Vorab:
Diese Geschichte entstand aufgrund einer Dokumentation, die ich vor vielen Jahren einmal über den Kommunismus und die Regentschaft Stalins angeschaut habe. Die Zeitzeugenberichte haben einen ziemlich nachhaltigen Eindruck hinterlassen, welchen ich versucht habe, hier einzubauen. Ich habe es bewusst in einer unbestimmten Zeit unter unbestimmten Umständen mit unbestimmten Personen handeln lassen.
„Erzählst du mir bitte eine Geschichte?“
Vater und Mutter beendeten ihr Gespräch und blickten hin nach der Tür, in der ihr kleines Töchterchen im Nachtgewande stand und erwartungsvoll die beiden ansah.
Der Vater lächelte matt, ging zu dem Kinde, nahm es bei der Hand und sie gingen ins Zimmer der Kleinen.
Die Mutter setzte sich an den Tisch, die Hände wie zum Gebet gefaltet und stütze ihre Stirn dagegen. Ihre Augen wurden feucht.
„Es war einmal vor langer Zeit“, vernahm sie die Stimme ihres Mannes aus dem Zimmer ihrer kleinen Tochter. Sie stand auf und lehnte sich an den Türrahmen des Zimmers, woraus die Geschichte ertönte. Sie blickte ab und an durch den Spalt auf das Bett, in dem das Töchterchen lag und liebevoll dem Vater zuhörte, der aus einem alten abgenutzten Buch vorlas.
Die Augen des Vaters wanderten hingebungsvoll von Zeile zu Zeile, während er las. Von Zeit zu Zeit blickte er sein Kind an und lächelte bei dem Bilde seiner kleinen Tochter, die die Augen geschlossen und den Mund zu einem Lächeln geziert hatte. Vertieft in die Märchenwelt in ihrer Fantasie. In ihrer kleinen friedlichen Welt.
Auch der Vater las sich immer tiefer in die fantastische Welt hinein,
welche so geprägt ist, durch den Einklang der Menschen und des Friedens. Der wahrhaften Gerechtigkeit. In der die Tragödie zu ihrem guten Ende kommt.
Mit glänzenden Augen liest er weiter vor. Mit schmerzendem Herzen, welches sich nach dieser Welt sehnt.
Die Mutter horcht ebenso gebannt und sehnsuchtsvoll zu. Die Tränen rinnen über die Wangen und lächelnd will sie sich dieses Bild in ihrem Herzen verewigen.
Diesen Moment harmonischen Friedens ihrer kleinen Familienwelt.
Und so durchfuhr es ihr Herz, als das Klopfen ertönte. Wie von einer niederfahrenden Klinge zerschnitten und zerfetzt.
Der Vater hatte bei dem Geräusche innegehalten und starrte leeren Blickes die wunderbaren Bilder und Zeilen der Seiten an, die er aufgeschlagen auf seinem Schoß hielt.
Sie beide spürten, wie dieser Moment in diesem Augenblicke für immer erloschen und zur Erinnerung verdammt war.
Das Töchterchen schlug die Augen auf, beunruhigt durch das eindringliche Klopfen und das Innehalten des Vaters.
„Papa?“, flüsterte das Kind zögerlich. Es bekam plötzlich Angst.
Das Klopfen wurde eindinglicher.
Die Mutter ging zitternd zu der Tür hin und fragte, wer da sei.
Die Ritter des Vaterlandes.
Schluchzend schlug sie die Hände vors Gesicht.
Der Vater zog sanft die Decke des Kindes hoch, damit es nicht friere und strich die Decke glatt. Kummervoll blickten die Augen der Tochter zu ihm hoch. Der Vater küsste ihre Stirn und strich über ihre Wange. Lange blickte er sie stolz und liebevoll an. Bedrückt zugleich. Eine Träne rann über sein Gesicht.
Die Mutter betritt beklemmt und tränennass den Raum. Der Vater steht auf und nimmt sie in den Arm. Flüstert unter Tränen, dass alles gut werde. Beteuert seine Liebe.
Das Buch überreicht er ihr.
Und geht schweren Herzens zu der Tür. Die Ritter der Gerechtigkeit warten.
Ein letzter Blick zurück; die Mutter sitzt kummervoll auf dem Bette, die Tochter blickt mit glänzenden, traurigen Augen zu ihm hin.
„Ich werde dir später die Geschichte zu Ende vorlesen!“
Und wurde von den Rittern des Vaterlandes als Verräter empfangen.