Ich glaube ich habe irgendwann in den letzten Jahren, zumindest für mich selbst, entschieden, dass es eine Mischung aus beidem ist:

Einerseits liegt es an uns. Damals war alles neu und interessant, man kannte viele Ideen noch nicht und hatte so etwas noch nie als Videospiel erlebt. Auch etwas verwöhnt sind wir, wenn wir die Messlatte durch Blockbuster-Spiele wie Final Fantasy zu hoch ansetzen, nur weil wir damit aufgewachsen sind.
Und wir sind älter geworden, während die Zielgruppe der Spiele mehr oder weniger gleich geblieben ist. Das ist mir vor allem aufgefallen, als ich nach vielen Jahren mal wieder Seiken Densetsu 2 /Secret of Mana gespielt hab. Ich weiß noch, wie es damals war, da war ich vielleicht acht oder neun Jahre alt oder so und völlig fasziniert von der tiefgründigen Geschichte und dem Gameplay, das einfach nur unendlich viel Spaß gemacht hat. Als ich es dann zehn Jahre später nochmal rausgekramt habe erinnerte ich mich zwar an die wunderbare Atmosphäre, die mit dem Spiel einst für mich entstand, aber ich war geradezu enttäuscht von der lächerlichen Handlung, und auch das Gameplay nervte mich stellenweise, zum Beispiel wie ständig die automatisch gesteuerten Mitstreiter hängenbleiben.
Kinderaugen lassen sich eben leichter verzaubern. Man konnte sich eventuell besser in diese Welten hineindenken. Ich vermute zumindest, dass die Kids, die heute die aktuellen RPGs zocken das mit einer ähnlichen Begeisterung tun wie wir sie damals für die alten Spiele aufbauen konnten.
Darüber hinaus, was diese Verwöhnung angeht ... uns fallen die Defizite doch meistens schneller auf als die Vorzüge, ist das nicht normal? Wenn ich in Spiel A ein tolles Gameplay-Feature hatte und in Spiel B eine tolle Storywendung, dann fehlt mir beides in Spiel C, wenn es nicht vorhanden ist. Da kann noch so viel anderes gut sein, wenn man einmal gesehen hat, was möglich ist und was einem gefällt, dann möchte man das so in etwa wieder erleben, am besten alles zusammen. Aber man kan nicht immer alles haben


