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Fossil
Einen kurzen Moment lang geschieht gar nichts, dann spürt Teleri, wie sich Gravir unter ihrer Hand verkrampft. Er fährt herum und starrt sie an, Mord in den Augen.
Jetzt knallts.
Der eiskalte Blick wandert weiter. "Ich mach dich kalt, wenn es nicht schon die Goblins getan haben...", faucht der Krieger und wischt die Elfin mit einer einzigen Bewegung beiseite. Sie landet unsanft auf dem Boden, rappelt sich auf und sieht gerade noch, wie Gravir durch die zerstörte Eingangstür stürmt. Wen denn?
Mit einer stoischen Ruhe, deren Ursprung sie sich selbst nicht erklären kann, zupft sie sich einige Holzsplitter aus den Handballen. Hoffentlich hören die Leute bald damit auf, mich durch die Gegend zu werfen... Ihr Sarkasmus ist zurück. Ein untrügliches Zeichen dafür, daß etwas in ihr beschlossen hat, die Kontrolle über die Situation zu übernehmen - wahrscheinlich weil es sonst niemanden mehr gibt, der ihr diese Aufgabe abnehmen könnte. In einiger Entfernung ertönt ein splitterndes Krachen.
Aus ihrer knienden Position kann sie unter den Resten des Bettes etwas schimmern sehen. Die Goblins haben ihren Kampfstab tatsächlich nicht bemerkt, oder ihn zumindest einfach liegen lassen. Teleri zerrt das Ding unter den Trümmern hervor und schnallt es sich quer über den Rücken. Dann fällt ihr Blick wieder auf das Wolfsfell.
Irgend etwas ist wichtig an diesem Fell, überlegt sie. Auf jeden Fall ist es mehr als eine einfache Trophäe. Daran hängen Gefühle, Schmerz oder Freude oder beides. Noch immer im Zustand dieser unnatürlichen Ruhe beginnt sie, die Fetzen vorsichtig von der Wand zu lösen. Sie sammelt auch alle Krallen auf, die sie finden kann, und knotet alles zusammen in die Reste der Bettlaken, so gut es eben geht. Die komplette Basis ist ein einziger Trümmerhaufen. Warum führt ausgerechnet ein zerrissenes Fell dazu, daß irgendwas in Gravir aushakt? Sie klemmt das Bündel unter einen Arm und verläßt die Wohnung. Auf der Schwelle bleibt sie stehen und schnappt nach Luft.
Blut ist kein Problem. Gekröse auch nicht. Tote Leute ebenfalls nicht. Blut, Gekröse und Teile von toten Leuten, alles mehr oder minder gleichmäßig durch einen langen Gang verteilt, sind eine etwas andere Geschichte. Der Gestank ist hier überwältigend. Kurz werden ihr die Knie weich, und sie muß würgen. Es hilft nichts, Teleri. Du mußt da durch. Vorsichtig, darauf bedacht, nicht auf irgendwelche Körperteile zu treten, bahnt sie sich einen Weg durch die Höllenszenerie und nimmt dabei jedes Detail in sich auf. In die seltsame Ruhe schleicht sich Beklemmung und legt sich um sie wie ein kaltes, nasses Tuch.
Sie folgt dem Geräusch berstenden Holzes, das sie vorhin wahrgenommen hat. Seitdem ist es jedoch wieder still in der unterirdischen Stadt. Ihr Weg führt sie zurück zu Zirkons Gemächern. Verflucht. Hier wollte ich nie wieder einen Fuß hineinsetzen... Oh. Jemand hat umdekoriert.
Teleri kommt der Verdacht, daß ihr wiedererwachter Sarkasmus ihre Art ist, mit den schockierenden Eindrücken umzugehen. Das ist immer noch besser, als schreiend zusammenzubrechen. Allerdings befürchte ich, daß genau das später noch folgen wird... aber nicht jetzt. Allein diese Erkenntnis befördert sie jedoch bereits ein unwillkommenes Stück weiter aus ihrem Kokon der Seelenruhe hinaus.
Die Goblins scheinen hier noch grausamer gewütet zu haben als im Kanal selbst. Der tote Körper zu ihren Füßen, der sich durch das Quartier verteilt, ist in unzählige Stücke zerrissen. Dennoch erkennt sie ihn sofort. Sie kann sich keinen Umstand vorstellen, unter dem sie ihren Peiniger nicht wiedererkennen könnte. "Wer Wind sät, wird Sturm ernten", murmelt sie halblaut, und ihr Blick wird hart. "Bei dir hoffe ich, daß es lange gedauert hat."
Gravir steht nahe einer Wand des Raumes. Er ist blutbesudelt, und wirkt beinahe entrückt in seinem Zorn. Ich bin vielleicht daran gewöhnt mit Bauern und Hausfrauen umzugehen, die irgendwelchen Kummer haben. Jene, die trauern, kuriert man mit heißer Schlachterfischsuppe und viel Beschäftigung und solche, die jammern um des Jammerns willen, mit einem Arschtritt und noch mehr Beschäftigung. Kleine Geister fühlen nur kleinen Schmerz. Aber das hier... Sie schaut zu dem Halbvampir auf und hat keine Ahnung, was sie tun soll. Sie steht selber unter Schock und hält nur mit Mühe die Fragmente ihres Geistes zusammen. Zudem erinnert sie die ganze Szenerie an... Jetzt nicht, schimpft sie sich selbst aus.
Dennoch: Hier kann sie keine Heilerin sein. Nur eine Freundin - falls Gravir das zuläßt. Sie legt das Bündel auf dem Boden ab und nähert sich abermals vorsichtig dem Rothwardonen. Dabei steigt sie über etwas, das einmal offenbar Zirkons Kopf gewesen ist, auch wenn sich das nur noch an den schwarzen, einstmals so prächtigen Haaren bestimmen läßt. Teleri überlegt, ob sie nochmals wagen soll, Gravir zu berühren. Der Ausbruch hat ihr eindrücklich ins Gedächtnis zurückgerufen wie gefährlich der Mann ist, der jetzt nur wenige Handbreit von ihr steht und in dem noch immer heiße Wut schwelt.
"Das war schon lange überfällig, nicht wahr?" fragt sie leise. "Aber hier gibt es nichts mehr, was du bekämpfen kannst. Sie sind alle tot, nur du nicht. Du bist noch hier, weil es dir wichtiger war, ein Leben zu schützen... mein Leben", sagt sie und geht mit ihren nächsten Worten ein Risiko ein, das sie kein bißchen zu kalkulieren vermag: "Vielleicht zeigt es, daß dies ohnehin niemals der Ort war, an den du gehört hast. Daß du weiter danach suchen mußt..." Mitgefühl. Und... eine Beschäftigung. Das ist alles, was ich dir bieten kann.
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