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Thema: Schullektüren - nervig oder interessant?

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  1. #1
    Zitat Zitat von Ianus Beitrag anzeigen
    Literatur war immer gefärbt von internationalen Einflüssen. Zu jeder Zeit. Der strikt nationale Literaturunterricht ist in meinen Augen eine große Perversion.
    Naja, aber ich finde schon, dass sich das aus historischer Sicht dann auch alles nachvollziehen lässt, nicht zuletzt, weil man ja die tollen Literaturforscher hat, die das für einen rausgefunden haben - man braucht nur mal Rilke zu googlen und schon hat man eine Hand voll Referenzen zu internationaler Literatur. Aber in der Gegenwartsliteratur ist dieser Informationsumfang eben nicht auf dem höchsten Stand, u.a., weil gute Autoren beinahe ein Schattendasein pflegen (eine Autorin wie Leslie Kaplan wird es nie auf eine deutsche Bestsellerliste schaffen, vor allem nicht, wenn dort 5 überhypte Stephenie-Meyer-Romane rumvampiren).
    Ansonsten: Wie gesagt, es ist sehr verständlich, dass man an der Schule die eigene Kultur vertreiben will - ich würde mich auch nicht mit China identifizieren müssen wollen -, aber bis zu einem gewissen Punkt sollte man Einblick in die internationale Welt nehmen dürfen. Und da soll man von mir aus gern den ollen Goethe streichen. Ich würde es vielleicht keine Perversion nennen (obwohl das dem schon recht nahe kommt), aber zumindest unvorteilhaft und falsch.

  2. #2

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    Schullektüren schwanken oft zwischen schön zu lesen und furchtbarster Moppelkotze, aber in beiden Fällen behaupte ich einfach mal, dass es nicht gut gehen kann.

    Schlechte Bücher sind indiskutabel, das ist schonmal klar. Bücher wie "Donna, ich und die Sache mit Tommy" (zwei Mädchen schließen dauernd Wetten miteinander ab, eine verarscht daher den unbeliebtesten Jungen der Klasse, der ist wohl irgendwie kriminell und am Ende wird jeder von jedem gemobbt) und "Die Lunte brennt" (Jugendliche machen Urlaub im Ferienhaus, fahren Autos zu Schrott, jagen Züge in die Luft, konsumieren Drogen und alles dreht sich irgendwie um Sex) gehören weggeschlossen und nicht ahnungslosen Mittelstüflern vorgesetzt ... Wurgs. Auch alte Klassiker wie "Romeo und Julia" in der ältesten deutschen Übersetzung haben im Deutschunterricht nichts zu suchen, wenn 99% der Schüler kaum ein Wort verstehen aufgrund der antiken Sprachweise. Ich liebe alte Sprache, aber da war ich in meiner Klasse eine Ausnahme.

    Gute Bücher ("Andorra" oder "Sansibar" beispielsweise) machen zwar schon irgendwo Freude zu lesen und können streckenweise sogar richtig begeistern, aber das bis zum Erbrechen Auseinandergepuzzele der Lektüre durch die Aufgaben in der Schule verleidet einem jedes noch so gute Buch. Ich hatte jedenfalls nach der Lerneinheit definitiv keinen Bock mehr auf die Teile und mochte sie einfach nicht mehr sehen - Begeisterung für die Werke alter Meister kommt so nicht auf!

    Geändert von Spongie *W* (03.05.2009 um 03:30 Uhr)

  3. #3
    Zitat Zitat
    Literatur war immer gefärbt von internationalen Einflüssen. Zu jeder Zeit. Der strikt nationale Literaturunterricht ist in meinen Augen eine große Perversion.
    Ich sehe keinen Sinn darin, Bücher die einen gewissen Literarischen Anspruch haben, in Übersetzungen zu lesen (nicht so schlimm wie bei Gedichten, aber ähnlich. Übersetzungen von Gedichten, die mehr sind, als bloße Inhaltsangaben entbehren für mich jeder Existenzberechtigung oO")
    Oder dann sollte man zumindest so ehrlich sein, und statt Honoré de Balzac irgend einen Otto Puschinski als Autor angeben -.-"

    Btw, ein IMO sehr gutes Buch für den Schulunterricht ist Homo Faber, leider wird es ausgerechnet an meiner Schule nicht gelesen. Das ist mal was, das ich wirklich lesenswert fand, an solchen semi-klassikern, die sich auch vom Umfang und Schwierigkeitsgrad als Schullektüre eignen.