So. Andererseits aber liegt es auch an den Entwicklern. Ich behaupte nach wie vor, dass die sich damals mehr getraut haben. Ich meine, schaut euch mal FFVI an - da geht die Welt unter, die man in der ersten Spielhälfte kennengelernt hat, Völkermord und Jugendschwangerschaft wird thematisiert, und sei es nur in Ansätzen, und mehrere Charaktere versuchen Selbstmord zu begehen, von denen mindestens einer sogar erfolgreich ist! Oder FFVII, mit dem blutverschmierten Shinra-Gebäude, den Mako-Reaktoren, Tifas geplanter Hinrichtung oder Clouds mysteriöser Vergangenheit mit dem Jenova-Horror! Oder Xenogears. Und das sind nur ein paar Highlights, aber viele RPGs hatten mehr oder weniger viel davon.
Früher waren Rollenspiele auch eher ein Nischen-Genre, da haben sich die Macher nicht zu sehr am Mainstream orientiert und beispielsweise bereitwilliger zu religiösen Parabeln, Anspielungen und Symbolen gegriffen. Heute hat vermutlich manch ein Marketing-Typ Angst, dass man damit in einigen Regionen den Leuten vor den Kopf stoßen und diese beleidigen könnte. Und Blut oder Nacktheit oder Alkohol sind neben diversen anderen Themen auch tabu, immerhin ist eine höhere Altersfreigabe praktisch gleichbedeutend mit weniger verkauften Einheiten. Okay, ist jetzt auch nicht so, dass es in früheren Spielen davon wimmelte, aber zumindest ansatzweise war das vorhanden. Das hängt auch mit der Technik zusammen. Ein paar Pixel nackte Haut in einem 16-Bit-RPG sind schon etwas ganz anderes als Vergleichbares mit den heutigen HD-3D-Modellen.
Vor allem ärgert mich aber der Handlungsverlauf in Verbindung mit der Gestaltung der Spielwelt. Das ist durchaus etwas, das man sehr viel besser machen könnte, und auch das hängt mit der Technik zusammen. Ich versuche es mal einfach auszudrücken: Was ich mag sind Weltkarten mit vielen abwechslungsreichen kleinen bis mittelgroßen Städten, die man nacheinander auf einer großen Reise besucht und dabei nach und nach mehr über die Hintergrundstory erfährt sowie Charaktere, die ihren eigenen ganz besonderen Platz in der Handlung haben, also die man in eigenen Abschnitten der Geschichte (die im besten Fall mit der Rahmenhandlung in Verbindung stehen) kennenlernt, während denen das Rampenlicht nur auf die entsprechenden Figuren gerichtet ist. Daraus ergibt sich indirekt eine Reihe von miteinander verbundenen Quests in einer komplexen, zusammenhängenden Spielwelt. Wenn man am Ende vorm letzten Boss steht und sich die eigene Truppe anschaut, kann man bei jedem einzelnen etwas darüber sagen, was man mit ihnen erlebt hat. Ensemble ist das Stichwort. Die epische Breite der Geschichte ergibt sich aus dem Zusammenspiel der Charaktere.
Was ich nicht mag, und wie ich es heute oft wahrnehme: Die Spielwelten sind extrem geschrumpft. Manchmal im Wortsinn (durch das Fehlen der Weltkarte bekommt man kein Gefühl mehr für die Größe, Spira aus FFX soll eine ganze Welt sein aber kommt mir kleiner vor als meine Heimatstadt, so etwas zerstört die Illusion), manchmal im übertragenen Sinne (zwar hat man riesigen Auslauf, aber die Ebenen sind oft weit und leer und durch nichts Interessantes gefüllt, was es dort zu entdecken gäbe). Die Anzahl der Städte ist zurückgegangen. Damals hab ich es geliebt von Dorf zu Dorf zu reisen, aber heute kommen manche RPGs schon mehr oder weniger ganz ohne solche traditionellen und imho nötigen Ruhepunkte aus, oder es gibt wenige Städte, die dafür aber riesige Metropolen sind, die man nichtmal komplett betreten darf. Und was die Party angeht, so bekommt man inzwischen eher mit einem mal eine Instant-Packung von austauschbaren Helden, denen es deutlich an Profil fehlt und die eher lieblos in die Rahmenhandlung eingefügt wurden, sodass höchstens ein bis zwei Charas überhaupt etwas mit der Hintergrundgeschichte zu tun haben, während der Rest nur "Mitläufer" sind. Eigene Geschichten für diese Figuren oder gar spielbare Rückblenden gibt es kaum noch, stattdessen wird meistens nur die Hauptstory durchgehetzt.
Bestimmt gibt es dafür einige Gründe, aber unter anderem mache ich das an dem deutlich gewachsenen Aufwand fest. Damals zu 16-Bit-Zeiten ging es relativ schnell, so eine Stadt zusammenzubasteln, viele bestanden auch aus den gleichen Tile-Sets. Den Spielern fiel das nicht so schnell auf, da immer noch viel von der eigenen Phantasie abhängig war und ergänzt wurde. Heute, wo wir detaillierte 3D-Welten erwarten, ist es deutlich schwerer so etwas zu machen und gleichzeitig für genug Abwechslung zu sorgen. Ähnlich verhält es sich mit den Charakteren. Storysequenzen bestehen jetzt nicht mehr nur aus Textboxen und ein paar Sprites, jetzt kommen auch filmreife Bewegungsabläufe, Kameraperspektiven und Sprachausgabe hinzu. Da konzentrieren sich die meisten wohl lieber aufs Wesentliche und haben keine Zeit mehr, um jeder einzelnen Figur allzu viel Screentime zu widmen.
Imho müsste das nicht sein, da werden die falschen Prioritäten gesetzt. Ich behaupte mal die wenigsten RPGler sind absolute Grafikfetischisten. Ein Spiel kann auch gut aussehen, wenn die Liebe zum Detail und der besondere Stil stimmt, dazu braucht es keine Bombast-Sequenzen nonstop. Wenn ein Spiel aber einmal so spektakulär aussah, gibt es kein Zurück mehr, denn alle anderen werden dann nur noch daran gemessen. Klar, auf manche Errungenschaften möchte auch ich heute nicht mehr verzichten. Trotzdem würde mir ein RPG heute unheimlich gut gefallen, das die moderne Technik und das komfortable Gameplay stärker mit dem klassischen Spielgefühl der 16-Bit-Tage verbindet. Auf diese Weise könnte man deutlich mitreißendere und größere Geschichten erzählen, in denen es riesige Spielwelten mit vielen nicht überdimensional großen Städten gibt und auf jeden einzelnen Charakter genau eingegangen wird.
Ein Beispiel um das zu veranschaulichen, auch wenn mir da nicht jeder zustimmen wird, wäre Xenosaga. Episode I und II bauten praktisch komplett auf die aufwändigen Zwischensequenzen auf. Im dritten Teil wurden große Teile der Story aber wie in alten Zeiten mit Textboxen erzählt, verbunden mit verschiedenen Charakter-Porträts und Sprachausgabe. Und ehrlich gesagt habe ich rückblickend keinen großen Unterschied bemerkt. Die Story und der Effekt, den sie auf mich hatte, ist in Episode III im Vergleich zu den Vorgängern sicher nicht weniger stark geworden, eher im Gegenteil. Und das obwohl es weit weniger von diesen Cutscenes gab ...


Insofern halte ich die Probleme, die ich dem Genre attestiere (zumindest um mich zufriedenzustellen), durchaus für lösbar. Ich erwarte heute nicht mehr, so sehr beeindruckt zu werden wie früher einmal von einem FFVII, das mich mit elf Jahren nachts noch vor dem Einschlafen beschäftigt hat. Als Zocker und Mensch (in der Reihenfolge ) habe ich mich eben auch weiterentwickelt. So gebe ich mich eben auch zufrieden, wenn zumindest das Wesentliche stimmt und ich stellenweise prinzipiell an die "gute alte Zeit" zurückerinnert werde. Das ist nur leider viel zu selten so.

Also ... früher war sicherlich nicht alles besser. Man denke nur mal an die Zufallskämpfe und daran, wie lange japanische RPGs gebraucht haben, um diese größtenteils endlich loszuwerden. Aber es ist auch nicht alles nur unsere Einbildung, weil es damals für uns so neuartig war. Es gibt imho durchaus Bereiche, in denen die Entwickler von heute zur Inspiration mal wieder ein paar Klassiker spielen sollten, wie gesagt besonders was Spielwelt und Handlungsverlauf angeht.