Ich finde allerdings, dass es schon ein Indiz für einen schlechten Text hast, wenn "der Leser nicht mal weiß, wie der Text wirken soll". Die Beurteilung der Textwirkung hast du doch dann schon per se: entweder er wirkt gar nicht, oder nicht so, wie du das beabsichtigt hast; braucht es dann noch eine Erklärung, solltest du entweder 50 Seiten Vorwort einplanen, oder den Text umschreiben.
Außerdem: Wenn ich weiß, wonach ich suchen muss, finde ich es um einiges schneller - unvoreingenommenes Lesen und Kritisieren ist das nicht mehr.
Selbst wenn du nachher noch darauf eingehst, was du eigentlich sagen wolltest. verfälschst du die Leseerfahrung. In der Praxis ist es nämlich so, dass dein Leser ein irrationales Bild zeichnet, egal wie sehr sich das an dein zuvor auf rationalen Ideen begründetes, beabsichtigtes Bild annähert, ganz einfach, weil er bestimmte Widersprüchlichkeiten ignoriert und Lücken im Gesamtbild selbst füllt; - das geht da los, wo man überlesen hat, dass die Nebenprotagonistin schwarze Haare hat und sie sich blond vorstellt und endet bei der Interpretation vom Steppenwolf als Hommage ans Bürgerliche, weil die Aurakatie so stark bildhaft war (jetzt mal stark übertrieben). Schlimm ist dieses irrationale Bild nicht, zumal es sich wie eine sehr komplexe Erinnerung immer weiterspinnt - das ist wie mit Zeugenberichten, die sich mit der Zeit von der Realität entfernen. Das irrationale Konstrukt kommt dann aber gegen die von Wahrheit geplagte Aussage des Autors selbst nicht meh an, zumal es der Autor ist, also für den Leser der Erleuchtete und, was der über sein eigenes Buch sagt, wird ja wohl stimmen.
Du hast recht, letztendlich bleibt der erste eigene Eindruck sogar erhalten, aber man wird dann immer die eigentliche Intention des Autors vorziehen, die eigene Intuition wird sozusagen verleugnet. Dass letzteres ein pathologisches Problem ist, zeigt sich ja in der fehlenden Auseinandersetzung mit richtig hartem Stoff nach intensivem Deutschunterricht: Man erwartet regelrecht, dass einem die Gedankengänge vorgekaut werden, Literatur ist solange trockener Stein, bis mal jemand kommt und sagt "So ist es." . Das ist kein Verhalten, das ein Autor unterstützen, oder worauf man hinarbeiten sollte - ist doch egal, wie ich Kafka verstehe, hauptsache, ich sehe in seinen Perioden nicht nur irgendein Geschwafel. Und wie behauptet: Zwischen Leser und Autor herrscht selten Konvergenz; da lese ich doch aus Carrolls Büchern lieber Kritik an der bürgerlichen, anglikanischen Gesellschaft heraus, anstatt mir vielleicht von ihm sagen zu lassen, dass er nur absurdes Zeug aneinanderreihen wollte, um den Kindern ein bisschen Spaß zu verschaffen.
Aber genau das passiert doch, wenn man Texte auf Interpretationsvarianten beschränkt. Deswegen ist diese leidliche Kafka-Diskussion doch auch dermaßen anstrengend und widerwärtig: Man versucht, alles auf irgendeine ganz bestimmte Ebene zu pressen und was nicht draufpasst, wird eben ignoriert. Ein Autor, der seine Intention offenlegt, macht nichts anderes, er nimmt alle anderen Interpretationsvarianten vorweg (immerhin pachtet er nunmal die ultimative Weisheit über sein Werk); ich persönlich hätte an sowas keinen Spaß mehr. Zumal eben, wie gesagt, so eine Intention in ihrer Vielschichtigkeit auch nicht zu fassen sein dürfte - außer wir sprechen von leichter Lektüre à la Dan Brown.Zitat
Dabei sind zwei Dinge ganz wichtig:
1. Man spricht aus einem guten Grund durch Kunst, nämlich weil sie in der Lage ist, zu kombinieren, wozu schlichte Konversation oder nur das Reden ober die Sache selbst nicht in der Lage sind (deswegen reden wir auch gern in Metaphern).
2. Kunst soll unterhalten und - zumindest in diesem Rahmen hier - gleichzeitig eine entscheidende Information übermitteln.
