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Thema: gerade durchgespielt

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  1. #10
    Vampire the Masquerade - Swansong



    Mal was anderes

    Ich hatte mir für das neue Jahr vorgenommen mal etwas anderes zu spielen, über den Tellerrand hinauszublicken und mir ein "Narrative-driven" Spiel zuzulegen, von denen ich so viele an mir willentlich habe vorbei ziehen lassen.
    Meine Wahl fiel letztlich auf dieses Spiel, schlichtweg weil mir das Setting zugesagt hat und ich am liebsten Romane lese bei denen die Geschichte im Wechsel aus mehreren Blickwinkeln erzählt wird, außerdem hatte ich noch nie Berührungspunkte mit der "World of Darkness".
    Vampire the Masquerade Bloodlines ist damals völlig an mir vorbei gezogen. Besser so vielleicht? Denn mir dünkt, das Spiel wird am allermeisten von den Leuten gehasst, an die es eigentlich gerichtet ist.

    Ich nenne das Spiel der Einfachheit halber kurz "Swansong", so wird vielleicht nicht unweigerlich der Bloodlines Vergleich angestoßen. Das Spiel hat von Anfang an keinen Hehl draus gemacht was es sein will, kein riesiges RPG mit einer frei erkundbaren Welt und Charaktererstellung, sondern eine feste linear erzählte Geschichte mit "seichteren" Gameplay und Entscheidungen.

    Meine Erwartungen waren dementsprechend auch ziemlich niedrig angesetzt, ich habe hier irgendwie so ne Art episodenhafte Geschichte ala Telltale erwartet, ne Walking Sim mit vielen Dialogen oder sowas in der Art.

    Umso überraschter bin ich gewesen, mit meiner Einschätzung daneben gelegen zu haben. Es gibt deutlich mehr "Spiel" als zunächst angenommen. Doch bis ich das gemerkt habe, musste schon etwas Zeit vergehen. Der Anfang ist extrem expositionslastig und von der Inszenierung so fad wie 200 ml Kondensmilch. Das merkt man auch an der Optik, aber "who gives a shit?" Ich finde es sieht gut genug aus dass ich die Emotionen der Figuren einordnen kann.

    Nen mitglieferter Glossar im Menü hat mich mit allen möglichen Informationen zur World of Darkness versorgt und das war auf jeden Fall schon mal ein großer Pluspunkt, weil die vielen eingeführten Konzepte und Clans rund um eine Verschwörungsgeschichte von Vampiren die heimlich die Geschicke der Welt lenken, sehr vielversprechend klingen.

    Wirklich gecatched hat mich das Spiel aber dann erst, nachdem sich die 3 spielbaren Figuren nach dem ersten Kapitel aufteilen. Das Spiel ist in viele "Szenen" aufgeteilt, die dann innerhalb einer Location spielen. Nachdem man erst mal aus dem Bostoner Camarilla Hauptquartier raus ist fängt die Deduktionsarbeit erst an und man muss die jeweiligen Ziele der Figuren erfüllen.

    Und das Spiel gestaltet sich dabei erfrischend offen. Man kann sich frei durch die geschlossenen, aber durchaus umfangreicheren Umgebungen bewegen. In der ersten Szene mit Galeb z.B. soll man Beweise über verschiedene Vampirratsmitglieder verschwinden lassen. Das ist eigentlich schon alles, aber in dem Apartment in dem man sich aufhält, ist gleichermaßen ein Mord ausgeübt worden. Es liegt an einem selbst wie tief man in dem Spiel graben möchte, weil einem nichts davon aufhält nach dem einsacken gewisser Akten wieder zu verschwinden. Doch der erkundungsfreudige Spieler wird mit weiteren Enthüllungen belohnt, die sich auf den Ausgang der Geschichte auswirken. Dabei geht es dann nicht nur darum irgendwelche Hinweise zu finden und mit Leuten zu labern, sondern tatsächlich auch richtige Rätsel zu lösen.

    Ja tatsächlich ist Swansong eher ein Detektivspiel mit Light-RPG Elementen, viel mehr erinnernd an klassische Adventures, nur mit einer cineastischen Inszenierung. Das war mehr als ich eigentlich erwartet habe und daher eine freudige Überraschung. Ich habe mich mal informiert und man kann das Spiel wohl mit Titeln wie The Council, The Forgotten City oder den Sherlock Homes Spielen vergleichen. Es kann durchaus sein dass der Vergleich hinkt, weil ich habe nichts davon gespielt.

