Ergebnis 1 bis 15 von 15

Thema: Textintentionen erklären - oder lieber doch nicht?

Baum-Darstellung

Vorheriger Beitrag Vorheriger Beitrag   Nächster Beitrag Nächster Beitrag
  1. #2
    Ich meine ja, Textintentionen zu verraten wäre, als ob man im Klappentext das Ende vorwegnimmt. Du beklaust damit ja deinen Leser um eine Erfahrungsebene, der soll doch selbst mitbekommen, was er sich aus einem Buch nehmen soll. Ich als chronischer irgendwas-aus-Büchern-nehmen-Müsser fände es auch sehr entmündigend und vermutlich auch enttäuschend, wenn man mir vorher erzählt, was Henry Bauchau mit seiner Antigone nun eigentlich ausdrücken wollte.

    Hinzu kommt ja, dass dein Text als Kommunikationsmittel immer beide Seiten zu einen versucht, sprich, der Leser muss seinen eigenen Zugang zum Geschriebenen finden können, er braucht also einen ganz anderen Ansatz als der Autor. Das liegt vor allem daran, dass bei Menschen selten Konvergenz vorherrscht. Ich habe beispielsweise die schlimme Vermutung, dass ich Rilke abgrundtief verabscheuen würde, hätte ich ihn persönlich getroffen und hätte er mir erzählt, was hinter seinem Symbolismus eigentlich steckt.
    Du nimmst dir jedenfalls automatisch Publikum, wenn du den anderen Leuten deine Meinung über dein eigenes Werk aufdrückst.

    Zuguterletzt stellst du dir damit ja auch selbst ein Bein. Welcher gute Text hat eine Intention, die sich einfach mal so in ein paar Ellen Text abhandeln ließe? Was nützt es, Symboliken aufzuschlüsseln, wenn die dadurch doch nur instrumentalisiert werden? Und warum sollte man sich - die Frage hast du ja selbst in den Raum geworfen - auf eine Textintention beschränken? Kafka wäre nicht halb so obertoll, wenn es nicht zig Interpretationsansätze für ihn gäbe.


    Natürlich kannst du kleine Hinweise streuen, wie man einen Text aufnehmen könnte - bei Leslie Kaplans Depuis Maintenant fand ich es beispielsweise sehr hilfreich zu wissen, dass es um die 68er ging, allein wäre ich da wohl eher weniger drauf gekommen, obwohl es nicht mal so unoffensichtlich war. Es kann aber nur von Vorteil sein, wenn dein Text entweder selbst genug dazu in der Lage ist, deine Intention einwandfrei zu transportieren (Grass beispielsweise hat eine unheimlich klare Symbolik), oder der Text eine gewisse, unüberwindbare Hermetik aufweist - Bei Dao ist so groß, weil man in seinen Texten geradezu nach Interpretationsansätzen fischen gehen kann, ähnlich wie Kafka eben.
    Oftmals sollen gerade epische und lyrische Texte heutzutage sowieso nur ein Gefühl transportieren und deren Komplexität sollte man nicht verachten. Ich denke auch, es ist dem Leser zuzutrauen, dass er sich dafür entscheiden kann, entweder die Intention selbst zu erschließen, oder sich ganz unbeteiligt unterhalten zu lassen, beziehungsweise sich daraus zu nehmen, was er daraus nehmen will. Zugegeben, auf diese Weise verkommt Jane Austen hin und wieder zur Schreiberin von Billigromanen, wie man sie in der Edeka für 2,49 Euro bekommt, andererseits muss man sie dadurch nicht darauf beschränken, nur ihre eigenen Probleme überwinden zu wollen, sondern man kann ihr genügend gesellschaftskritischen Wert abgewinnen, den sie vielleicht nicht einmal d'emblée beabsichtigt hatte.

    Es ist natürlich trotzdem immer die Entscheidung des Autors, doch ich finde schon, dass etwas dran ist zu sagen, dass ein Text, der so dringend einer Erklärung bedarf, dass der Autor sich genötigt fühlt, diese auch vorzunehmen, automatisch ein schlechter Text ist. Man disqualifiziert sich damit irgendwie selbst, indem man den eigenen Text zu pauschalisieren versucht, und es ist auch ein bisschen eitel anzunehmen, der Leser würde die unheimlich komplexen Gedankengänge des Autors nur nachvollziehen können, wenn der ihn an die Hand nimmt und ihm mit väterlicher Sanftmut die Welt erklärt.

    Geändert von Mordechaj (19.06.2009 um 06:43 Uhr)

Berechtigungen

  • Neue Themen erstellen: Nein
  • Themen beantworten: Nein
  • Anhänge hochladen: Nein
  • Beiträge bearbeiten: Nein
  •