Gerade fertig geworden: Der letzte Abschnitt von Willy Wunderbaums Abenteuer im Wald. Vielleicht liest es ja irgendwer und hat Freude daran

Je näher man dem Herzen eines Waldes kommt, desto misstrauischer wird man aus dem dunklen Geäst der Bäume beäugt. Die Waldgeister lassen keinen Schritt mehr unbeobachtet und sind jederzeit bereit, zuzuschlagen und den, der sich ihrem Heiligtum nähert, zu töten. In diesem Moment war das Willy, der keine Ahnung von der Gefahr, in der er schwebte, hatte. Er wurde nur einfach immer verzweifelter auf seiner Suche nach diesem verdammten Weg, der regelrecht auf der Flucht vor ihm zu sein schien. Es wurde schon wieder dunkel, die Marmeladenbrotvorräte waren aufgegessen und ihm war kalt. Außerdem machte ihn das ständige Geraschel und Gemurmel um ihn herum nervös.
Waldgeister haben lange, spitze Krallen an ihren dürren Fingern, die sich nach vorne hin biegen. Die Krallen sind sehr fest, damit sie nicht abbrechen, wenn die kleinen, wuseligen, grünen Wesen sie in ihre Opfer stoßen. Die Augen eines Waldgeistes sind tiefschwarz und scheinen ein ganzes Universum in sich zu beinhalten. Sie sind etwas größer als Trolle, aber viel dürrer. Ihre grüne Haut ist vollkommen nackt, kein einziges Haar traut sich, auf ihren Körpern zu wachsen. In ihren Mündern finden sich lange, spitze Zähne und eine ebenfalls sehr lange, gespaltene Zunge, wie die einer Schlange. Sie schwingen sich wie Affen sehr geschickt von Ast zu Ast und verstehen sich gut darauf, zwischen Blättern und Gehölz völlig unentdeckt zu bleiben. Wenn sie angreifen, dann tun sie das unerwartet und aus dem Hinterhalt. Waldgeister können fiese kleine Biester sein. Doch irgendetwas hatte Willy an sich, das sie veranlasste, noch zu warten. Aus irgendeinem Grund fanden sie dieses Kind interessant und wollten noch ein wenig zusehen, was wohl passieren würde.
Die Sonne war längst untergegangen, als Willy schließlich erschöpft zusammen sackte. Er konnte keinen Fuß mehr vor den anderen setzen. Es war wirklich Zeit für ihn, zu schlafen. Der Weg war nicht einmal in Sichtweite. Willy hatte keine Ahnung, wie es für ihn weiter gehen sollte. Er konnte doch nicht für immer durch den Wald irren! Er musste doch zurück nach Hause, dahin, wo er hin gehörte! Was hatte ihn bloß geritten, als er auf die blöde Idee kam, die Fremde zu erforschen? Willy weinte. Den Waldgeistern, die ihn beobachteten kam das äußerst merkwürdig vor. Da strömte eine ihnen völlig unbekannte Flüssigkeit aus diesem kleinen Jungen heraus, die eine unbeschreibliche Anziehungskraft auf sie ausübte. Wie sie aussah, wie sie roch, das alles machte die Waldgeister halb wahnsinnig vor Gier, doch sie wollten nicht riskieren, ihre Tarnung aufzugeben und sich so ihr Spiel zu verderben. Tränen waren ihnen neu, doch sie ahnten, dass diese Dinger etwas ungeheuer Wertvolles und Mächtiges sein mussten. Von Schluchzern und Weinkrämpfen geschüttelt fiel Willy in einen sehr unruhigen Schlaf. Er zitterte vor Kälte und Angst und träumte wirr und schlecht. Mit dem ersten zwitschernden Vogel wachte er auch schon wieder auf. Frierend und entkräftet. Er krümmte sich noch mehr zusammen und wollte wirklich nicht aufstehen. So lag er da fast eine Stunde und guckte sich den Laubbedeckten Boden an. Dann sah er nach oben und bemerkte, dass die Blätter der Bäume nicht mehr grün waren wie gestern, als er eingeschlafen war. Sie waren gold-gelb oder rot. Es war um ihn über Nacht Herbst geworden. Er stand erschrocken auf. Wie lange hatte er geschlafen? Etwa all die Wochen und Monate, die zwischen Frühling und Herbst lagen? Das konnte nicht sein, dachte er, dafür war er viel zu müde. Hätte er so lange geschlafen, müsste er doch der ausgeruhteste Mensch auf Erden sein! Auch die Waldgeister hatten