sie und reckt ihr hübsches Gesicht
    Zu den Feuern, die droben am Himmel steh'n 3
    Mit funkelnden Strahlen, schön anzuseh'n. 3
    Es trifft sie ein Schlag, durchfährt sie ein Ruck: 1, 2
    „Ich muss ihn haben den güldenen Schmuck!“ 2

    „Willst du denn verlieren das himmlische Licht?
    Denn ohne die Strahlen existiere ich nicht!“
    Fragt die Sonne die Blume, als sie es erfährt. 2
    Doch der Sonne Fragen sind der Blume nichts wert: 2
    „Ich brauche dein Feuer nicht, verleugne dein Rot! 2
    Ja, ich wag' zu behaupten, du, Sonne, seist tot!“ 2, 4

    „Ich brauch' keine Sonne – Ich wünsche dich fort!“, 2
    Spricht die Blume und begeht den infanen Mord; 2
    Steckt die Strahlen sich an – „Die stehen mir gut!“
    Und in ihrem Wahn ignoriert sie die Glut: 2
    „Die Allerschönste nenn' ich mich; hinfort!2
    Doch schon am Abend, die Blume – verdorrt. 2
    1: Rechtschreibung
    2: Zeichensetzung
    3: Versstil (Metrum und Kadenzen)
    4: Ausdruck


    Immer noch Obacht mit der Zeichensetzung: Es muss nicht am Ende jedes Verses ein Komma stehen, der Zeilenumbruch trennt genug. Viel wichtiger sind Kommata im grammatikalischen Sinne, gerade wenn du mit Sachen wie Enjambements arbeitest.
    Kadenzen beibehalten: Wenn du alle Verse mit männlichen Kadenzen versiehst, dann bleib bei dem Verfahren; Unregelmäßigkeiten sind allegorische Hinweise. Ich bin mir sicher, dass das hier nur Zufall war.
    Verse auf Stolperstellen überprüfen: e-Laute am Wortende im Versinneren werden gerade in derart klassischer Gedichtform synaptisch gelesen, sprich "alle andern" liest sich " _ / _ ". Hingegen "all die anderen" " / _ / _ " . Das hat sich vermutlich mit den Lateinischen Metren eingeschlichen, die Franzosen reden den lieben langen Tag so. Du liest zwar nicht "allandern" oder "alldiandern", aber metrisch macht das eben einen Unterschied. Das sind ganz komische Feinheiten, die dann irgendwie doch für den Klang der Verse wichtig sind; - zu den Grundlagen gehört das jedenfalls nicht und ich hab das auch erst nach 4 Jahren Latein so beiläufig in Erfahrung gebracht.


    Ansonsten: Besser als "nicht schlecht", nämlich "relativ toll", das kann ich ohne Scham so sagen. Bitte weiter so und mehr davon.

    Einen Kommentar kann ich mir nicht verkneifen: So formatiert formt das Gedicht irgendwie die Urne, in dem die Asche von Gottes Leichnam aufbewahrt wird... Oder den Heiligen Gral, aber das kommt auf's Gleiche raus.

    Geändert von Mordechaj (29.09.2009 um 23:20 Uhr)

  3. #3
    Handwerklich gut!

    Zitat Zitat
    Du hast damit die Phase der Trivialliteraten, die manch anderer erst mühselig überwinden muss, ausgelassen und hast dich gleich zu kritischem Stoff gemausert - das verdient Lob.
    Ich dachte immer, es wäre andersherum...?

    Und ja, der (scheinbare) Nietzsche-Bezug ist mir auch zu oberflächlich, und dabei mag ich Nietzsche nicht mal. Diese Stelle raubt deinem Gedicht nicht nur Erhabenheit, sondern direkt Seriösität - Kritik ist immer besser, wenn sie nicht mit dem Holzhammer kommt, sonst zieht der Leser, der nicht deiner Meinung ist, sofort eine Augenbraue in die Höhe.
    Dazu kommt, dass die Metapher keinen Sinn macht. Die Blume wirkt auf mich nicht besonders philosophisch, warum um alles in der Welt sollte sie behaupten, die Sonne (mit der sie gerade redet Oo) sei tot? Nur, weil Nietzsche das getan hat?
    Kurzum: Ich würde eine andere Metapher verwenden, die nicht so direkt auf Bestehendes eingeht und mehr zur tatsächlichen Geschichte passt.

