IV – Der Geschichtsverlauf
In einem klassischen oder auch nichtklassischen Rollenspiel sind Charaktere natürlich nicht alles und die Geschichte ist auch ein sehr wichtiger Punkt. Sie ist wohl auch der Teil am Spiel, der am schwersten zu planen ist, wenn man die Sache gut machen will.
Warum? Da es extrem lange dauert, eine gute Geschichte zu entwickeln, wenn man sogenannte Lückenfüller vermeiden will und wirklich eine komplette, durch und durch gute Geschichte zu erfinden. Man wird ständig etwas ändern wollen, da einem manche Dinge nicht gut genug erscheinen oder man eine neue geniale Idee hat, die man unbedingt einbringen möchte. Bis man zu einem Ergebnis gekommen ist, dauert es einige Zeit. Die Planung sollte am besten auch nicht am Computer erfolgen – ich jedenfalls habe die Erfahrung gemacht, kreativere und konzentriertere Gedanken zu entwickeln, wenn ich nicht abgelenkt werde. Mit einem Stift und einem Zettel kann man sich dann Notizen machen oder sich einfach alles merken – wenn es wichtig war, wird es nicht vergessen.
Das Schwerste daran ist wohl, das Grundgerüst – wenn man es hat – zu füllen. In unserem Beispiel haben wir nun schon einige festgelegte Punkte, doch die reichen natürlich noch nicht, wenn man annähernd die Länge einer gewöhnlichen Geschichte erreichen will. Darum sollte es auch gar nicht gehen – eine Geschichte sollte nicht unnötig in die Länge gezogen werden. Aber der Spieler braucht Zeit, um die Charaktere wirklich kennenzulernen, und das kann nicht in vier Schlüsselszenen passieren. Diese würden dann auch kaum Effekt haben, da die Charaktere nur wenig bedeuten würde. Viel eher fühlt mit einem Protagonisten mit, den man stundenlang (oder in der Geschichte wochen- oder monatelang) begleitet hat.
Habt ihr Probleme, eure Geschichte im Kopf oder auf Papier zu einem Ende zu bringen, dann ist das völlig normal. Man kann nicht alle guten Ideen auf die Schnelle aus sich herauspressen. Sobald ihr das Grundgerüst habt – und den Anfangspunkte – schadet es nicht, mit der Arbeit an dem Spiel zu beginnen, denn neue Ideen werden kommen, wenn ihr euch mit eurer Geschichte beschäftigt. Fangt aber nichts an, von dem ihr noch nicht wisst, was es werden soll.
Ich selbst will jetzt nicht das ganze Grundgerüst der Geschichte auffüllen, das würde sowieso zu lange dauern, aber ich kann versuchen, zu erklären, wie man sowas am besten macht (obwohl es jedem selbst überlassen sein sollte) und was man dabei beachten muss.
1) Lasst euch Zeit. Eine gute Geschichte kann nicht an einem Tag, in einer Woche oder sogar in einem Monat entstehen. Planung braucht Zeit. Wird zwanghaft eine Geschichte ausgedacht, geht die Qualität oder der Charme verloren und Lückenfüller entstehen zwangsläufig.
2) Fragt euch immer, ob euch die Geschichte auch wirklich fesseln würde. Es bringt zwar ordentlich Spielzeit dazu, wenn man den Bösewicht durch fünf Gebiete verfolgen muss, nur damit er nochmal entkommt und das gleiche Spiel von vorne beginnt, aber wirklich spannend findet sowas doch nicht jeder. Viele würden es sogar als langweilig und einfallslos bezeichnen – abhängig davon, wie es umgesetzt ist. Extrem wichtig ist also, dass euch – wie auch bei den Charakteren – alles von vorne bis hinten gefällt. Ihr seid Herr über die Geschichte und ihr lenkt sie, also seid euch eurer Verantwortung bewusst und liefert kein vorschneller Ergebnis ab. Ich bin mir sicher, dass die meisten von euch sich noch an ihre ersten Versuche an ein ernsthaftes Spiel zurückerinnern. Erfahrung und Erkenntnis ist auch hier wichtig. Trotzdem hilft es euch, wenn ihr dies beachtet.