diesen Jahreszeitenwechsel erstaunt zur Kenntnis genommen. Er war augenscheinlich durch Willys Tränen ausgelöst worden. Sie waren in den Boden gesickert und von dort bis in die Wurzeln der Bäume, die sehr mitfühlende Wesen sind. Als sie aus dem Boden so viel Traurigkeit und Verzweiflung aufsaugten, wurden sie selber sehr traurig und weinten ihre Blätter gelb. Sie warfen noch mehr ab als sowieso schon auf dem Boden lagen und ließen betrübt ihre Zweige und Äste hängen. Alle Versuche der Waldgeister, die Bäume wieder aufzuheitern, schlugen fehl. Nicht einmal die Baumbrüder, die Wurzelzwerge, konnten etwas ausrichten. Im Gegenteil: Nach kurzen Gesprächen mit ihren großen Brüdern wurden sie selber sehr niedergeschlagen und konnten kaum sagen, warum. Sie saßen nun mit hängenden Köpfen in den hängenden Ästen ihrer Schützlinge und trauerten. Willy wusste von alledem nichts, wie sollte er auch. Um die Macht der Tränen weiß kaum jemand. Selbst den Waldgeistern war sie völlig neu. Willy entschloss sich schließlich, weiter zu gehen. Er hatte es aufgegeben, sich über die Vorgänge im Wald Gedanken zu machen. Der machte offenbar sowieso, was immer er wollte, es schien die Mühe nicht wert zu sein, ernsthaft zu versuchen, irgendetwas davon zu verstehen. Er ging los und fühlte sich wie von einem unsichtbaren Staubsauger in eine bestimmte Richtung gezogen. Also ging er und ging und ging, unbeirrbar, ohne viel nachzudenken, einen Fuß vor den anderen setzend und einfach seinem immer stärker werdenden Gefühl folgend. Was sollte er auch sonst tun. Der Wald um ihn herum wurde immer unruhiger. Die Bäume knarrten traurig und mit wachsender Verzweiflung, die Vögel schienen nur noch schlechte Nachrichten auszutauschen zu haben, der Wind pfiff ungeduldige Melodien und alles raschelte und tuschelte. Die Luft war elektrisiert wie vor einem Unwetter. Willy fiel das alles kaum auf. Es war, als flöge er drei Meter über seinem eigenen Kopf und sähe sich selber gehen, immer gehen, einem unbekannten Ziel entgegen. Die Luft veränderte sich. Sie wurde Kälte und schneidender, wie messerscharfe Klingen, ganz wie die Luft im tiefsten Winter. In immer größerer Zahl fielen die Blätter von den Bäumen und bedeckten den einfrierenden Waldboden. Der Himmel wurde grau und schließlich weiß. Dann stand Willy vor einer riesengroßen, alten Eiche, die hoch über alle anderen Bäume des Waldes hinausragte und deren Stamm breit genug war, um Willys ganzes Zimmer zwei mal nebeneinander darin nachzubauen. Als Willy an dem alten Baum hochsah, bemerkte er, dass es anfing zu schneien. Tausend Augen ruhten auf ihm. Er drehte sich um und sah in die furchterregenden Gesichter der Waldgeister, die alle versammelt waren und ihn und den Baum umstellt hatten. Es waren sicherlich hundert an der Zahl und sie guckten das Menschenkind mit einer Mischung als Kampfesfreude, Blutdurst, Verunsicherung und Neugier an. Diesen Blick kannte Willy nicht und er machte ihm große Angst. „Was wollt ihr?“, fragte er, flüsterte fast und brauchte all seine Kraft, um den Kloß im Hals und die Tränenmeere hinter den Augen zu behalten. „Wir sind die Wächter des Waldes.“, zischte es ihm mit hundert Stimmen entgegen, ohne dass einer der Waldgeister seinen Mund bewegte. Nur die unendlich tiefen Augen durchbohrten ihn. „Was wollt?“, fragte Willy wieder. Diesmal schrie er. Der Kloß brach auf und die Tränen stürzten aus seinen Augen. Das machte den Waldgeistern Angst. Sie starrten die Tränen schweigend an. Ein paar leckten sich mit ihren zitternden Zungen über die lippenlosen Münder, als seien diese Tränen eine exotische Köstlichkeit, andere zitterten ungeduldig, wieder andere zuckten ängstlich und wollten lieber weglaufen. Willy guckte eindringlich jedem Waldgeist, den er sehen konnte, in die Augen und wartete auf Antwort. Dann sagte er mit der Gleichgültigkeit eines Verzweifelten ein sehr hässliches Wort zu ihnen und drehte sich wieder zu dem Baum um. „Du stehst vor dem Herz des Waldes“, zischte es hinter ihm. „Es schlägt in diesem Baum. Rührst du den Baum an, bist du tot.