  4. #4
    homo faber war sehr interessant und tlaulig. verglichen mit so gegenstandlosen dingen wie... ich guck mal gerade in mein regal, wo alle stehen...

    the graduate
    der gute mensch von sezuan
    oder auch
    der schimmelreiter

    ...verglichen damit sehr schön!

  5. #5
    Zitat Zitat von Freierfall Beitrag anzeigen
    Ich sehe keinen Sinn darin, Bücher die einen gewissen Literarischen Anspruch haben, in Übersetzungen zu lesen (nicht so schlimm wie bei Gedichten, aber ähnlich. Übersetzungen von Gedichten, die mehr sind, als bloße Inhaltsangaben entbehren für mich jeder Existenzberechtigung oO")
    Oder dann sollte man zumindest so ehrlich sein, und statt Honoré de Balzac irgend einen Otto Puschinski als Autor angeben -.-"
    Das Problem heutzutage ist eben, dass internationale Literatur nicht mehr international verwendbar sein muss und nur noch selten gewissen literarischen Ansprüchen genügt. Man findet heute spärlich Übersetzer von Gedichten, die ihr Handwerk mit wirklicher Detailliebe durchführen (Übersetzungen von Rimbaud reichen von "Inhaltsangabe" über "gescheiterter Versuch, den Stil beizubehalten" bis zu "annehmbar"); gerade aber verdichtete Texte lassen sich in Übersetzungen oftmals gar nicht mehr so schlecht lesen (manchmal wird ein Schreibstil sogar von einer Übersetzung aufgewertet; Hemmingway beispielsweise schreibt fürchterlich - "Der alte Mann und das Meer" lässt sich aber sehr gut lesen, ohne, dass der Stil stark abweichen würde). Romane und Novellen kann man gut und gerne in Übersetzungen behandeln.

    Heutzutage sind auch bravouröse Shakespeare-Übersetzungen kein Einzelfall mehr, Rilke hat einige dänische Meisterwerke zu deutschen Meisterwerken übersetzt.

    Gut sind auch ganz alte Übersetzungen (Antigone), wo die Leute sich noch im Klaren waren, dass Sprache ein beugsames Gebilde ist und - passende - Genitive und Ellipsen gemischt in Inversionen und Satzverschränkungen noch Gang und Gebe waren.
    Andererseits lassen sich auch moderne Autoren sehr gut übersetzen und existieren deshalb auch schon in solcher Form; Marcel Proust beispielsweise, obwohl der 3 Sätze auf 10 Seiten zieht; für die Franzosen ist es Kafka (der schreibt auch schon so französisch); Kundera... Auch was Gedichte angeht, Israel Eliraz beispielsweise oder Leslie Kaplan, Bei Dao, Hsia Yü, Clara Janés ... Prosadichtung ist das Sonnett des 21ten Jahrhunderts.

    Ich finde jedenfalls nicht, dass man es dran festmachen sollte, ob ein Text übersetzt ist, oder nicht, sondern an der Qualität, denn das Spektrum ist durchaus sehr breit.
    Der kleine Prinz ist übrigens in der Übersetzung von hoher Qualität, was für Saint-Exupérys zwar einfachen, aber aber emotionsgetränken Schreibstil dann doch eine reife Leistung ist.



    Oh, und ja: Der Schimmelreiter ist Gift für die Augen, bereitet Alpträume und führt zwangsläufig dazu, dass man als vergrämter Ostfriese in einem Leuchtturm sitzt und Bierdecken sammelt.

