Abyss of the Sacrifice

Weeb-Skala: 8/10 Punkten.

Dennoch kurios genug, dass sich ein Blick lohnen kann. Es handelt sich nämlich um ein nur in Japan veröffentlichtes PSP-Spiel, das letztlich doch noch seinen Weg übersetzt auf Steam (und auf die Switch) gefunden hat.

Es ist ne Mischung aus Adventure mit Escape-Room-Sequenzen und Visual Novel, strukturiert in viele kleine Charakter-Kapitel, denn insgesamt spielt man aus der Perspektive von 5 Protagonistinnen.

Diese lassen sich zumindest zu Beginn noch flott wegspielen, was mich etwas ernüchtert hat, nämlich es nicht auf nem Handheld spielen zu können. (einem leichten und haptischen, kein Steam Deck!)
Denn das Spiel schien gut mit dieser Struktur auf kurze Pick-up and Play Sessions ausgelegt zu sein und wenn man mal nicht weiter weiß, legt man sein Gerät kurz aus der Hand und versucht es nächsten Abend noch mal.

Doch der Teil erübrigt sich irgendwann. Abyss of the Sacrifice ist nämlich ein sehr langes Spiel, insgesamt 36 Kapitel gibt es und spätere Level haben fast immer 2 Escape-Room-Sequenzen in Folge, die auch immer ausufernder werden. Genauso wie die Jagd nach Pixeln in den sehr detailarmen, stark verwaschenen Hintergründen.

Es ist von Anfang an nicht immer leicht, alles zu finden, was für das Weiterkommen erforderlich ist, doch irgendwann scheinen die Entwickler zu glauben, das Spiel müsse zu einem Wimmelbildspiel mutieren, in dem man nach unsichtbaren Gegenständen sucht. Nach der Hälfte musste ich in nahezu jedem Kapitel nach winzig kleinen Hotspots suchen, um in bisher nicht vermutete Perspektiven am Bildschirm zu wechseln, und zwar derart inkonsequent, dass sich manchmal nicht mal der Mauszeiger ändert, wenn man über diese Stellen drüber fährt Das zieht den Spielfluss leider auf ein unerträgliches Niveau runter, weil es so hochfrequent ist, so dass ich irgendwann einen Videoguide im Hintergrund offengelassen habe, in dem ich immer nachschaue, wenn ich irgendwas nicht finde … falls es etwas ist, was ich nicht gefunden habe, denn so genau kann man das ja nie wirklich wissen. Rätsel im späteren Spielverlauf werden teils so random eingestreut, dass nicht immer ersichtlich ist, dass man bereits alles zusammen hat, was zur Lösung beiträgt.

Nichts: / 2 Pixel weiter -> Gegenstand:



Darunter gibt es auch einige bescheuerte, die vollkommen random eingestreut werden, wie ein 'Q' und ein spiegelverkehrtes 'K' an irgendeiner Wand und dann irgendein Passwort-Panel mit 4 Digits (nicht nebeneinander stehend, ob es einen Zusammenhang gibt, muss man selbst erraten).
Die Lösung ist dann, darauf zu tippen, dass die Buchstaben für König und Königin eines Spielkartenset entstammen und dass das Passwort die Summe der Punktzahlen ist: 12 und 13, aber da das „K“ spiegelverkehrt ist, müssen es 12 und 31 sein.

Das ist jetzt nichts, auf das man nicht kommen kann, aber für mich gabs in dem Abschnitt überhaupt keinen Grund, an sowas zu denken, dafür war das alles schlichtweg zu willkürlich verstreut. Und so sind leider viele spätere Rätsel in AotS. Ich denke, 90 % der Rätsel, die kryptisch daherkommen, wirken nur so, weil sie einfach schlecht kommuniziert werden, unklare Eingabemethoden, Schlüssel ohne Schlüsselloch Momente, irreführende Textbeschreibungen und unklare Voraussetzungen, die häufig extreme Pixeljagden erfordern. Das sorgt leider alles dafür, dass man dem Spiel irgendwann nicht mehr vertraut. 

Dabei gibt es hierfür sogar ein Hinweis-System, an dem ich irgendwann wie ein Säugling an der Zitze seiner Mutter hing. Jedoch empfinde ich auch dieses als suboptimal. Entweder spoilert es einem gleich die Lösung und das teils bei superklaren Aufgabenstellungen oder die Tipps sind völlig nutzlos, schlimmstenfalls so schlecht beschrieben, dass sie einen auf eine falsche Fährte locken.

Das ist alles sehr schade um das Potenzial, denn „Abyss of the Sacrifice“ hat sehr abwechslungsreiche Escape-Room-Sequenzen, welche die Grundmechaniken des Klickens auf Bildschirmen und des Einsetzens von Key-Items gerne mal rekontextualisieren, um Minispiele zu bauen.
Besonders mit der Figur „Chloe“ spielt man im Laufe des Spiels mehrere „Hacking-Minispiele“: eine Art Battle-Chess mit besonderen Einheiten und Regeln, einen Minesweeper 3D-Dungeon-Crawler und ein Top-down Turn-based Grid Overlay, bei dem man die Umgebung manipulieren muss.

Diese Sequenzen machen Spaß, weil man hier nicht nach irgendwelchen Dingen im Trüben fischt. Aber auch außerhalb dieser Passagen gibt es eigentümlichen Kram, einen weiteren 3D-Dungeon-Crawler, in dem man literally von einem H. R.-Giger-Alien verfolgt wird (ohne Storyerklärung, einfach weil Japaner popkulturelle Referenzen auf Blockbuster aus dem Westen lieben und es zwecks Kontrast noch lustiger ist, wenn super deformed Anime-Mädchen darin vorkommen), eine Schnitzeljagd in einer Bibliothek, bei der man in 6 Büchern mit über 900 Seiten Hinweise sucht, wo auf welcher Seite der nächste Brotkrumen versteckt ist, Tee für den Rabenvater kochen(!)