“ „Könnt ihr mir sagen, wie ich hier wieder weg komme?“, fragte Willy, ohne sich umzudrehen oder die Waldgeister die ihm gegenüberstanden anzusehen. „Dreh dich um und geh in die andere Richtung!“, zischten die Geister bestimmt. „Das reicht mir nicht!“, schrie Willy. „Ich will zurück zu meinem Weg! Er ist weg gelaufen. Ich will wieder nach Hause!“ „Wo soll das sein?“, fragten die Waldgeister. „In meiner Stadt. In meiner Straße. In meinem Haus. Bei meinen Eltern. Da, wo ich hin gehöre!“ „Wenn du da hingehörst“, sagten die Waldgeister, „Wirst du da auch wieder ankommen, egal welchen Weg du gehst.“ „Aber ich komme da nicht an!“, sagte Willy. „Ich gehe schon so lange immer in die Richtung, in die es mich zieht, und ich lande schließlich hier!“ Die Waldgeister wurden unruhig, zischelten untereinander unverständliche Laute durch den Wald, berieten sich, stritten sich sogar. Nach einer Weile der Unruhe gab es wieder Einigkeit unter den grünen Wesen. „Wenn es dich hier her zieht“, sagten sie, die meisten mit einer gehörigen Spur Nachdenklichkeit in der Stimme, als könnten sie selber nicht ganz glauben, was sie da sagten, „Vielleicht gehörst du ja hier her?“ Es war Willy, als würden reißende Sturzbäche in seinem Kopf hinter riesigen, alten Steinmauern hervorbrechen und alles überfluten. Ein ihm völlig unbekanntes Gefühl ergriff voll und ganz Besitz von seinem Geist und seinem Körper. Es kribbelte merkwürdig, von der Stirn bis in den kleinen Zeh, und er musste seine Hände drehen und genau ansehen, um sicher zu gehen, dass er immer noch da war, sich nicht einfach auflöste und verschwand, denn genau so fühlte es sich gerade an. Er sah die Waldgeister jetzt endlich wieder an und erkannte so etwas wie Gutmütigkeit in ihren Gesichtern. „Das kann nicht sein.“, stammelte es aus seinem Mund heraus. „Wir bringen dich zu der, die es wissen muss.“, erklärten die Waldgeister und zwei von ihnen lösten sich aus der Masse, nahmen den völlig verstörten Willy an den Händen und führten in direkt vor die große Eiche. Sie klopften drei mal an und der Stamm öffnete sich. Ein Tor entstand mitten im Baum und die Waldgeister führten Willy hindurch. Dann ließen sie ihn dort stehen und verließen den Baum wieder. Hinter ihnen schloss sich das Tor wieder und Willy stand allein dort, eingesperrt in einem Baumstamm. Er sah sich um und bemerkte, dass hier alles von Fackeln beleuchtet war, die an den hölzernen Wänden hingen. Direkt vor seinen Füßen begann eine sich hoch nach oben schlängelnde Wendeltreppe, deren Ende Willy von unten nicht sehen konnte. Doch da es hier außer dieser Treppe scheinbar nichts gab, beschloss er, hoch zu gehen um zu sehen, was oben war. Seine schreckliche Höhenangst machte es ihm da nicht gerade leichter. Die Treppe hatte kein Geländer und schlängelte sich am inneren Rand des Stammes nach oben; in der Mitte war ein Loch. Er bemühte sich, bloß nicht nach unten zu gucken. Nach etwa vierhundert, fünfhundert oder sogar sechshundert Stufen schien es Willy schließlich so unsagbar hoch zu sein und noch so viel höher zu werden, dass er kurz davor war, aufzugeben. Um ja nicht zu riskieren, hinunter zu fallen, ging er sehr langsam, begab sich letztendlich sogar auf alle Viere und kroch förmlich weiter nach oben, mit zitternden Händen, Armen, Beinen und Füßen. Er hörte auf, die Stufen zu zählen, er kam ohnehin nicht mehr mit, die Zahl war zu hoch. Die Angst war rasend und dröhnte weiß rauschend in den Ohren, wummerte