Ergebnis 1 bis 4 von 4

Thema: Mittelhochdeutsch WTF?

Baum-Darstellung

Vorheriger Beitrag Vorheriger Beitrag   Nächster Beitrag Nächster Beitrag
  1. #2
    "Und du sollst [stets] bedenken, wie du deinen größten Haufen am besten beschirmen und behüten kannst und deines [Gegners] größten Haufen viel Unruh und Irrung [zu machen vermagst], ehedann sie deinen Haufen rühren oder treffen [mögen]. Denn an deinem größten Haufen, da liege dein Sieg, und wie derselbig dein Haufen aufrecht bleibt, so hast du [gewonnen]. Darum sollst du denselbigen Haufen am allerbesten bedenken und mit guten Leuten zuordnen, versehen und schicken."

    Aber ich denke, soviel war dir schon vorher klar.
    Ich schreibe jetzt jedenfalls einfach mal auf, was ich mir bei meiner Antwort gedacht hab, damit du sie auch nachvollziehen und überlegen kannst, ob das für dich Sinn ergibt. Ich gebe keinerlei Garantie auf Richtigkeit =3 .

    Ich denke, das "kanstu" ist hier sehr irreführend, weil es rein syntaktisch in Leere läuft - ich vermute mal, dass da entweder etwas fehlt, oder der Autor von einer recht unkonventionellen Konnotation des Verbs ausgeht (nämlich, dass es lediglich eine unbestimmte Möglichkeit der Form "nun kannst du veranlassen, dass" wiedergibt, weil er diesem Können mehrere verschiedene Möglichkeiten unterordnet - eingeschränkte Konnotationen sind erst mit der weitläufigen Standartisierung der Sprache entstanden). Allerdings hast du drei das(s)-Modalien, einmal verneint als "nit das ...", zweimal affirmiert als "das deins ..." und "vnd vill treffens", die also zum übergeordneten Satz irgendeine gleichwertige Beziehung haben müssen.

    Schwierigkeit dabei ist auch der Kausalsatz "dan das du gendenngst vnd schaffst", einerseits, weil er die Satzstruktur nochmal verkompliziert, andererseits, weil er im Präsens steht.


    Der Satz sagt also in erster Linie etwa Folgendes:
    "Nun kannst du deinen Haufen, so er wohl mit Leuten geschickt ist, nicht dass Beschirmen und Behüten, denn das du gedenkest und schaffst, dass deines [Gegners] großer Haufen, der [sich] mit deinem Haufen treffen soll, will Irrung haben und will treff[lichst] gegen jene gehen, ehedann er deinen Haufen rühren und mit ihm treffen [kann], dadurch sie entschickt werden.[...]"

    Wenn man das nun nach unserer Grammatik ausrichtet:

    "Nun kannst du mit deinem Haufen dafür sorgen, nicht dass er beschirmt und behütet bleibt, denn du hast daran gedacht und dafür Sorge getragen, sondern dass deines Gegners großer Haufen, der sich im Kampf mit deinem Haufen treffen soll, Irrungen haben wird und dass er trefflich gegen jene gehen will, noch ehe sie deinem Haufen größeren Schaden zufügen können und dadurch ausgelöscht werden."

    Dem "kannst" werden drei Vorgänge untergeordnet:
    Beschirmen und Behüten
    Den Gegner in Irrungen Führen
    Trefflich gegen den Gegner Gehen

    Man hätte für den Satz also drei verschiedene Verben, die der Autor sich spart und bei dem Modalverb bleibt und die Modalsätze hinanreiht.

    Dass die Verben im Kausalsatz im Präsens stehen, hängt vermutlich mit der Tatsache zusammen, dass das Deutsche keine reine Futurform hat und offenbar im Mittelhochdeutschen noch nicht an die werden-Periphrase zu denken war (der Autor drückt ja auch einiges mit "vill" aus). Der Satz meint also "gegeben, dass du daran gedacht und dafür gesorgt haben wirst", der Satz müsste also im Futur II stehen.

    In meiner Vorstellung rückt der Autor das Denken und Sorgen mit dem Präsens in seine Perspektive. Er schreibt im vorherigen Absatz ständig in Ratschlägen und dieser Satz ist praktisch eine Konsequenz daraus (deswegen auch "gegeben, dass"), er sagt also:
    "...wenn du daran denkst und dafür sorgst, wirst du zu dem Zeitpunkt, wenn dein Haufen sich mit dem des Gegners trifft, nicht dafür Sorge zu tragen haben, dass er beschirmt und behütet ist."

    ..., nur tut er das in seiner weiterhin ratenden Position, in etwa wie ein Fernsehkoch, "jetzt ist die Pute goldbraun, denn wir haben sie ja vor ein paar Stunden in den Ofen gesteckt", im Gegensatz zu diesem steht die Tat aber noch in Aussicht:
    "die Pute wird schön goldbraun sein, denn wir stecken sie ja jetzt in den Backofen",
    sprich:
    "du wirst deinen Widertheyl überrennen können, weil du jetzt deinen größten Haufen mit den besten Männern versiehst"


    Ich weiß, dass das sehr verwirrend klingen muss, aber medivistische Sprachen sind sowieso eine Idiomatik für sich. Ich gehe jedenfalls davon aus, dass der Autor das "kanstu" auf eine verquere Weise eliptisch benutzt, sich daran die drei Modalsätze reihen und der Kausalsatz, der wegen der Perspektive des Autoren im Präsens steht, ausdrückt, dass man sich bereits um das Beschirmen und Behüten gekümmert haben muss, damit die nachfolgenden Ereignisse auch eintreffen (er bastelt sich also einen indirekten Konditionalsatz aus einem Modalsatz mit kausalem Nebensatz, um alle Nebensätze der Periode dem Hauptsatz gleichwertig unterordnen zu können); -
    kurzum, er sagt: Kümmere dich früh um eine sinnvolle Zusammenstellung deines größten Haufens, damit der am stärksten und nicht mehr angreifbar ist, nur dann wirst du deinen Widertheyl überrennen.


    Bah, ich weiß, dass das sehr undurchsichtig ist =/ .


    Edit: Erm... meine Vermutungen zum Kausalsatz werden übrigens nochmal durch den Konditionalsatz "so er woll geschickt jst mit leutten" unterstützt. Der Autor gibt eine "Nur wenn, dann..."-Bedingung und beruft sich darauf nochmal mit "dan das du gendenngst vnd schaffst".

    Geändert von Mordechaj (31.12.2008 um 19:15 Uhr)

Berechtigungen

  • Neue Themen erstellen: Nein
  • Themen beantworten: Nein
  • Anhänge hochladen: Nein
  • Beiträge bearbeiten: Nein
  •