Ergebnis 1 bis 4 von 4

Thema: Eine Szene aus unserer Gesellschaft

  1. #1

    Eine Szene aus unserer Gesellschaft (I + II)

    „Was machst du da Kleine?“
    Die großen, unschuldigen Kinderaugen wandten sich von der liebevoll umklammerten Puppe ab. Es drückte die Puppe fester an sich.
    Der große Mann ging in die Hocke. Das Mädchen wiegte still ihre Puppe hin und her.
    „Hat deine Puppe einen Namen?“
    Das Mädchen nickte schüchtern.
    „Magst du ihn mir nennen?“
    Sie wiegte die Puppe parallel zum Schütteln ihres Kopfes hin und her.
    „Und deinen?“
    Leise nannte sie ihren Namen.
    „Seid ihr alleine hier?“
    Das Mädchen blickte zuerst auf ihre Puppe, dann in die Umgebung. Dann nickte es.
    Die großen unschuldigen Augen wurden traurig.
    „Mami und Papi arbeiten wohl noch, hm? Ist sonst keiner daheim, der mit dir spielen kann?“
    Er konnte die Zustimmung in ihren Augen ablesen, welche sich ihm neugierig zuwandten.
    „Keiner ist da, um für dich da zu sein, sich um dich zu kümmern, nicht wahr?
    Darum kümmerst du dich so rührend um deine kleine Puppe. Du behandelst sie so, wie du dir selbst wünschst, behandelt zu werden, ist es nicht so?“
    Das Mädchen getraute sich näher an ihn heranzukommen.
    „Soll ich mit dir spielen?“
    Sie lächelte und nickte eifrig.
    Er hob sie hoch und setzte sie sich auf seine Schultern.
    „Ich habe Zeit für dich. Ich werde dich so behandeln wie du deine Puppe. Wie du es verdient hast. Wir werden schön spielen, meine Kleine.“
    Gemächlich und friedlich verließen sie den Ort.
    Die großen unschuldigen Kinderaugen blickten erwartungsvoll in die Zukunft.
    „Und vielleicht verrätst du mir ja noch den Namen deiner Puppe.“
    Auch seine Augen blickten erwartungsvoll voraus.

    Geändert von Tachchen (22.03.2009 um 17:15 Uhr)

  2. #2
    Äußerst elegant :>

    Ich bin weder nen besonders guter Schreiber, noch nen besonders guter Kritiker, aber trotzdem: Ich kann wirklich nicht meckern!!

    Offener Schluss (gut, vllt zu offen), gute Atmosphäre, äußerst gelungener Schreibstil...

    Fazit: 1+


    ahoi

  3. #3

    Die II.

    Er starrt seinen Nachbarn an. Ein jämmerliches, schmutziges Bündel Elend.
    Sein leerer, hoffnungsloser Blick scheint durch die Menschen hindurchzusehen. Hält ein abgenutztes Stück Pappe, welches seine Hiobsbotschaft trägt.
    Hustet, keucht. Sein Anblick ziert Fäulnis.
    Die kalte Wut packt ihn, doch versucht er, sich zu beherrschen.
    Die Menschen, welche der Hunderte an ihnen vorüberlaufen, blicken seinen Nebenmann traurig und mitleidsvoll an.
    Werfen Münzen in seinen Becher, der vermutlich aus dem Müll stammt.
    Er wird ignoriert. Sie gehen weiter mit dem Glauben, etwas Gutes getan zu haben.
    Ihn vergaßen sie. Er leidet nicht so auffallend wie sein Nebenmann.
    Zu beständig seine Würde. Zu groß sein Ekel vor dem, was er tut.
    Doch er hat keine andere Wahl. Wurde er doch in diese Misere gestoßen. Aus der ihn nichts, was er tut, herausholt.
    Nicht einmal die Menschen wollen ihm nun helfen.
    Weil seine Lage ihm zu unangenehm ist. Man ihm sein Unheil nicht ansieht.
    Die Menschen halten ihn für eine Lüge.
    Jemand, der ihre Münzen nicht verdient hat.
    Kalt starrt er weiter seinen Nachbarn an.
    Der nach Einbruch der Dunkelheit in sein warmes, ansehnliches Heim einkehrt und seine Maskerade ablegt.
    Während er weiter im Freien herumlungern darf.
    Der seine warme, üppige Köstlichkeit verspeisen wird.
    Während er neidet und hungert und sucht.
    Er kennt die Wahrheit.
    Über die Lüge.