3) Lasst die Geschichte niemals allein stehen. Das dürfte eigentlich schon in Kapitel II gut rübergekommen sein, aber ich will trotzdem nochmal verdeutlichen, wie wichtig es ist. Der beste Effekt kann nur erzielt werden, wenn alle Faktoren im Einklang wirken.
4) Scheut euch nicht, auch mal ruhigere Zeiten einzubinden. Die meisten Spieler werden sicherlich nichts dagegen haben, mal eine Zeit lang ruhig und kampflos zu spielen (ich persönlich denke, dass Kämpfe für ein Rollenspiel nicht einmal obligatorisch oder essentiell sind). Das ist auch eine gute Gelegenheit für die Charakterentwicklung. In unserem Beispiel wäre zum Beispiel käme zum Beispiel nach dem Tod von Celias Mutter eine solche Passage.
Es tut wirklich gut, solche Momente zu durchspielen, wenn sie wirklich gut umgesetzt worden sind.
5) Macht die Geschichte undurchsichtig. Wenn man zu viel voraussehen kann, kann eine Geschichte schnell langweilig werden. Vermeidet also sowas, so es denn nicht dem Zweck der Story dient. Bedenkt aber auch die Kehrseite der Münze: Wenn ihr Wendungen einbringt, so sollen sie nicht gezwungen wirken. Von daher macht euch vorher darüber Gedanken oder lasst es ganz sein.
6) Solltet ihr abgenutzte Klischees benutzen, seid euch darüber im Klaren, dass sie viele Spieler abschrecken könnten. 08/15-Geschichten sind nicht jedermanns Sache. Verpackt ihr solche Klischees aber gut, können sie sich als sehr positiv darstellen. Liebevoll umgesetzt werden sich die wenigsten Spieler darüber aufregen – viel mehr wird man es als positiv empfinden. Abgrenzen könnt ihr euch von anderen bestehenden Geschichten, indem ihr – was nach einiger Zeit automatisch passieren sollte – eurem Spiel eine eigene Atmosphäre verleiht. Verbindet ihr alles gut miteinander – sowohl einige Ideen, als auch andere Einflüsse –, sollte eine solche Atmosphäre schnell geschaffen sein.
7) Lasst eure Welt logisch erscheinen. Eine goldene Regel von mir: Ihr habt unendliche Freiheit beim erfinden einer Welt, aber in sich muss diese logisch sein. Sie muss nicht alle Naturgesetze etc. unserer Welt teilen, aber sie muss sich an ihre eigene Regeln halten. Beispielsweise wäre es seltsam, wenn man im Kampf zaubern könnte, obwohl in der Welt offensichtlich keine Magie existent ist und die Bewohner nicht an sie glauben. Verliert eine Geschichte an Glaubwürdigkeit, erzielt sie einen wesentlich geringeren Effekt. Seid hier also bitte sorgfältig

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Eine Moral/Botschaft im Spiel
Ein anderer wichtiger Punkt ist die übermitteln einer Moral oder einer Botschaft durch die Geschichte. Wollt ihr einen interpretativen, bleibenden Effekt hinterlassen, dann müsst ihr das vorher planen und besonders planen, wie ihr das anstellen wollt. Das Ende spielt hierbei eine zentrale Rolle. Es sollte nicht ganz offen sein, aber keinesfalls dürfen alle Fragen bei einem Durchschnittsspieler sofort beantwortet sein. Lasst Dinge unklar oder mehrdeutig erscheinen, verschleiert eure eigene Absicht durch ein Labyrinth, in dem Hinweise, Andeutungen und Teile der Geschichte den Weg weisen.
Eine tiefgründige Geschichte
…ist in meinen Augen ein ausgezeichnetes Objekt für ein Rollenspiel, doch gewaltig viel schwerer als eine normale Geschichte zu planen und umzusetzen. Tiefgründige Charaktere entstehen nicht auf die schnelle und bei der Geschichte ist das noch schwieriger. Eine interessante Technik ist es, an bestimmten Stellen des Spiels Fragen offen zu lassen (was übrigens in keiner Geschichte fehlen sollte), und diese an späteren Stellen zu beantworten. Dabei muss alles nicht immer ganz aufgelöst sein: Lasst den Spieler denken. Er soll auf Grundlage der Geschichte schließen, wie etwas gemeint ist oder was gerade passiert ist.