Ginge das einfacher, nämlich indem man seine Intention einfach so rausschießt, bräuchte man keine Bücher mehr schreiben.
Außerdem spielt da noch etwas mit rein, nämlich die Gesellschaft der Moderne: Man hat das Theater nicht umsonst erneuert, Brecht legt nicht umsonst seinen Fokus auf den Ethos und vernachlässigt dabei den Pathos, die Erkenntnis über ein Werk muss der Rezipient nämlich selbst erlangen, das ist unabdingbar. Bei modernem Theater und Brecht handelt es sich um aufklärerische Werte, man will eine Meinungsbildung erwirken und moralisieren. Wenn man das weiter fasst, geht es darum, selbst Einblick in eine andere Gedankenwelt zu erlangen.
Wie schon behauptet, der Autor ist über sein eigenes Werk immer der klügere, das ist auch irgendwie nur logisch. Wie unbefangen bin ich als Leser denn, wenn mir der, der den Text geschaffen hat, sagt, was ich darüber zu denken habe - auf der Suche nach der Wahrheit wählt man immer das, was am wahrsten zu sein scheint und was ist wahrhaftiger, als die Meinung eines Schöpfers. Wenn ich dir eine Ente aus Ton forme und du sagst, das ist ein Kaninchen, ich sage dir darauf aber, es ist eine Ente, kannst du mir höchsten vorwerfen, dass ich aufhören sollte, Tonenten zu basteln, weil die ja offensichtlich nicht wie Enten aussehen, mir also das Talent fehlt; aber würdest du mir wirklich sagen, dass ich nicht vorhatte, eine Ente zu kneten? Intention und Wirkung.Zitat
Um das mal zu erweitern:
Ich befinde immer noch, dass ein Text nichts taugt, solange man ihn erklären muss. Das bedeutet zwar nicht, dass ihn jeder verstehen muss; - ich hab's neulich sehr exemplarisch erlebt, als ich einen Text weitergereicht hab, den ich mal als Gast in einem Seminar zusammen mit der anschließenden Besprechung der Studenten gehört hatte, und darüber dann eben auch Meinung eingeholt habe: Man muss sich schon auf Sachen einlassen können und nicht nur oberflächlich mal drüberlesen, sagen "Das versteh ich nich'." und wieder abschwirren, das funktioniert vor allem nicht, wenn ein Raum voll Lernwütiger damit nach einmaligem Hören viel besser klarkam. Es gibt aber einen Punkt, ab dem eine Textintention einfach nicht herauskommt, und wenn man tatsächlich vorhat, dem Leser genau diese eine Information zu übermitteln, sollte man das schon so hinbekommen, dass der nicht erst mit einem Fragezeichen ankommen und Erklärung einholen muss, denn das ist nicht der Sinn der Sache.
Ein andermal wiederum ist es ja nur hilfreich, wenn ein Text vielseitig interpretiert werden kann, sobald der Anspruch wegfällt "Denke, was ich denke." . Und selbst dabei hat sich der Autor in den Hintergrund zu stellen, weil er unmöglich seinen Senf preisgeben kann, ohne den Leser zu beeinflussen. Er ist die große, allwissende Autorität auf diesem einen Gebiet und davon kann man sich nicht lösen, weder Autor noch Leser.
Such übrigens mal im Netz nach einem Text, den der Autor selbst schriftlich interpretiert; du wirst keinen finden, der nicht allein schon dadurch bescheuert klingt, dass sein Verfasser versucht ist einem weiß zu machen, dass man den "Biss in eine Kirsche" als Sündenfall hätte interpretieren müssen - weil rot die Farbe der Sünde ist, der Biss sadomistische Züge hat und das Bild von Kirschsaft, das sich angeblich sofort einstellt, mit Ejakulat vergleichbar ist -, der durch "Apfelgrün" - grün als Komplementär zu rot - zu einer Schwarz/Weiß-Metaphorik abstrahiert wird und der Apfel auf einmal für Unschuld steht, sodass die Anspielung weiter unten mit dem neuen Apfel der aus Kirschsaft entsteht, ein unschuldiges Kind ist.
Die Preisgabe einer Intention ist eben auch deshalb nicht sehr klug, weil man sich damit selbst entlarvt. Die wenigsten sind in der Lage, eine in sich geschlossene Symbolik aufzubauen, die genau auf dieses oder jenes hinweist. Das fällt nicht auf, wenn man den Leser sein Ding machen lässt, und schlimm ist das auch nicht, eher erfrischend.