Endlich hatte Juan einen kleinen Trampelpfad erreicht, welcher kreuz und quer durch den Wald führte, jedoch alles andere als geräumig war. Die Bäume waren niedrig, und ein ums andere Mal hätte sich der Agent an dem Geäst den Kopf eingeschlagen, wenn er nicht höllisch aufgepasst hätte. "Ein großes Pferd hat vor- und Nachteile, ich merk schon...", murmelt er vor sich hin, nachdem er wieder einmal einer Beule entgangen ist. Vorsichtig und langsam kämpft er sich durch das Gestrüpp und hofft, bald endlich das Hochland zu erreichen. Hier und da erblickte Juan ein Reh, welches aber schnell flüchtete ob des schweren Hufgetrappels.

Nach ein paar Stunden größter Vorsicht und langsamen Reitens lichtete sich endlich der Wald. Die Bäume verschwanden und wichen niedrigen Gesträuchen, der erdige Boden wurde felsiger und die Luft kühler und frischer. Das Hochland war erreicht. Sanfte Hügel waren in der Ferne zu erkennen, und der schmale Weg, welcher jetzt sowohl nach oben als auch zur Seite mehr mehr Platz bot, lud dazu ein, das Tempo etwas zu erhöhen.
So ritt der Agent den Pfad entlang, welcher genau in die richtige Richtung führte, zumindest wenn es nach dem Orientierungssinn des Rothwardonen ging. Einige Stunden vergingen abermals, und er kam gut voran. Als es dann dämmerte, schaute sich Juan bewusst nach einem Platz zum Übernachten um und wurde kurze Zeit später fündig: ein kleiner, kalt aussehender Bergsee kam in Sichtweite, und der Agent steuerte schließlich darauf zu, um dort das Nachtlager aufzuschlagen.
Juan hatte es sich gemütlich eingerichtet: An einem kleinen Strauch in der Nähe des Wassers hatte er seinen Schlafplatz aufgebaut und das Pferd für die Nacht von dem Gepäck befreit. Auch wenn er daran zweifelte, dass das Tier bei so einer Konstitution frieren würde, legte er trotzdem eine dicke, immer mitgeführte Pferdedecke über dessen Rücken. Normalerweise reichte diese Immer bis zum Boden, aber diesem Pferd gerade einmal bis zu dessen Knien. "Jetzt weiß ich immerhin, für welche Pferde diese Decke normalerweise gedacht ist", schmunzelte Juan, legte sich dann auf seine Decke und döste ein, die Hand jedoch auf dem Schwertgriff liegend.