Wenn ihr Geheimnisse auflöst, die eine gewichtige Rolle für die Geschichte spielen und dem Spieler die ganze Zeit ein Fragezeichen über dem Kopf erscheinen lassen haben, macht dies in einem Schlüsselmoment, in dem (fast) alles geklärt wird. So sind die Zusammenhänge deutlicher ersichtbar und ein Aha-Effekt entsteht. Wenn so etwas in kleinen Brocken erfolgt, dann denkt der Spieler zwar mehr mit, aber es ist verhängnisvoll, wenn er das Interesse verliert, da ihn der Rest dann nur verwirrt. Tut dies nur, wenn ihr euch sicher seid, das so gut durchdacht zu haben, dass ein solches Risiko fast wegfällt.
Eine Liebe in der Geschichte
…kann das ganze Spiel ruinieren oder extrem verbessern. Seid euch dessen im Klaren und setzt sowas nicht mal eben um. Hier wird er dem Spieler nicht egal sein, sondern er wird es entweder total schrecklich oder sehr gut finden (oder beides). Bei der genauen Umsetzung kann ich euch leider nicht helfen, aber es sollte gründlich vorbereitet sein, nicht lieblos, sondern mit ganzem Herzen. Lasst es am besten zu einem Kern der Beziehung zwischen zwei Charakteren werden, die nicht plötzlich entstanden ist (aber auch vorher unbemerkt sein kann) und auch danach noch Bedeutungen hat. Vermeidet es außerdem, übermäßig kitschig zu werden. Nur gut gewählte Worte vermögen sowas gut umzusetzen. Abhängig vom Charakter der Protagonisten müsste ihr euch in solchen Szenen manchmal auch mehr auf Handlungen und Hintergrundeffekte (z.B. Musik) verlassen, als auf die Dialoge, wobei diese jedoch auch und besonders hier im Vordergrund stehen sollten.
Wie ihr sowas umsetzt oder ob ihr das tun, das bleibt letztendlich euch überlassen.
Eine Wendung in der Geschichte
Habe ich oben schon mal kurz angestochen und will ich jetzt näher erklären. Um eine Geschichte nicht durchschaubar zu machen, ist es gut, eine Wendung einzubringen. Diese sollte, wenn sie von schwerwiegender Bedeutung sind, nur einmal eine zentrale Rolle spielen. In unserem Beispiel ist die Wendung der Punkt, an dem unser Hauptcharakter den Menschen tötet, der als scheinbar einzige Person den Planeten zu retten imstande war. „Wie soll es weitergehen?“, soll sich der Spieler fragen. Auch muss eine solche Wendung gravierende Wirkungen auf die Charaktere haben.
Eine Wendung kann vielerlei Natur sein: Verrat, etwas extrem Unerwartetes (zum Beispiel das sich nach dem Tod einer Charakters eine ganze andere Natur offenbart), eine starke Änderung im Leben eines Charakters, unvorhergesehene Einwirkung durch einen neuen, bisher wenig bekannten oder unbekannten Faktor, Offenbarung einer Person, Irrtum auf beiden/allen Seiten, ...
Auch hier habt ihr wieder viel Spielraum, aber passt auf, dass solche Wendungen auch wirklich welche sind. Gibt es davon zehn im Spiel, so hat der Spieler auch nicht immer Lust, weiterzuspielen.
Tod eines Freundes/Charakters
Wollt ihr einen wichtigen Charakter sterben lassen, macht seinen Tod tragisch, eindrucksvoll und unvergesslich. Musikalische Unterstützung muss hier ganz groß geschrieben sein. Der Charakter sollte, wenn ein solcher Effekt erzielt werden will, schon lange bekannt sein. Wen man nicht kennt, um den trauert man für gewöhnlich nicht sehr.
In meinen Augen kann die schönste und schrecklichste Szene in einer Geschichte der Tod einer Person sein. Zum Einen schrecklich, weil man eine Person verloren hat, die man sehr mochte (oder auch nicht, vielleicht auch erst ab dann mag), zum Anderen schön, da solche Momente auch noch nach dem Spielen ihre Wirkung nicht verlieren. Auch nach der Geschichte kann man noch über einen toten Charakter „trauern“.