hinter der Stirn und verklumpte sich krampfhaft um den Magen herum. Willys Augen waren weit aufgerissen und auf seiner Stirn stand kalter, perlender Angstschweiß. Übrigens ist auch Angstschweiß etwas, was Waldgeister sehr fasziniert. Allerdings kennen sie diesen besser als Tränen. Als Willys Hände endlich den Boden eines richtigen Stockwerkes berührten, konnte er es kaum glauben. Er hatte das Ende der Treppe erreicht. Er stand sofort auf und ging so weit von den ihm verhassten Stufen weg wie nur möglich, ohne dabei in die Gegend zu gucken. Nicht erstaunlich, dass er in diesem kleinen Raum dabei direkt in das einzige andere Wesen, was sich hier befand, hinein lief. Er guckte erschrocken hoch und sah in das beinah furchterregend hässliche, aber freundliche Gesicht einer uralten, kunbbelig-knochigen, faltenzerfurchten, kleinen, buckligen Frau. Sie hatte nur ein Auge, die andere Augenhöhle war leer. Sie grinste wohlwollend und entblößte dabei ihre letzten zwei verbliebenen, dunkelgelben Zähne. „Na, Willy? Hast du also her gefunden. Alle Achtung!“, sagte sie mit der wärmsten Samtstimme, die Willy je gehört hatte. Sofort wich die Angst aus seinen Gliedern und es war ihm, als hätte seine lange Reise endlich ihr Ziel gefunden, warum auch immer. Sobald die fast elektrische Anspannung, die ihn bis eben fest im Klammergriff gehabt hatte, von ihm abgefallen war, merkte er, wie unendlich müde er war. Er setze sich hin und lehnte sich erschöpft an die Wand. „Ist gut“, sagte die Alte, „Ruh dich etwas aus. Hast schließlich einen langen Weg hinter dir. Warte, ich hab uns Tee gekocht.“ Und sie drehte sich um, zu einem kleinen Holztisch in der Mitte des Raumes und nahm zwei Becher aus Ton, deren dampfender, wundervoll riechender Inhalt nur darauf wartete, von Willy getrunken zu werden. Er nahm seinen Becher und genoss die Wärme, die dieser an seine durchgefrorenen Hände abgab. Dann trank er einen Schluck von dem wässrigen Gebräu, und die gleiche Wärme drang durch seinen ganzen Körper, bis tief in sein Herz. „Wer bist du?“, fragte er die alte Frau. „Ich bin die Hüterin des Waldherzens.“, entgegnete sie. „Warum bin ich hier?“, fragte Willy. „Weil du nachts von Abenteuern träumst.“, sagte die Frau. „Weil du mehr siehst, als das Auge wahrnehmen kann. Weil du nachts in den Himmel guckst und über die Geheimnisse der Sterne nachdenkst. Weil du die Welt erkunden möchtest. Ganz einfach weil du ein Abenteurer bist, Willy Wunderbaum. Du bist einer der wenigen Auserwählten. Und wie es scheint bist du außerdem unsere einzige Hoffnung.“ „Das verstehe ich nicht“, sagte Willy. Die Alte lächelte gutmütig. „Es ist auch sehr schwer zu verstehen, das alles“, sagte sie. Willy trank nachdenklich von seinem Tee. Dann drängte eine Frage aus ihm heraus, die wichtig war. „Die Waldgeister haben etwas merkwürdiges gesagt. Sie sagten, ich würde vielleicht hier her gehören. Ist das so?“ Die Frau winkte ärgerlich ab. „Diese Waldgeister sind einfach Plappermäuler. Sie reden mehr als sie wissen und machen sich wichtiger als sie sind. Irgendwo hingehören, ja, ja, so dummes Geschwätz passt zu den kleinen Biestern. Nein, mein Junge, das ist Quatsch. Niemand gehört irgendwo hin. Es gibt nur wollen und sollen. Du kannst dort glücklich werden, wo du hin willst und bist dort sinnvoll, wo du hin sollst. Zu beidem zieht es dich manchmal. Manchmal irrst du so durch die Welt und kommst schließlich dort an, wo du gebraucht wirst, und manchmal kennst du eben deinen Weg selber ganz genau und kommst dort an, wo du hin willst.“ „Und ich bin also dort angekommen, wo ich gebraucht werde?“, fragte Willy zweifelnd. „Ganz genau“, bestätigte die Hüterin des Waldherzens, „ Genau hier bist du angekommen. Genau da, wohin der Wald dich gerufen hat.“ „Und was will der Wald von mir?