  6. #6
    Das ist dann aber eine Leistung des Übersetzers und nicht des ursprünglichen Autor. Und jeglicher Versuch, das ganze irgendwie zu Interpretieren, insbesondere durch Zeitbezug etc. verkommt zu einem Witz.
    Wie will man die Bedeutung einer bestimmten Metapher feststellen, wenn sie in eine andere Sprache übersetzt keinen Sinn mehr ergibt, oder lediglich übertragen werden konnte, in der Originalsprache jedoch vor dem Zeitgeschichtlichen Kontext jedoch weitere Nebenbedeutungen hatte o.ä.?

  7. #7
    Zitat Zitat von Freierfall Beitrag anzeigen
    Das ist dann aber eine Leistung des Übersetzers und nicht des ursprünglichen Autor. Und jeglicher Versuch, das ganze irgendwie zu Interpretieren, insbesondere durch Zeitbezug etc. verkommt zu einem Witz.
    Wie will man die Bedeutung einer bestimmten Metapher feststellen, wenn sie in eine andere Sprache übersetzt keinen Sinn mehr ergibt, oder lediglich übertragen werden konnte, in der Originalsprache jedoch vor dem Zeitgeschichtlichen Kontext jedoch weitere Nebenbedeutungen hatte o.ä.?
    Das tolle an Allegorien ist, dass sie sich in der Regel in jede Sprache einwandfrei übertragen lassen (zumindest im westlichen Raum, ich habe neulich festgestellt, dass sich im Chinesischen tolle Kombinationen bilden, die man einfach nicht adäquat übersetzen kann). Im Grunde sind formale Aspekte und die Konnotation vieler Wörter das Problem ("blessed are the poor in spirit", "heureux les simples d'esprit", "selig sind, die da geistlich arm sind" - drei Sprachen, drei Bedeutungsebenen) und selbst da lässt sich Abhilfe schaffen, zumal - in Lyrik und Dramatik ist das nicht so, das gebe ich zu, wohl aber in Prosatexten - einzelne Fetzen auch nicht von Bedeutung sind, es kommt auf gewichtige Stellen und den Gesamtinhalt an.

    Bei der Synchronisation von Grey's Anatomy gehen auch 50% der Wortwitze flöten, einfach, weil das Deutsche die Einfachheit des Englischen nicht aufgreifen kann und auch so halt eine andere Sprache ist, aber im Gros bleiben die thematischen Schwerpunkte (das ist nämlich, mal so am Rande erwähnt, das Tolle an der Serie: sie hat welche) und die nuancierten Assoziationen erhalten.

    Bücher sind keine feingespinnstigen sprachlichen Gebilde (wobei ich da mal Rilkes Cornet außen vor lassen will, der Mann ist ein Gott), es sind Gesamtwerke und darauf kommt es schlussendlich an. Und natürlich muss der Übersetzer etwas leisten, bei guter Literatur steht er sogar in der Pflicht, interpretatorisch UND schriftstellerisch zu arbeiten und von dessen Leistung sollte es dann auch abhängen, inwieweit sich das Buch in der Übersetzung noch behandeln lässt.
    Bei Hemmingway würde ich sagen, tut's jede "Inhaltsangabe", George Sand schreibt sowieso zu wuchtig, als dass man ihre Texte jetzt groß mit künstlerischer Sorgfalt behandeln müsste, Hesse soll übersetzen wer will...

    Ab einem gewissen Maß kann man sprachliche Verziertheit vernachlässigen. Dieses Maß geht von dort, wo keine vorhanden ist, bis zu gereimten, freien Versen. Bei strengen Gedichten gebe ich dir recht (aus dem Grund, dass man Baudelaire nur auf Französisch lesen sollte), bei Versdramen mit diszipliniertem Versmaß... aber selbst die kann man angemessen übersetzen (zeigen die Texte Shakespeares auf Deutsch oder die Carroll-Gedichte).

    Man kann übrigens Antigone um-, re- und totinterpretieren, das haben auch unzählige Leute gemacht und der größte Teil von denen konnte kein Altgriechisch. Da sind die tollen Hexameter und Zäsuren auch fein kaputtgehauen worden und es enstand nur noch ein sprachliches Wirrwarr (kurzum: eigentlich ist die Übersetzung gräßlich) - dem Prestigegrad des Dramas hat das jedenfalls keinen Abbruch getan.

