Es ist etwa 14:24, drittes Bewerbungsgespräch an diesem Tag. Der Kandidat vor mir lässt sich in folgenden Sätzen beschreiben: Verschlafen, Unrasiert, Langhaarig, ein schwarzes T-Shirt mit der Aufschrift "Wacken 2008 - A night to remember..." und einem nicht minder schwarzen Hut auf dem Kopf.
"Nun, Herr K." beginne ich das Standardfrageprogramm "Aus ihrem Lebenslauf haben wir ja schon einiges über sie... erfahren können..."
Ich rufe mir noch einmal den eingereichten Lebenslauf mit den simplen Worten 'Ich kam, sah und nahm ein Bier' in den Kopf. "... aber vielleicht beschreiben sie sich ja mal selbst ein wenig, damit wir sie besser einschätzen können. Was sind denn so ihre Charaktereigenschaften?"
"Njoa..." beginnt mein Gegenüber und ich frage mich spontan ob das Wort 'Njoa' überhaupt im Duden verzeichnet ist. "Also ganz grob gesagt bin ich eigentlich ein ganz liebenswerter Freak, jemand der einen Hang zu Extremen hat. Dementsprechend bin ich auch begeisterter Schau- und Rollenspieler, in den Kreisen haben die Leute sowieso immer ein Rad ab."
"Ah, ja..." meine ich und erspare mir es, das Gesagte zu notieren.
"Ich bin außerdem, wie sie sicher sehen können, ein Freund guter Musik und des geselligen Beisammenseins, nicht nur bei Festivals oder Forentreffen, sondern auch gerne mit meinem Freundeskreis mal unter der Woche."
"Und... irgendwelche anderen Freizeitaktivitäten?"
"Wenn ich mal in Laune dazu bin, vor allem das Schreiben."
"Poesie?"
"Gelegentlich, aber eher Prosa."
"Und... welchem Themenbereich sind sie da geneigt?"
"Och, alles von Science Fiction über realistische Dystopie bis hin zum Drama. Aber bevorzugt natürlich Fantasy." Er lacht freudig auf "Das ist einer der Hauptgründe, warum ich mich bei ihnen bewerben möchte."
"Haben sie noch irgendwelche anderen Eigenschaften, von denen sie denken, dass sie diese für die ihnen angebotene Stelle gebrauchen können?"
Er muss nicht lange überlegen. "Absolut chaotisch, witzig, relativ trinkfest und chronisch realitätsfern!" sprudelt es aus ihm heraus. Ich lege die Bewerbungsunterlagen für einen Moment bei Seite.
"Ihnen ist schon klar, dass sie sich hier für ein Pfarramt in der katholischen Kirche bewerben, oder?"
"Jup!"
Ich lasse einen lauten Seufzer ertönen. "Wie sind sie überhaupt als evangelisch getaufter Mensch, der als Glaubensausrichtung 'Agnostisch-Heidnischer Pastafari-Okkultist mit Trinkgelübde Ásatrú' angegeben hat, auf die Idee gekommen, sich für diese Stelle zu bewerben?"
"Nun ja, zunächst mal waren mir die schwarzen Hemden sympathisch. Passen wirklich zu jedem Anlass und man gibt unter Goths damit immer eine gute Figur ab." antwortet der Bewerber grinsend "Außerdem ist mir die Geschäftsphilosophie des Firmengründers unheimlich sympathisch."
"Sie meinen den heiligen Petrus?" frage ich interessiert.
"Njoa, der auch. Vor allem weil der so auf umgedrehte Kreuze stand. Aber eigentlich mein ich noch den davor: Jesus!"
"Ich bin auch erfreut, dass sie sich zu unserem Herren Jesu Christi bekennen..." In der Tat, wenigstens EINE brauchbare Eigenschaft an dem Kerl.
"Aber sowas von, Meister." meint der andere begeistert "Tolle Haare, toller Bart und der einzige Mensch, der jemals 120 Promille geschafft hat."
"Bitte WAS?" platzt es aus mir heraus.
"Na, bei der Messe heißt es doch immer, dass sein Blut Rotwein gewesen wäre. Und Rotwein hat im Schnitt 12 Prozent. Macht 120 Promille. Meinen Respekt hat der Junge... da fällt mir ein, handelt es sich dabei eigentlich um Merlot, Cabernet oder doch eher Burgunder?"
Noch ein lauter Seufzer meinerseits... heute ist echt nicht mein Tag...