Ob ihr den Charakter die ganze Geschichte über zu einer tragischen Person macht, zu einem Helden, der sich opfert oder zu jemandem, der ganz einfach ermordet wurde, liegt an euch. Es ist nicht nötig, aber dennoch für einen gesteigerten Effekt gut, wenn ihr euch besonders in unmittelbarer Zeit vor dem Tod der Charakterisierung der Person gewidmet habt, ggf. auch ihrer Vergangenheit oder ihren Gedanken, falls diese nicht schon vorher eine große Rolle gespielt haben.
Auch nach dem Tod einer Person kann sie noch geheimnisvoll sein und sie bleibt am besten in Erinnerung, wenn sie trotzdem noch bewegend für die Geschichte ist (nicht unbedingt als Toter, sondern durch frühere Handlungen oder Geheimnisse).
Zahllose andere wichtige Muster oder Momente in einer Geschichte mag es geben, doch sie alle zu schreiben würde zu viel Platz in diesem schon ohne hin recht langen Tutorial ein. Habt ihr alles gelesen, sollte euch klar sein, dass ihr solche wichtigen Dinge vorher genau planen müsste, sonst scheitert es an der Umsetzung. Meistens – vielleicht sogar immer – sind Schlüsselmomente dieser Art schon im Grundgerüst geplant, denn oft Plant man die zentralen Dinge zuerst bzw. sie fallen einem zuerst ein. Kommen wir auf zwei andere Dinge zu sprechen, die dieses Thema dann auch abschließen werden.
Beginn des Spiels
Um den Spieler zum weiterspielen zu animieren und auch weniger Motivierte anzulocken, investiert viel Zeit und Mühe in eure ersten Spielminuten und legt etwas wirklich Beeindruckendes hin. Das kann ein Prolog sein, der gut umgesetzt ist, eine Aneinanderreihung von vielen Spielausschnitten wie etwa bei einer Serie oder einem Anime üblich, sogar ein Epilog oder eine Stelle Mitten im Spiel. Wenn der Spieler nichts versteht, ist das nicht weiter schlimm, insofern er trotzdem beeindruckt ist. Ein begeisternder Anfang ist optimales Werbematerieal und auch gut zum Vorzeigen. ;-)
Ende des Spiels
Wahrscheinlich noch wichtiger als der Beginn (Opening/Intro/Normaler Anfang/ ...), denn das Ending wird bei vielen Spielern sicherlich der letzte sein, was sie im nächster Zeit von dem Spiel sehen. Macht es also schön eindrucksvoll und am besten individuell. Es gibt so viele Möglichkeiten, das Ending zu gestalten. Abhängig von der Story könnt ihr es auch en wenig offen halten oder ganz anders nochmal die Welt und das Leben der Charaktere nach einiger Zeit zeigen, vielleicht aus der Sicht einer Person. Ihr könnt euch auch auf das Schicksal eines Charakters beschränken oder während der Credits zeigen, was nach der Geschichte noch passiert.
Ich bin der Meinung, dass bei vielen Spielen das Ende einer der besten Teile ist. Ein würdiges Finale schaffen sehr viele Spiele und dennoch ist es schwer umzusetzen. Wie ihr das macht, will ich euch auch nicht vorschreiben, aber es wäre schade, wenn eine tolle Geschichte nicht auch einen wundervollen Abschluss bekäme, oder? Happy End oder nicht…
Ich habe euch nicht viel über die Geschichte gesagt, verglichen mit dem, was ihr wisst oder wissen werdet, wenn ihr einmal ernsthaft und lange an einer Geschichte gesessen habt oder andere Geschichte mitverfolgt. All diese Sachen wurden jedoch schon öfters in Tutorials behandelt. Der nächste und letzte Abschnitt wird sich mit der Umsetzung im Maker befinden – oft sehe ich nämlich gute Ideen und Ansätze, die an der Umsetzung scheitern. Das muss nicht sein, und es wäre auch Verschwendung. Im nächsten Kapitel geht es also eher um die Technik, die psychologischen und hintergründigen Einflüsse, Einwirkung von Musik und Ähnlichem, dem Schreiben von Dialogen, dem Verknüpfen von Allem und so weiter.