  8. #8
    Öh, kurze Überlegung was in meiner Realschulzeit derzeit durchgenommen worde. Da wäre in der 7. Klasse soweit ich mich erinnern kann erstmal "Rolltreppe abwärts" von Hans-Georg Noack. Ich habe keine genaue Erinnerung mehr an das Werk, jedoch hab ich es auch nicht wirklich schlecht in Erinnerung. Das war jedoch zu der Zeit auch nur 'n Buch wo man sich durchgelesen hat weil es gefordert wurde und ich mich somit nicht näher damit beschäftigt habe. In den späteren Schuljahren kann ich mich noch an "Romeo und Julia" erinnern, wo ich feststellen musste, dass Shakespeare nicht so mein Fall ist, da dieser zwar durchaus weiß mit Worten umzugehen und auch Konflikte gut zu repräsentieren, jedoch dass auf mich mit der Zeit einfach ermüdend und platt wirkt. Dann gabs noch "Nathan der Weise" von Lessing, dass aber im Unterricht total unterging aus Gründen des Zeitdrucks. Ich hab demnach das Buch nie wirklich gelesen und kann mir deswegen kein Urteil erlauben. Darauf folgte "Die Räuber" von Schiller. Hiervon hatte ich einen guten Eindruck, gefiel mir alles ziemlich gut, die Konfliktsituation, die einzelnen Motive gepaart mit inneren Gewissensbissen, die Handlung an sich und die Rhetorik. Find ich als Schullektüre auch garnichtmal so unangebracht. "Faust I" von Goethe, wie es doch in vielen Abschlussklassen ein Thema war, war jetzt in der 10. auch bei mir im Lehrplan. Ja was soll ich sagen, nimmt ja doch eine besondere Stellung ein und das durchaus zurecht, obwohl mich der Anfang ziemlich kalt lies und einen ermüdenden Effekt erzielte, wurde der Verlauf mit steigender Handlung immer interessanter/besser/whatever. "Faust II" fand ich nachdem "Faust I" Eindruck hinterließ doch ein stückweit besser, auch wenns jetzt (noch) nicht unter meine Schullektüre fällt. Als letztes bisher war dann "Der Vorleser" von Bernhard Schlink dran. Auch hier durchaus Gefallen daran gefunden, wenn auch zwischendrin mir die Laune verging an wenigen Stellen, schnappt man doch wieder Motivation auf, dass Buch durchzuringen. Einteilung find ich hier äußerst vorteilhaft gewählt und Michael als Charakter ist doch auch interessant gestaltet.
    Fazitmäßig sei zu sagen, dass ich die Auswahl vieler Schulen bezüglich der Lektüre die behandelt wird garnicht schlecht finde, weil sonst sich die Mehrheit (lose Behauptung) wohl eh nicht damit freiwillig beschäftigen würde und gerade einen Faust oder die Räuber sollte man durchaus schonmal durchgeblättert haben. War aufjedenfall kein Beinbruch, eher ne Bereicherung. (Auch wenn sich das jetzt weniger enthusiastisch gelesen haben möge)

  9. #9
    @asphyxiôn
    Nathan der Weise war genial, den hab ich in meiner Auflistung noch vergessen.
    Schade, dass ihr das Buch nicht genauer behandeln konntet, bei uns hat es für 2 Schulaufgaben gereicht.
    Nicht nur wegen der Ringparabel ein sehr interessantes Stück, leider nicht ganz so leicht zu lesen (due to the era). Hätte ihn gerne mal in Prosa gesehen.

  10. #10
    Bei uns gab's in fast jeder Geschichte eine Figur, die Hitler repräsentierte. Irgendwann waren wir so konditioniert, dass wir schon nach ein paar Seiten eines beliebigen Buches problemlos auf mehreren Seiten die Parallelen zum Nationalsozialismus diskutieren konnten. Und wann immer eine negativ besetzte Rolle auftauchte, war schon absehbar, dass früher oder später ein Mitschüler die Theorie aufstellen würde, dass es sich dabei eigentlich um eine menschgewordene Metapher für Hitler handelt.

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