    Die "Light"-RPG-Elemente

    tl:dr

    Man hat 2 Ressourcen und guckt dass man niemals zu viel von einer beansprucht, weil mit denen kann man viel stuff machen und dadurch mehr vom Spiel entdecken. Dadurch wird man mit Erfahrungspunkten belohnt, damit man dann in der nächsten Szene für den Charakter mehr Skillpunkte verteilt und noch mehr Stuff- bzw weniger kaputt, machen kann.

    Erfrischend wenig "Spielhilfen"

    Die Kür ist dann aber eben, dass das Spiel nicht nur mit einer spannender werdenden Geschichte und intelligenten Dialogen überzeugen kann, sondern auch den Spieler wie ein intelligentes Individuum behandelt. Im gesamten Spiel gibt es kein Handholding, interagierbare Objekte müssen gefunden werden, sie werden nicht irgendwie leuchtend hervorgehoben. Es gibt keine Karte, die Gebiete sind zwar meistens recht überschaubar, man kann aber trotzdem gerne mal Gänge übersehen oder kurz die Orientierung verlieren. Keine Questmarker oder andere Navigationstools, das Ziel muss selbst erschlossen werden. Ja sogar die Rätsel können schon mal ziemlich tricky werden. Wobei ich hier den Anspruch als stark schwankend empfand, manche sind super einfach und manche erfordern wirklich dass man um die Ecke denkt.

    Dazu kommt dass das Spiel Klartext spricht, wenn es mit Konsequenzen wirbt, denn es speichert über jede getroffene Entscheidung einfach drüber. So wie es auch kein "Beenden ohne Speichern" gibt (es sei denn man schießt das Spiel ab)
    Das ist für sich kein Problem da es keine klassischen "Failstates" gibt, Konsequenzen sind allein narrativ und erst spät können die Figuren dann auch innerhalb dieser Narrative sterben. Was aber IMO die Spannung lediglich verstärkt, da man keine weitere Versuche erhält... naja oder sagen wir mal das Spiel macht es einen zumindest schwieriger einfach zu "savescummen" man kann immer noch ganze Szenen neuladen, aber dann geht auch viel Fortschritt verloren und manche Skill-Würfe die man aus Zufall geschafft hat, muss man dann erneut schaffen.
    Ich war darüber wirklich froh, weil wenn ich so nen Wurf verkacke und instant neuladen kann, dann werde in der Regel den Drang nicht widerstehen können, aber wenn der verlorene Spielfortschritt bei einem Szenen-Neustart viel frustrierender wäre, lebe ich mit meiner Entscheidung.

    Leider erübrigt sich das ein wenig gegen Ende wenn das Spiel später zwecks Dramaturgie-Gründen immer häufiger zwischen den Figuren springt, dennoch hat es das Spiel ziemlich gut geschafft ohne ein Kampfsystem, sehr viel situative Anspannung zu erzeugen.
    Sei es in den verhörartigen Konfliktgesprächen, bei denen man aus verschiedenen Antworten entweder über Skill-Checks oder Deduktion des Spielers, was der Gegenüber hören wollen würde, versucht die Person umzustimmen. (man darf nur eine bestimmte Anzahl Fehler machen)
    Oder in gewissen Events bei denen man unter Zeidruck gesetzt wird eine gewisse Aufgabe zu erfüllen hat.

    Die Nachteile

    Um eine ausbalanciertere Perspektive zu ermöglichen muss ich noch dazu sagen, dass es durchaus wegen den Mangel dieser Elemente auch zu Frust kommen kann.

    - Da man nicht weiß, was man in dem Spiel an Skillung gebrauchen kann, kann es natürlich sein dass man seinen Charakter genau so skilled, dass man mit ihm möglichst wenig in der Szene entdecken kann, ich denke ja dass es wegen dem Wiederspielwert getätigt wurde, aber ja es kann schon sucken wenn man da mit was gebaited wird, dann aber nicht in der Lage ist mangels Skillanforderung die Option wahrzunehmen. Ach und man kann natürlich auch nicht reskillen, logisch.

    - man kann schon viele Objekte verpassen, schon alleine weil das Spiel teils extreme Helligkeits-Konstraste erzeugt, man sollte im Zweifelsfall gerade bei einer Sehschwäche weit über die empfohlenen Einstellungen gehen damit man auch mal irgendwas erkennen kann. Objekte zum interagieren erhalten einen weißen Punkt wenn man sich in der Nähe befindet, aber da die Reichweite sehr begrenzt ist, bin auch ich schon mal minutenlang an einem notwendigen Hinweis vorbei gelaufen. Positiverweise kann man aber hier hinzufügen dass das Spiel "Point of No Returns" markiert, man brauch sich also nie Sorgen machen dass man irgendwie unabsichtlich zu weit gehen könnte.