    Zitat Zitat
    Ja, ich wag' zu behaupten, du, Sonne, seist tot!“ 2, 4
    Hm. Grammatikalisch ist das sicher besser, aber ich hab beim Lesen gestockt. Das trifft einfach nicht mein 2009er Leseverständnis.

  4. #4
    Zitat Zitat von Eynes'Prayer
    Ich bin fast ein bisschen beeindruckt. Du hast dich stilistisch wirklich unheimlich verbessert (auf einige Unfeinheiten gehe ich gleich noch ein) und die Thematik ist um einiges feinfühliger, als das zu anderen Zeiten der Fall war; ich bin mit der Überblendung vom klassischen Begriff der Hybris in den atheistischen Sinn zwar nicht einverstanden und irgendwie hast du Nietzsche auch immer noch nicht ganz verstanden, das hat der Focus aber auch nicht und letztendlich hast du doch einen sehr eingängigen Themenkomplex geschaffen, der dein eigenes Glaubensempfinden wiederspiegelt, ohne anderen eine Marke aufdrücken zu wollen. Du hast damit die Phase der Trivialliteraten, die manch anderer erst mühselig überwinden muss, ausgelassen und hast dich gleich zu kritischem Stoff gemausert - das verdient Lob.
    Ein bisschen skeptisch bin ich doch noch, aber wenn du weiter in ähnlicher Qualität schreibst, steht deinem Lernprozess eine sehr interessante Zukunft bevor.
    Danke !

    Zitat Zitat von Eynes'Prayer
    Ich würde das ganze nicht Fabel nennen. Fabeln haben eine sehr feste Form und Funktion und können auch nichts anderes als episch sein. Dein Text ist auch nicht prosaisch. Nenn's einfach Gedicht, das trifft es doch ganz gut.
    Hmmm ... da ich keine feste Form ala Jamben, oder irgend was in der Art verwendet habe, war ich mir nicht sicher, ob ich das darf; Aber OK ... Dass ich es darf ist umso besser ....





    Zitat Zitat von La Cipolla Beitrag anzeigen
    Handwerklich gut!

    [...]

    Dazu kommt, dass die Metapher keinen Sinn macht. Die Blume wirkt auf mich nicht besonders philosophisch, warum um alles in der Welt sollte sie behaupten, die Sonne (mit der sie gerade redet Oo) sei tot? Nur, weil Nietzsche das getan hat?
    Kurzum: Ich würde eine andere Metapher verwenden, die nicht so direkt auf Bestehendes eingeht und mehr zur tatsächlichen Geschichte passt.

    Ok ...
    Ich werde versuchen die Stelle zu überarbeiten

  5. #5
    Poste ruhig nochmal, wenn du ne Idee hast.

  6. #6
    Zitat Zitat von Jerome Denis Andre Beitrag anzeigen
    Hmmm ... da ich keine feste Form ala Jamben, oder irgend was in der Art verwendet habe, war ich mir nicht sicher, ob ich das darf; Aber OK ... Dass ich es darf ist umso besser ....
    Im Gegensatz zur Fabel ist das Gedicht eine Gattung, praktisch gesehen kann man heutzutage alles Lyrische als Gedicht bezeichnen. Feste Formen nennt man dann eben mal Dinggedicht, Ballade, Sonnett oder Reimdichtung. Ähnlich ist das mit dem Begriff "Geschichte", der praktikablerweise alles umfassst, was episch ist. Auch hier ordnen sich die Formen dann wieder unter, so etwa Kurzgeschichten, Balladen (haben sowohl epischen als auch lyrischen als auch dramatischen Charakter), Romane, Novellen (Epik und Drama vereint) und halt die Fabel.

    Bei dem Text hier würde ich aufgrund der epischen Elemente in lyrischer Form am ehesten noch von einer Ballade sprechen (man kann mit etwas gutem Willen sogar einen Spannungsbogen erkennen).

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