Tigrean hatte wieder den ganzen Tag in seiner Backstube geschuftet. Die Nacht ist bereits hereingebrochen, als er die letzten Nusssplitter auf seinen kleinen Keksen verstreut.
Zufrieden mit den Taten vom Tag geht er hinaus auf den Hof um einige Säcke Mehl für den morgigen Tag bereit zu stellen. Wie er da vor seinem Laden steht, nur das flackernde Licht in einer der Laternen beleuchtet matt den Bürgersteig, da hört er ein merkwürdiges Grunzen aus dem Gestrüpp. Er tritt ein wenig näher, wieder ein leises Grunzen. Noch ein Schritt und noch ein Schritt. Sachte verlangsamt Tigrean sein Schritttempo und starrt unentwegt auf die Quelle des Geräusches.
"Hallo?", haucht er in Richtung des Gebüsches. Keine Antwort. Stille. "Verdammich, wieso habe ich meine Laterne in der Backstube liegen lassen?" murmelt er vor sich hin. Gerade will er sich herum drehen, als er etwas aufflackern sieht. Ein Glühen, ein leises Glimmen. Wie von Glühwürmchen.
Und schon wieder dieses Grunzen. Mit großen Augen verfolgt er, wie der Busch Augen bekommt und sich bewegt. Große, gelb leuchtende Augen, zu kleinen Schlitzen verengt.
Vom Schrecken gelähmt beobachtet er langsam, wie sich aus dem Gebüsch eine gigantische Gestalt erhebt, er blickt in ein großes, mit rasiermesserscharfen Zähnen bestücktes Maul.
"Werwolf!", versucht er zu schreien, doch mehr als ein Ächzen will seiner Stimme nicht entweichen.
Schnell nimmt er die Beine in die Hand und rennt so schnell es sein fettleibiger Körper zulässt auf seine Backstube zu. Er hört, dass der Wolf hinter ihm mit schnellen Schritten die Verfolgung aufgenommen hat. Ängstlich schafft Tigrean es gerade noch, in seine Ofenkammer zu kommen, das sperrige Holztor zuzudrücken und den schützenden Riegel vorzuschieben. Er stemmt sich eine Weile gegen die Türe, während der Wolf von außen mit aller Kraft gegen das Tor springt.
Nach wenigen Minuten ist es vorbei. Er ist wieder in Sicherheit. Mit zitternden Knien und kalt vom Angstschweiß stolpert er auf seinen Verkaufsraum zu. Er muss sich halten. An seiner Kasse, seiner Theke, dem Kleiderständer... bis seine Hand in etwas Weiches greift. Er hört ein Geräusch, wie reißender Stoff. Als er auf seine Hand blickt sieht er, dass er ein Büschel Gras hält. Nein, ein Büschel Fell.
Wo kommt es her?
Als ihm klar wird, woher er die Hand voll Fell hat, hat ihn bereits eine kräftige, klauenbestückte Hand im Hals gepackt.
"Ist das nun ein zweiter Wolf?" ist die letzte Frage, die dem Bäcker durch den Kopf geht, bevor der Wolf gierig seine Zähne in dessen Hals rammt und das Brot von gestern mit purpurnem Blut markiert...
Das Dorf verliert nicht nur einen Bäcker, sondern einen Bäcker, dessen Brote derart gut waren, dass man damit selbst tote aufwecken konnte, das Dorf verliert seinen Heiler an die Werwölfe.