    - Das Spiel erzählt einem am Ende eines Kapitels was man hätte noch anders machen können oder worin man versagt hat, finde ich ziemlich kacke wie es das einem unter die Nase reibt. Klar dass auch das für Furst sorgen kann.

    Tragweite der Entscheidungen

    Dem letzten Punkt dieses Essays möchte ich mich der Vielfalt an Entscheidungen widmen. Dabei muss man unterscheiden. Man kann in einem Level unterschiedlich vorgehen und Ziele auf mehrere Weise erreichen, das schmälert das Problem sich zu verskillen an diversen Stellen. Interessanter ist es aber über die Storyentscheidungen zu sprechen und welche Auswirkungen sie wirklich auf die Handlung haben und ob es alles Makulatur ist?
    Ich habe das Spiel nicht mehrere Male durchgespielt, kann aber mit Gewissheit sagen dass das Ending leider nur aus einem Monolog und Szenen besteht was aus den Figuren genau wurde. Dabei gibt es sozusagen nur 3 reguläre Schicksale. Entweder hat man seinen Prinzen gedient und alles sieht tutti aus oder die "Zweite Inquisition" löscht deine Artgenossen in Boston aus oder etwas völlig anderes passiert noch. Die Epiloge für die 3 Protagonisten werden getrennt vom Ausgang der Gesamtstory behandelt und können auch auf mehrere Arten zusätzlich dazu enden.

    Daher kann ich sagen, nein, die Konklusion wird sich leider nicht allzu stark ändern. Was sich aber teilweise stark verändert ist der Verlauf innerhalb der Story und da kann es wirklich zu kreativen Szenarien kommen. Mein beliebtestes Beispiel ist die erste Solo Szene mit Emem. Sie wird zu dem "Tremaine" Vampir-Clan geschickt um einen Pakt auszuhandeln, dabei wird sie gefangen genommen. Man kann nun regulär durch die Szene spielen und erfüllt dabei zum Schluss so ein Scheibendrehrätsel, wo Blut durch ein Labyrinth fließen muss, dabei steigt man einen Aufzug auf. Was einem das Spiel nicht mitteilt, ist dass es für das Rätsel noch eine "zweite Ebene" gibt, wie man es alternativ lösen kann, das führt nämlich dazu dass man zu einer geheimen Etage mit dem Auzug aufsteigen kann, bei dem man einen ganz besonderen Charakter finden kann.
    Findet man diesen Charakter nicht - kommt er auch nicht in der Story vor und dann entgehen einem so einige Szenen. Gleichzeitig fucked dieser Charakter derbe in der Geschichte rum, so bringt er die Leute um mit denen man einen Pakt schließen soll, wodurch automatisch das Questziel gescheitert ist und man seinen Prinzen enttäuscht. Man könnte jetzt meinen "aber so versteckt wie der war, gibt das später bestimmt noch fette Vorteile"... nein, also kommt drauf an wie man das sieht, aber eigentlich sorgt das später nur für eine weitere Konfrontation in der Emem sterben kann, wenn man sich falsch anstellt. Ich fand das irgendwie faszinierend.