  4. #4
    Hab' jetzt mal den I. Teil auseinander gepflückt. Ich muss dazu sagen, dass ich den Text sehr gut fand', meine Kritik ist also meckern auf recht hohem Niveau.

    Zitat Zitat von Tachchen Beitrag anzeigen
    „Was machst du da Kleine?“
    Das "Kleine" würde ich weglassen, das klingt zu klischeehaft.

    Zitat Zitat von Tachchen Beitrag anzeigen
    Die großen, unschuldigen Kinderaugen wandten sich von der liebevoll umklammerten Puppe ab. Es drückte die Puppe fester an sich.
    Der große Mann ging in die Hocke. Das Mädchen wiegte still ihre Puppe hin und her.
    "Ihre großen, unschuldigen Kinderaugen wandten sich von der liebevoll umklammerten Puppe ab. Sie drückte die Puppe fester an sich.
    Der große Mann ging in die Hocke. Das Mädchen wiegte seine Puppe still hin und her." Durch das "Ihre" und "Sie" find' ich entsteht schneller ein Bild von der Szene, als wenn vorher von einem Es gesprochen wird, was ja grammatikalisch richtig ist, sich mMn aber merkwürdig anhört.

    Zitat Zitat von Tachchen Beitrag anzeigen
    Sie wiegte die Puppe parallel zum Schütteln ihres Kopfes hin und her.
    Ich würde nicht nochmal "wiegte" benutzen, mir fällt aber kein Wort ein, dass sich gut anhört und den Sinn nicht verändert. "Schwenkte" vielleicht. "Parallel" hört sich ein bisschen zu förmlich für die Geschichte an.

    Zitat Zitat von Tachchen Beitrag anzeigen
    Die großen unschuldigen Augen wurden traurig.
    Nicht nochmal groß und unschuldig, es hat einen besseren Effekt, wenn du es einmal am Anfang und dann noch am Ende so beschreibst.

    Zitat Zitat von Tachchen Beitrag anzeigen
    „Keiner ist da, um für dich da zu sein, sich um dich zu kümmern, nicht wahr?
    Darum kümmerst du dich so rührend um deine kleine Puppe. Du behandelst sie so, wie du dir selbst wünschst, behandelt zu werden, ist es nicht so?“
    Die letzten beiden Sätze gefallen mir nicht besonders, so würde kein Erwachsener mit einem Kind reden. Eher so: "Deswegen spielst du so lieb mit deiner Puppe. Du wünscht dir jemanden, der mit dir spielt wie du mit deiner Puppe, hab' ich recht?" Das hört sich sogar imo noch ein bisschen fieser an, wenn man bedenkt, was der Mann vorhat.

    Zitat Zitat von Tachchen Beitrag anzeigen
    Das Mädchen getraute sich näher an ihn heranzukommen.
    "Getraute" ist zu hochgestochen, "traute" reicht.

    Zitat Zitat von Tachchen Beitrag anzeigen
    Er hob sie hoch und setzte sie sich auf seine Schultern.
    "Er setzte sie auf seine Schultern." reicht.

    Zitat Zitat von Tachchen Beitrag anzeigen
    „Ich habe Zeit für dich. Ich werde dich so behandeln wie du deine Puppe. Wie du es verdient hast. Wir werden schön spielen, meine Kleine.“
    Wieder "meine Kleine" weglassen, das hat noch mehr Wirkung.

    Zitat Zitat von Tachchen Beitrag anzeigen
    Gemächlich und friedlich verließen sie den Ort.
    "Friedlich und mit ruhigen Schritten..." würde eher das beschreiben, wie ich es mir vorstelle, gemächlich hört sich eher müde und erschöpft an.

    Zitat Zitat von Tachchen Beitrag anzeigen
    Auch seine Augen blickten erwartungsvoll voraus.
    Da läuft einem ein kalter Schauer über den Rücken.

Berechtigungen

  • Neue Themen erstellen: Nein
  • Themen beantworten: Nein
  • Anhänge hochladen: Nein
  • Beiträge bearbeiten: Nein
  •