“, fragte Willy. Die Alte seufzte und trank noch einen Schluck Tee. „Viel zu viel, wenn du mich fragst“, sagte sie. „Du musst wissen, dieser Wald ist krank. Man merkt es noch nicht, doch schon bald wird der Tod hier Einzug halten. Das Herz des Waldes ist vergiftet und wir wissen nicht warum. Hier sind böse Mächte am Werk. Das Böse ist eigentlich nichts, womit Kinder sich auseinander setzen sollten. Doch der Wald hat dich auserwählt, weiß der Himmel, warum.“ Sie seufzte schwer und sah Willy traurig an. „Es warten fürchterlich schreckliche Abenteuer auf dich, kleiner Mann.“ „Und wenn ich nicht will?“, fragte Willy nachdenklich. „Dann wird das alles hier sterben“, sagte die Frau. „Und wahrscheinlich noch viel mehr. Das Böse will immer mehr, weißt du? Das ist seine Natur. Du wirst dem Bösen nicht entfliehen, du am allerwenigsten.“ Willy war sehr beklommen. Er hatte keine Lust auf fürchterlich schreckliche Abenteuer. Eigentlich hatte er gerade überhaupt keine Lust mehr auf irgendwelche Abenteuer. „Ich brauche Zeit um darüber nachzudenken.“, sagte er. Die Frau guckte ihn sehr eindringlich an. „Ich kann dich zu nichts zwingen“, sagte sie. „Doch ich flehe dich an, um unser aller willen, gut zu überlegen, was du tust. Du bist in einem kritischen Alter, weißt du? Wenn du nicht aufpasst wirst du, von einer Sekunde auf die andere, plötzlich erwachsen und bist ein Mensch und kein Kind mehr. Du weißt ja, dass Menschen all das hier nicht sehen können. Du wärst völlig unbrauchbar und wir wären dem Bösen ausgeliefert. Also bitte, bitte, bitte; überleg dir gut was du tust!“ „Ich will erst mal nur nach Hause“, sagte Willy. Die alte Frau seufzte noch einmal sehr schwer. „Natürlich“, sagte sie, „Das ist dein gutes Recht. Geh nur. Aber vergiss uns nicht und komm rechtzeitig zurück!“. „Mhm“, machte Willy nur, und begann, die Treppe hinab zu steigen. Er ging langsam und ohne Angst, nur mit einem ganz merkwürdigen Gefühl im Bauch. Als er unten angekommen war, öffnete der Baum sich wieder und er trat heraus. Der Himmel war fast schwarz, so dunkel waren die Wolken, die ihn zuzogen, und vor ihm wartete ein breiter, wunderschöner Kiesweg, als wäre er schon immer da gewesen, der ihn in wenigen Minuten ohne eine einzige Kurve zu machen geradewegs raus aus dem Wald und wieder in seine Stadt führte. Er betrat die asphaltierte Straße und drehte sich ein letztes Mal um. Der Weg war verschwunden. Die Büsche und Bäume zogen sich zu einem engen Geflecht zusammen und verwehrten jeglichen Blick ins Innere des Waldes. Willy war draußen. Das Wetter war hier besser. Die Sonne schien und die paar Wolken am Himmel waren weiß und klein. Es musste früher Morgen sein. Willy ging nach Hause. Seine Eltern schliefen noch nicht. Sie hatten seit seinem Verschwinden nicht mehr geschlafen. Sie saßen am Küchentisch und warteten voller Angst darauf, dass ihr kleiner Junge zurück kam. Als Willy vor ihnen stand fingen sie an zu weinen. Sie nahmen ihn beide in den Arm und küssten ihn. „Da bist du ja wieder“, lachte seine Mutter tränenüberströmt. „Ja, da bin ich wieder“, murmelte Willy und setzte sich an den Küchentisch. Er hatte seinen Eltern viel zu erzählen und sie hörten geduldig zu bis Mittag war. Dann war Willy fertig und wollte ins Bett gehen. Seine Mutter deckte ihn zu und gab ihm einen Kuss auf die Stirn. „Schlaf gut, kleiner Abenteurer.“, sagte sie und ging aus dem Zimmer. Während er einschlief hörte er noch lange, wie seine Eltern sich unterhielten. Er konnte es nicht genau verstehen, aber es war von früher die Rede, von Abenteuern und vom Erwachsenwerden. Dann fielen Willys Augen zu. Endlich wieder in seinem Bett. Nie zuvor hatte er so gut geschlafen wie jetzt.


Wie immer freue ich mich über Meinungen und Korrekturen.