In weiser Voraussicht und mit dem Wissen, dass diese Pferde so trainiert waren, dass sie nichts Unüberlegtes taten, hatte er die Enden der Zügel sich um sein rechtes Bein gebunden. Durch ein Ziehen an seinem Bein wurde er mitten in der Nacht geweckt und schlug die Augen auf. Das Gardepferd wieherte leise und zog nervös an den Zügeln. Juan beugte sich vor und löste geschwind den Knoten; dann griff er nach dem Schwert und erhob sich lautlos, die Ohren gespitzt und auf fremde Geräusche hörend. Da war das Plätschern des Wasser. Der Wind, der über den kargen Boden wehte. Der eigene Herzschlag und der eigene Atem. Und ein Schaben wie als würde man etwas über den Boden ziehen. Und das leise wiehern des Pferdes. Und...Moment mal. Ein Schaben?
Mehr aus Reflex als aus Können fuhr Juan herum und hob das Schwert zur Abwehr. Dies rettete ihm wahrscheinlich das Leben, denn schon prallte die schwere Keule gegen die Klinge und schmetterte sie dem Agenten aus der Hand. Sie flog in die Dunkelheit davon und landete wahrscheinlich einige Meter entfernt klirrend auf dem harten Steinboden. Juan sah sich einem Untier gegenüber, welches nicht ganz die Größe seines Pferdes erreichte, jedoch nur wenig kleiner war - ein Bergtroll, grau wie die Nacht, aber nicht minder aggressiv wie eine Horde Goblins auf Raubzug. Juan wich zurück, nun völlig unbewaffnet, und der Troll schwang die Keule. Krachend landete sie an der Stelle, an der der Rothwardon eben noch gestanden hatte. Steinsplitter lösten sich von der massiven Keule und flogen wie kleine Projektile auf den Agenten zu. Dieser schloss instinktiv die Augen um sich zu schützen; die kleinen Splitter schmerzten im Gesicht, ein etwas größerer hinterließ auf der rechten Wange einen tiefen Schnitt als er sich durch die Haut schlitzte. Ein Bergtroll bringt mich in's Grab, was für ein schäbiges Ende, schoss ihm durch den Kopf, als das Monster erneut zum Schlag ausholte und Juan weiter zurückwich. Dann aber erfolgte Hilfe von unerwarteter Seite. Das Pferd schien nicht nur im Dienste der Garde zu sein, sondern auch so zu handeln wie seine gewöhnlichen Reiter. Mit Anlauf rammte das gewaltige Reittier den Troll von der Seite, sodass es ihn von den Füßen riss, er mehrere Meter über den Boden rutschte und so liegen blieb. Juan war erstaunt und für einen Moment erstarrt und blickte auf den regungslosen Bergtroll. Dieser regte sich mittlerweile wieder und rappelte sich schwerfällig und grunzend auf. Dies riss Juan aus seiner Starre - schnell lief er zu seinem Schlafplatz, an welchem durch den Trollangriff alles durcheinanderlag und suchte in der Dunkelheit seinen Bogen. Schnell hatte er ihn gefunden, stellte aber fest, dass der Köcher alle Pfeile preisgegeben hatte und sie überall auf dem Boden verstreut lagen. Wahllos schnappte er sich den erstbesten Pfeil und legte auf den Troll an, welcher inzwischen nach seiner Waffe suchte und ihm den Rücken zuwendete. Jetzt, den ersten Schock überwunden, zielte Juan mit kühler Gelassenheit auf die Kehrseite des Monsters und ließ den Pfeil los. Dieser zischte durch die Luft und bohrte sich an gewollter Stelle kurz unter dem Genick in's Fleisch. Der Bergtroll schrie auf, kippte vorneüber und blieb dann regungslos liegen.

Erst jetzt, nachdem es völlig still war bis auf das Plätschern und dem Wind, spürte Juan den Schmerz in seinem Gesicht. Vorher verhinderte das Adrenalin das Gefühl für die Wunde, jetzt aber war dieses verflogen. Er ließ die Waffe sinken und fasste sich vorsichtig an die Wange. Er spürte, dass es immer noch stark blutete, weil er sein warmes Blut auf der Haut fühlte. Der Agent aber ignorierte das zunächst und begab sich zu dem Leichnam des Trolls. Emotionslos und noch etwas schwer atmend zog er den Pfeil knackend aus dem Rücken des Besiegten und warf ihn achtlos zu den anderen auf den Boden. Dann blickte er sich in der Dunkelheit um; er fand, was er suchte. Derjenige, der ihm mit ziemlicher Sicherheit das leben gerettet hatte, stand unschuldig nach Futter suchend am See und blickte in's Wasser, als wäre nichts gewesen. Juan lachte trocken auf. "Das ist Abgeklärtheit...", kicherte er in sich hinein und setzte sich dann auf sein verwüstetes Nachtlager.
Jetzt kramte er in der Unordnung nach einer kleinen Phiole, welche er auch schnell fand. Das Buch, welches ihm so wichtig war, beinhaltete auch eine Alchemiesammlung der einfachsten Tränke und Gebräue, darunter auch eine blutstillende und wundenschließende Salbe. Da Juan noch Anfänger war was die Alchemie betraf, hatte er diese Salbe auf gut Glück und exakt nach Buch zusammengemischt und hoffte nun, dass sie wenigstens ein wenig half. Darauf vertrauend, dass er hoffentlich kein Gift gemischt hatte, trug er sie auf dem blutenden Riss auf seiner Wange auf und wartete. Es brannte wie Feuer, aber war dies nicht ein Zeichen dafür, dass es wirkt? Juan verbrachte den Rest der Nacht damit vor sich hinzudösen und dem pochenden Schmerz in seiner Wange zu lauschen. Als der Morgen dämmerte, schlug er die Augen auf...