    An einer anderen Stelle muss man überlegen wie man mit Galeb an Wachen vorbei kommt. Man kann aus einem Hochsicherheitstrakt einen Werwolf freilassen, aber nur wenn man ihn vorher davon überzeugt einen zu verschonen.
    Ist an sich eine super komfortable Lösung. Allerdings sorgt das später dafür, dass man mit Leysha nun eine zusätzliche Szene spielen muss. Einer in dem Sie vor dem Werwolf stealthen muss, sonst stirbt sie ebenfalls. Und was soll ich sagen, das ist die einzige "richtige" Stealth Szene im Spiel und sie ist deutlich kompetenter, als das, was ich so an Stealth Einlagen aus den meisten Action-Spielen kenne. Meistens geht es in diesen ja nur darum irgendeinen unsichtbaren Sichtkegel auszuweichen. Doch der Werwolf kann einen hier hören wenn man in der Nähe von ihm rennt, auch folgt er den Gerüchen, die man dank Auspex Disziplin dann auch selbst sehen kann. Allein durch die Gerüche ergibt sich eine sowohl nachvollziehbare, als auch manipulierbare Route des Werwolfs. An diversen Engpässen kann man sich durchdrucken damit der Werwolf einen Umweg gehen muss oder man kann ihn mit Geräuschen ablenken.
    Dafür ist der Werwolf deutlich schneller als man selbst und zu diversen Intervallen führt er ein Jaulen aus, was der Protagonistin jauchzende Geräusche entlockt und ihre Position verrät.
    Das ist einfach ne super Mischung aus verschiedenen Mechaniken die für ein Kopf an Kopf Rennen sorgen und das alles in einem Komplex dass einem zum Backtracken zwingt. Aber auch nicht so lang geht, dass es anstrengend wird.
    Eine derartig anspruchsvolle Szene in einem sonst eher passiven Spiel hatte mich wirklich positiv überrascht - vermutlich wirds dafür im Gegenzug viele andere Spieler ankotzen, doch ich kann dem trotzdem nur seine Qualität bescheinigen, also wenn ihr kein Bock auf Stealth habt, befreit nicht den Werwolf, dann verpasst man aber mitunter die coolste Szene die sicherlich auch ein bisschen Fanservice für den geneigten World of Darkness Spieler ist.

    Und derartige weitere Szenarien hat das Spiel noch häufiger, was deutlich dem Wiederspielwert zu Gute kommt, auch viele Figuren die man verschonen kann, trifft man später wieder, zwar relativ oberflächlich aber präsent genug dass sich die Entscheidungen bedeutend anfühlen und das ist schließlich das Wichtigste um den Spieler investiert zu halten in der Handlung.
    Das Finale besteht aus vielen sich wechselnden Szenen die alle in der selben Location stattfinden, wo sich alle 3 Figuren aufhalten und dann wird das Pacing deutlich flotter. Den Teil habe ich an einen Stück gespielt, weil ich den Controller nicht mehr weglegen konnte. Die Story von dem Spiel ist wirklich gut geschrieben und wartet mit einer Menge Twists auf, die nicht unbedingt abwegig sind, aber wirklich effektvoll in Szene gesetzt werden.

    Fazit

    Swansong ist nicht das Spiel was ich erwartet habe, eigentlich wollte ich mich geradezu mit einem narrativen "Erlebnis" berieseln lassen und bin eher auf ein Spiel gestoßen, was auf seine ganz eigene Art "Hardcore" ist. Die fehlenden "Komfortfunktionen" sind hier aber nicht des Projektrahmens geschuldet, sondern zwecks der Prämisse eines "Detektivspiels" so beabsichtigt. Tatsächlich wird das Spiel gerade von den Vampire Bloodlines Fans zerredet weil es dem bekanntesten PC Spiel des Franchises in so ziemlich allen Belangen abweicht. Vielleicht ist das auch der Frust dass der zweite Teil einfach nicht aus der Entwicklungshölle raus kommt.
    So oder so sehe ich hierbei irgendwo ein "Audience-problem" man muss schon wirklich eine gewisse Geduld für Swansong aufbringen, die Charaktere und das Settings geben sich anfangs sehr nüchtern, dennoch wortgewaltig. Mich erinnert das Spiel ein stück weit an die Adventures die ich früher gespielt habe, wo man längere Zeit an einem Ort verweilt und dann knobelt, wie man am besten nun weiter kommt und dabei bleiben einem diverse Freiheiten überlassen, die so gar nicht selbstverständlich sind in vielen heutigen Spielen.

    Statt das Spiel als Bloodlines Fan zu zerreden könnte man sich ja auch auf die positiven Aspekte Swansongs konzentrieren, wie z.B. dass Big Bad Wolf Studios wenigsten ihren Scheiss auf die Reihe bekommen und genau das Spiel geliefert haben, was sie erstellen wollten, während das Projekt Bloodlines 2 komplett an seinen Ambitionen zu Grunde geht und - um diese Parabel eine schöne Abschlusspointe zu verpassen, letztendlich bei The Chinese Room gelandet sind. Den Nummer 1 Walking-Simulator Studio, u.a bekannt durch Dear Esther, Everybody is gone to the Rapture und Amnesia a sequel for Pigs
    Ich denke also schon, man kann es ruhig das beste Vampire the Masquerade Spiel der letzten 20 Jahre nennen, dann können wir auch weitere 20 Jahre draufpacken


    Geändert von Klunky (19.01.2024 um 04:29 Uhr)

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