Depression, du sagst es

Womit wir zur Charakterisierung kommen. 3 der 5 Charaktere haben Daddy Issues. Man merkt ein wenig, dass es ein Spiel aus Japan von 2010 ist. Mit manchen Themen wird etwas… sagen wir mal „unsensibel“ umgegangen. In einer Rückblende müssen 2 Schulmädchen aus dem Klassenzimmer ausbrechen, in das der Pädo Klassenlehrer sie eingesperrt hat. Eine der Protagonistinnen gibt sich die Schuld für den Suizid einer Schulfreundin, bis ihr gesagt wird, dass das Mädchen sich nicht wegen ihr vom Dach gestürzt hat, sondern weil sie zu schwach war und sie damit diese Schwäche losgeworden ist.

Das sind letztlich nur wenige vereinzelte Passagen, aber das Spiel bedient sich, wie ich es von anderen derartigen Spielen der Zeit kenne, recht ungeniert an harten Themen, was letzlich ziemlich unreif daher kommt.
Insgesamt kommt die Story nur langsam in Fahrt, Exposition tritt erst vermehrt auf, wenn man die ersten Escape-Rooms hinter sich hat. Die Mädchen sind sich permanent nur am Zanken und Sabotieren, was stellenweise für unterhaltsame Dynamiken sorgt, aber insgesamt auch die Charaktere die meiste Zeit unsympathisch wirken lässt.

Ich hatte aber viel mehr ein Problem, der chronologischen Folge der Ereignisse zu folgen, obwohl das Diagramm, in dem man die Charaktere auswählt, es so wirken lässt, als würden alle Charakter-Episoden parallel erfolgen, spielen sie doch in völlig abgekapselten Settings, die sich unabhängig voneinander fortsetzen.



Dafür kommt kaum ein Gefühl für die Prämisse auf: 5 Mädchen, isoliert in einem unterirdischen Komplex, die wieder an die Oberfläche wollen.
Man nimmt die Story-Beats zwar irgendwo trotzdem mit und es steckt trotz allem eine ganz spannende Erzählung dahinter, doch durch diese nebulöse Erzählstruktur muss man anfangen, viel Suspension of Disbelief zu betreiben und manche Dinge einfach als gegeben hinzunehmen.
Ohnehin driftet die Story später völlig ab ins überambitionierte mit ultimativen Stakes und Realitätsverzerrungs-Gimmicks. Wer da einen persönlichen psychischen Thriller erwartet, wird hier vermutlich eher enttäuscht werden.

Dennoch haben mir die unterschiedlichen Enden des Spiels recht gut gefallen, da sie befriedigende Abschlüsse der Charaktere darstellen. (Bis auf Olgas mit den Aliens), bei denen man in jedem ein anderes wichtiges Puzzleteil für die Konklusion der Geschichte findet.



Nur leider muss man diese Enden sich erst zusammenklabautern. Abyss of the Sacrifice fängt nämlich nach der Hälfte der Kapitel an, plötzlich zukünftige Kapitel zu blockieren, abhängig davon, in welcher Reihenfolge man sie angeht.

Das erfolgt jedoch nicht wirklich nach einem logisch nachvollziehbaren Muster, sondern ist einfach Trial & Error. Für manche Routen, einschließlich der zum True Ending, muss man penibel eine Reihenfolge einhalten, auf die man unmöglich von selbst kommen kann. Zwar kann man nach dem ersten Ending zu jedem Kapitel fortschrittstechnisch zurückspringen, die Kapitel vorspulen und die Escape-Room-Sequenzen überspringen, trotzdem dauert es bei der Menge an Szenen und Text immer noch einige Minuten und das macht man dann Kapitel für Kapitel ohne zu wissen, ob man gerade auf dem richtigen Weg ist.
Nach rund 20 Kapiteln, die ich in unterschiedlichster Reihenfolge geskippt habe, wo ich dankbar bin, dass das Spiel second-screen-tauglich läuft, habe ich das Chloe- und das True-Ending in einem Guide nachgeschlagen.
Das Trial & Error ist es einfach nicht wert und das Spiel provoziert an vielen Stellen einige Male, dass der Damm bricht, wodurch man immer mehr auf Spielhilfen zurückgreift. 

So ging mir das Spiel gegen Ende auch irgendwann auf die Eier, trotzdem habe ich vor dem True Ending noch mal Abstand genommen bevor ich weitergespielt habe und das war auch gut so.
Denn insgesamt hatte mich das Ende eher versöhnlich gestimmt, das kam ohne irgendeinen von dem erwähnten Bullshit aus und verbindet spielerisch sämtliche Charakter-Arcs miteinander auf befriedigende Art.

Unterm Strich war es schon noch eine interessante, wenn auch frustrierende Erfahrung.
Es ist eine gute Fallstudie, wenn man genau betrachten möchte, was man bei einem Adventure alles falsch machen kann. Dennoch hat das Spiel trotz eines vermutlich niedrigen Budgets große Ambitionen und das immer mal wieder durchscheinende Potenzial sorgt hier und da für vorübergehende Höhen. Ich würde sagen, das wäre noch am ehesten ein Spiel, was sich stark verbessern ließe, ohne dass man es inhaltlich stark abändern müsste, einfach wenn man die Kommunikation transparenter gestaltet hätte.
Aber dann wäre es jetzt auch keine interessante Fallstudie mehr, nicht?